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BERLIN  Sonnabend

25. Mai 1929

Der Abend

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Händewegvon der Sozialpolitik

Kundgebung der Gewerkschaften zur Arbeitslosenversicherung.

Die Bezirksvorstände des ADGB  . und des AfA- Bundes für Berlin  , Brandenburg   und die Grenzmart haben heute vormittag 11 Uhr eine Rundgebung veranstaltet, zu der die Behörden, die Bresse und die Gewerkschaften eingeladen waren, um nochmals die Stellung der freien Gewerkschaften in dem Kampf um die Ar. beitslosenversicherung zu umreißen.

Der Bezirkssekretär des ADGB.  , Vollmerhaus, leitete die Beranstaltung, Spliedt, Sekretär des ADGB.  , hielt das ein­leitende Referat. Spliedt mies zunächst darauf hin, daß infolge des anormalen Winters die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung gezwungen war, Darlehen des Reiches in großem Ausmaße in Anspruch zu nehmen,

Nicht die Arbeitslofenversicherung ist alsó bankerott, sondern durch besondere Umstände haben die Gegner der Arbeitslosenver­ficherung Oberwaffer bekommen.

Dadurch werden ernste Konflikte hervorgerufen, die sich politisch auswirten müssen. Die Grundlage der Arbeitslosenversicherung, die von einer Regierung geschaffen wurde, in der feine Sozialdemokraten faßen, sei das einheitliche Gefahrenrisito, die Staffe­lung der Beiträge und der Leistungen nach der Lohnhöhe und brittens die Kostendeckung durch die Versicherung bis zu 3 Prozent des Lohnes. In anderen Ländern sei es in diesem Punkt anders. In England zahlen Reich, Unternehmer und Arbeiter je ein Drittel der Kosten. Auch nach dem sogenannten Genfer   System werden öffentliche Mittel als Zuschuß gegeben.

Auch die frühere Arbeitslosenfürsorge habe immer Zuschüffe erfordert. Durch die Arbeitslosenversicherung seien Reich, Länder und Gemeinden ganz erheblich entlastet worden. Die Schaffung der Arbeitslosenversicherung bedeutete praftisch eine verstedte Sanierung der öffentlichen Finanzen. Nur in besonderen Krisenfällen sollte das Reich rückzahlbare und verzinsliche Darlehen leisten.

Hat sich dieses System bewährt? Wir fagen ja. Kleine Mende­rungen sind möglich. Beseitigung von Mißständen tönnen durch geführt werden. Auch andere Versicherungen haben eine Versuchs: episode durchgemacht.

Aber an den Grundlagen darf nicht gerüttelt werden.

Die 3 Prozent der Beiträge vom Lohn genügen, um laufend im Jahresdurchschnitt 820 000 Arbeitslose zu unterſtüßen, d. h. also, daß diese Mittel ausreichen, um vier Monate lang 1 200 000 und acht Monate 630 000 Arbeitslofe zu unterstützen. Im Laufe der letzten neun Jahre gab es nur zwei Jahre der Inflation und Deflation, wo die Arbeitslosigkeit höher war.

Man spricht von dem hohen Zuschuß des Reiches, der etwa 300 Millionen beträgt und der die Ursache der Finanznot des Reiches sein soll. Die Ursache der Finanznot ist die leicht sinnige Finanzpolitit, für die nicht wir und auch nicht meine Partei verantwortlich sind. Im Etat war nicht ein Pfennig für die Vorschüsse vorgesehen. Man schreit über diese Borschüsse zur Arbeitslosenversicherung.

Man spricht aber nicht von den Hunderten von Millionen, die im Efat vorgesehen sind als verlorene Zuschüsse an Industrie und die Landwirtschaft.

Man spricht nicht von den 80 Millionen Liebesgaben an die Єchnapsbrenner, von den 66 Millionen jährlich an den Berg bau aus dem Ertrag der Lohnsteuer. Einzelfälle von Mißbräuchen werden verallgemeinert. Wir fordern zahlenmäßig fundierte Beweise für den Umfang der Mißbräuche. Das amt­liche Material tennt nur etwa vierzig Fälle, die nachgeprüft wurden. Spliedt meist auf die unglaublichen Behauptungen im Berliner Tageblatt" hin, die jedes Beweises ermangeln. Bis heute habe das Berliner Tageblatt" das Beweismaterial für seine Behauptungen nicht erbringen fönnen. Spliedt fordert die

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Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, um die eventuellen Mißbräuche nachzuprüfen

und festzustellen, wie weit Reformen möglich und notwendig feien. Es sei aber gefährlich, allgemeine Aenderungen vorzunehmen um einiger Ausnahmefälle willen. Wir fennen das sogenannte Sofort­Programm der Regierung nicht. Wenn dieses Programm aber ein­schneidende Uenderungen vorsehen sollte, dann wird es auf den absoluten Widerstand der Gewerkschaften stoßen, die feine Realifie­rung verhindern werden.( Lebhafte allgemeine Zustimmung.)

Die freien Gewerkschaften und zweifellos auch die chriftlichen und die Hirsch- Dunderschen Gewerkschaften werden nicht rütteln Lassen an den Grundlagen der Versicherung. Die Berhandlungen dauern fort,

Die FD  - Zug­katastrophe bei Fulda  .

Am Donnerstag nach­mittag ist der 3D- Zug Basel  - Berlin   bei der Einfahrt in den Bahnhof Kerzell   bei Fulda   ent­gleist. Die Unglücks stätte bildet einen wüsten * Trümmerhaufen.

Unwetter in Nordwest- Deutschland  

Schwere Gewitter und Hagelschlag.

In den Abendsfunden des Freitag enflud sich über dem äußeren Südwesten Berlins  , und zwar über Schlachtenfee, Zehlendorf  , Dahlem   und dem Grunewald   ein Gewitter, das von ungewöhnfich harten Schlägen begleitet war. Wie jetzt bekannt wird, ist fast zu derselben Zeit auch der Nordwesten Deutschlands   von starten Gewittern heimgesucht worden.

Schwerin  , 25. Mai.  ( Eigenbericht.) Schwere Gewitter, verbunden mit Sturm und Hagelnieder­schlägen gingen am Freitag abend über fast alle Teile Mecklenburgs nieder. Nach den bisher vorliegenden Mel­dungen sind in Mecklenburg   7 Gebäude durch Blitzschlag eingeäschert worden. In Bicher bei Ludwigsluft wurden durch wolkenbruchartigen Regen die Keller unter Wasser gesetzt. Der Hagel hat auf den Feldern großen Schaden angerichtet. Bei Karstaedt  im südwestlichen Mecklenburg   wurde ein Kuhhirte vom Blig erschlagen. Durch den Sturm wurden viele Hochspannungs­und Telephonleitungen zerstört.

Hamburg  , 25. Mai.

Ein starkes Gewitter mit außerordentlich heftigem Hagelschlag entíud sich gestern abend gegen 7 Uhr in der Gegend von Finken. märder, Bugtehude, Horneburg   und im Alten Lande. Die Hagelschloßen, die in riesigen Mengen niedergingen, waren von außergewöhnlicher Größe. Die Straßen waren im Nu übersät von abgeschlagenen Aesten und Laubwerk; vielfach wurden Dachfenster und Scheiben in den Treibhäusern glatt durchschlagen. Der schwere Hagelschlag hat auch großen Schaden an der Baumblüte und an den Feldfrüchten angerichtet.

Das warme Wetter danert an.

Nach den Mitteilungen des amtlichen Wetterdienstes ift für heute und die nächsten Tage mit schönem Wetter zu rechnen. Die Wetterprognose für Sonntag lautet: Heiter und leicht bewölkt, weiterhin sehr warm mit fortdauernder Neigung zu örtlichen Gewifterbildungen.

Die Gesamtfituation ist ziemlich günstig, über Nord­ osteuropa   lagert ein weitverbreitetes Hoch und ganz ähnlich ist die Situation über Südwesteuropa. 3wischen den beiden Hochdruck­gebieten zieht sich eine Tiefdrudrinne hin, die quer durch Deutschland   geht und von der Nordsee   bis zum Balkan reicht. Unser Gebiet liegt am Südwestrande des nordöstlichen Hochdruck­gebietes. Es find daher füdöstliche Winde vorherrschend, die an sich schon sehr warm find; hinzu kommt noch die unge hinderte Sonnenstrahlung bei heiterem Himmel, so daß

die Temperaturen allgemein für die Jahreszeit sehr hoch sind. Gestern wurden in Berlin   über 27 Grad är me gemessen; das ist der bisher wärmste Tag, den wir in diesem Jahre zu ver­zeichnen hatten. Heute früh um 8 Uhr betrug die Temperatur 19% Grad und mittags um 12 Uhr hatte die Quecksilber­säule bereits wieder 24 Grad erreitht.

Auf dem Schulwege verunglückt.

Zwei Kinder schwer verletzt.

Heute früh wurden zwei Kinder, die sich auf dem Wege zur Schule befanden, überfahren und schwer verletzt. Am Sterndamm in Johannisthal   geriet furz nach 8 Uhr die 12jährige Gerda Schwarz aus der Ostmarktstraße 28 vor einen Straßenbahnwagen der Linie 17. Das Kind geriet unter den Schuhrahmen und konnte erst von der alarmierten Feuerwehr aus seiner furchtbaren Lage befreit werden. Mit gefährlichen Berlegungen wurde die Schülerin ins Elisabeth- Hospital gebracht. Durch den Vorfall trat eine halb= stündige Berkehrsstörung ein.

Der andere Unfall ereignete sich in Blankenburg  , an der Ede Dorfstraße und Krugsteg. Der 12jährige Karl Hase aus der Suderoder Straße 25 in Blankenburg  , der mit seinem Fahrrad zum Schulunterricht fahren wollte, wurde von hinten von einem asta uto angefahren und schwer verletzt. Der Junge fand im Pantower Krankenhaus Aufnahme.

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Einen grausigen Fund machte heute früh ein Strecken­wärter auf den Stadtbahngleisen zwischen den Stationen Eichwalde   und Grünau  . Neben den Schienen lag ein Mann, dem der Kopf völlig zermalmt worden war. Die Polizei stellte den Toten als einen 37jährigen Bäcker Adolf B. aus der Beteranenstraße fest. Selbstmord ist unzweifelhaft, doch ist das Motiv zur Tat nicht bekannt.

Rote Fahne" verboten.

Auf die Dauer von vier Wochen.

Der Polizeipräsident hat heute die Rofe Fahne", die in der dreistesten Weise zum Aufstand heht, abermals auf die Dauer von vier Wochen verboten.