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Beilage

Dienstag, 28. Mai 1929

Der Abend

Shalausgabe des Vorwan's

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Der ausgezogene Rock.

Was Hugenbergs Schmock in Magdeburg sah.

Ein sozialdemokratischer Parteitag ist eine politische Angelegen­heit, die etwas mehr zu bedeuten hat, als irgendwelche Infanteristen, Kavalleristen- oder Artilleristentage der ehemaligen 175er in Hinter: pommern. So hat auch die Hugenberg- Presse trotz ihrer Rotscheu nicht vermeiden fönnen, einige Schreibfulis nach Magdeburg zu ent­senden. Was sollen die Bedauernswerten dort tun? Sollen sie über den Riesenaufmarsch der Magdeburger Ar­beiterschaft berichten, über dieses den wahren Charakter einer Massenvolkspartei befundende Schauspiel, wie es auch die größte bürgerliche Partei nie zu Wege bringen wird? Das wäre inopportun. Der geölte Hugenberg- Schmock findet andere Momente. So legt er im Tag" los:

Braun in Hemdsärmeln.

Otto Braun , Ministerpräsident und Herrscher aller Preußen, hat sich in Magdeburg bei seiner großen Rede photographieren laffen, und zwar in Hemdsärmeln. Schlohweiß sieht's aus der schwarzen Beste hervor! Säuberlich gefaltet liegt sein Rod auf dem Rednertisch. Im Hintergrunde stehen dicht geschart die klassen­bewußten Zuhörer, aber nicht in Hemdsärmeln. Braun durfte sich den Rod ausziehen, die Masse durfte trans­pierieren.( Hört, hört! Red. d. V.".) Das Bildchen ist ein Zeichen der Zeit. Neue Würden erfordern neue Symbole. Das weiße Hemd und die schwarze Weste enthalten die moderne politische Kontrastwirtung. Es wäre ein Verstoß gegen die neue Sitte gewesen, hätte sich die Versammlung dem Beispiel Otto Brauns angeschlossen. Ein sozialdemokratischer Ministerpräsident weiß, was sich gehört. Bismard hatte in der gleichen Funktion eine Scheu davor, wie er sich ausdrückte, sich der Mitwelt in Hemdsärmeln am Fenster zu zeigen. Heute zeigt man sie in öffentlichen Feiern. Es ist die Tracht der neuen Epoche. Die große Mode, die Mode Otto Brauns.

Es paßt sehr schön hierzu, daß der Gesamtbericht des Tag" unter der Schlagzeile marschiert: Die SPD . Demagogie in Magdeburg ." Bessen Demagogie, bitte?!

Alles Ariftofraten!

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Die tommunistische Hamburger Volkszeitung " sucht von den 50 000 Demonstranten soviel wie möglich fortzufügen. Hamburg ist ja weit von Magdeburg . Immerhin muß sie, um sich nicht gar zu sehr zu blamieren ,,, fnapp 11 000( warum nicht ,, fnapp 10 999"?) am Leben lassen. Zum Trost teilt sie ihren Lesern mit, daß außer den Mitgliedern der SAJ. vorwiegend Elemente vom arbeiteraristokratischen Typus" aufmarschiert seien. Danach dürfte die Magdeburger Arbeiterbevölkerung zu neun Zehnteln aus Arbeiteraristokraten" bestehen?!

Mord in Hamburg .

Eine Greifin erschlagen aufgefunden.

veramburg, 28. Mai. Am Montagabend wurde die in der Brigittenstr. 2 im vierten Stock wohnende 76jährige Ehefrau Mathilde Schlörke in ihrer Küche auf dem Sofa liegend er. mordet aufgefunden. Die Leiche wies drei schwere Wunden, herbeigeführt durch Schläge mit einem metallenen Gegenstand, die linke Halsseite eine tiefe

Schnittwunde auf.

Das von dem Mörder benutte Schlaginstrument wurde in der Küche nicht gefunden. Dagegen fand man auf der Brust der Ermordeten ein mit Blut beflecktes Brotmesser. Der Ehemann ist nach seinen An­gaben gegen 14% Uhr zum Mittagessen nash Hause ge­kommen und hat die Wohnung um 15% Uhr wieder ver­lassen, um sich ins Geschäft zu begeben. Geraubt ist, soweit bis jetzt feststeht, nichts.

Zurzeit herrscht über das Motiv und die Persönlich keit des Täters noch völliges Dunkel.

Riefenbrand in London .

Tausend Menschen mußten die Wohnung räumen.

London , 28. Mai. ( Eigenbericht.) In der Nacht zum Dienstag wurde ein sechs stöckiges Lagerhaus an der Themse durch ein Großfeuer zerstört, wobei gewaltige Getreide­mengen verbrannten. Feuerwehraufgebote aus ganz London bekämpften mit Hunderten von Schlauch­leitungen das Feuer, annähernd 1000 Be wohner der umliegenden Häuſer mußten ihre Wohnungen räumen.

Oskar Wöhrle

ist der Autor der Erzählungen, mit deren Abdruck roir am Freitag beginnen. Sein Name zählt seit langem in der deutschen Literatur. Bereits vor dem Kriege trat er mit Gedichten an die Oeffentlichkeit, die aufhorchen ließen. Er gehört mit René Schickele und Oskar Flake zu jenem Kreis elsässischer Dichter, die kurz vor Ausbruch des Weltkrieges das Augenmerk auf die Reichslande und ihre tragische Problematik lenkten. Oskar Wöhrle blieb bei der Lyrik nicht stehen, wenn er auch heute noch zu tiefst mit der Lyrik verbunden ist. Er gehört zu den Stillen im Lande, gehört zu jenen, die Naturverbundenheit und Volksnähe von dem lauten Getriebe des Maschinenzeitalters abwendet. Seine Romane atmen Kleinstadt und Land und jenen köstlichen Humor, der unmittelbar aus dem Volk dringt. So auch seine

Sundgau- Geschichten.

In lockerer Folge reiht sich Erzählung an Erzählung, zusammen­gehalten durch das Jugenderinnern des Autors. Denn Jugender­innerungen sind es, die sich hier zu dem bunten Teppich einer Dichtung zusammenfügen. Das eigentümliche Kolorit der Sundgau­Landschaft und das Temperament ihrer Beroohner gibt ihnen die eigene Note. Sie sind das Werk eines urrüchsigen Dichters, der aus Volk und Heimatboden seine roertoollsten Kräfte zog. Sie sind ein Gruß und ein Dank an den Sundgau.

Trübung des Leitungswaffers.

Mangan, das beseitigt wird.

geführt, bis das Wasser wieder völlig klar ist. Zur Beseitigung des Mangans ist in dem Werk Wuhlheide eine große Entmanganungs­anlage hergestellt worden, die in Kürze in Betrieb genommen werden wird.

Auto fährt in Arbeiterkinder.

Gestern nachmittag zeigte in den Häusern von Straßen im Süd­often Berlins das Leitungswasser eine schwärzlich e Färbung. Diese Erscheinung hat ihre Ursache darin, daß durch die Inbetriebnahme eines neuen Maschinensages im Wert Wuhlheide Zwei Kinder tot, mehrere verletzt. im Laufe des gestrigen Nachmittags manganhaltige Rüd­stände, sogenannter Manganschlamm, im Rohrney Karlsruhe, 28. Mai. ( Eigenbericht.) aufgewirbelt und in die Verteilungen gedrückt worden sind. In der Gemeinde Unterharmersbach im Die Manganniederschläge sind auf den in dem Grundwasser des Schwarzwald fand ein Musikfest statt, dessen Werkes Wuhlheide in gelöster Form vorkommenden Gehalt an Mangan zurückzuführen, der sich beim Durchfließen des Rohrnezes Abschluß ein Kinderfestzug war, an dem sich in diesem ablagert. Sie sind inteiner Weise gesundheits eine große Anzahl Kinder beteiligte. Auf dem Wege schädlich. Die Straßen, in denen diese Erscheinung aufgetreten zum Festplatz fuhr ein Personenauto in die ist, liegen etwa in dem Viertel zwischen Dresdener Straße und der Gegend des Halleschen Tores. Durch die Ueberpumpstation am Kinderschar hinein. Ein Kind wurde sofort ge. Kleistpart sind auch Trübungen in das Versorgungsgebiet von tötet, ein zweites ist seinen schweren Verlegungen Schöneberg und Steglitz eingedrungen. Die ganze übrige Stadt ist erlegen, ferner wurde ein weiteres Kind schwer nicht betroffen. Die affermerte haben gestern nachmittag und eine Anzahl Kinder leichter verletzt. Es sind sofort zahlreiche Arbeitsfolonnen angesetzt, um den meist Arbeiterkinder. Der Fahrer des Autos betroffenen Teil des Rohrnezes durchspülen zumeist laffen. Die Spülungen find während der ganzen Nacht fortgefeßt war auf den Umzug aufmerksam gemacht worden und werden im Laufe des heutigen Tages so lange durch worden.

Prozeß Nogens hat begonnen.

Die Wiederaufrollung des Falles Jakubowski.

Neustrelit, 28. Mai.( Eigenbericht.) Heute vormittag begann vor dem Schwurgericht Neu­strelik der Prozeß gegen Nogens und Genossen wegen Mordes. Den Brüdern Frik und August Nogens aus Palingen legt die Anklage zur Last, daß sie den Pleinen unehelichen Sohn des Landarbeiters Jakubowski, Ewald Nogens, umgebracht haben.

Wegen des Mordes an diesem Kinde ist Jakubowski vom Schmurgericht Neustreliz am 26. März 1925 zum Tode ver urteilt und trotz der Beteuerung seiner Unschuld am 15. Februar 1926 in Alt- Strelitz hingerichtet mor­den. In der Boruntersuchung sollen die beiden Angeklagten Nogens ihre Beteiligung an der Mordtat zu= gegeben haben. Auf der Anklage­bank erscheint weiter Frau Kaehler ( verw. Nogens), die Großmutter des Ermordeten, die das Berbrechen be günstigt haben soll. Diese und die beiden Angeklagten Rogens find weiter wegen Meineides angeflagt. Der Frau Lübte, geb. Kreuzfeldt, wird zur Last gelegt, daß sie die jetzt Angeklagten nach der Tat be= günstigt habe. Der Pferdeknecht Blöder ist auf Grund seiner Aus­sagen im früheren Jakubowski- Prozeß wegen Meineides angeflagt. Es find 128 128 3eugen geladen. Pressevertreter aus allen Teilen Deutschlands haben sich angemeldet. Den Vorsitz führt Landgerichtsdirektor Dr. Peters( Rostoc). Die Anklage vertritt Oberstaatsanwalt Dr. Weber ( Neustrelit).

schließlich mit der Ladung des Professors Dr. Aschaffenburg ein­verstanden.

Die Angeklagten werden sodann zur Person vernommen! August Nogens ist Knecht , 1905 geboren, einmal wegen Sittlich Gefängnis bestraft. Friz Nogens, Arbeiter, 1909 geboren, wegen teitsverbrechens an der eigenen Schwester mit 9 Monaten Bettelns vorbestraft. Frau Elise Kähler, verwitwete Nogens, 1879 geboren, nicht vorbestraft. Ein Ehescheidungsprozeß schwebt noch. Pferdefnecht Blöcker, 1904 geboren, zweimal wegen Dieb. stahls und einmal wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt vor.

Die Heidekate von Palingen

Das Wohnhaus der Mörder. Links oben: Der als Mörder hingerichtele Jakubowski

Die Verhandlung wurde gegen ½11 Uhr im Gelben Saal des Schlof­ses eröffnet. Der Saal, in dem sonst der Mecklenburg- Strelizer Landtag [ eine Sigungen abhält, ist für die 3mecke der Gerichtsverhandlung her­gerichtet worden. 3mei große Sfiz­zen des Dorfes Palingen bei Lübeck , in dem 1924 der Mord an dem kleinen Ewald Nogens verübt wurde, veranschaulichen die Lage der mutmaßlichen Mordstelle, zum Leichenfundort und zum Heide taten, in dem Jakubowski mit Frau und Kindern Nogens und anderen wohnte. Bor Beginn der Verhandlung äußerte sich der Borfizende den Pressevertretern gegenüber zu der von uns bereits gemeldeten Borgeschichte des Prozesses. Er betonte, daß es sich formell nicht um die eigentliche Wiederaufnahme des Jatu­bowski- Prozesses handelt, sondern um ein neues selbständiges Verfahren gegen andere und gab ferner dem Wunsche Ausdruck, daß die Presse möglichst objektiv über den Prozeß berichten möchte. Der Anklagevertreter erklärte nachdrücklich, es handele sich nicht etwa um ein Tendenzmanöver bei der Erhebung der Anklagen, wie das von manchen Seiten behauptet worden sei, sondern es sei angesichts der vier vorliegenden Geständnisse, von denen bis jetzt nur eins widerrufen worden sei, die Pflicht der Staatsanwaltschaft gewesen, Anklage zu erheben. Als beisigende Richter fungieren die Amtsgerichtsräte Weise und Dettmann. Die Geschworenen sind ihrem Berufe nach Lehrer, Arbeiter und Landwirte.

Von den fünf Angeklagten ist die der Begünstigung der An­geklagten beschuldigte Frau Lübde wegen ihrer bevorstehenden Niederkunft nicht erschienen. Das Verfahren gegen sie wird abgetrennt werden, wenn auch ihre Bernehmung als Zeugin im Interesse des Prozesses sich. nicht vermeiden lassen wird. Nach Berlesung des Eröffnungsbeschlusses beantragt der Bertreter des Nebenklägers, Rechtsanwalt Dr. Brandt, die Zuziehung des Professors Dr. Aschaffenburg, Direktor der Psychiatrischen Universitätsflinif in Köln , als Sachverständigen für die: Zurechnungsfähigkeit, Beugnisfähigkeit und Glaubfähigkeit der Mit­glieder der Familie Nogens, zumal dieser Sachverständige schon in der Boruntersuchung tätig war. Der Oberstaatsanwalt erflärt es für praktischer, einen Berliner Psychiater zuzuziehen. R.-A. Brandt weist demgegenüber darauf hin, daß er es für not wendig halte, das Berliner Element in diesem Prozeß nicht so sehr hervortreten zu lassen. Der Oberstaatsanwalt erklärt, fich

bestraft. Hinter den Angeklagten haben die Verteidiger Platz ge=

nommen, und zwar R.-A. Dr. Müller für August Nogens, R.-A. Dr. Albrecht für Frizz Nogens, R.-A. Dr. Kieper für Frau Kähler und R.-A. Dr. Stech für den Angeklagten Blöcker. Als Nebenfläger ist, wie bereits gemeldet, der Vertreter der Liga für Menschenrechte, R.-A. Brandt Berlin , erschienen.

Der Vorsitzende richtete dann zunächst an die Angeklagte, Frau Kähler, die Frage, ob sie sich schuldig fühle; fie habe doch eingestanden, im Einvernehmen und mit Wissen Jakubowskis am Mordtage aus Palingen zu verreisen, um damit Jakubowski die Wege zur Beseitigung des Ewald zu ebnen. Angeklagte: Jch bleibe dabei. Bors.: Sie haben dann also unter Ihrem Eide in den früheren Verfahren wissentlich etwas Falsches ausgesagt? Die Angeklagte scheint die Frage nicht ganz zu verstehen, so daß der Vorsitzende dazu übergeht, teilweise plattdeutsch mit ihr zu sprechen. Angefl: Ja. Dann fragt der Vorsitzende den An­geklagten Friz Nogens, ob er sich dazu bekennen wolle, etmas

alsches beschworen zu haben. Der Angeklagte Frizz. Nogens bejaht die Frage, er sei auch dabei behilflich gewesen, Ewald an die Seite zu bringen. Ebenso bekennt sich der Angeklagte Blöcker des Meineids schuldig. Der Angeklagte August Rogens er­flärt gleichfalls, einen Meineid geschworen zu haben. Gegenjaz zu einem früheren Geständnis be streitet er nunmehr aber, zusammen mit Jakubowski den Ewald beiseitegebracht zu haben.

Im

Bor: Ist es nicht doch wahr, daß Sie bei der Tat beteiligt waren? Sagen Sie die Wahrheit! Angefl: Ich bin am 9. November ja überhaupt nicht in Balingen gewesen. Es treffe zu, daß Jakubowski ihm geraten habe, Ewald gegen das Geschent eines Fahrrades um zubringen. Das habe er abgelehnt. Vors: Daß Sie sich aber durch das Herausholen des Ewald aus dem Katen an dem Morde beteiligt haben, ist Ihnen doch klar? Anget 1. 3 a. Damit ist die Bernehmung des Angeklagten August Ja. Mogens zunächst beendet, und der Borsigende wendet sich den näheren Schilderungen der Angeflagten Frau Rähler zu