Morgenausgabe Nr. 251
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Bilanz von Magdeburg . Krast zur Selbstkritik. — Wille zur Macht. Einer der schönsten und fruchtbarsten Parteitage der deutschen Sozialdemokratie ist gestern in Magdeburg zu Ende gegangen. Ein Parteitag der Sammlung, der Konsoli- dierung und der festlichen Erhebung. Mit dem unerschütter- lichen Willen, auf betretenen Wegen der M a ch t g e- w i n n u n g vorwärtszuschreiten, das Werk des Aufbaues weiter fortzusetzen und es gegen alle Angriffe von außen zu verteidigen, geht die Partei von dieser Tagung zu neuer Arbeit. Dabei ist dieser Parteitag alles eher als ein Kongreß von Ja- und Amensagern gewesen. Er war vielmehr ein Kongreß von Unzufriedenen, und in der Aufrichtigkeit der Kritik an allem, was kritikbedürftiq ist. gab es keinen Unterschied der Richtung. Schon darum scheinen uns alle Bc- urtellungen fehl zu gehen, die von einer Mehrheit auf der einen Seite und von einer Opposition aus der anderen Seite sprechen. Auch diejenigen Redner, die sich selbst als zur Opposition gehörend bezeichnen, stellten fest, daß es grund- sätzliche Gegner jeder Koalitionspolitil.in der Partei nicht mehr gibt. Einig war man darüber, daß die bis- herigen Ergebnisse der Koalitionspositik im Reiche wellig befriedigend sind. Wenn eine nicht sehr große Minderheit geglaubt hat, daß man deswegen Hals über Kopf die Re- gierung verlassen müsse, oder wenn sich eine größere Gruppe von der Schaffung neuer Richtlinien und Voraussetzungen eine Besserung erwartete, so handelte es sich um t a k t i s ch e Meinungsverl chiedenheiten, die das feste Ge- füge der Partei in keiner Weise berühren. Die Ziffern der Abstimmungen, durch die diese Differenzen zur Entscheidung gebracht werden, bedeuten keineswegs feste Größen. Mit der ..Opposition" hat in diesen Fällen so mancher gestimmt, der sich aufs entsebiedenste dagegen verwahren würde, einer kon- stanten Opposition zugezählt zu werden. Es li�gf ja auch in der Natur der Sache, daß jeder De- legierte von Fall zu Fall nach bestem Wissen und Gewissen stimmt, ohne sich irgendeiner Fraktionsdisziplin zu unter- werfen. Die Mehrheit war der Meinung, daß die Koalitions- Politik im Reich« zunächst noch weiter geführt werden muß. weil sie von ihr für die Zukunft bessere Früchte erwartet. Sie hat sich damit der Auffassung Hi.lferdings ange- schlössen, daß es nach Ueberwindung des ersten schweren Jahres leichter sein würde, positive Erfolge zu erringen. Einstweilen ist man freilich noch in der Defensive: es gilt, den sozialreaklionären Ansturm auf die Arbeits- losenverficherung abzuwehren. Was die Partei in diesem Punkte ganz einmütig und geschlossen will, darüber kann nach dem Verlauf der Debatte über den Bericht der Reichstagsfraktion kein Zweifel bestehen. Mißbräuche abzu- stellen, die gegen den Sinn dieses Gesetzes verstoßen, bleibt die Fraktion selbstverständlich bereit, nicht aber an dem Sinn des Gesetzes und seinen Grundsätzen etwas zu ändern. Nach dem Verlauf des Magdeburger Parteitags sollte jeder wissen, daß die Hege gegen die Arbeitslosenversicherung gleichbedeutend ist mit politischer Krisenhetze. Ge- wisse demokratische Blätter sollten sich ernstlich überlegen, ob sie die Folgen verantworten wollen, die aus einer solchen Hetz? für die deutsche Republik entstehen könnten. Wenn sich auch der Parteitag bereit gezeigt hat, der ferneren Tätigkeit unserer Genossen in der Regierung die Steine aus dem Weg zu räumen, und wenn er darum über alle Koalitions- und Panzerkreuzeranträge zur Tagesordnung übergegangen ist, so hat er auf der anderen Seite klar aus- gesprochen, daß es Dinge gibt, die ihm über alle Koalitions- rücksichten gehen: das sind die sozialen Errungen- schaften der Arbeiterklasse. Eine andere Hallung hat man von einer Arbeiterpartei nicht erwarten können. Die Debatte über die W e h r p o l i t i k der Partei ist durch die Annahme des Kommiffioneentwurfs bis auf weiteres zum Abschluß gebracht worden. Die Partei hat sich zu der Ueberzeugung bekannt, daß die Republik unter den gegebenen Verhältnissen eine Wehrmacht nicht«nt- behren kann. Sie hat die Einordnung dieser Wehrmacht in die Republik gefordert, die. wie jeder Vernünftige erkennen muß, im Interesse der Wehrmacht selber liegt. Denn ein Heer, das von breiten Volksmassen, von den Trägern der bestehenden Staatsform als«in Fremdkörper empfunden würde, wäre niemals imstande, sein« Aufgab« zu erfüllen. Durch den Beschluß des Parteitags ist di« Möglichkeit«iner positiven Zusammenarbeit der größten Re- gierungspartei mit den verantwortlichen Stellen der Reichs- wehr gegeben: ob d�est Möglichkeit ausgenutzt wird, hängt von dem Maß? der Einsicht und der Entschlossenheit ab. das auf der anderen Seite vorhanden ist. Damit ist eine' Entwick- lung angebahnt, auf derem Wege bedeutende Entscheidungen für die Zukunft liegen. Gegen den Vorwurf, durch ihren Beschluß irgend eine Spur von„Kriegsgeneigtheit" bekundet zu haben, wird sich
Fast AOOLabour-Mandaie! Vorläufiges Wahlresuliat aus England.
Stand um 11 Llhr abends. Ergebnisse aus 597 von 615 Wahlkreisen: Mandate Gewinne Verluste Arbeiierpartei.. 2S9 129 4 Konservative.. 252 3 139 Liberale.... 51 29 19 Unabhängige.. 5 3 2 Bon den 5„Unabhängigen"(parteilosen) dürsten 4 mit der Arbeiterpartei zusammengehen. Die Tücken des Wahlsystems. E.W. London . Zt. Mai. iCigenbericht.) Um 9 llhr abends stellten sich die für die Parteien abgegebenen Stimmen wie folgt dar? konservative....... 8 449 426 Arbeiterpartei... 8 265 183 Liberale........ 5 155 353 Kommunisten...... 50614 Unabhängige...... 220 369 3n diese Aufstellur.z siad die noch ausstehenden Sitze selbst- verständlich nicht elnberechaet. wie aus diesen Ziffern hervorgeht, haben dle konservativen ihre Niederlage erlitten, trotzdem sie beinahe 200 000 Stimmen mehr erhielten als die Arbeiterpartei. Die Liberalen haben rund ein viertel der Stimmen, jedoch lediglich ein Zwölftel der Sitze erhalten! Englands historischer Tag. Nervenanspannender Wettlauf. E.W. London , ZI. Mai.(Eigenbericht.) 7 Uhr abends. Ganz Landau stand am Freitag im Banne der Dahlen , deren Ergebnisse durch immer neue Sonderausgaben der Abendblätter der Oeffentlichteit bekannt gegeben wurden. Die großen Geschäftshäuser hatten an ihren Gebäuden Vorrichtungen angebracht an denen der vergleichsweise Fortschritt der drei Parteien weithin sichtbar oer- lnsschaulicht wurde, die den ganzen Tag über von dichten Menschen- mengen umlagert waren. Die Parteien wurden in einem Falle durch die Köpf« der drei Parteiführer Mocdonald, Bald- w i n und Lloyd George symbolisiert, die sich auf Strickleitern je nach den eintretenden Ziffern auf und ab bewegten. Die Morgen- blötter hatten bereits die Parole„Erdrutsch zugunsten der Ar- beiterpartei" ausgegeben und damit jene erregte politische Stim- mung geschaffen, die gegen Abend an Spannung und Erregung so zunahm. daß alle Erinnerungen an die erregten Sinowjctwahlen von 1924 in den Schotten gestellt wurden. Die wachsende Anzahl der Sitze der Arbeiterpartei, die fortschreitenden Verlustziffern der Konser- vativen und später dos Vorstoßen der Konservativen in die Näh«
der Arbeiterpartei, das ganze nerven aufpeitschende Aus und Ab des D a h l g l ü ck s appellierte insbesondere an die Weit, und Spietinstinkte der britischen Nation und ließ sie. sc weiter der Tag fortschriit und je mehr Resultate bekannt wicrden, die Wohlresultote mehr und mehr im Bilde eines W e t t l a u f s zwischen Arbeiterpartei und den beiden übrigen Parteien erblicken. Der Tag hatte mit einer Majorität der Arbeiterpartei über olle anderen Parteien und Gruppen von 25 Sitzen begonnen. Dann schien der Vormarsch der Arbeiterpartei nachzulassen und die Konservativen unaufhaltsam fortzuschreiten. Das war der Fall, als die Ergebnisse der englischen Grafschaften einliefen. Um 2.30 Uhr standen Sozialisten und bürgerlich« Parteien auf gleich und gleich mit je 176 Sitzen. Um 3 Uhr nachmittags schien sich die Möglichkeit einer Arbeitermehrheit zu verflüchtigen. Liberale. Konservative und Unabhängige besaßen 202 Sitze gegen 19Z Sitze der Arbeiterpartei. Als die schottischen Wahlergebnisse und die Resultate der Bergbaudistrikte von Wales bekannt wur- den, hptt« Labour wieder für einige Zeit die Führung. Am Spat- nachmittag setzte der Aufstieg der Liberalen ein, die nachmittags über 14 Sitze im neuen Unterhaus nicht Ist n auszukommen schienen. Um ö Uhr nachmittags l?aticn die Liberale» 46 Sitze und damit wenigstens den im letzten Parlcnnent erreichten Punkt überschritten. Um 6 Uhr abends schienen die Aussichten der Arbeiterpartei ans eine unabhängige Mehrheit z» entschwinden: da- für wurde immer deutlicher, daß die Labour pacly als grSßl« Emzclparlei in das Unterhaus einziehen würde. Um 6.30 Uhr besaß sie schon einen der�tigep Vorsprung, daß beim ungünstigsten Ausfall aller verbleibenden 40 Wahlresuitate die Einkehr der Arbeiterpartei als größter Partei ins Unterhaus gesichert war. Stärkste Einzelpartei. 9 Uhr abexds. Obwohl noch immer 2? Wahlergebnisse fehlen, ist es mit dem Bekanntwerden der Resultate von 590 Wahlkreisen möglich, die Lage mit einiger Klarheit zu überblicken. Die Labonr Party hat einen überwältigenden, in diesem Ausmaß zwar von vielen erhofften, aber von wenigen erwarteten Sieg errungen und wird nach dem bisherigen Stande mit 280 Sitzen ins neue Unter- Haus einkehren. Selbst wenn sämtliche außenstehenden Wahlkreise einen bürgerlichen Kandidaten gewählt haben sollten, ist diese Macht- Position als größte Partei im Paria in ent nicht mehr zu brechen. Den 286 Sitzen der Arbeiterpartei stehen 249 konservative Sitze, 30 liberale und 5 sogenannte.unabhängige(parteilose) Sitze gegenüber. Von diesen 5„Unabhängigen" können vier als Unterstützung der Arbeiterpartei im Parlament betrachtet werden. Don den ausstehenden Ergebnissen werden 8 noch im Lauf« der Frcitagnacht bekanntgegeben werden, 5 schottische Wahlergebnisse am Sonnabend und 11 Unioersttäte-Parlamentssitzc am Dienstag. Wie aus den obigen Ziffern hervorgeht, ist theoretisch noch immer die Eroberung einer unabhängigen parlamentarischen Mehr- heit durch di« Arbeiterpartei möglich, falls die Arbeiterpartei zwei Drittel aller verbleibenden Sitze erobert haben sollt«. Dies ist jedoch nach übereinstimmender Auffassung aller Sachkenner praktisch unmöglich. da sowohl die ausstehenden Sitze in Nordirland (Ulster ) als»uch
die Partei ernstlich nicht verwahren müssen. Der ganze Wort- laut der angenommenen Richtlinien zur Wehrpolitik widerlegt diese unsinnige Annahme. Die Debatte über diesen Gegenstand hat gezeigt, daß Meinungsverschiedenheiten grundsätzlicher Natur innerhalb der Partei vorhanden sind. Die Scheidungslinie verläuft jedoch nicht in der Linie der Abstimmung. Das hätte sich sofort gezeigt, wenn nicht über den Kommissionsentwurf abgestimmt worden wäre, sondern über den Entwurf Levi-Seydewitz.der nach der Bekundung eines seiner Worfführer von ungefähr 80 Delegierten unterstützt wurde. Die Auseinandersetzung mit der theoretischen Auffassung, die hinter diesem Entwurf steht, ist mit dem Abschluß der Wehr- debatte nicht beendet, denn seine Auffassung geht weit über dag Wehrproblem hinaus. Es ist nur zu wünschen, daß die künftige Diskussion mit derselben Kamerad» s ch a f t l i ch t e i t und mit derselben Ruhe geführt wird, die oie Kennzeichen der Debatte auf dem Parteitag waren. Im ganzen hat der Parteitag gezeigt, daß sich die Partei in Selbstkritik übt und daß sie von jeder dogmatischen Engherzigkeit frei ist. In welcher anderen Partei wäre es möglich, daß auch über die schwachen Stellen ihrer Politik öffentlich und mit der Offenheit geredet würde? Welche andere Partei wäre imstande, Meinungsverschiedenheiten so auf-
richtig darzulegen und sie zur Disziplin und Gemeinschaft der Aktion so vollkommen zu überbrücken? Mehrheit oder Minderheit— ein jeder hatte allen Grund, diesen Parteitag zu verlassen voll Stolz, Sozialdemokrat zu sein. Denn diese Partei ist nicht nur zusammengehasten durch die Gemeinsamkeit höchster Ziele, sondern auch durch den un- geheuren Druck gleichgeformter und gleichgerichteter Massen. Was zur Eröffnung des Parteitags hie? als ein Wunsch- ziel ausgesprochen wurde, die Sozialdemokratie möge die wahre All-Arbeiterpartei Deutschlands werden, in Magdeburg schien es erfüllt! Es war, als ob die Herzen aller, die In deil Fabriken an den Maschinen stehen oder an den Schreibtischen der Kontor« sitzen, in der Stadthalle von Magdeburg zusammenschlügen. Diese Partei ist unzerstörbar und in ihrem Fortschritt unhemmbar, weil sie mehr ist als bloß«ine Partei, weil sie di« Ausdrucksform einer w e l t- geschichtlichen Bewegung ist, die nicht zur Ruhe kommen kann, ohne ihre Ziele erreicht zu haben. Es war symbolisch, daß der Schluß dieses Parteitags zeitlich zu- sammenfiel mit dein gewaltgen Sieg der Arbeiter- partei in England. So folgt jedem Ausklang und jedem Abschluß neuer Vorstoß und neuer Antrieb, es g'bt keine Ruhe und kein Zurück!