Morgenausgabe
Nr. 253
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beno od ob C
46.Jahrgang
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Sonatag
2. Juni 1929
Groß- Berlin 15 Pf. Auswärts 20 Pt.
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Man hofft Donnerstag abzuschließen.
Paris , 1. Juni. ( Eigenbericht.)
vie Sachverständigenkonferenz hat der am Freitag abend in großen Zügen auch über die deutschen Vorbehalte erzielten Einigung zugestimmt, und da mit wäre nach Monaten und Wochen der ersehnte Ab schluß endgültig erzielt, wenn nicht in, letter Stunde die Markentschädigungsforderung der Bel. gier eine neue Schwierigkeit geschaffen hätte.
Die belgische Delegation hat am Sonnabend morgen in einer offiziellen Auslassung erklärt, sie werde den Bericht nicht unterzeichnen, wenn nicht ihre Forderung vorher Berücksichtigung gefunden hätte. Während die französische Delegation und dementsprechend auch die französische Presse den Belgiern bei ihrer Saltung den Rüden stärkt, findet, wie wir hören, die fate gorische Art, in der die belgische Delegation ihre Forde rung aufstellt, durchaus nicht den Beifall der anderen
Gläubigerdelegationen. Man ist sich in der Mehrheit der Konferenzkreise vollkommen klar darüber, daß das Ergebnis der mühevollen Beratung der Konferenz unmög lich durch die Hartnäckigkeit gefährdet werden könne, mit der die Belgier auf ihrer Forderung bestehen, die überhaupt gar nichts mit den Konferenzarbeiten zu tun hat. Die Haltung der Belgier muß noch in einem doppelt fragwürdigen Licht erscheinen, da die deutsche Regierung sich bereits wiederholt zu Verhandlungen mit der belgischen Regierung bereit erklärt hat.
Man darf jedenfalls hoffen, daß auch diese leste Schwierigkeit noch überwunden wird. Inzwischen wird eifrig an der letzten Fassung der Vorbehalte und des Berichts gearbeitet. Wahrscheinlich wird er bis Montag fertiggestellt und seine Lesung in der Vollversammlung bis Donnerstag beendet sein.
Letzte Wahlziffern aus England.
Wachsende Stimmung für sofortigen Rücktritt Baldwins.
London , 1. Juni. ( Eigenbericht.)
Am Sonnabend abend find 605 Resultate be fannt, 9 Universitäten fehlen. noch, außerdem muß die Wahl in Rugby nachgeholt werden, weil dort die Wahlhandlung durch den plötzlichen Tod des Arbeiterkandidaten unmittelbar vor dem Wahltag unterbrochen werden mußte. Die jetzigen Mandatsziffern lauten:
Arbeiterpartei'. Konservative. Liberale
Unabhängige
288
254
57 6
Von diesen sechs Parteilosen können fünf als silfa. truppen der Arbeiterpartei betrachtet werden Das ist insbesondere die Meinung, die Macdonald unserem Korrespondenten gegenüber heute zum Ausdruck brachte. Drei von ihnen find irische Nationalisten, die jedenfalls
gegen die jetige Regierung stimmen würden.
Die politische Lage ist nach wie vor ungeklärt. Mae donald beriet heute nachmittag mit einigen anderen Führern der Labour Party , darunter Henderson,
Elynes und Snowden.
Die heute morgen verbreiteten Nachrichten, wonach Baldwin einstweilen im Amte bleiben und es darauf ankommen lassen würde, ob im neuen Unterhaus eine Mehrheit ihn zum Rücktritt zwingen würde, haben sogar in weiten tonservativen Kreisen starke Bedenken erzeugt. Im ganzen Lande, einschließlich der Konser. vativen Partei, wächst die Stimmung für einen jo fortigen Rücktritt Baldwins.
Schiedsrichter zwischen den beiden Hauptparteien geworden ist. Der Wahlkampf ist, bei aller äußeren Korrektheit und Sachlichkeit, auch überaus scharf geführt worden. Roalitionen find infolgedessen unmittelbar nach der Wahl, nicht leicht. Ihre Bildung wird noch erschwert durch persönliche Gegensäge zwischen den Parteiführern. Das gilt noch mehr zwischen MacDonald und Lloyd George als zwischen Lloyd George und Baldwin und sogar als zwischen MacDonald und Baldwin. Wie der Führer der Arbeiterpartei über den Führer der Liberalen denkt, hat er mehr als deutlich erst wenige Tage vor der Wahl in einem Artikel zum Ausdruck gebracht, der im ,, Vorwärts" veröffentlicht wurde*). Diese Abneigung gegen Lloyd George ist ange chts der ganzen Vergangenheit und der Persönlichkeit des ,, Walliser Teufels" durchaus begreiflich, besonders bei einem Manne mit einer so puritanischen Lebensauffassung wie dem Schotten MacDonald.
Wir müssen es selbstverständlich unseren englischen Freunden überlassen, das zu tun, was sie nach ihrer Ueber Beugung für richtig halten. Sie wissen selbst, wie groß die Genugtuung der Arbeiter in allen Ländern wäre, wenn es gelänge, den großen Wahlerfolg in positive Macht umzuwerten. Wie weit die Möglichkeit dazu vorhanden ist und welche Mittel dazu anzuwenden sind, kann nur die britische Arbeiterpartei selbst entscheiden.
Macdonald wünscht ruhige Entwicklung.
London , 1. Juni. Infern Macdonald erklärte in einem Interview über die Situation nach dem Wahlausgang mit besonderem Nachdrud:„ Wenn ich es irgendwie vermeiden tann, wird England vor Ablauf von zwei Jahren nicht durch einen neuen Wahlkampf aufgewühlt werden." Weiterhin führte Macdonald noch aus: 3ch lege so großen Wert Bei dem start ausgeprägten Gefühl des englischen Bolles darauf, daß die Industrie Gelegenheit zu ruhiger für politisches fair play würde in der Tat ein Versuch der Entwidlung hat und daß zu Hause und im Ausland BerKonservativen, sich als geschlagene Partei dennoch an der frauen und Zuversicht geschaffen wird, daß ich jede Spur Regierungsmacht zu flammern, wenig Verständnis in den von Einfluß, über den ich verfüge, aufwenden werde, um während breiten Wählermassen finden. Wer beim Spiel verloren hat, det angegebenen Zeit die Notwendigkeit neuer Wahlen zu vermelden. muß mit möglichst guter Miene die Konfequenzen ziehen- Meiner Ansicht nach sollte sich das neue Parlament eigentlich fogar das verlangt der sportliche Ehrentoder des Briten . Insofern noch länger lebensfähig erweisen. Meine Erklärung darf jedoch von müßte Baldwin nicht zögern, zu gehen. Als er vor 5½ Jahren den anderen beiden Parteien nicht dahin misverstanden werden, bei den Dezemberwahlen von 1923 die Mehrheit verlor, blieb daß die Arbeiterpartei um des lieben Friedens willen sich mit jeder er zwar im Amte bis zum Wiederzusammentritt des Unternbill abfindet. Es wird bei den anderen Parteien liegen, ob hauses, aber damals waren die Konservativen immerhin noch nicht doch die Notwendigkeit neuer Wahlen früher einfriff. Jeden bei weitem die stärkste Einzelpartei geblieben( 258 Konser falls sollte jeder Partei, die sich zur verantwortlichen Ceifung der vative, 191 Arbeiterparteiler, 158 Liberale), so daß diese Geschäfte bereiterklärt hat, die Möglichkeit gegeben werden, Tattit, die übrigens schon damals viel fritisiert wurde, sich ihre Politik zu entfalten. Ueber die gegenwärtige Regierung zur Not begründen ließ. Aber jetzt ist der Umschwung unhat, so schloß Macdonald, das Land sein unmißverständ. vergleichlich stärker zugunsten der Opposition gewesen als da- liches Urfeil abgegeben. mals. Die Konservativen sind gegenüber den Wahlziffern vom 31. Oftober 1924 von 418 auf 254 gefallen, die Arbeiterparteiler sind von 151 auf 288 gestiegen, und selbst die Liberalen haben ihre Mandatszahl von 42 auf 57 erhöht. Wer so deutlich beim politischen Spiel verloren hat, sollte eigentlichgerade vom englischen Standpunkt aus die Konsequenzen mit Würde und ohne 3ögern ziehen.
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Allerdings ist es richtig und darauf mag sich Baldwin berufen, daß das Problem der Regierungsbildung sehr schwierig geworden ist. Lloyd George hat insofern sein Ziel erreicht, als er mit einem Elftel der Mandate zum
Montag Kabinettefizung.
Wie verlautet, wird Premierminister Baldwin im Laufe des morgigen Tages die Lage voraussichtlich mit einigen Mitgliedern des Kabinetts erwägen und am Montag eine Sigung des Gesamtkabinetis in Downingstreet abhalten.
) ,, Abrechnung mit Lloyd George ". Borwärts", Nr. 235, Dom 23. Mai 1929.
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Bon Dawes zu Owen Young . Von Fritz Naphtali ..
Fast vier Monate haben die Finanzsachverständigen in Paris über die fünftige Regelung der Reparationen verhandelt. Einige Male drohte das Werk zu scheitern. Ein-mal schien der Krach an Stelle der notwendigen Verständigung so nahegerückt, daß schon eine Welle der Beunruhigung zum Schaden der deutschen Wirtschaft durch die Welt ging. Vielleicht sind es gerade jene Tage, der Kapitalflucht und der Kreditfündigungen des Auslandes und die ihr notwendig folgenden, die Wirtschaft drosselnden Krediteinschränkungen der Reichsbank, die uns heute mit besonderer Klarheit erfennen lassen, welcher Wert für die deutsche Wirtschaft und für die Welt allein in der Tatsache liegt, daß eine Einigung in Paris zustande gekommen ist. Bon dieser Tatsache allein strahlt Beruhigung aus. Der Einigung der Sachverständigen wird mögen auch manche innerpolitische Klippen noch in verschiedenen Ländern zu, überwinden sein die Verständigung der Regierungen folgen. Die Reparationsverständigung macht die Bahn frei für die ersehnte Rheinlandräumung. Die Gefahr der Katastrophenpolitik ist gebannt. Wir dürfen eine neue Etappe im Abbau des europäischen Kriegsgeistes begrüßen, einen neuen Erfolg der Verständigungspolitik buchen, deren zuver= läffiger Träger die Sozialdemokratie in allen Stürmen seit Versailles gewesen ist. Die Befriedigung, welche die Tatsache der Verständigung an sich auslöst, enthebt uns natürlich nicht der Verpflichtung, den materiellen Inhalt des neuen Zahlungsplanes nüchtern zu prüfen.
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Im Schlußbericht der Pariser Sachverständigen wird auf Wunsch der Bertreter Deutschlands die Klaufel zu finden sein, daß nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische Erwägungen bei der Aufstellung des Planes mitgesprochen haben. Das ist zweifellos richtig. Ja, man darf sagen, daß es von vornherein flar war, daß die den wirtfchaftlichen Sachverständigen übertragene Aufgabe nicht rein fonnte. Denn, wirtschaftswissenschaftlich gelöst werden welcher geniale Praktiker oder Theoretiker der Wirtschaft. tönnte von irgendeiner Milliardensumme sagen, daß gerade sie die Grenze der Tragbarkeit für den deutschen Jahreszahlungen darstelle? Wirtschaft und Leistungsfähigkeit sind viel zu elastisch, um zu gestatten ,,, wissenschaftlich" diese Frage oder gar die Frage nach der Zahl der Jahre über die sich die Reparation zu verteilen hätten, zu beantworten. Die Aufgabe war von vornherein eine politisch bedingte, und die Wirtschaftsjachverständigen fonnten nur insofern für sie besonders geeignet erscheinen, als eine Reihe von finanztechnischen Fragen in die geschäftlichen" Verhandlungen zum Ausgleich von Gläubiger- und Schuldnerinteressen hineinspielten. Wenn man sich dieser Lage bewußt ist, so ergibt sich weiter, daß man das Ergebnis nicht nach dem absoluten Gewicht der festgesezten Jahreslaften von durchschnittlich 2050 Millionen Markt für die Dauer von 37 Jahren beurteilen tann, sondern daß man immer diese. Jahreslast vergleichen muß mit den Verpflichtungen, die ohne neues Abtommen weiterbestanden hätten. Wir wollen dabei gar nicht zurückgreifen auf das Londoner Diktat von 1921 mit seinen 132 Milliarden Goldmart Gesamtverpflichtungen Deutsch lands ( von denen nach der Einteilung in Schuldverschreibungen von drei Serien mindestens 50 Milliarden sehr ernsthaft gemeint waren) und dieser Summe den Kapitalwert des Young- Blanes von 36 Milliarden Goldmark entgegenstellen. Wir wollen nur vom Dawes- Plan ausgehen, der in Kraft ist und um dessen Revision es sich in Paris handelte.
Seit dem 1. September 1928 haben die Normaljahre des Dawes- Blanes begonnen mit der Verpflichtung. jährlich 2,5 milliarden Marf zu zahlen. Diese 2.5 milliarden waren nach dem Dawes- Plan eine untere Grenze, die auf Grund des berüchtigten Wohlstandsinder schon in den nächsten Jahren nicht unerheblich gestiegen wären, von 1934/35 ab aber wahrscheinlich um Hunderte von Millionen erhöht worden wären. Eine fefte Grenze für die Zahl der Jahresraten fehlte dem Dames Plan ganz Die Chance, ohne politische Katastrophe von diesen Verpflichtungen loszufommen, beruhte nur auf der sogenannten Transferschutzflausel, nach der Uebertragungen der deutschen Zahlungen Gefährdung der deutschen Währung verbunden wäre. in fremde Währung nicht erfolgen dürften, wenn damit eine
Wie steht nun demgegenüber der Pariser Zahlungsplan aus? An Stelle der Min de st jahresrente von 2500 Millionen Mark tritt für 37. Jahre eine Durchschnittsjahresrate von 2050 Millionen Mart. Der Transferschut bleibt für den größten Teil der Verpflichtungen erhalten. Nur für 660 Millionen Mark jährlich wird auf die Schutzbestimmung( über deren Wert die Meinungen an sich aus einandergehen) verzichtet, um einer Mobilisierung, d. h. einer Umwandlung von der politischen in eine wirtschaftliche Berpflichtung gegenüber Privaten für einen Teilbetrag die Wege zu ebnen. Wichtiger noch als die Herabjegung der durchschnittlichen Jahresleistungen ist die Entlastung der