Pinerolliff
Sonntag 2. Juni 1929
Unterhaltung und Wissen
Buch, ohne zu zaudern, von Herzen gern, als Andenken."
Bon jenten Schiebern mill ich nicht sprechen, die durch irgend| nehmen. Rein, offengestanden, nicht die fleine Base, aber das einen Glüdszufall fünf oder sechs Millionen verdient haben und davon erzählen, es von allen Dächern schreien, und nun glänzend, jett, frohloden, prunten, Krach machen. fich aufblähen, in Saus und Braus leben, die fleinen Leute duzen. Nein, die sind mir gar nicht so unjympathisch. Sie haben das Geld in der Tasche, sie haben es in der Hand, aber sie haben es nicht wie eine ererbte Krankheit im Blut.
Ich spreche auch nicht von diesen zarten, aufs höchste verwunderten Seelen, die sich entschuldigen, daß sie reich sind und nach Wegen einer phantastischen Großmut tastend suchen.
Ebensowenig will ich auch von jenen bleichsüchtigen Nabobs fprechen, den heruntergefommenen Sprößlingen einer blutgierigen Dynastie, Mißgeburten, die ihr Vermögen wie eine Geschwulft mit sich schleppen, unter Schurfen und Säufern leben und im Spital, im Siechenhaus oder int Gefängnis enden. ss0 im
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Nein. Ich spreche von den wahren Millionären, den eingewurzelten Vollblutmillionären. Es ist wohl möglich, daß ein Novize diese Sorte nicht gleich zu erkennen vermag. Der Name ist nicht immer ein genügender Beweis, ebensowenig wie ihr Ruf und ihr Benehmen. Sie ziehen sich unauffällig, schlicht an, im Winter eft ihr Haus nur mäßig warm, ihr Tisch einfach unsere Nieren, unsere Beber, unfere Diät! Nie sprechen sie von Geld und erTauben nicht, daß man in ihrer Gegenwart dieses Wort auch nur erwöhnt. Wenn ein Lieferant es eilig zu haben scheint, ein Gläubiger ungeduldig wird, so wird man sehen, mie diese Leute eine verächtliche Geste, eine flüchtige Grimaffe verlegten Feingefühls machen. Gebt auch auf ihre cifige Höflichkeit acht, auf jenes oberflächliche Bächeln, das nur die Falten ihres Gefichts eine Setunde perzieht, ohne die Augen überhaupt zu erhellen; bemerkt die geliehene, niemals entgegengeftredte Hand. Wenn solche Anzeichen euch noch nicht genug belehren, so späht nach dem hauptsächlichen Mertmal: Ihr erkennt den wahren Millionär an jenem Zug, daß er euch immer etwas fortnehmen will, und daß es ihm auch meistens gelingt.
Sind dieje guten Leute unter sich, so gehen sie einander um den Bart, beobachten sich, gehen behutsam miteinander um. Aber gehört ihr nicht zu ihrer geheiligten Clique, dann ist es um euch geschehen. Dabei wird die Operation immer mit so viel Geschick und Schnelligkeit ausgeführt, daß der verblüffte Patient ganz zuerst wie beim Zahnarzt nur den Eindrud der Erleichterung hat. Der voll enbete Operateur fäßt sich zuweilen die Leistungen in flingender Münze bezahlen. Dazu gehört die richtige Handbewegung, die richtige Art und das im rechien Augenblick angewandte Wort, das Bunder tut. Der Operateur beteiligt euch großmütig an feinen guten Werten. Welcher Vertrauensbeweis! Seid ihr nicht zu Tränen darüber gerührt? Der mirtliche wohltätige Mensch ist der jenige, der auf alles verzichtet, jogar auf den moralischen Nugen der Wohltätigkeit, derjenige, dero, höchste Uneigennügigkeit euch das Privilegium überläßt, ihm nicht nur zu helfen, sondern auch das Opfer an seiner Stelle zu bringen. Die weniger genialen Operateure hingegen begnügen fich damit, fich ihre Dienste in Naturalien" bezahlen zu lassen. Ein im Grunde genommen naives Spiel, das in der empfindungslosesten Seele Antlang findet. Einem reichen Mann ein Gefchent anzubieten, gewährt dent armen Mann eine fubtile Radhe, eine Genugtuung. Nun, diese Genugtuung wird einem nie verweigert. Hat Vigny doch geschrieben, daß einem Un glüdlichen das Geschent, das er gemacht hat, wiedergeben, ihn er niedrigt und ihn sein ganzes Elend empfinden läßt". So etwas braucht man non einem Krösus vom aften Schlage" nicht zu befürchten. Er wird verstehen, euch eure Bejangenheit zu nehmen. Er ist ein Mann von zu viel Taft, um irgend eine Bagatelle anzu
OHO Flake:
Es ist auch möglich, daß es weber das Buch ist noch die Baje, noch der alte Kupferstich, noch die eigenartige Photographie, noch vielleicht irgend etwas Materielles. Der geschickte Jäger geht frogdem nicht unverrichteter Sache fort, Und was verlangt er aljo? Ach, nichts! Beit, Teilnahme, Ratschläge, und was weiß ich noch? Ein willfähriges Ohr, eine Zustimmung, ein Lächeln, eine Schmeichelei, 15 Minuten Mitgefühl, Rücksicht, irgend etwas, ja, irgend etwas eine Abgabe, eine Beute, die sich berechnen, sich zusammenrechnen läßt und in einem Gesamtbetrag verzeichnet wird. In unserer Jugend hatten wir einen fleinen Verein gegründet, der gleichzeitig Phalanfter, Genossenschaft und Kloster war. Diese Angelegenheit spielte sich vor 20 Jahren ab.
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Wir waren damals sehr unerfahren. Zum Beispiel dachten wir, daß man das Geld bei den Reichen suchen müsse. Ueber diesen Gedanten würde der naipste Zöllner sich vor Lagen wälzen. Dieser Gedanke vermidelte uns jedenfalls in manche Abenteuer, die uns damals dramatisch erschienen, und die nun aus der Ferne gesehen, höchstens noch pitant find.
Der erste Krösus, an den wir uns heranwagten, ließ ohne Umschweifen. Die Schlagworte" des Stammes hören. Euch helfen?" fagte er, das könnte man in Erwägung ziehen. Selbstverständlich müßtet ihr irgend etwas dafür geben. Nur das Austauschprinzip fann der Freigibigkeit das nehmen, was fie Erniedrigendes für die einen, Indiskretes für die anderen und Beinliches für alle hat." Wir erröteten alle mehr oder weniger und brachen in dieselben Worte aus:„ Wir bitten darum, daß man so viel wie möglich unfere Talente, unseren guten Willen in Anspruch nimmt. Weiter nichts. Wir wollen nichts geschenkt haben." ,, Dann," meinte der Krojus ,,, ließe sich die Sache machen."
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Sie ließ sich sogar sehr gut machen. Einige Zeit nachher wurden wir mehreren Millionären vorgestellt, die, wie wir später feststellten, meisterhafte Operateure waren.
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Frau Graß, die einen fast föniglichen Einfluß besaß, benutte diejen, um literarische und politische Größen zu fabrizieren: Atademiter, Minister. Sie war nicht abgeneigt, fich für unser Werk zu demiker, Minister. Sie war nicht abgeneigt, sich für unser Werk zu intereffieren übrigens schenkte sie ihm nur wenig Aufmerkjamübrigens schenkte sie ihm nur wenig Aufmerksam teit so daß sie uns nicht übermäßig bestahl, das heißt, es foftete nur folgendes: drei Monate Schaffens und zwar war es irgendeine lange und mühselige Arbeit, die unser braver Bettt- Louis auf fich nahm. Als Abfindung befam er ein Theaterbillett, das er nicht benutzen fonnte, weil er nichts Anständiges anzuziehen hatte.
Die Fürstin Krasnid, die für ein raditaleres und schnelleres System war, erleichterte uns um ein Bild. Ein mit föniglicher Eleganz ausgeführtes Verfahren. Als der beraubte Künstler sich einfand, um den Betrag für seine Mühe zu fordern, wurde er auf die Straße gejezt. Diese legte Szene, die sich im reinsten Stile Louis XIV . abspielte, hätte Renner entzückt.
Graf von Monterjac, ein tyrannisches Genie, liebte es, das Bergnügen in die Länge zu ziehen: er marterte uns lange. Er hatte uns mit einer fleinen Druckarbeit beauftragt, deren Fortschritte er selbst beaufsichtigte, und die er uns so oft wieder von vorn anfangen ließ, bis wir fast bankrott waren. Der Graf verschwand dann und nahnt einen uns gehörigen Gobelin mit, angeblich um ihn ausbessern zu lassen. Er gab ihn uns nie wieder.
Diese Erfahrungen hatten mich also belehrt, und als ich nach unserem vollzogenen Ruin wieder in die Welt zurückkehrte, hatte ich für richtige Millionäre einen sehr feinen Riecher bekommen. Schon von weitem witterte ich sie und machte einen großen Bogen um sie. Bar ich aber einmal in meinem Rückzug abgeschnitten, wehrte ich mich, machte Front und hielt trampshaft mein Eigentum feft.
Lüneburg ," sagte ich, ist eine schöne Stadt."„ Aeußerlich,| Rinne, die mit heißem Wasser gefüllt war und vor jedem Sig eine äußerlich, meinte ein Arzt, der hier seinen Beruf beirlab und die Eisenplatte erbitte. Abende lieber in Hamburg auf der Alster als in der Meinen Weinstube an der Ilmenau verbracht hätte. Aber wenn wir als Fremde in eine Stadt kommen, urteilen wir nicht nach ihren Abwechsiungen, fendern nach dem, was fie äußerlich" dem Auge bietet.
Ich liebe den Backstein. Er verbietet Experimente. Er ist ehrlich und läßt sich überraschende Schönheiten abgewinnen. Es ist wahr, man möchte in den ältesten, mittelalterlichen Giebelhäusern nicht mehr wohnen. Bohl aber noch in denen, die um die Zeit des Dreißigjährigen Krieges gebaut wurden. Dieser Strieg verfchonie die ehrfame Kaufmannstadt. Die Häuser sind wie die holländischen der gleichen Zeit: die Hintermanb ber Diele ist eine Glasmand mit pielen Biereden, und das Grün der Gärten fängt sich darin. Badstein und Grün gehören zusammen. Der Dritte im Bund ist das Baffer.
Ich ruderte auf der Ilmenau nach Bardowit. Diefer Ort mit dem mendischen Ramen war eine bedeutende Handelsstadt, bis Heinrich der Löwe sie zerstörte. Sie verlor ihre Bedeutung als Umschlagplatz an Lübed und ist heute ein gemüfetreibendes Dorf. Für ihre große Zeit zeugt nur noch der Dom. Hier ist also ein Dori mit einem Dom. Man vergißt das nicht.
Un einem anderen Sommerabend geriet ich in Lühne, einem Stift von Chanoineffen" dicht vor der Stadt, gegen neun Uhr durchs Tor in den Garten, ohne daß mich jemand bemerkt hätte, bann durch ein zweites Tor in den Kreuzgang, und aus diesem durch ein Zürchen auf den Friedhof. Ein einziges frisches Grab der jüngst verstorbenen Webtissin, alles andere ein Meer von verwil. dérten, duftenden Rosen.
Dem Stift machte ich noch einen Zaghejuch. Ich ließ mich mit einer Herde Mitmenschen führen, und es lohnte fich. Im Chor der Kirche sah ich hinter den Glasfenstern die grünen Massen des ran fenden Efeus. Diese Birtung ist nur möglich, wenn die Glasfenster nicht bunt find.
Ich bin überhaupt zu der Anficht gelommen, daß es töricht ist, sich von den Führungen auszuschließen. Es entgeht einem viel Bemerkensmertes. Wenn ich zum Beispiel allein durch bas Rathaus geftiefalt wäre, hätte ich im Gerichtssjaal nichts von der intereffanten Tatsache erfahren, daß die gestrengen Herren von dazumal bereits eine Einrichtung hatten, um ihre Füße während der Tangen Gigun gen vor der Kälte zu schützen. An ihren Bänken entlang lief eine
Das Rathaus bildet einen Blod; man baute immer wieder hinzu, horizontal, nicht vertikal, und der Block wurde ein Stüd Brügge . Gegenüber in einem ganz aften Haus wohnte Heine als Referenbar, eine Tafel zeigt es an.
Seit ich den Wehrmolf von Löns gesehen habe, wünschte ich die Heide zu besuchen, in der sich eine Schar von Bauern den Schweden des Dreißigjährigen Strieges entziehen und nachher, als ihre Ballburg durch Verrat entdeckt wurde, gegen sie behaupten tonnie. Wie es im Leben geht, es verstrich noch eine Reihe von Jahren, und ich fan ein Stück Belt nach dem anderen, bevor dieses Stüd deutscher Erbe daran fam.
Und es ist durchaus sehenswert, es ist gang prachtooll. Man sollte es nicht für möglich halten, daß in einem Land, das über seine Menschendichte flagt, eine so große Fläche dünnbesiedelt geblieben ift. Die paar Ortschaften, zwischen denen man stundenlang wandert, zählen ja faum. Und eine Anzahl von ihnen liegt so abseits der Zufahrtsstraßen, daß die Produktion zurückbleibt. Schnee und Verfchlammung verbieten die Abfuhr auf schweren Wagen, und dieselben Zustände verhindern das Eindringen rationellerer Maschinen,
Je nach dem Standpunkt ist das unerfreulich oder erfreulich. Der Naturfreund, der Wanderer wird den Himmel anflehen, daß die Rationalisierung noch auf sich warten läßt. Der Siedler, der Kommunalpolitiker, der Verwaltungsbeamte wird den berühmten Belangen der Allgemeinheit den Vortritt vor der Romantit laffen. Ich für meine Person, in der Meinung, es gebe diesseits der Elbe, vielleicht die Eifel ausgenommen, nur in den höchsten Lagen des Schwarzwalds und der bayerischen Alpen noch die Möglichkeit, das Tempo der Zeit, den Betrieb der Städte und die Anbetung des alleinfeligmachenden Berkehrs zu vergeffen ich war überrascht und dankbar, als ich auch in der Heide dieses zeitlosen Gefühls teilhaftig wurde, das ich so liebe, dieser wahrhaft schöpferischen Borstellung, die durchorganisierte Epoche sei noch nicht angebrochen.
Natürlich ist fie eine Illusion, diese Borstellung. Dem Auto begegnet man nur deshalb meilenweit nicht, weil das Zentrum der Seide bereits zum Naturschußpart erklärt murbe. Und bei Läns, in den Stizzen aus der Heide, mag man nachlesen, daß der Adler längst verschwunden, der Reiher feltener geworden ist. Oder in den örtlichen Zeitungen, wie der Wacholder, dieser charakteristische Heide strauch, durch die Praftifen der Sonntagsausflügler ausgerottet
Beilage des Borwärts
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wird: sie lassen sich von irgendeinem Heidebauer für ein paar Mark die schriftliche Erlaubnis geben, auf seinem Grund Wacholder zu schneiden und plündern dann aufs Geratemohl den Forst was will der Beamte auf den Bahnhöfen machen? Wobei mir rätselhaft bleibt, mas die Städter mit den Zweigen anfangen. damit sind wir mitten in der Heide.
Der Wacholder
Madhandelboom sagen die Heidianer". Im Naturschutzgebiet sieht man ihn noch erfreulich gedeihen. Man stapft durch den Sandmeg, und links und rechts stehen diese Sträucher, die hier größer als im Hochgebirge sind und eher an Zypressen erinnern in einem Grün, das auch dem stumpfften Auge auffällt.
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Das stumpffte Auge empfindet, daß das besondere Bäume sind, Baumindividuen. Als hätte es einen geheimen Sinn, freisen ihrer jechs, acht eine einzelne Kiefer ein. Andere scheuen jede Nachbarschaft; wie Monumente sind sie, unten und oben spitz, in der Mitte bauchig, immer in sich geschlossen, ohne Seitentriebe. Nachts kann man sie für regungslose, in ihre Mäntel gewickelte Wachen halten.
Sie wirken nicht düster, ihr Grün ist zu hell. Die Heide wirkt überhaupt nicht düster, dazu ist der Sand zu weiß. Und die Birken jorgen dafür, daß die starren Kieferntarrees ins Weiche, ins Musitalische aufgelöst werden. Uebrigens betreibt man die Einfäumung mit Birken systematisch: sie haben die Aufgabe, bei Heidebränden die Kiefern zu schüßen.
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Mittelpunkt des Naturschußparks ist Wilsede . Der Park, den der Stuttgarter Verein Naturschutzpart" auftaufte, umfaßt ein Land von 200 Quadratkilometer. Am einfachsten, natürlich auch am teuersten ist es, in Lüneburg ein Privatauto zu nehmen. Ich habe mir das geleistet, die Miete für den Vierfiger kostete 45 Mark. Wir fuhren über Salzhausen nach Döhle . Hier verlor das Auto feine Rechte. Wir gingen zu Fuß auf jenem Wacholder, Birken- und Ebereschenweg nach Wilfede, einem Drt, bestehend aus zwei Gasthäusern, dem Heidemuseum, einigen Höfen und Billen.
Ich glaube, man fann die Privathäuser Billen nennen, obwohl sie mit Stroh gedeckt sind. Sie liegen in Gärten, in denen fornblumenblauer Rittersporn und Rosen blühen. Von Biljede gingen wir in einer guten Biertelstunde zum Wilseder Berg . Das ist eine Höhe von nur 170 Metern, aber die höchste Erhebung in der Heide. Der Blick ist groß, er reicht bis zu den Türmen vom Hamburg , und das Land liegt unter dir, als ständest du fünfhundert Meter höher.
Bom Berg, dessen Heidekraut in der Sonne duftet und zumSchlafen lockt, führt ein direkter Weg zum anderen Ende von Wilsebe zurück zum Museum. Ein Heidebauernhaus bietet sich, wie es an Sonntagen, wenn die Arbeit ruhte, gewesen sein mag. Ställe und Wohnräume liegen unter einem Dach. Man tritt durch ein Tor ein und ist unmittelbar im Gang, der zu beiden Seiten die Ställe enthält und auf die Wohnküche führt. In deren Mitte der Herd, ringsum Stühle. Fast möchte man in diesem Museum meinen, es gäbe feine Bauern mehr.
Geschichten vom Walzerkönig
Jetzt, da die einschmeichelnden Klänge des Balzers wieder immer stärker den mißtönigen Lärm der Jazzmusik verdrängen, gedenken wir dankbar des klassischen Meisters des Wiener Walzers, des jüngeren Johann Strauß , der am 3. Juni vor drei Jahrzehnten aus diesem Erdental dahingegangen ist, um nun den Himmelsbewohnern seine Balzer vorzuspielen, wie dies in einem föftlichen Schattenriß dargestellt ist. Freilich, nicht immer ist die Musik von Johann Strauß als so gemütlich und idyllisch empfunden worben wie heutzutage, da wir so ganz andersartige erotische und aufreizende Weisen kennengelernt haben. Es gab eine Zeit, da glaubte man im Walzer dieselbe Wildheit entfesselt wie heut im Jazz. Damals schrieb Heinrich Laube von dem jungen Johann Strauß , der seine Wiener in einen Rausch des Entzückens erhob: Der Mann ist ganz schwarz wie ein Mohr, das Haar kraus, der Mund melodios, unternehmend aufgeworfen, die Nase abgeſtumpft. Man hat nur zu bedauern, daß er ein weißes Gesicht hat, sonst wäre ber der fomplette Mohrentönig Balthasar. Echt afrikanisch leitet er auch seine Tänze: die eigenen Gliedmaßen gehören ihm nicht mehr, menn fein Balzerdonnerwetter losgegangen ist. Der Fiedelbogen tanzt mit dem Arme und ist der leitende Chapeau jeiner Dame. Der Taft springt mit dem Fuße herum, die Melodie schwenkt die Champagnergläser in seinem Gesichte, der ganze Bogel Strauß nimmt seinen stürmischen Anlauf zum Fliegen der Teufel ist los!" Den genialen Musikanten, der so unendlich viele Melodien erfunden hat, flogen die Themen in solcher Fülle zu, daß er sich ihrer faum ermehren tonnte. Selbst bei der Arbeit an seinen Operetten verfolgten fie ihn. Während ich an einer hochdramatischen Szene schreibe," erzählt er einmal seiner Frau, fährt mir wie ein Bliz durch den Schädel ein verfluchter Hauer von einem Walzer, der den Naturwalzer( Nur für Natur...) fast überflügelt weil er bei feiner Gemütlichkeit eine unverschämte Recheit entwickelt. Als er entstanden, fluchte Ich und dachte: Sauterl, dich kann ich jetzt nicht brauchen verschwind!" Er war gewohnt, zum Aufnotieren seiner raschen Einfälle sogar die Manschetten seines Hemdes zu benugen, und das führte im Hause Strauß zu mancher Szene, wenn gerade große Wäsche war und eine geniale Stizze mit den Hemben in die Wäsche wanderte, che sie der Meister auf dem Papier ausgearbeitet hatte. Gewöhnlich freilich fammeNe seine Frau Adele diese flüchtigen Stizzen neuer Werte sorgfältig, und viele Bände mit solchen rasch hingeworfenen Melodien, die von ihm nie benutzt wurden, sind von ihr aufbewahrt.
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Selbst die unsterbliche Fledermaus" erblickte auf solche Weise das Licht der Welt. Sie ist eigentlich in meiner Wohnung beim Tarod geschaffen worden," berichtet darüber der erste Darsteller des Eisenstein, Szita." Bei aller Munterfeit fonnte Strauß plötzlich das Spiel unterbrechen und die Karten hinlegen. Einen Moment, meine Herren..." und schon zog er die Manschette hervor, liniierte sie flüchtig und bedeckte sie mit Noten. Beim Larock ist z. B. ,, Brüderlein und Schwesterlein" entstanden und auf der Manschette notiert worden. Hatte Strauß einen melodiösen Einfall, dann rief er mir freudestrahlend zu: Siferl, ich hab' schon wieder was!" Außer den Manschetten dienten ihm auch andere Dinge als Rotenpapier. So hat er das Motiv zu dem Walzer Nur für Natur" auf eine Hundertgutbennote aufgezeichnet, so daß das Autogramm dadurch einen besonderen Wert erhielt. Die erste Anregung zum Kompo nieren von Operetten erhielt Strauß übrigens durch Offenbach , den großen Meister der Operette. Die beiden saßen eines Abends im Gasthof Bum goldenen Lamm" in Wien beisammen Da rief Offenbach plötzlich: Lieber Strauß. Sie follten Operetten schreiben!" Der Walzertönig fträubte fich gegen diesen Gebanten, aber Offenbads versicherte immer wieder mit Entschiedenheit:„ Sie befigen alle Eigenschaften dazu," und er hat sich nicht getäuscht.