Nr. 259 46. Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
Der oder der
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Donnerstag, o. Juni 1929
etwa beide?
Die Kriminalpsychologen im Nogens- Prozeß.
L. R. Meustrelitz, 5. Juni. ( Eigenbericht.) Heute empfand man zum erstenmal mit aller Schärfe die Gegensätzlichkeiten der beiden friminalistischen Auffassungen in diesem Prozeß. Regierungsrat Steuding und der Münchener Kriminalpsychologe v. Sentig, die im Auftrage der Neustrelitz - Medien burger Staatsregierung nach der Hinrichtung Jaku bowskis die erste Untersuchung einleiteten, halten nach wie vor an der Mitschuld Kreuzfelds fest. Die Berliner Krimina!- beamten schalten ihn als Beteiligten aus. Kriminalrat Gennat war zwar gestern sehr vorsichtig. Man weiß aber: für ihn ist Jaku= bowski der Anstifter zur Ermordung des fleinen Ewald. Er findet für die Anstifterrolle Kreuzfelds teine genügende Motipierung, glaubt auch, daß Frau Nogens und August, die mit ihm cuf dem Kriegsfuß standen, sich nicht zu Handlangern und Mit helfern eines von ihnen ausgeheckten Verbrechens gemacht hätten. Unbegreiflich erscheint aber das eine und darüber kommt man nicht hinweg, weshalb haben August Nogens und Blöcker bei ihrer ersten Bernehmung durch den Regierungsrat Steuding und
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hat August einfach zum Widerruf gezwungen. Er hat zu ihm gejagt; ie tamen Sie dazu, Ihre Abwesenheit in Balingen zuzugeben? Sie waren doch nicht in Palingen." August Nogens meinte darauf: Wenn mein Alibi bewiesen ist, gut, dann war ich nicht in Balingen ." Man denkt unwillkürlich an den Magdeburger Fall Schröder- Kölling. Gibt es mehr solcher Staatsanwälte in Deutschland ?
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v. Hentig, von sich aus, ganz unerwartet für die Untersuchenden| barte heute der Landgerichtsrat Hundt. Oberstaatsanwalt Müller selbst Kreuzfeld als den Anstifter bezeichnet und Jakubowskis Un schuld beteuert? War es nicht viel näherliegender, bei Jakubowski zu bleiben? Dem kann entgegengehalten werden: hatten sie einmal Kreuzfeld genannt, weshalb fehrten sie später zu Jakubowski zurüd? Allerdings hatten sie dazu Zeit genug, sich mit Friß und Frau Nogens zu verabreden. Weshalb war aber dann nicht Kreuzfeld, den sie alle haßten, zum Mittelpunkt dieser Verabredung gemacht worden? Hatten sie etwa Grund, Kreuzfeld zu schonen und glaubten sie, daß der Tote ihm nicht mehr schaden und so ihm nicht mehr nützen könnte? Aus diesen Widersprüchen gibt es nur einen Ausweg, nämlich die Annahme, daß sowohl Kreuzfeld wie Jakubowski an der Tat beteiligt waren. Wie dem auch sei, die heutigen Befundungen des Regierungsrats Steuding und des Münchener Kriminalpsychologen v. Hentig über die näheren Umstände, unter denen August Nogens und Blöcker ihre ersten Aussagen gemacht haben, lassen Paul Kreuzfeld erneut in den Bordergrund rüden. Was es mit Oberstaatsanwalt Müller auf fich hatte, offen
Kühlhaus für 80 millionen Eier.
Auf dem Gelände des D st= hafens, nahe der Oberbau m- brüde, erhebt sich der mächtige, würfelförmige Bau des neuen Kühlhauses, das in seiner vorbildlichen, modernen Einrichtung in Europa nicht seinesgleichen hat. Aus verkehrstechnischen Gründen hat man das Kühlhaus unmittelbar am Hafen errichtet, um die Einlagerung der leichtverderblichen Waren( neben Obst, Fleisch, Butter, Fischen hauptsächlich Eier) in möglichst turzer Zeit durchführen zu können. An der 40 Meter langen Rampe fönnen auf einem Doppelgleis eine große Anzahl Baggons gleichzeitig entladen werden. Im Erdgeschoß befindet sich das Maschinenhaus und der Apparateraum mit den Verdampfern, die in den einzelnen Rühlräumen verschieden niedrige Temperaturen erzielen. Da fich die zur wärmeren Jahreszeit aus den Kühlräumen entnommenen Eier mit Feuchtigkeit beschlagen, müffen fie in Entfrostungs"= Räumen in 6 bis 8 Stunden bis zur Tagestemperatur erwärmt merden. Drei schnellaufende Fahrstühle verbinden die Halle mit den
7 Obergeschossen, die völlig gleichmäßig ausgestattet sind. Die ein zelnen Rühlräume sind an sämtlichen Außenwänden mit Korkmaterial isoliert. Die Temperatur wird elektrisch gemessen und kann jederzeit im Maschinenraum abgelesen und auch nachträglich kontrolliert werden, da sie sich selbsttätig auf einer Registratur abzeichnet. An marmen Tagen wirkt der plötzliche Temperaturunterschied beim Betreten der Kühlräume verblüffend stark. Die hier beschäftigten Jack
London:
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Lockruf der Goldes
( Berechtigte Uebersetzung von Ermin Magnus).
,, Es ist lange her, daß ich so viel Land auf einmal gesehen habe," dachte er laut. Er riß sich ungern los, und erst nach einer Stunde fonnte er sich zum Abstieg entschließen. Es machte ihm Freude, daß er einen neuen Weg fand, und es wurde später Nachmittag, ehe er die bewaldeten Hügel wieder erreichte und weiter nach Glen Ellen ritt. Er jaß mit losen Knien im Sattel und fang halbvergessene Lieder vor sich hin. Es ging einen unebenen, gewundenen Weg hinab, über eichenbestandere Wiesen, wo es hin und wieder freie Ausblicke gab. Er lauschte begierig dem Ruf der Wachtel und lachte einmal laut auf vor Freude, als er einen fleinen Chipmunk fah, der schimpfend einen Hang hinaufflüchtete, jedoch auf der schlüpf rigen Oberfläche ausglitt, seinem Pferde gerade an der Nafe vorbei quer über den Weg lief und schließlich, immer noch schimpfend, in die schirmende Krone einer Eiche schlüpfte.
Daylight brachte es heute nicht über sich, auf belebten Straßen zu reiten, und als er wieder quer über Land in der Richtung von Glen Ellen ritt, versperrte ein Canjon ihm den Weg, so daß er gezwungen war, einem Viehsteige zu folgen, ben er glüdlicherwetse fand. Der führte ihn zu einer fleinen Blockhütte. Türen und Fenster standen offen, und in der Tür faß eine Kaze und leckte ihre Jungen, sonst aber schien niemand zu Hause zu sein. Er ritt weiter den Weg hinab, der offenbar den Canjon treuzte. Ein Stückchen weiter traf er einen alten Mann, der ihm in der Abendsonne entgegen fam. In der Hand trug er einen Eimer mit schäumender Milch; er hatte feinen Hut auf dem Kopfe, und auf seinem von weißem Kopf- und Barthaar eingerahmten Geficht lag die Blut und Zufriedenheit des schwindenden Sommertages. ,, Wie alt seid Ihr, Väterchen?" fragte Daylight. ,, Vierundachtzig," lautete die Antwort. Ja, junger Herr, vierundachtzig, aber munterer als die meisten."
Arbeiter erhalten eine Kältezulage". Luftfeuchtigkeits- Meßgeräte und eine umfangreiche Ozonanlage gehören noch zur Ausstattung eines jeden Kühlraumes, in dem durch Uebereinanderschichtung der Waren der Raum aufs Aeußerste ausgenutzt wird. Das neue Kühlhaus, dessen moderne Fassade dem Osthafen ein neues Gesicht gibt, wurde von der Kühltranfit A.-G. errichtet; ein Erwärmungsbau, ebenfalls auf dem Gelände des Osthafens ist geplant.
Ihr müßt Euch gut gepflegt haben," meinte Daylight. ,, Davon weiß ich nichts. Müßiggang ist nie meine Sache gewesen. Ich zog mit einem Ochsengespann über die Steppe und half einundfünfzig den Indianern, und da war ich schon Familienvater und hatte sieben Jungens. Damals war ich so alt wie Sie jetzt."
Fühlt Ihr Euch hier nicht einsam?"
Der Alte nahm den Milcheimer in die andere Hand und dachte nach.
,, Das fommt darauf an," sagte er orafelhaft. Ich hab mich nie einsam gefühlt, nur damals, als meine Frau starb. Mancher fühlt sich einsam, wenn er unter Menschen ist, und so einer bin ich auch. Nur in Frisko fühle ich mich einfam. Aber in diesem Leben gehe ich nicht mehr dahin. Ich bin zufrieden mit meinem Leben. Seit vierundfünfzig bin ich hier im Tale ansässig ich bin einer von den ersten Ansiedlern nach den Spaniern." Daylight ritt weiter mit den Worten:„ Na, dann Gute Nacht, Bäterchen! Macht's weiter fo. Ihr tönnt's noch mit dem Jüngsten aufnehmen, und ich denke, Ihr habt schon eine ganze Menge von ihnen begraben." Der Alte ficherte, und Daylight ritt weiter, äußerst zu frieden mit sich und der ganzen Welt. Das alte Glücksgefühl der Schilttenreisen und Lagerpläge am Yukon schien wieder über ihn gekommen zu sein. Er sah immer noch den alten Ansiedler vor sich, wie er ihm in der Abendsonne entgegen gekommen war. War der rüstig für seine vierundachtzig Jahre! Der Gedanke, feinem Beispiel zu folgen, tauchte in Daylight auf, aber das große Spiel in San Franzisko legte sein Beto dagegen ein.
Statt am Montag in die Stadt zurückzukehren, mietete Daylight wieder das Pferd des Schlächters und ritt durch das Tal nach den Bergen im Osten, um sich die Mine anzu fehen. Hier war es trockener und felfiger als dort, wo er am Tage zuvor gewesen, und auf den Hängen wuchs hauptsäch lich Dornengestrüpp- niedrig, dicht und für einen Reiter undurchdringlich. Aber die Canjons waren wasfereich und üppig bewaldet. Die Mine war verlassen, doch das Herumflettern machte ihm Freude. Ehe er nach Alasta gegangen war, hatte er ziemlich viel mit Quarzminen zu tun gehabt, und das Wiedererwachen der früheren Kenntnisse freute ihn. Die Geschichte war einfach: Gute Aussichten hatten den Anlaß gegeben, den Tunnel in den Hügel zu graben; nach drei Mo
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Am Nachmittag wird als erste Zeugin zunächst die Ehefrau des Paul Kreuzfeld über ihre Wahrnehmungen am Mordiage gehört. Sie betont, die Erzählungen des Hannes seien immer zutreffend gewesen. Sie bestätigt die bereits festgestellte Tatsache, daß ihr Mann vom 8. bis 11. November, also um den fraglichen Sonntag herum, nicht in Palingen, sondern wegen Wohnungssuche verreiſt gewesen sei. August sagte, Joseph hätte ihm erzählt, er wolle eines der Kinder los sein. Im übrigen bestätigt die Beugin, daß ihr Frau Kähler- Nogens Jakubowski als Täter hingestellt habe; allerdings habe sie hinzugefügt, daß er allein wohl der Täter nicht sein tönne.
Unter allgemeiner Spannung wird nunmehr der Untersuchungsrichter Landgerichtsrat Hundt aufgerufen. Er sagt aus, er habe bei jedem Protokoll die Angeklagten darauf aufmerksam gemacht, sie sollten nichts unterschreiben, was nicht absolut richtig fei. Die Angeklagten hätten ihm aber fämtlich erklärt, ihre Geständnisse seien wahr, sie könnten sie mit gutem Gewissen unterschreiben. August Nogens sei jogar darauf hingewiesen worden, daß dem an einem Mord Beteiligten die Verurteilung zum Tode, wenn auch nicht gerade die Hinrichtung, drohe. Trotzdem habe August sein Geständnis abgelegt. Vor dem Oberstaatsanwalt Müller hat August allerdings dieses Geständnis widerrufen. Als Hundt ihn dann fragte, warum er miderrufen habe, foll August ihm das folgendermaßen begründet haben: Oberstaatsanwalt Müller hat mir gesagt: Wie konnten Sie vor Steuding gestehen, in Balingen gewesen zu sein? Sie sind doch gar nicht da= gewefen! Darauf habe ich mir gesagt:
Na, dann kann ich ja widerrufen!
Ebenso ist es bei dem Angeklagten Blöder gewesen. Dieser hat dem Untersuchungsrichter gegenüber seiner Verwunderung darüber Ausdrud gegeben, daß Oberstaatsanwalt Müller ihm gesagt habe, es sei noch gar nicht ausgemacht, daß er einen Meineid geleistet habe. Ein Lübecker Kriminalbeamter wird vom Oberstaatsanwalt darüber befragt, wie bei August Nogens der Widerruf seines Geständnisses vor sich ging. Nach Aussage des Zeugen hat Auguſt auf die Mitteilung hin, er bekäme die Todesstrafe, wenn jeine Angaben zuträfen, nach einigen Tagen sein Geständnis widerrufen. August habe dabei gesagt, er hätte die Sache auf sich genommen, weil Kriminalrat Gennat ihm gesagt habe, er würde nur 2 bis 3 Jahre Gefängnis bekommen. Er sei aber nicht der Täter und könne es deshalb auch nicht zugeben. Auguft Nogens erzählte dann, Jakubomffi habe zu ihm geäußert, Friß und Paul Kreuzfeld seien die Täter, er selbst, Jakubowski, sei Anstifter. Sämtliche Kreuzfelds bleiben unvereidigt, ebenso die folgende Zeugin. Frau Ha B, geb. Kreuzfeld, die nichts davon gehört haben will, daß, Jakubomski sie hätte heiraten wollen. Im Gegensatz zu Frau KählerMogens betont sie noch, sie habe sich niemals dazu angeboten, eines der Kinder Jakubowskis zu übernehmen. Frau Kähler- Nogens und die 3 eugin beschuldigen sich gegenseitig der Lüge in bezug auf ihre Männergeschichten, und schließlich bricht Frau Kähler in Tränen aus, weil die Zeugin so start die Unwahrheit sage.
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Dann
naten war das Geld auf die Neige gegangen, die Arbeit war eingestellt worden, und die Männer hatten sich neue Beschäftigung gesucht; dann waren sie wiedergekommen und hatten wieder eine Weile gearbeitet. Das Gold lockte und zog sich doch immer weiter in den Berg zurück, bis sie schließlich, nach Jahren, die Hoffnung aufgegeben hatten und enttäuscht fortgezogen waren. Jezt mochten sie wohl tot sein, dachte Danlight, als er sich im Sattel umdrehte und über den Canjon nach dem alten Schuttplag und der dunklen Mündung des Tunnels zurückblickte. Wie am vorigen Tage folgte er rein zum Vergnügen auf gut Glück den Viehsteigen und arbeitete sich ein gutes Stück zum Gipfel hinauf. Dann gelangte er auf einen aufwärtsführenden Fahrweg, dem er mehrere Meilen folgte, bis er zu einem kleinen, von Bergen eingerahmten Tal kam, an dessen steilen Hängen ein halbes Dußend kleine Farmer Weintrauben zogen. Jenseits des Tales stieg der Weg steil an. Dichter Chaparral bedeckte die sonnigen Hänge, in den Schründen aber wuchsen riesige Tannen, wilder Hafer und Blumen.
Und weiter fam er durch das Geftrüpp, folgte den halbverwachsenen Pfaden und arbeitete sich langsam hinauf bis zur Wasserscheide. Dort sah er unter sich das Napa- Tal und, wenn er zurückblickte, die Sonoma- Berge.
,, Ein schönes Land," murmelte er ,,, ein mächtig schönes Land."
Dann wandte er sich rechts und ritt auf einem andern Wege nach dem Sonoma- Tal; aber die Pfade schienen ganz zu verschwinden, das Gestrüpp wurde immer dichter, und als er schließlich durchgedrungen war, versperrte ihm der Canjon mit seinen fleinen Nebenflüssen den Weg, so daß er wieder umfehren mußte. Aber er machte sich nichts daraus. Er freute sich, denn es war der alte Kampf mit der Natur, den er so liebte. Spät am Nachmittag fand er endlich einen Weg, der über einen trodenen Canjon führte. Und hier erwartete ihn wieder eine angenehme Ueberraschung. Vor einigen Minuten hatte er einen Hund bellen hören, und plötzlich sah er einen Rehbod über den nackten Berg hoch über seinem Haupte flüchten. Und nicht weit dahinter fam der Jagdhund, ein prächtiges Tier. Daylight faß gespannt im Sattel und blidte den Tieren nach, bis sie verschmanden; sein Atem ging schneller, als wäre er selbst mit bei der Jagd. Die Sehnsucht erwachte in ihm und die Erinnerung an die Tage, ehe er in die Stadt gezogen war. ( Fortsegung folgt.)