Einzelbild herunterladen
 
  

Morgenausgabe

Nr. 261

A 132

abe BIS Sisd täisid& D

46.Jahrgang

Böchentlich 8531, monatlich 3,60 MR. im voraus zahlbar. Bostbezug 4,32 m. einschließlich 60 Pfg. Postzeitungs- und 72 Bfg. Boftbeftellgebühren. Auslands abonnement 6.-M. pro Monat.

Der Bormårts erscheint wochentag lich zweimal, Sonntags und Montags einmal, die Abendausgaben für Berlin und im Handel mit dem Titel Der Abend". Illustrierte Beilagen Bolt und Zeit" und Kinderfreund". Ferner Unterhaltung und Wissen", Frauen. Stimme"." Technit"," Blid in die Bücherwelt" und Jugend- Borwärts"

Vorwärts

Berliner Boltsblatt

Freitag

7. Juni 1929 Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pt.

Die ein paltige Nonpareillezetle 80 Pfennig. Reflame eile 5.- Reichs. mart. Kleine Anzeigen' das iettge. brudte Wort 25 Pfennig( zulässig zwet fettgedruckte Morte), jebes weitere Wort 12 Pfennig. Stellengesuche das erste Wort 15 Bfennig, jebes meitere Bort 10 Pfennig. Worte über 15 Buchstaben zählen für zwei Borte. Arbeitsmarkt Zeile 60 Pfennig. Familienanzeigen Zeile 40 Pfennig. Anzeigenannahme im Haupt gefchäft Lindenstraße 3, wochentäglich von 8 bis 17 Uhr.

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Redaktion und Berlag: Berlin SW 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Donboff 292-297 Telegramm- Adr.: Sozialdemokrat Berlin

Vorwärts: Verlag G.m.b.H.

Bostichedlonto: Berlin 37 536. Bankkonto: Bant der Arbeiter, Angestellten und Beamten Wallstr. 65. Diskonto- Gesellschaft, Depofitenkasse Lindenstr. 8

Rußlands Außenpolitik.

Der bolfchewistische Janus.

Von Peter Garwy.

Sicherlich werden die Richtlinien der sowjetistischen Außenpolitik am wenigsten von den Sowjetkongressen be­stimmt. Alle Fragen, die auf dem letzten Rätefongreß be= handelt wurden, waren bereits auf der Parteikonferenz oder richtiger gesagt, in der letzten Plenarsizung des Zentral­tomitees der KPDSU. im voraus entschieden.

Dennoch sind die Ausführungen des noch amtierenden, obwohl schon zur Hälfte faltgestellten Borsigenden des Rates der Volkskommissare, Rykow , über die Grundsäge der sowjetistischen Außenpolitik von großer Bedeutung. Der anaintische Teil der großangelegten Rede bringt freilich nichts Neues. Das sind die bekannten Ideengänge der Komintern über die fortschreitende Verschärfung der Gegensäße der fapi­talistischen Welt und über die Unvermeidlichkeit eines neuen Weltkrieges. Alle Konflikte seien dem Grundkonflikt zwischen England und den Bereinigten Staaten unter geordnet. Sowjetrußland sei der einzige Staat in der Welt, der aufrichtig und folgerichtig für die Abrüstung und für den Frieden fämpft. Daher sei der Schutz des ersten Arbeiter staates" die Hauptpflicht des internationalen Proletariats. Es muß gleich darauf hingewiesen werden, daß die Sowjetregierung sich diesmal in einer recht günstigen Lage befindet. Die imperialistischen Großmächte bieten leider durch ihre Sabotagepolitik in der Abrüstungsfrage die gewünschten Argumente für die bolichemistische Propaganda. Rykow wußte geschickt, den abenteuerlichen Charakter der sowjetistischen Außenpolitit, insbesondere im Osten( in China und Afgha­ nistan ) zu vertuschen und die Sowjetregierung als die einzige Friedensmacht inmitten der fieberhaft zu neuen Kraftproben rüftenden imperialistischen Staaten hinzustellen.

Rytoms Ausgangspunkt ist die Feststellung, daß unter den bürgerlichen Regierungen zwei Tendenzen bestehen und einander befämpfen, und zwar eine aggressive, die sich ,, die Bernichtung der proletarischen Diktatur" zum Ziel sett und eine friedliche, die das Zusammenleben der beiden Wirtschaftssysteme", der somjetistischen" und der ,, kapitalisti­ schen " für möglich hält. Das Vorhandensein zweier Ten­denzen einer friegerischen und einer friedlichen, im mo­dernen Kapitalismus wurde auch vom Brüsseler Sozialistentongreß festgestellt. Aber kann man nicht mit gleichem Recht behaupten, daß in der Außenpolitik der Sowjet macht gleichfalls zwei Tendenzen, eine aggressive und eine friedliche, vorhanden sind?

-

Macdonalds Kabinett.

Inneres Clynes, Aeußeres Henderson, Arbeitsbeschaffung Thomas, auch

Lansbury Minister.

London , 6. Juni. ( Eigenbericht.) Ministerium für öffentliche Arbeiten übernehmen und in Es kann nunmehr als sicher gelten, daß Artur Henengster Verbindung mit Thomas arbeiten. Die Ernennung ist um derson, der Präsident der sozialistischen Arbeiterinter- so bemerkenswerter, als Lansbury 1924 den ihm angebotenen nationale, Außenminister im zweiten Kabinett Mac Ministerposten abgelehnt hat. Lansbury gehört zur Linken dec donald sein wird. Artur Greenwood wird das Partei. Er hat in früherer Zeit aus seiner Sympathie für die Ministerium für Volksgesundheit und Clynes, der Kommunisten leinen Hehl gemacht. Seit dem Birminghamer Bartei­Führer der Fabrikarbeiter, das Innenministerium er beschluß der Arbeiterpartei gegen die Kommunisten hat er die loyalite Thomas wird Minister für Arbeits: Haltung gegenüber der Partei und Macdonald eingenommen. Sein halten. beschaffung. Sein offizielles Amt wird der Posten Eintritt in das Kabinett stellt die Erfüllung eines Wunsches der des Lord Groß- Siegelbewahrers sein, das mit einem Mehrheit der Fraktion der Arbeiterpartei dar; für das Kabinett Portefeuille nicht verbunden ist. bedeutet er eine gewisse Belastung gegenüber den bürgerlichen Parteien.

Die Ernennung Thomas hat in der Arbeiterpartei große Befriedigung hervorgerufen. Thomas erklärte heute, er habe die schwierige, mit seinem Amte verbundene Verantwortung über nommen, weil Macdonald und er das Arbeitslosenprogramm als das eine große dringende Problem ansehen.

Eine für die internationale sozialistische Bewegung überaus interessante Berufung ist die Einbeziehung Georg Lansburys, des greisen Vorkämpfers der Aermsten der Armen unter dem britischen Proletariat, in das Kabinett. Lansbury wird das

Der als Liberaler in Preston gewählte bekannte Rechts­

anwalt W. A. Jowett ist zur Arbeiterpartei über­getreten. Jowett gilt als einer der fähigsten britischen Rechts­praktiker. Er dürfte den Posten eines obersten Staatsanwalts ( Attorney- General) mit Kabinettsrang bekleiden.

Mit dem Uebertritt eines 3 weiten liberalen Abgeordneten zur Arbeiterpartei wird gerechnet.

( Siehe auch 3. Seite.)

Antwort an Curtius.

Sozialdemokratische Erklärung zur Arbeitslosenversicherung.

Im Reichstag sprach am Donnerstag zum Wirtschaftsetat| legenheit noch einmal ihren Standpunkt zu vertreten. Es ist der­

Abg. Brandes( Soz.):

Der Reichswirtschaftsminister hat gestern in einer Polemik gegen meinen Freund Kräßig folgende Ausführungen über das Problem der Arbeitslosenversicherung gemacht:

Die Arbeitslosenversicherung ist ein großer sozialer und wirtschaftlicher Fortschritt. Aber es steht schon heute fest, daß wir die Gesetzgebung, Verwaltung und die Finanzen überspannt haben, und daß schwere Schäden der Arbeitsmoral eingetreten find. Wir müssen eine grundlegende Reform der Arbeitslosen­versicherung durchführen, und dabei kann auch der bisher geſtedte Kreis der Versicherungspflichtigen nicht unangetastet bleiben. Un­möglich können wir diese Reform mit Beitragserhöhungen be­ginnen."

selbe, den ihre Redner bei den Reichstagsberatungen über den Haushalt des Reichsarbeitsministeriums gemäß dem bekannten Be­schluß ihrer Fraktion festgelegt haben.

Dieser Beschluß besagt, daß die sozialdemokratische Fraktion bereit ist, einer notwendigen und befristeten Beitrags­erhöhung zuzuftimmen. Sie ist auch zur Beseitigung nach weislich bestehender Mißstände bereit. Sie verlangt aber die Fortführung der Sonderfürsorge bei berufsüblicher Arbeitslosigkeit.

Und in der Tat sind längst die Zeiten vorbei, da die bolschemistische Außenpolitik einen eindeutigen, geradlinigen Charakter trug und sich einzig und allein weltrevolutionäre putschistische Ziele stellte. Mit der innerpolitischen ,, Nep" kam im Frühling 1921 auch die außenpolitische. Als isolierter Staat fonnte Rußland feinen Tag mehr aushalten. Die Sowjetmacht war gezwungen, die Fäden der internationalen politischen und wirtschaftlichen Beziehungen mit den kapitali­ stischen Staaten wieder anzuknüpfen und zu pflegen. Aber die weltrevolutionäre Grundeinstellung war damit nicht aufge­geben. So trägt seither die Außenpolitik des Bolschewismus alle Zeichen einer 3 weideutigkeit. Die Bedürfnisse des wirtschaftlichen Aufbaues drängen immer mehr nach einer Friedenspolitik; die spezifischen Interessen der bolschewistischen Parteidiftatur führen zur meltrevolutionären Butschpolitik, die mit einer folgerichtigen Friedenspolitik auf die Dauer unvereinbar ist. Indem die Bolschewisten mit der rechten Hand der Sowjetdiplomatie die normalen Beziehungen mit der kapitalistischen Umwelt anknüpfen und pflegen, greifen Das nötigt die sozialdemokratische Fraktion, auch bei dieser Ge- schwerster Notlage viele Monate hindurch geduldig alle damit ver­sie mit der linken Hand der Komintern wieder in das Gewebe der Friedensbeziehungen zerstörend ein.

-

-

So war auch diesmal Rykows Rede auf dem Räte­fongreß im großen Ganzen- troß der offiziellen ideologischen Romintern- Ausrüstung in recht friedlichem Ton gehalten, abgesehen von einer Entgleisung in bezug auf Bolen, die an das Säbelraffeln von einst bedenklich an­flang. Jede Kundgebung des Friedenswillens der Sowjet­regierung ist zu begrüßen. Auch das russische Bolt braucht vor allen Dingen Frieden. Aber die Begeisterung für die bolichemistische Friedfertigkeit verblaßt einigermaßen, wenn man die gleichzeitige Rundgebung des Bürgerfriegs: willens der von Moskau geleiteten Romintern in Betracht zieht...

Durch diese Rede von der Ministerbank fonnte der Eindruck erweckt werden, als sei die Materie vom Kabinett bereits ab­schließend geregelt. Daß das nicht der Fall ist, steht fest;

Herr Curtius fanu also nur seine persönliche Meinung und die der ihm nahestehenden Kreise ausgesprochen 1 haben.

Wir bedauern es, daß der Reichswirtschaftsminister trotz der Anerkennung, daß die Arbeitslosenversicherung einen großen sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt darstellt, gemeint hat, Gesetzgebung, Verwaltung und Finanzen seien überspannt worden. Seine Behauptung, daß dadurch ,, schwere Schäden der Arbeitsmoral" eingetreten sind, weisen wir als bis­her völlig unbewiesen entschieden zurüd. ( Lebh. Zust. d. Soz.) Bedauerliche Einzelfälle sind keine Recht­fertigung für einen so schweren Vorwurf gegen Millionen arbeit­famer Menschen, die jede Gelegenheit zur Wiederbeschäftigung mit Freuden ergriffen haben. Wenn 22 Millionen Erwerbslose tro

mit den anderen Staaten pflegen und gleichzeitig in ihnen gegenseitige Nüglichkeit der Grundlagen bewiesen haben, auf den Bürgerkrieg schüren. Man wende nicht ein, daß die denen diese Beziehungen aufgebaut sind und auch zukünftig Sowjetregierung mit den Komintern nichts gemein habe. Die sich entwickeln werden". Die Brüsseler Konferenz spricht von Sowjetdiplomatie und die Komintern sind zwar zwei ver- ,, dem entschiedenen Uebergang Deutschlands unter der ideolo­schiedene Hände, aber von einem Kopf geleitet, der auf den gischen und organisatorischen Führung der Sozialdemokratie breiten Schultern Stalins fit.. zur antisowjetistischen Front"...

Die eigenartige Arbeitsteilung" führt dazu, daß auf ein und dieselbe Frage zwei einander entgegengesetzte Ant worten gegeben werden. So stellt Rytom in seiner Rede fest, daß ,, Englands Versuch, eine Einheitsfront gegen uns zu organisieren, für die gegebene Zeit mißlungen ist." Die Entschließung des Rätekongresses fügt hinzu, daß es der Fast zu derselben Zeit, in der Rytom feine Friedensrede Sowjetregierung gelungen sei, die außenpolitische Stellung in Moskau hielt, hat in Brüffel( und nicht in Mostau?) eine der Sowjetunion zu verstärken und die unmittelbare Konferenz der 13 größten fommunistischen Parteien der Kriegsgefahr zu verschieben". Die Brüsseler Kon­fapitalistischen Länder"( also ohne Rußland ?) stattgefunden, ferenz behauptet dagegen, daß ,, die Organisierung des impe­die durch das Westeuropäische Bureau" der Komintern ein- rialistischen Krieges gegen die Sowjetunion in eine attu­berufen wurde. Man muß die Ausführungen Ryfoms und elle Phase eingetreetn ift". Ry tom sagt: In der letzten die Entschließungen der Brüsseler Konferenz einander gegen Beit geugen viele Tatsachen dafür, daß die Tendenz zur Auf­überstellen, um die Zweideutigkeit der bolichemistischen rechterhaltung der friedlichen ökonomischen Beziehungen mit Außenpolitik festzustellen, die wahrhaftig dem römischen Gott uns stärker geworden ist." Die Brüffeler Entschließung spricht Janus ähnlich ist, der bekanntlich zwei Gesichter gehabt hat. von der Gefahr der gerade in der letzten Zeit zum Vor­Man fann nicht in einem Atemzuge Weltschein getretenen Verstärkung der Berleumdungskampagne frieden und Weltrevolution" predigen, man gegen die Sowjetunion ". Rytow stellt fest, daß ,, acht Jahre tann nicht diplomatische und handelspolitische Beziehungen| normale Beziehungen mit Deutschland die Richtigkeit und

Genug damit. Zwei Seelen in einer Brust- zwei 3ungen in einem Mund. Eine außenpolitische Konzeption für die bürgerliche Welt, für die Sowjetdiplomatie, die in Genf Friedenspolitik treibt, Handelsverträge abschließt, langfristige Kredite sucht, Anerkennungen verlangt und vor­bereitet. Eine andere für die proletarische Ümmelt, der eine eigenartige Zusammenbruchstheorie" vorgeführt wird, um sie im Interesse des Fraktionskampfes Stalins und seiner Ablenkungsmanöver in neue Straßenfämpfe und Bürger­friege hineinzuheben.

Die westeuropäische Arbeiterschaft tut gut daran, wenn fie nach wie vor die Friedenstendenzen der Sowjetmacht be­grüßt und unterstüßt. Aber sie hat auch recht, wenn sie die neue Tattit" der Komintern auf das Entschiedenste bekämpft. Denn diese Taktik gefährdet den Weltfrieden, indem sie feine stärkste Stüße, die internationale Sozialdemokratie, zu sprengen sucht, und durch die sinnlosen Butschversuche im Westen und im Osten die gefährliche Isolierung Sowjetruß­lands verstärkt.