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Morgenausgabe

Nr. 263

A 133

46.Jahrgang

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Vorwärts

Berliner Volksblatt

Sonnabend

8. Juni 1929

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Unterzeichnung in Paris  .

Müllers Dank an Schacht.  - Die politischen Folgerungen.

Paris  , 7. Juni.  ( Eigenbericht.)

Der Bericht der Sachverständigen fonferenz, deffen, Herstellung fast volle vier Monate in Anspruch genommen. halte, ist am Freitagnachmittag in einer feierlichen Boll­sigung von den Delegierten der einzelnen Länder unter­zeichnet worden.

Der Unterzeichnung ftellten fich im letzten Augenblid noch un­vorhergesehene Hindernisse entgegen. Als alle Delegierten und zahl. reiche Preisevertreter in dem historisch gewordenen Konferenzjaal des Hotels Georg V.   um 5 Uhr zu dem feierlichen Afi persammelt waren, stellte sich heraus, daß der Bericht, an deffen Fertig­ffellung die ganze Nacht und den Morgen hindurch gearbeitet wor­den war, noch nicht zur Stelle war. Gleich darauf geriet in­folge Kurzschluß bei einer der mächtigen Jupiterlampen der Kino­operateure ein Vorhang in Brand. Die Sachverständigen ver­ließen infolgedeffen den Saal.

Als das Feuer gelöscht und die Delegierten zusammengetreten waren, fonnte endlich der feierliche Unterzeichnungsaft beginnen. Der amerikanische   Borsitzende Owen D. Young   leitete ihn mit einer furzen Ansprache ein, in der er den nun vorliegenden Bericht als ein kompromiß zwischen den Forderungen der Gläubiger und den wirtschaftlichen Notwendig. teiten des Schuldnerlandes charakterisierte. Nach ihm fprach der französische   Delegierte Moreau, der Owen D. Young  den Dank der Konferenz für feine fluge und taftvolle Vermittler tätigkeit ausdrückte. Hierauf folgte die Unterzeichnung. Im fran­zöfifchen Tejt fungiert an erster Stelle Deutschland  , im englischen  

Belgien  .

Die Sigung fand alsdann mit einer nochmaligen furzen An­Sprache Owen D. Youngs ihren Abschluß, der den einzelnen Dele­gationen den Dank für ihre mühevolle Tätigkeit ausdrückte.

Wie der Dawes- Plan  , so gilt auch der Young- Plan als ein Ganzes, er fann nur als Ganzes angenommen oder ab­gelehnt werden. Damit scheint seine Annahme ohne lange Berhandlungen zwischen den Regierungen gesichert, denn es läßt sich faum vorstellen, daß eine von ihnen die Berant­wortung für die Vernichtung des Pariser Revisionswerks auf sich nehmen wollte.

M

Am wenigsten fann man sich das von der deutschen  Regierung vorstellen. Denn ihre Weigerung, den Young­Plan zu unterzeichnen, würde zunächst nichts anderes be= deuten als die Erklärung ihrer Bereitschaft, weiter den Dames Plan auszuführen. Da der Young- Plan gegen­über dem Dames- Blan unzweifelhafte Erleichterungen bringt, müßte eine deutsche   Regierung, die eine solche Be­reitschaft erklärte, von Sinnen sein. Die Deutschnationalen freilich meinen, die deutsche   Regierung sollte weder nach dem Dames- Plan noch nach dem Young- Plan- sie sollte über­fie sollte über­haupt nicht zahlen. Dieses Nichtzahlen würde dann den völli­gen Zusammenbruch des deutschen   Kredits, jene wirtschaft­liche Katastrophe herbeiführen, die Herr Thyssen braucht. Danach müßte man freilich wieder verhandeln, und ob man dann nicht bei verringerter Leistungsfähigkeit die unvermeidlichen Lasten noch schwerer tragen würde, steht dahin.

Das Ergebnis von Paris   gibt feinen Anlaß zu Jubel gefängen, aber es bedeutet einen Schritt vorwärts. Politisch gesehen zeigt es, daß gegen Deutschland   in der Welt kein Bernichtungswillen mehr besteht und daß man bereit ist, die Bernunft zu Wort, fommen zu laffen. Ein offenfundiger Beweis, daß Deutschland   den Dames- Plan nicht ausführen fann, war noch nicht erbracht. und man hat es wohlmeislich bis zu diesem Beweis nicht erst tommen lassen. Deutschlands  Zusammenbruch wäre für die anderen ein schlechtes Geschäft. Ist aber diese Einsicht erst vorhanden, so wirft fie auch weiter und muß auch in Zukunft Anwendung finden. Die internationale Schulden- und Reparationsfrage ist endgültig aus dem akuten Stadium des Kampfes in das Stadium der Berständigung hinübergetreten. Das ist es, was bei aller Schmere der noch zu tragenden Lasten entscheidend bleibt. Der Young- Plan unterscheidet sich vom Dames- Plan nicht nur dadurch, daß er die Endsumme fixiert und die Jahreszahlungen herabjezt, sondern er ersetzt auch den be­stehenden komplizierten Mechanismus durch einen anderen, nicht weniger tomplizierten. Die Souveränität Deutschlands  wird im wesentlichen wieder hergestellt, eine internationale Reparationsbank wird geschaffen, die feine politischen sondern nur wirtschaftliche Funktionen hat. und in deren Leitung Deutschland   mitvertreten sein mird. Auch der Fall einer 3ahlungsunfähigteit Deutschlands   foll rein fachlich, rein wirtschaftlich behandelt werden- mobei Deutsch  lend wiederum ein eminent wirtschaftliches Intereffe hat, nicht fahrlässigerweise in Berzug zu geraten. Wie dieser

ganze fomplizierte Apparat arbeiten wird, läßt sich nicht vor­aussehen, und darum fann auch fein Mensch sagen, daß er immer so bleiben muß, wie er ist.

Mit der schiedlich- friedlichen Regelung der Reparations frage schwindet der letzte Grund zur Aufrechterhaltung der Besatzung. Man darf also voraussehen, daß die Räumung der zweiten Zone, für die die Frist ohnehin schon in einem halben Jahre abläuft, und der dritten Zone, die sonst noch fünfeinhalb Jahre dauern würde, nun zur Tatsache werden wird. Mit der Räumung wird aber auch das gegenwärtige Regime an der Saar   unhaltbar; die Ablösung dieses Proviso riums durch ein friedensmäßiges Definitivum fann nicht mehr lange auf sich warten lassen.

Erst nach Erledigung dieser Kriegsreste wird die Bahn wirklich frei für eine Politik der Friedenssicherung durch ein dauerndes Zusammenwirten Deutschlands   und Franfreich s. Für die Freunde dieser Politit in Frank reich wird jetzt bald die entscheidende Stunde schlagen. Die deutsche Sozialdemokratie hat sich vom Tage des Kriegs­endes an zu dem Gedanken bekannt, daß die Welt vor einer Wiederholung einer solchen Ratastrophe nur durch die Schaffung eines Berhältnisses zwischen Frankreich   und Deutschland   geschüßt werden kann, das für alle Zeit einen Konflikt zwischen den beiden Völkern ausschließt. Es hat Seiten gegeben, in denen es schwer war, eine solche Politik zu vertreten, weil es den Anschein hatte, als ob der große zu vertreten, weil es den Anschein hatte, als ob der große Gedanke, der ihr zugrunde liegt, auf der anderen Seite fein Verständnis fände. Ihm über alle Krisen. der legten zehn Jahre hinwegzuhelfen war nur möglich, indem man mit un Jahre hinwegzuhelfen war nur möglich, indem man mit un­beirrbarer Zähigkeit an ihm festhielt. Der Tag, an dem Rhein   und Saar   wieder frei merden, wird ihn der Berwirt­lichung um ein gewaltiges Stüd näherbringen. Darin liegt die Bedeutung dieses Tages nicht nur für Deutschland   und Frankreich  , sondern für die ganze Welt.

Der Bericht des Sachverständigenausschusses über die Repara­tionsfrage zerfällt in zwölf Abschnitte: Der erste handelt von Er­nennung, Auftrag und Zusammensetzung des Ausschusses, der zweite von den Sitzungen des Ausschusses, der dritte schildert die

Einstellung des Ausschusses.

Es wird ausgeführt, daß die Sachverständigen in gleicher Weise wie die Mitglieder des Dawes- Komitees als Geschäftsleute an ihre Aufgabe herangegangen und das unvollständige Werk der früheren Konferenzen durch eine Umwandlung der Reparations schuld aus einer politischen in eine tommerzielle Verpflichtung zu fördern versucht hätten. Dabei sei man zu dem Ergebnis ge­tommen, daß es nicht möglich sei, eine Lösung auf rein wirtschaft­licher Grundlage zu finden, weil sich die Sachverständigen gewissen finanziellen, und politischen Notwendigkeiten gegenüber gesehen hätten, deren Berücksichtigung nicht vermieden werden konnte. Die Entscheidung hätte daher nicht nur auf wirt­schaftlichen Erwägungen aufgebaut werden fönnen, man habe viel­mehr bis zu einem gewissen Grade auch politische 3wed. mäßigkeitsgründe berücksichtigen müssen. Wenn man sich auch über die grundlegenden Schlußfolgerungen und Vorschläge des Berichts einig geworden sei, so bedeute dies noch nicht, daß der Wortlaut des Berichts in jedem einzelnen Buntte die genaue Schattierung der von den einzelnen Mitgliedern oder Länder­gruppen vertretenen Meinungen wiedergebe. Man habe gemeinsam versucht, eine Einrichtung zu schaffen, die im Wege freimütiger Zu­fammenarbeit auf internationaler Grundlage dazu dienen solle, die Re fte der aus der Kriegszeit herrührenden Vorurteile und Reibungsflächen zu beseitigen.

Prüfung der deutschen   Wirtschaftslage.

Der folgende Abschnitt beschäftigt sich eingehend mit der gegen märtigen Wirtschaftslage und den Zukunftsmöglichkeiten Deutsch­ lands  . Insbesondere wurde ausgeführt, daß die Betrachtungen, die

Die Regierung Macdonald.

Sidney Webb  , Kolonien.- Frau Bondfield, Arbeitsminister.- Tom Shaw,

Kriegsminister.

London  , 7. Juni.  ( Eigenbericht.)

weiblichen Kabinettsminister in der Geschichte Großbritanniens   er­nannt wird. Minister für Volksgesundheit ist Artur Green wood, der Chef des Forschungsinstituts der Arbeiterpartei, der sich während der Debatte um die Reform der britischen  . Lokalverwaltung einen weit über seine Partei hinausgehenden Namen geschaffen hat. minister wie im Jahre 1924 Sir Charles Tremelyan. Das Handelsministerium übernimmt William Graham Erster Lord der Admiralität wird der führende britische   Genossenschaftler A. B. Alexander.

Die am Freitag veröffentlichte offizielle£ iffe des Kabi­netts Macdonald enthält eine Reihe von Ernennungen, die der Deffentlichkeit vollfommen überraschend kommen dürften. Die Besetzung des Schahamtes durch Philipp Snowden stand bereits feft, ebenso die Ernennung von Thomas zum Groß- Siegel- derbauminister wird wiederum Burton, Unterrichts­bewahrer, ein Ministerposten ohne Portefeuille, der jedoch infolge seiner Berknüpfung mit der besonderen Aufgabe eines Minifiers für Arbeitsbefchaffung, den wichtigsten Kabinettspoffen im zweiten Kabinett Macdonald darstellt. Die Ernennung Hender. fons zum Außenminister wird ebenfalls bestätigt. Die erste große lleberraschung auf der Kabinettsliste stellt die Ernennung des großen Theoretifers der Arbeiterpartei, Sidney Webb  , zum Minister für die Dominien und Kolonien dar. Da Webb unter Hinweis auf sein fortgeschrittenes Alter wäh­rend der vergangenen Wahlen auf eine Kandidatur für das Unter haus verzichtet hatte, ist sein Einschluß ins Kabinett nur durch seine Ernennung zum Lord und auf dem Umweg über seine Zugehörig. teit zum Oberhaus möglich. Lordpräsident und Führer des Hauses der Lords, damit der Vertreter der Regierung( Macdonald im Ober­haus, wird Lord Parmoore. Als Lordkanzler ist der oberste Richter des des Appellationsgerichtes, Lansbury  , bestimmt. Innenminister wird der Führer der Fabrikarbeiter, Clynes.

Eine Ueberraschung stellt ferner die Ernennung des verhältnis mäßig jungen ehemaligen liberalen Minister Wedgewood Benn zum Minister für Indien   dar, der Posten, der wegen der Schwierig teiten in Indien   besondere Bedeutung besitzt. Er war in der ersten Regierung Macdonalds in den Händen von Lord Olivier  . Die Nicht­einbeziehung Lord Oliviers in das Kabinett hat in London   eine große Sensation erregt. Luftminister wird wiederum Lord Thom fon, Kriegsminister der internationale Sekretär der Tértil arbeiter und ehemalige Sekretär der sozialistischen   Arbeiterinter nationale Tom Shaw, der dem vorigen Kabinett( Macdonald als Arbeitsminiffer angehört hatte. Das Arbeitsministerium übernimmt Frau Bondfield, die im letzten Ministerium als Staatssekretär im Arbeitsministerium tätig war. Ihre Ernennung zum Arheitsminister mit Kabinettsrang stellt eine neuerung von historischem Ausmaß dar, da Frau Bondfield damit zum ersten

Eine weitere interessante Ernennung ist die Berufung des jungen Sir Oswald Mosley   zum Kanzler für das Herzogtum Lancaster. Dieser Ministerposten ohne Portefeuille war in den legten Jahren mit der Bölferbundstätigteit eng verknüpft. Mosleys besondere Aufgabe wird es jedoch sein, dem Minister für, Arbeitsbeschaffung Thomas, in Gemeinschaft mit Lansbury   bei der Bekämpfung der Erwerbslosigkeit beizustehen. Diesem Trio Thomas, Lansbury   und Mosley   ist die wichtigste und schwie­rigste Aufgabe im. Kabinett Macdonald übertragen. Eine weitere intereffante Ernennung, die von der gesamten Arbeiterpartei freudig begrüßt werden wird, ist die Berufung Morrisons, des Präfi­denten der Arbeiterpartei zum Transportminister, Seinem Bortefeuille wird eine wichtige Aufgabe bei der Reorganisation des britischen   Verkehrswesens zufallen. Die beiden juristischen Mi­nifterposten gehen an den zur Arbeiterpartei übergeiretenen Rechts­anwalt 3o mitt und an den Rechtsanwalt Melville über. Mi­nister für Penfionen wird Roberts.

Rechtsanwalt Jomitt, der als Liberaler gewählt wurde, zur Arbeiterpartei übertrat und dem Kabinett als oberster Staatsanwalt angehören wird, hat an Ramsay Macdonald   einen Brief gerichtet, in dem er seinen Hebertritt zur Arbeiterpartei vollzieht und zurjagt, ein lonales Mitglied der Partei zu sein. Der Brief enthält folgenden bezeichnenden Sat:

,, Die Liberalen Radikalen müssen nunmehr die Frage an sich richten, ob es nicht ihre Pflicht wäre, der Arbeiterpartei ihre attive Unterstügung zu gewähren. Die Labour Party   ist heute das einzige mirtfame Instrument zur Durchführun jener Reformen, die das Land ersehnt."