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Morgenausgabe

Nr. 265

A 134

46.Jahrgang

Böchentlich 8531. monatlich 3,60 m. im voraus zahlbar. Bostbezug 4,32 m. einschließlich 60 Bfg. Boftzeitungs- und 72 Bfg. Boftbeftellgebühren. Auslands abonnement 6.- M. pro Monat.

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Technit" Blid in die. Bücherwelt" und Jugend- Borwärts"

Vorwärts

Berliner Bolksblatt

Sonntag

9. Juni 1929

Groß- Berlin 15 Pf. Auswärts 20 Pf.

Die etnipattige Ronpareillezetle 80 Pfennig. Reflamezeile 5.- Reichs. mart. Kleine Anzeigen das lettge­brudte Bort 25 Pfennig( zuläffig zwet fettgedruckte Borte), jedes weitere Bort 12 Pfennig. Stellengesuche das erste Wort 15 Pfennig, jedes weitere Bort 10 Pfennig. Borte über 15 Buchstaben zahlen für zwei Borte. Arbeitsmarkt Beile 60 Pfennig. Familienanzeigen Zeile 40 Pfennig. Anzeigenannahme imhaupt gefchäft Lindenstraße 3, wochentäglich von 8 bis 17 Uhr.

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Redaktion und Verlag: Berlin SW 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Tönhoff 292-297 Telegramm- Adr.: Sozialdemokrat Berlin

Der Sieg.

Die Nation fchart sich um die Arbeiterpartei.

Von Arthur Henderson .

M

Das Ergebnis der Neuwahlen beweist, daß die Konser­vativen die gesamte Nation nicht ewig an der Nase herum­führen können. Als im Jahre 1924 eine Anzahl Volksgenossen durch den Coup mit dem Sino wjem Brief irregeführt wurde, ließen wir uns nicht einschüchtern. Wir wußten, daß diese Wähler erkennen würden, auf welch unwürdige Weise sie getäuscht worden sind; wir wußten, daß sich ihre berechtigte Entrüstung dereinst entladen und daß Stanley Bald wins durch Bortäuschung falscher Tatsachen gewonnene Mehrheit in die Luft gesprengt würde.

Wir brauchten nicht lange zu warten: die Nation benutzte die erste sich bietende Gelegenheit, Stanley Baldwin und seine ganze feudale Partei mit Schmach und Schande aus dem Sattel zu werfen. Die Nation scharte sich um die Arbeiter­partei die Partei der Zukunft, die fest entschlossen ist, dem Bolke die soziale und ökonomische Gerechtigkeit zu sichern. Der wundervolle Sieg der Labour Party ist ferner die Antwort der Nation auf Ramsay Macdonalds Appell, der Arbeiter­partei eine Gelegenheit zu geben, ihre Fähigkeit zu erweisen, das Land im Interesse des gesamten Volkes zu regieren. Ich glaube, daß die Wähler bei ihrer Entscheidung die denk­mürdigen Leistungen der ersten Arbeiterregierung während ihrer kurzen Regierungszeit 1924 in Erinnerung gehabt haben und ich habe volles Vertrauen darauf, daß die Ant­wort, die das Land auf Macdonalds Appell gegeben hat, durch die Tätigkeit der zweiten Arbeiter regierung gerechtfertigt werden wird. Die Arbeiter partei hat beinahe drei Millionen mehr Stimmen als bei der vorigen Wahl erzielt. Die Jugend und die Frauen sind auf unserer Seite. Die neuen Wähler haben gezeigt, daß sie mit den alten Verhältnissen unzufrieden sind. Sie hoffen auf eine bessere Welt und haben sich naturgemäß der Arbeiterpartei zugewandt; die ihre Wünsche verwirt lichen wird.

Das Wahlergebnis liegt so sonnenflar zutage, daß es Peinerlei Uebertreibung bedarf. Wir können zunächst fest­stellen, daß die für die Arbeiterpartei abgegebenen Stimmen in ständigem Wachstum begriffen sind. Wir erzielten sechs Millionen mehr Stimmen als 1918 8 337 407 Stimmen gegen 2 244 945 eine Bermehrung von 300 Proz. in zehn Jahren! Unsere Stimmenzahl ist beinahe doppelt so groß als bei den Neuwahlen 1922 und 1923. Sie ist beinahe um drei Millionen Stimmen größer als 1924.

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Boftschedkonto: Berlin 37 536.

Bankkonto: Banf der Arbeiter, Angestellten

Vorwärts- Verlag G. m. b. H. und Beamten Wallstr. 65. Diskonto- Gesellschaft, Depofitentasse Lindenstr. 2

Ernste Finanzlage.

Das Pariser Ergebnis und der Reichshaushalt.

Der Haushaltsausschuß des Reichstags hat am Sonn­abend die Beratung des Reichsetats für 1929 beendet. Damit ist sichergestellt, daß der neue Etat rechtzeitig vor dem 30. Juni, dem Ablauf des Notgesetzes verabschiedet wird. Weit' wichtiger jedoch als die rechtzeitige Erledigung des Etats ist die Frage, ob er den Anforderungen verantwortungsvollen

einer

Finanzpolitit entspricht. ish

Nach den Veränderungen, die der Etatsentwurf der Reichs­regierung durch das Kompromiß der Regierungsparteien erfahren hat, sind an Ausgaben und Einnahmen Abstriche vorgenommen worden. Das Gleichgewicht wurde jedoch aufrechterhalten und nach: trägliche Veränderungen, die durch den Verlauf der Etatberatungen erforderlich wurden, werden daran nichts ändern. erforderlich wurden, werden daran nichts ändern.

Trotzdem müssen die Mängel und Lücken des Etats offen ausgesprochen werden.

Denn wenn auch der Etat ziffernmäßig ausgeglichen ist, so ist er doch in so hohem Grade angespannt, daß die Zweifel berechtigt find, ob er nicht im Laufe des Jahres dieses Gleichgewicht verliert. Das kann geschehen durch Erhöhung der Ausgaben, aber auch durch Verminderung der Einnahmen.

Gegenwärtig sind bereits eine ganze Reihe von Positionen sichtbar, deren Anfäße überschritten werden dürften. oder bei denen doch die Ueberschreitung im Laufe des Etatsjahres ziemlich sicher ist. So find z. B. für die Berzinsung der Reichsschuld Beträge ein­gefeßt worden, die nicht ausreichen können, nachdem das Kaffen. defizit sich gegenüber früherer Zeit so gewaltig erhöht hat. Auch bei den Renten für die Kriegsversorgung und die Zuschuß­Leistungen des Reichs für die Invalidenversicherung scheinen zu geringe Beträge veranschlagt worden zu sein.

Auch die Beranschlagung der Einnahmen hält einer frifischen

Prüfung nicht stand. Wenn auch anzunehmen ist, daß in den An fäßen für die Tabat-, Bier- und Zuckersteuer, gemessen an den Er­trägen dieser Steuern im Vorjahre, noch kleine Reserven stecken, so sind doch wichtige direkte Steuern, aber auch die Umsatzsteuer und die Zölle sicherlich überschätzt. Die Bermögenssteuer soll mit 560 Millionen eingesetzt werden, hat aber im Vorjahre nur 450 Millionen erbracht. Selbst wenn man die 40 Millionen Nach­erhebung hinzurechnet, bleibt es zweifelhaft, ob der neue Ansaz erreicht wird. Die Il msatzsteuer hat im Vorjahre eine Milliarde gebracht, während sie im neuen Etat mit 1120 Millionen erscheint. Die Zölle, die im Vorjahre nur 1104 Millionen gebracht haben, sind ebenfalls mit 1200 Millionen angesetzt.

Zweifellos zeigt also der neue Etat auf beiden Seiten bedenkliche Schwächen. Sie offen auszusprechen, ist gerade dann notwendig, wenn man sie im Augenblick nicht zu beseitigen vermag. Ein Etat mit solchen Schwächen wäre überhaupt nicht erträglich, wenn wir uns nicht finanzpolitisch in einem Ueber­gangs stadium befinden würden, das eine Abweichung von den strengen Prinzipien verantwortlicher Finanzpolitik ermöglicht.

Durch die Pariser Abmachungen erhält Deutschland blic, in dem diese Abmachungen rechtsverbindlich geworden sind, spielen die Schwächen des Etats keine Rolle mehr und weist der Reichsetat statt eines Fehlbetrages einen Ueberschuß auf.

die Möglichkeit einer Entlastung seines Reichsetats. In dem Augen­

Allerdings nur unter der Voraussetzung, daß durch die Ermäßigung der Reparationslasten freiwerdende Beträge in erster Linie zur Sanierung des Reichs­etats verwendet werden.

Diesen Standpunkt hat die Sozialdemokratie im Reichshaushalt des Reichstags mit Entschiedenheit vertreten, von ihm wird sie auch ihre endgültige Stellung abhängig machen.

Erster Zwischenfall in Madrid .

Sieht man von Nord- Irland ( Ulfter) ab, wo die Arbeiterpartei Ein falsches Stresemann- Interview.- Schlechter Stand der Minderheitenfrage.

feinen einzigen Kandidaten aufgestellt hat, so ist die gesamte Stimmenzahl der Arbeiterpartei um 134 847 größer als die der Konservativen in England, Schottland und Wales.

Die Arbeiterpartei ist die größte im Parla ment. 1900 eroberten wir erst zwei Size. Den Anstieg seit­her zeigen folgende Ziffern:

Wahljahr

Parlamentsfihe

1900

2

1906

29

1910( Dezember)

40

1910( Januar)

42

1918

57

1922

142

1923

191

1924

1929

151 288

Bei den Wahlen 1924 erlangten die Konservativen 412 Size. Diese Anzahl mar, als das Parlament aufgelöst wurde, durch die fonservativen Niederlagen bei den Nach­wahlen auf 400 Sige vermindert worden. Gegenwärtig be­trägt die Mandatsziffer der Konservativen 251. Der fonser vative Gesamtrüdgang dürfte nach Bekanntwerden sämtlicher Wahlresultate ungefähr 35 Prozent be tragen. Zwei fonservative Rabinettsminister- der Oberste Staatsanwalt Sir Thomas Inskip und der Arbeitsminister Sir Arthur Steel Maitland - haben ihre Size verloren; Size, die die Konservative Partei als ihre unverlegliche Do­mäne betrachtet hat. Ein drittes Mitglied des Kabinetts, der Außenminister Sir Austen Chamberlain , wehrte den Angriff der Arbeiterpartei gerade mit 43 Stimmen ab ein schlimmer Niedergang. wenn man bedenkt, daß er bei der vorigen Wahl über eine Mehrheit von 3 957 Stimmen gebot. Außer den Genannten wurden noch einige weniger be­deutungsvolle Inhaber von Ministerposten am 30. Mai von Der Arbeiterpartei besiegt.

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Die Kommunisten wurden trotz ihrer böswilli gen und heftigen Angriffe auf die im Besige der Ar­

Madrid, 8. Juni. ( Eigenbericht.)

Noch bevor die Tagung des Völkerbunds rates begonnen hat, gibt es hier Intrigen und Zwischenfälle genau so, wie jonst in Genf .

Ein angebliches Interview Stresemanns in San Se­ bastian , in dem er die Bedeutung der Minderheitenfrage durch einen Hinweis auf die tatalonische Bewegung unterstrichen haben foll, wäre wohl wenig beachtet geblieben, wenn nicht der Diktator Primo de Rivera in einem Kommuniqué vorbehaltlich der Richtigkeit dieses Berichts sehr scharf dagegen Stellung genommen hätte. Es wäre forretter gewesen, wenn Primo de Rivera zu­nächst die Stellungnahme der deutschen Delegation abgewartet hätte, bevor er gegen eine angebliche Aeußerung des Reichsaußenministers öffentlich polemisierte, von der es ar mar, daß sie auch nicht entfernt in der wiedergegebenen Form gefallen sein konnte. Für die Gegner des deutschen Vorgehens in der Minderheits­frage war dieser überflüffige Zwischenfall natürlich ein ge­fundenes Freffen, um noch vor der Ankunft Stresemanns in Madrid Stellung gegen ihn zu nehmen, und besonders unter den Spaniern Mißtrauen zu erwecken.

Das formelle Dementi der deutschen Delegation fonnte das Unangenehme dieses Zwischenfalls nur zum Teil wieder aus­gleichen.

Das Minderheitenproblem steht recht ungünstig. Das vorläufige Ergebnis der zweitägigen Beratung des Rats­fomitees ist ziemlich negativ Die hier weilenden Vertreter der Minderheitenorganisationen sind mit der Tattit des Staatssekretärs

I von Schubert wenig zufrieden. Sie behaupten, daß der deutsche Vertreter schon am Freitag die Vertagung der Minderheiten­angelegenheit hätte durchsetzen tönnen, zumal sowohl der fanadische als auch der finnländische Vertreter durch ihren Hinweis auf den Mangel an Zeit zum Studium des Berichts des Dreierkomitees einen deutlichen Wink in dieser Richtung gegeben hätten; statt deffen habe von Schubert nur die grundsäßlichen Bedenken der Reichsregierung gegen diesen Bericht betont, sich aber trotzdem nachträglich auf eine fachliche Diskussion eingelassen. Inwieweit Staatssekretär von Schubert wirklich die Verantwortung für die Nichtvertagung auf sich nehmen kommte, bleibe dahingestellt. Aber sicher hat die Diskussion dazu geführt, daß das

Ratskomitee in den meisten Punkten sich den Standpunkt des Dreierkomitees, d. h. Chamberlains zu eigen gemacht

und die deutsche Anregung fast refolut beiseite geschoben hat. Es wird zwar auf deutscher Seite betont, daß der grundsätz­lichen Seite des Minderheitenproblems in feiner Weise durch die bisherige Beratung präjudiziert sei und man durch die Ber= tagung des Komitees auf Dienstag völlig freie Hand, besonders in den grundsätzlichen Fragen behalten habe. Zu einer solchen Auffassung gehört eine reichliche Dosis Optimismus. Es gibt mir noch eine Möglichkeit, die ursprünglichen deutschen Vorschläge einigermaßen zu retten: wenn die britische Arbeiterregierung bestimmte Instruktionen an ihren Vertreter in Madrid , den Botschafter Sir George Graham zur Unterstügung der deutschen Vorschläge oder zumindest zur Bertagung bis zur Ratstagung im September erteile.

beiterpartei befindlichen Size überall schmählich beirischen Wahlkreise. In allen anderen, den städtischen fiegt. Der einzige bisherige kommunistische Abgeordnete, Gaflatpala verlor feinen Siß an den offiziellen Kandidaten der Arbeiterpartei, Stephan Sanders.

Eine provisorische Analyse der Stimmverteilung zeigt, daß die Arbeiterpartei in allen, außer zwei Typen von Wahlkreisen vor der Konservativen Partei marschiert. Diese zwei Kategorien sind die englischen Grafschaften und die nord­

Wahlkreisen von London , den englischen Städten, den Städten von Wales und Schottland , den Grafschaften von Wales und Schottland , marschiert die Arbeiterpartei an der Spize.

Wir haben gute Gründe, mit unserem Siege zufrieden zu sein. Aber das nächste Mal müssen wir trachten, ihn noch größer zu gestalten. Die volle parlamentarische Mehrheit ist das Ziel, das uns vorschwebt.