Morgenausgabe
Ar. 277
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Sonntag
16. Juni 1929
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V. Sch. Madrid , 15. Juni. ( Eigenbericht.) Die Bermittlungsaftion des Japaners Adatschi zwischen der deutschen und der polnischen Delegation über die Liquidationsfrage bauerte bis in den Sonnabend hinein. Mitten während eines Festempfanges der Delegationen beim spanischen König zogen sich Vertreter Deutschlands und Polens in verschwiegene Räume des Schlosses zurück und verhandelten unter dem Vorsiz Adatschis und unter Zuhilfenahme spanischer Vermittler bis 3 Uhr morgens. So spät in der Nacht soll im Königsschloß seit Philipp II. nicht mehr gearbeitet worden sein.
Adatschi brachte heute vormittag feine Vermittlungsvorschläge
zu Papier . Um diesen Bericht wurde nun verhandelt.
Die Juffimmung Strejemanns wurde verhältnismäßig schnell erzielt, da Adatschis Vorschläge fast restlos den deutschen Wünschen entsprechen.
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Biel schwerer hatte es Adatschi mit Zaleski. Infolgebeffen verzögerte sich die Eröffnung der Ratssigung von 11 Uhr bis 1% Uhr. Adatschi verlas nun seinen furzen Bericht, der in folgende Borschläge gipfelt: Deutschland und Polen sollen in direkten Verhandlungen die einzelnen Fälle prüfen, in denen es sind hunderte! ehemaligen Reichsdeutschen die polnische Staatsangehörigkeit aber. fannt und ihr Eigentum liquidiert worden ist. Der derzeitige Ratspräsident Adatschi werde als umparteiischer Borsitzender amtieren oder einen neutralen Vorsißenden im Einvernehmen mit beiden Parteien bestimmen; sollte die Schiedskommission erkennen. dah in bestimmten Fällen die Aberkennung der polnischen Staatsangehörigkeit und die Enteignung zu Unrecht erfolgt ist, so werde den Geschädigten, dieses Eigentum reftlos zurüderstattet. In Fällen, in denen aus technischen Gründen eine Rückerstattung in natura nicht mehr möglich wäre, erfolge eine Barentschädigung.
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Damit war Stresemanns Vorschlag im wesentlichen angenommen, während noch am Tage vorher Zalesti die Zuständigkeit des Rates überhaupt bestritten hatte. Durch die Hinzuziehung eines neutralen Borsigenden ist die Möglichkeit einer Entscheidung in jedem einzelnen Falle geschaffen. Im September wird Adatschi über die Arbeiten dieser Schiedskommission berichten. Ist Deutsch land von den Ergebnissen dieser Prozedur nicht befriedigt, fo fann es den Haager Schiedsgerichtshof anrufen.
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Es besteht die Hoffnung, daß bis dahin auch die deutsch - pol nischen Handelsvertragsverhandlungen erfolgreich beendet sein werden, und dann dürfte die Angelegenheit unter den Tisch fallen, da die Polen mit diesen Enteignungen offenbar auf Deutsch land bei den Wirtschaftsverhandlungen einen Druck ausüben wollen. Stresemann hielt sich noch für verpflichtet, die gestrigen Anspielungen Baleffis auf den Oppelner Zwischenfall- zu zu beantworten, um so mehr, als gerade heute morgen aus Warschau Nachrichten eingetroffen waren, wonach der im höchsten Grade bedauerliche Oppelner Standal in Polen immer von den Nationalisten zum Anlaß einer großangelegten Agitation gegen Deutschland ge nommen wird. Stresemann ergriff unter allgemeiner Spannung das Wort; er sprach zunächst sehr ruhig und verbindlich, um Adatschi für seine Bemühungen zu banken und seine Zustimmung zu deffen
Volkspartei schafft Durcheinander. Verhinderung der Beitragserhöhung ist Verhinderung des Goforiprogramms.
Nachdem die interfraktionellen Berhandlungen über die Er. werbslosenversicherung an dem Gegensatz zwischen ber Sozialdemokratie und der Deutschen Boltspartei in der Frage Bei tragserhöhung oder Abbau der Leistungen gescheitert find, toucht die Frage auf, was nun geschehen soll.
Borschlägen auszudrücken. Dann steigerte fich seine Stimme, als er Borschlägen auszudrücken. Dann steigerte fich seine Stimme, als er betonte, daß der
Oppelner Zwischenfall mit der Enteignung nicht das geringste 3n fun
hat. Er wandte fich heftig gegen gewisse Interviews Baleffis in der spanischen Presse. in denen von der Oppelner Sache die Rede war. Stresemann brückte sein Bedauern darüber aus, daß man von der Gastfreundschaft Spaniens einen solchen Gebrauch mache. Er selber hätte Gegenäußerungen abgelehnt, um nicht diesem Bei spiel zu folgen. Weiter tabelte Stresemann, daß Balesti durch seine geftrige Anspielung in ein schwebendes Berfahren ein gegriffen hätte, denn der Völkerbundsrat sei bereits im Besitz einer polnischen Beschwerde und würde bis September darüber Bericht erhalten. Er habe als Außenminister ganz spontan im Aus wärtigen Ausschuß des Reichstages sein Bedauern über nahmen auf, die die zuständige preußische Regierung fofort ergriffen die Oppelner Erzeise ausgesprochen. Dann zählte er alle Maß hätte, und rief etwas erregt aus:
„ Ich frage den Herrn Bertreter Polens: was fonnte ein Staal mehr fun, als die preußische Regierung in diesem Falle getan hat?"
Endlich wandte sich Stresemann gegen die Ausnüßung der Affäre zu einer in stematischen Rampagne, die in feinem Berhältnis zur Bedeutung des Borfalls ſtehe.
Zum erstenmal hatten die Pressevertreter ihre Senatorensize verfaffen und umlagerten den Ratstisch, inn tein Wort der Erwiderung Balestis zu verlieren. Aber diese Antwort war nur furz, ruhig und höflich.
Jaleffi versicherte, daß er die Anspielung auf Oppeln in den von Stresemann erwähnten Jnterviews in der spanischen Presse nicht veranlaßt hätte, daß er stets bemüht sein werde, konfliffe mit Deutschland zu vermeiden
und, wenn solche entstanden seien, auf gütlichem Wege aus der Welt zu schaffen. So fand die Madrider Tagung nach einem aufregenden Schlußatt einen harmonischen Ausflang. Adatschi hielt eine patiyetische, mit höflichen Wendungen geschmückte Schlußansprache des Dantes des Bölferbundes an Spanien . Um drei 11hr war die Madrider Tagung beendet.
Stresemann wird Poincaré besuchen.
Madrid , 15. Juni. ( Eigenbericht.)
Der Gegenbesuch Briands an Stresemann wird in Madrid nicht mehr erfolgen; in der deutschen Delegation scheint man darüber feineswegs verschnupft zu sein. Man glaubt, daß Stresemann sich auf der Rüdreise in Paris mit Briand und auch mit Poincaré aussprechen wird. Sicher ist, daß Stresemann , der am Montag Madrid verläßt und über Barcelona zurückfährt, um die Ausstellung und die deutsche Abteilung zu besuchen, über Baris zurüdreisen wird. Er hat den Reichstagspräsidenten Löbe telegraphisch gebeten, die Plenarberatung des Etats des Auswärtigen Amtes vom 20. auf den 22. Juni zu verschieben.
es bei einigen Frattionen der Fall war". Das dürfte doch wohl barauf hindeuten, daß auch das Zentrum nicht bereit ist, im Kabinett dafür einzutreten, daß das ursprünglich geplante Sofort programm ohne Beitragserhöhung und Saisonarbeiterunter stigung dem Reichsrat zugeleitet wird.
Für die Sozialdemokratie ist jedenfalls die Situation Mar. Sie war und ist für eine Sanierung der Erwerbslosenversicherung. Durch das Sofortprogramm, durch das lediglich einige mig stände beseitigt werden, ist sie aber nicht zu erreichen. Deshalb muß nach wie vor daran festgehalten werden, daß auch für die Reichsregierung nur eine Vorlage in Betracht tommen fann, die über tragserhöhung und Regelung der Saisonarbeiter frage hinausgeht. Scheitert das an dem Widerstand der Deutschen Boltspartei, dann fällt ihr auch die Berantwortung für die Schwierigkeiten zu, die aus der Notlage der Erwerbslofenversiche.
In der Presse der Deutschen Boltspartei wirb ber langt, daß die Reichsregierung nunmehr das Sofortprobas ursprüngliche Sofortprogramm durch Einbeziehung der Bei gramm ohne Beitragserhöhung und ohne Saison. arbeiter unterstügung fofort an den Reichsrat weiterleitet. Man hofft, der Reichsrat werde diese Borlage in furzer Beit erledigen, so daß der Reichstag fie noch vor der Sommerpause
rung entstehen.
Ein Versprechen an die Javaner.
erhalten und bei gutem Willen auch verabschieden tönne. Man verhehlt sich dabei zwar nicht, daß große Schwierigteiten zu über. winden seien. Da die Regierungsparteien uneinig sind, so fönnten die Oppositionsparteien einen weiten Spielraum zu Störungsver fuchen haben, wenn von Fall zu Fall Entscheidungen mit wechselnden Bom holländischen Generalgouverneur. Mehrheiten getroffen werden follen. Selbst das aber würde teine Garantie für einen Enderfolg darstellen, weil in der Schluß. Amfterdam, 15. Junt.( Eigenbericht.) Der Boltsratin Batavia wurde vom Generalgouverneur abstimmung schließlich doch noch aus den verschiedensten Er wägungen eine Mehrheit gegen das Gefeßz zustande fommen tönnte. Graeff mit der üblichen Thronrede eröffnet. Er begrüßte die jetzt Ganz anders scheint man im 3entrum die fünftigen Maß auch von den niederländischen Kammern angenommene Ber nahmen anzusehen. 3war meint auch die Germania ". daß der faffungsreform und gab der Erwartung Ausdruck, daß poliReichsregierung jetzt die Aufgabe zufalle, den Parteien Borschläge tische und gesellschaftliche Freiheit eine aufbauende Politit er zur Durchführung eines" Scfortprogrammns zu machen. Sie fügt möglichen würden. Er stellte die teilweise Aufhebung der aber hinzu: Man darf annehmen, daß sich im Kabinett der ge. Rechts ungleichheit zwischen den verschiedenen Bevölke bieterische 3 wang zu einer Verständigung über die ersten rungsgruppen und namentlich die Gleichstellung der Chi und bringlichsten Maßnahmen günstiger auswirken wird, alsnesen mit den Europäern in Aussicht.
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Das Pariser Kabinett vor entscheidenden Beschlüssen.
Am Dienstag berät das Kabinett der französischen Republif über die auswärtige Lage, die sich aus dem Ab= schluß der Sachverständigenfonferenz geben hat.
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Bon den Regierungen der drei wichtigsten Staaten Europas ist heute die französische die einzige, der kein Sozialist präsidiert und der überhaupt fein Sozialist angehört. Ob es in absehbarer Zeit möglich sein wird, einen Gleichklang zwischen London , Berlin und Paris in dieser Beziehung herzustellen, steht dahin. Der Verlauf des Parteitags unserer französischen Genossen in Nancy bietet zur Beurteilung dieser Frage teine sicheren Anhaltspunkte. Grundfäßliche Gegnerin positiver Machtausübung ist die französische Sozialistenpartei feineswegs. Wir haben sie," schreibt Leon Blum im Populaire",„ niemals abgelehni und werden sie niemals ablehnen, wenn es gilt, sie auf dem Boden unseres Programms zu handhaben. Wir werden mit Notwendigkeit zu ihr geführt werden, sei es, wenn wir im beiterpartei, jei es, wenn wir, wie die deutsche gewählten Parlament die Mehrheit erreicht haben. sei es, wenn wir uns ihr so genähert haben wie die englische ArSozialdemokratie, das stärkste Element de allein möglichen Mehrheit geworden sein werden."
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Bon den drei Fällen, die Leon Blum anführt, ist ber dritte der wahrscheinlichste. Ob und wann er eintreten wird. fann jedoch von Berlin aus nicht beurteilt werden. Auszu[ prechen, daß wir uns über eine folche Entwicklung fret en würden, ist kaum notwendig. Es ist aber auch faum not wendig, hinzuzufügen, daß es sich hier um eine Angelegen heit handelt, über die zu entscheiden allein den franzöfifchen Sozialisten zusteht.
Obgleich wir in Deutschland ein Duhend Parteien haben, aibt es hier nur sehr wenige Leute, denen die Regierung Poincaré- Briand lieber ist als die Regierung Mac: donald Henderson. Diese wenigen refrutieren sich einmal aus den Schichten, die ihr international- tapitalistischer Instinkt überall nach der bürgerlichen Seite hinzieht, dann aber aus jenen ultranationalistischen Kreisen, die zur Regie: rung Poincaré- Briand das Bertrauen hegen, sie würde eine echte und vollkommene Aussöhnung der beiden Bölker schon zu verhindern wissen. Im allgemeinen aber besteht hier zulande bis in die sich ,, national" nennenden Kreise hinein eine lebhafte Sympathie für die neue englische Arbeiterregierung. Keinen, der die Geschichte der letzten zehn Jahre miterlebt hat, fann das wundern.
Indes dürfen die Schicksalsfragen der Außenpolitik nicht nach Sympathien und Antipathien entschieden werden. Selbst wenn in Frankreich die Herrschaften der„ Action francaise" regierten, von deren Theorien die gegenwärtige französische Regierung erfreulich weit entfernt bleibt, so würde das nicht das allermindeste an der Tatsache ändern, daß Franzosen und Deutsche gemeinsam die Mitte des europäischen Kontinents bewohnen und daß von ihrem Verhältnis zueinander Krieg oder Frieden für Jahrhunderte abhängt. Darum muß die Außenpolitik der deutschen Sozialdemokratie auf die Her stellung eines ehrlichen und unzerstörbaren Freundschaftsverhältnisses zwischen Frantreich und Deutschland gerichtet bleiben, ganz gleichgültig, wie die augenblickliche franzöfifche Regierung aussieht und ob sie uns besser oder schlechter gefällt als die eines anderen Landes.
Es würde einen bedauerlichen Rückschlag in einer hoffnungsreichen außenpolitischen Entwicklung bedeuten, wenn man sich in Deutschland durch die nur zu verständliche Sympathie für Macdonald verleiten ließe, Frankreich zugunsten Englands zu diskriminieren.
Bon der englischen Arbeiterregierung erwartet man, daß fie auf außenpolitischem Gebiet eine starke Attivität entfalten wird. In der Innenpolitik stößt sie auf erhebliche Schwierigkeiten, aber wenn sie für Abrüstung, Räumung der befepten Gebiete und internationale heit des englischen Volkes hinter sich. Wenn sich in Franker ständigung eintritt, weiß fie die ungeheure Mehrreich verhärtete Reste einer alten Kriegsgesinnung länger be= haupten fonnten als in England, so hat auch dies seine durchaus verständlichen Gründe, denn England hat die Schrecken der Invasion nicht fennen gelernt, und es hat teine zerstörten Gebiete. Für England war der Waffengang mit Deutsch land sozusagen ein weltgeschichtlicher Zwischenfall, für Frank reich war er eine afute Krise, hervorgegangen aus einem chronischen Zustand. Darum gibt es auch heute noch Fran zosen , denen der Mut fehlt, zu glauben, daß die Serie der deutsch - französischen Kriege im Jahre 1918 für alle Zeit abgeschloffen worden ist. Son ihre Kleingläubigkeit, ihr durch nichts zu besiegendes Mißtrauen für die Gestaltung der euro päischen Politik in der nächsten Zeit zum entscheidenden Faltor werden? Das ist die Frage, die jetzt vor der Entscheidung steht.