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Morgenausgabe

Nr. 283

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46.Jahrgang

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istodo

Vorwärts

Berliner Boltsblatt

Donnerstag

20. Juni 1929

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Konferenz in der Schweiz . Arbeitslose und Parteien.

Zusammentritt in vier Wochen.- Die Besprechung Stresemann- Poincaré.

V. Sch. Paris , 19. Juni. ( Eigenbericht.)

Der politische Ertrag des faum eintägigen Aufenthalts Strefe­manns in Paris scheint recht erfreulich zu sein. Troßdem die

Aussprache mit Boincaré nur etwa 4 Stunden bauerte, meil er und

Briand zu der angesetzten gemeinschaftlichen Sigung des Auswär­tigen und des Finanzausschusses eilen mußten, hat sie durch ius genügt, um eine

zu erzielen.

Einigung in den wesentlichsten Punkten

lleber die Notwendigkeit einer allgemeinen Regelung, um den Young- Plan in Kraft zu sehen und die politischen Konsequenzen aus der Reparationsregelung zu ziehen, die fich aus der Genfer Septembervereinbarung ergeben, bestanden teine Meinungsverschiedenheiten.

Die Frage des 3eitpunktes wurde ebenfalls erörtert. Briand hatte einen etwas späteren Termin vorgesehen, wohl aus innerpolitischen Gründen,

aber er ließ sich um so leichter befehren, als nicht nur Strese­mann, sondern auch Poincaré für einen möglichst baldigen Termin eintraten. Es ist demnach die zweife Julihälfte in Aussicht genommen.

In der Frage des Ortes der kommenden Konferenz einigte man sich ebenso leicht. Es gilt jetzt als ziemlich sicher, daß die Konferenz in einem Schweizer Ort stattfinden wird.

Formelle Beschlüsse fonnten natürlich nicht gefaßt werden, da das Einverständnis Englands, Italiens und Belgiens noch auf diplomatischem Wege einzuholen ist. Alle Schwierigkeiten dürften Alle Schwierigkeiten dürften nicht zu erwarten sein. Die politische Tagesordnung der Konferenz ist nicht näher präzisiert worden.

Es wird Schluß gemacht...

Ein Aufruf und eine Antwort.

Der kommunistische Parteitag hatte am Schluß seiner Berhand fungen die Veröffentlichung eines Aufrufs an die deutsche Arbeiterschaft beschlossen. Dieses Dokument wurde am Diens­tag auch im kommunistischen Kämpfer" in Chemniz abgedruckt. Es heißt darin: Arbeiter und Arbeiterinnen! Macht Schluß mit der Partei des Arbeiterverrats und des Arbeitermordes, mit der SPD.!"

In der gleichen Nummer muß der Kämpfer" aber die Antwort mitteilen, die die Chemnizer Arbeiter und Arbeite­rinnen den Kommunisten auf die Berleumdung der Sozialdemofra­tischen Partei erteilt haben. Das Blatt berichtet nämlich in vorsich tiger Form, daß die revolutionären Arbeiter" bei den Eltern= beiratswahlen am Sonntag die fommunistische Arbeit schmählich im Stich gelassen haben.

Während nämlich die sozialdemokratischen Listen im vorigen Jahre 6996 Stimmen und 126 Mandate erzielten, wurden diesmal für die Sozialdemokratie 7341 Stimmen abgegeben und 141 Man­date errungen. Leider hat dieser sozialdemokratische Gewinn nicht die großen Berluste ausgeglichen, die den weltlichen Listen durch das Bersagen der Kommunistischen Partei zugefügt worden sind. Die Kommunisten erhielten nämlich nur 2287 Stimmen gegen 3561 im vorigen Jahre, sie haben also 1274 oder 36 Proz. ihrer Stimmen und damit 20 Mandate eingebüßt! Da die Sozialdemokratie nur 15 hinzugewonnen hat, ergibt sich für die weltlichen Listen ein Verlust von 5 Mandaten. Eine nähere Be trachtung der Wahlziffer an den einzelnen Schulen zeigt, daß den Nutzen aus den kommunistischen Mißerfolgen überall die chriftlichen Elternvereine davongetragen haben.

So hat auch die Chemnitzer Elternratswahl gezeigt, daß die Kommunistische Partei nur noch eine Stüße der Re­aftion ist, mit der so schnell wie möglich Schluß gemacht werden muß!

Gerüchte um Hindenburg .

Im Laufe des Mittwochs fursierten in Berlin Gerüchte, daß Reichspräsident Hindenburg , der fich zurzeit in Dit preußen befindet, das Opfer eines Unfalles geworden sei. Bon anderer Seite wurde behauptet, er sei erkrankt.

Amtlich wird demgegenüber festgestellt, daß der Reichspräsident sich der besten Gesundheit erfreut.

Daß das Rheinland mit dem Inkrafttreten des Young- Planes geräumt werden wird, steht auch bei den Franzosen außer Zweifel.

Es fragt sich nur, inwieweit sie die Bedingungen der Räumung in einer Weise bestimmen wollen, die deutscherseits als befriedi gend aufgefaßt werden kann. Die Frage der Feststellungs- und Bergleichskommission sowie das Saarproblem sind in der heutigen Unterredung nicht näher erörtert worden. Im großen ganzen zeigt man sich auf beiden Seiten mit dem Ergebnis der heutigen Aus­sprache befriedigt.

*

Dr. Stresemann hat abends die Rückreise nach Berlin an­getreten.

Poincaré spricht neun Stunden.

Paris , 19. Juni. ( Eigenbericht.)

Am Mittwochnachmittag begann Ministerpräsident Poincaré in der Kammer mit der Verlesung seiner mit Spannung er­warteten Rede über die interallierte Schuldfrage und die Ratifikation der betreffenden Abkommen.

Poincaré , der, wie schon öfters, auch diesmal durch mög­lichste Breite und Ausführlichkeit seiner Erklärungen zu überzeugen hofft, hat ein Manuftript ausgearbeitet, dessen Verlesung etwa neun Stunden in Anspruch nehmen wird, so daß mehrere Sizungen erforderlich sind. Poincaré ist bereits im Besitz der Fragen, die seine Zuhörer an ihn zu stellen gedenken, so daß er sie gleich im voraus mit beantworten fann. Trotzdem ist natür lich eine lebhafte Diskussion vorauszusehen.

Liberaler Reformeifer gegen die Arbeitslosen. - Die Erhebungen der Reichsanftalt.

Die demokratische Reichstagsfraktion hat einen Beschluß angenommen, in dem der Kabinettsbeschluß, die Reform der Arbeitslosenversicherung zu vertagen, bedauert wird. Sie verlangt ,, Abstellung der Mißstände und Regelung der Saison­arbeiterfürsorge noch vor dem Auseinandergehen des Reichs­

tags" und fündigt entsprechende Anträge" an.

Wenn der demokratische Fraktionsbeschluß prophezeit, daß sich die Lage der Arbeitslosenversicherung infolge der Bertagung verschlechtern wird, so ist das richtig. Die Ver­antwortung dafür trifft aber die Parteien, die die Bei­tragserhöhung abgelehnt und damit die rasche Ver­abschiedung eines wirklich wirksamen Sofortprogrammes verhindert haben.

Auch das ,, Berliner Tageblatt" ist mit der Vertagung der Reform auf die Spätsommersession des Reichstags un­zufrieden. Es macht dieser Unzufriedenheit in einer Aeußerung Luft, die ein bemerkenswertes Eingeständnis enthält:

Es ist sehr zweifelhaft, ob in der Eile, mit der dann prozediert werden muß, und angesichts des fich häufenden Konfliktsstoffes die Sozialdemokratie die von ihr angestrebte, für die Arbeitslosen dentbar günstige Regelung durchsetzt.

In allen gewerblichen Kreisen hat der Beschluß des Reichs­tabinetts lebhafte Enttäuschung, ausgelöst. Das offenbare Bestreben der Sozialdemokraten, mit den Deutschnationalen zusam­men gegen Kompensationen in der Arbeitslosenfrage den proteftio­nistischen Wünschen der Deutschnationalen nachzugeben, hat lebhaft befremdet.

Daß die Sozialdemokratie bestrebt ist, die für die Arbeits­losen günstigste Lösung zu erreichen, trifft zu. Das ist ja auch die günstigste Lösung für die Gesamtarbeiterschaft, da erstens jeder Arbeiter von der Arbeitslosigkeit bedroht ist, die Unter­stützung also für jeden zur Schicksalsfrage werden kann und da zweitens jeder Abbau der Leistungen eine Erschwerung im

Im Laufe der Mittwochsizung gab Poincaré einen historischen Ueberblid der französisch- amerikanischen Schuldenverhandlun gen vom Jahre 1917. Neben ihm werden Außenminister Briand und Finanzminister Cheron in längeren Ausführungen die Not- Kampf um erträgliche Arbeitsbedingungen bedeutet. Zum wendigkeit der Ratifitation begründen.

Die Offenlegung der Steuerlisten.

Gozialdemokratischer Antrag.

Nachdem die sozialdemokratische Reichstags: frattion dem Reichstag einen Antrag zur Offenlegung der Steuerlisten vorgelegt hat, haben Zentrum, Demokraten und Bayerische Volkspartei eine Entschließung eingebracht, die eine Dentschrift über die Erfahrungen mit der Offen­legung der Steuerlisten in anderen Ländern fordert.

Aus dem preußischen Staatsrat. Die Beratung über das Konkordat auf den 28. Juni festgesetzt In einer Sigung des Verfassungsausschusses des preußischen Staatsrats erklärte am Mittwoch Ministerpräsident Dr. Braun, es sei wünschenswert, daß der Staatsrat das Konkordat baldigst zur Beratung stelle. Kultusminister Dr. Beder äußerte sich über den Inhalt des Konkordats. Die Fraktion der Arbeitsgemeinschaft forderte, daß der Staatsrat die Vorlage erst dann beraten solle, wenn man die Wünsche der evangelischen Kirchen fenne. Die Sozialdemokraten betonten, daß dem Wunsche einer großen Fraktion Rechnung getragen werden müsse. Darauf ent­schied man sich dahin, daß die Konkordatsporlage nicht schon in diesem Sizungsabschnitt, sondern erst am 28. Juni im Plenum des Statsrats beraten werden soll. Am Tage zuvor wird der Ber fassungsausschuß die Vorlage vorberaten.

Flaggenverordnung angenommen.

Der Staatsrat beschäftigte sich mit dem Entwurf einer Berord­nung des Staatsministeriums über das öffentliche Flaggen. Der Entwurf wurde mit 35 gegen 29 Stimmen bei Enthaltung der Kommunisten gegen die Stimmen der Arbeitsgemeinschaft ange ❘nommen.

Unterhausbeginn Anfang Juli. Eine Thronrede wird abgeschafft. London , 19. Juni( Eigenbericht.) Die Arbeiterregierung beabsichtigt eine parlamen tarische Neuerung insofern einzuführen, als sie die soge­nannte Herbst session des Unterhauses mit der Anfang Juli beginnenden parlamentarischen Session zusammenlegen will. Die Regierung läßt sich hierbei von dem Gedanken leiten, den Ver­luft an parlamentarischen Arbeitstagen, der sich durch eine neue Thronrede im Herbst zu ergeben pflegt, auszuschalten. Die Arbeiten des Unterhauses werden also Anfang Juli beginnen. Ende Juli wird das Parlament bis zum Herbst in Urlaub gehen, und im Oftober seine Arbeiten wieder aufnehmen.

I

Unterschied von der Sozialdemokratie wollen andere Parteien diese günstige Lösung nicht; denn sie vertreten nicht die Arbeiter, sondern jene Schichten, die das ,, Berliner Tageblatt" etwas schamhaft ,, die gewerblichen Kreise" nennt, nämlich die Unternehmer.

Das tritt in dem Berhalten der Volkspartei be­fonders fraß in Erscheinung. Nachdem der Plan, die Saison­arbeiter völlig schußlos zu machen, mißlungen ist, fommt sie jetzt mit neuen Anträgen. Unter dem Vorwande, daß die Kontrolle des Beschäftigungsverhältnisses unmöglich ist, sollen die Heimarbeiter aus der Versicherung herausgenom­men werden. Man will also das Elend der Heimarbeiter ver­größern. Auch die Arbeitnehmer mit einem Verdienst bis zu 10 Mart wöchentlich, alle jugendlichen Arbeitnehmer unter 18 Jahre und alle Erwerbsbeschränkten bis zu 50 Proz. sollen schutzlos gemacht werden. Natürlich denkt man auch nicht daran, die Grenze der Invalidität entsprechend zu ziehen, obwohl das doch dann die notwendige Schlußfolgerung wäre. Nicht genug damit, soll auf dem Umwege, daß der Arbeitslose von der Familie unterhalten werden kann, die Bedürftigkeitsprüfung eingeführt werden.

Die Volkspartei hat gleichzeitig ein neues System zur Herabdrückung der Unterstügungssäge aus­geheckt. Alle Arbeitslosen, die vor Eintritt der Arbeitslosig­feit über 39 bis 51 Wochen gearbeitet haben, erhalten nur 75 Proz. der gegenwärtigen Unterstützungsfäße, werden weniger wie 39 Wochen Arbeit nachgewiesen, gibt es nur 50 Proz. Unterſtügung. Im letzteren Falle würde das für einen Verheirateten mit Frau und zwei Kindern in den mitt­leren Lohnklassen 5 und 6 einen wöchentlichen Unterstützungs­jag von 7,43 M. bzw. 9,08 m. bedeuten. Infolge dieser geplanten allgemeinen Herabdrückung der Unterstützungsfäße ist nach Meinung der Volkspartei die Herausnahme der Saisonarbeiter nicht mehr nötig; für diese soll dann nur noch die Wartezeit auf 3 Wochen verlängert werden. Bei solchen fürstlichen Unterstützungs­sätzen braucht der Saisonarbeiter in den ersten 3 Wochen über­haupt nichts. Bei dieser Patentlösung soll auch die Ver­schiebung der Lasten auf die Wohlfahrtspflege vermieden sein In Wahrheit ist bei diesem System die Belastung der Ge­meinden noch größer, denn diese Unterstügungssäge bleiben weit unter den Richtfäßen der Wohlfahrtspflege, die Gemein­den würden also ganz allgemein ergänzend einspringen müssen.

Ein Verdienst wird man den Vorschlägen der Volkspartei nicht absprechen fönnen: fie zeigen, wohin die Reise gehen soll. Woher die Mehrheit fommen soll, die sich diese Vor­schläge zu eigen macht, bleibt freilich im Dunkeln. Tatsächlich bedeuten sie eine außerordentliche Erschmerung jeder im Rahmen der Vernunft und der Menschlichkeit bleibenden Reformarbeit. Sie zeigen zugleich, wie weit dieses Problem noch von der Reife ist und wie unmöglich das Verlangen der