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Nr. 29.

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in der Post- Zeitungs- Preisliste für 1896 unter Nr. 7277.

Vorwärts

13. Jahrg.

Jnfertions- Gebühr beträgt für die fünfgespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pf., für Vereins- und Bersammlungs- Anzeigen 20 fg. Inferate für die nächste Nummer müssen bis 4 Uhr nachmittags in der Expedition abgegeben werden. Die Expedition ist an Wochen­tagen bis 7 1hr abends, an Sonn­und Fesitagen bis 9 1hr vormittags geöffnet.

Lernsprecher: Amt 1, v. 1508. Telegramm- Adresse: " Sozialdemokrat Berlin".

Berliner Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.

Krin Anlaß zur Prüfung?! Ueber den Fall Brausewetter bringt der Reichs- Anzeiger" in seiner letzten Nummer, durch gesperrte Schrift besonders hervorgehoben, folgende allem Anscheine nach aus dem preußischen Justizministerium stammende Erklärung.

Bei der Berathung des Etats des Reichsjustizamts ist in der Reichstagssigung vom 1. d. M. durch den Abgeordneten Singer die Behauptung aufgestellt worden, daß der am 18. v. M. in einer Nerven- Heilanstalt verstorbene Landgerichts­Direktor Brause wetter vom Landgericht 1 hierselbst sich schon während der Ausübung seines Amtes im Zustande Der Geisteskrankheit befunden habe, und es hat sich daran eine Erörterung der Frage geknüpft, in welcher Weise gegen die unter Mitwirkung des Direktors Brausewetter erlassenen Urtheile Remedur geschaffen werden könne.

Dienstag, den 4. Februar 1896.

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Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.

neben den

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Was die Erklärung der Mitglieder der Straffammer Gar so weit hat es der Justizminister doch nicht bis aulangt, so steht das von den Herren abgegebene Urtheil zu seinem Kollegen, dem Minister für Medizinalangelegen­in grellem Widerspruch mit den Wahrnehmungen, welche heiten und die Erklärung im Reichs- Anzeiger" hätte schon mehrere völlig einwandsfreie Personen, die an Gerichtsstelle noch ein paar Tage Zeit gehabt. Mit der unseres Er­mit dem Verstorbenen verkehrten, wiederholt zu machen achtens haltlosen Erklärung im Reichs- Anzeizer" ist die Gelegenheit hatten. Nach unserer Meinung war die ärzt- Angelegenheit für die Deffentlichkeit keineswegs erledigt.- liche Untersuchung der Gehirumasse des Verstorbenen umum­gänglich nöthig. Nach uns zugegangenen Nachrichten sollen die Politische Uebersicht. Versuche, eine Sektion herbeizuführen, zurückgewiesen worden Berlin , 3. Februar. sein. Uns scheint, daß auch für die Regierung das Urtheil medizinischer Sachverständigen darüber, ob bei Herrn Der Reichstag hatte heute programmmäßig einen Brausewetter bis zum Schluß seiner amtlichen Thätigkeit großen Tag". Aber mit den großen Tagen" geht's wie nicht die mindeste Spur einer geistigen Störung hervor- mit den Revolutionen, sie lassen sich nicht machen, sie getreten ist" mehr am Blaze und maßgebender gewesen sein werden. Und das neue bürgerliche Gesetzbuch, das man müßte, als die Angaben des zu amtlichem Bericht auf- gern zu einem großen Tag", sogar zu einer Reihe von geforderten Landgerichts- Präsidenten und der Mitglieder großen Tagen" benußt hätte, enthält nicht das Beng der Straftammer. Daß übrigens nicht nur wir der Mei- für einen großen Tag". Das Haus hat sein Alltags­troz bürgerlichem Gesetzbuch. Gähnende Leere nung sind, daß Herr Brausewetter seit längerer Zeit geistig gesicht erfranft war, geht aus nachstehender Notiz hervor, die durch auf den Bänken. Dagegen feierliche Ausstattung der Re­die Presse geht: gierungs- und Bundesraths- Size- der Herr Reichskanzler Da eine Besprechung dieser zunächst die preußische Justiz­Die Aften über die Krankengeschichte des Landgerichts- ist da, was für sich allein schon ein szenisches Ereigniß; verwaltung berührenden Angelegenheiten im Reichstage nicht Direttors Brausewetter sind noch nicht geschlossen. Da Herr ferner Herr v. Schönstedt ist da, desgleichen Staatssekretär vorauszusehen war, so hat auch in der Sigung selbst eine Brausewetter unzweifelhaft in dem Schlußstadium der Geistes: Nieberding, Sprechminister und Staatssekretär für Alles: Erklärung durch einen Vertreter des preußischen Justiz- frankheit verstorben ist er litt vom ersten Tage seiner Ueber- Herr von Bötticher; ein Herr mit blauer Brille, der ministeriums nicht abgegeben werden können. Es wird daher hier führung nach Pankow in die Gnaud'sche Anstalt an Halluzina- Herr von Bötticher; ein Herr mit blauer Brille, der Justizminister geführt wird, ist der tionen, rief früh morgens:" Nehmt mir die Hunde aus dem Rath festgestellt, daß nach dem amtlichen Bericht des Landgerichts- Bett", riß sich nach dem Selbstmordversuch den Verband Geheime Bland, der Hauptverfechter des er ist blind. Ein anderer Präsidenten und der übereinstimmenden Erklärung der Mit- ab und dergleichen so ist eine amtliche Bernehmung vorliegenden Entwurfs glieder der Strafkammer, deren Vorsitzender Landgerichts- Direktor der behandelnden Aerzte erforderlich, welche unzweifel- Geheimrath, der sich mit ihm in die Vaterschaft theilt, ist Brausewetter war, bei diesem bis zum Schluß seiner haft erfolgen wird, sobald die ersten Anträge auf Revision der sehr schwerhörig, denn er hält, wenn ein anderer spricht, von Brausewetter gefällten Urtheile eingehen. Das Urtheil der stets die Hand muschelförmig hinter das Ohr. Taub und amtlichen Thätigkeit auch nicht die mindeste psychiatrisch geschulten Aerzte geht übereinstimmend blind das ist ein wenig versprechendes Omen. Spur einer geistigen Störung hervorgetreten ist und dahin, daß die Krantheit bereits ein bis zwei Begründet wird der Entwurf von Herrn v. Nieber­baß er insbesondere in der legten von ihm Jahre latent war; alle früher bei der ersten Nachricht von bing, der so viel Gutes von ihm sagt, als gejagt werden der Erkrankung Brausewetter's von interessirter. Seite aus: geleiteten Sigung( am 17. Dezember v. J.), wenngleich gegangenen Mittheilungen, es liege nur Hysterie vor, werden sich kann, und noch etliches mehr. Er ist ziemlich bescheiden, unter nervöser Abspannung leidend, in voller geistiger als unzutreffend erweisen müssen, sobald die Sachverständigen und meint, mit dem Code Napoleon halte der Entwurf Klarheit und fachlicher Beherrschung des amtlich vernommen sind. feinen Vergleich aus, das liege aber an der schwerfälligen" Stoffes die Verhandlungen geführt hat. In Che die Regierung eine so bestimmte Sprache im deutschen Sprache. Mit Verlaub, Herr v. Nieberding. der Aeußerung eines Rammermitgliedes wird ausdrücklich Reichs- Anzeiger" führte, hätte sie ein Gutachten des Statt deutscher Sprache hätten Sie sagen sollen: Juristen­Psychiaters, in dessen Anstalt Brausewetter gestorben ist, deutsch , das in dem bürgerlichen Gesetzbuch wahre Orgien hervorgehoben, daß die erst in später Abendstunde erfolgte einfordern sollen, denn in welche Position bringt sich die feiert und das allerdings eine Satire ist auf unsere gute Publikation des Urtheils in der zuletzt verhandelten Sache eine Justizverwaltung, wenn nun doch durch ärztliche Sach- deutsche Sprache. Die Sprache, in der ein Lessing, ein ganz besonders klare und gewandte gewesen sei. Ebenso hat sich verständige festgestellt wird, daß dem Tode des Landgerichts- Goethe, ein Heine geschrieben, ist gewiß nicht unfähig, ergeben, daß alle von dem Landgerichts- Direktor Brausewetter Direktors eine mehrjährige geistige Krankheit vorhergegangen Gedanken auszudrücken, sie kann blos die Abwesen bis zum 17. Dezember v. J. schriftlich bearbeiteten Angelegen- sein muß. heit der Gedanken nicht so gut verhüllen, wie und Warum hat die Justizverwaltung nicht vor ihrem Ent- die französische Schwester der Unterschied heiten in peinlich sorgfältiger Art und nach augenscheinlich ein­gehendem Aftenstudium durchaus sachgemäß erledigt waren. schlusse, eine Prüfung der Angelegenheit nicht vorzunehmen, zwischen dem Code civil und dem bürgerlichen Gesetzbuch es ist der Unterschied Für die Justizverwaltung liegt daher kein Anlaß vor, ein Votum der Wissenschaftlichen Deputation für das ist kein bloßer Stil unterschied in eine Prüfung der Frage einzutreten, ob und wie gegen die Medizinalwesen eingeholt? Diese Deputation hat u. a. die zwischen der Blüthe der Bourgeoisie vor hundert Jahren Aufgabe, in gerichtlich- medizinischen Angelegenheiten thätig und ihrer Dekadenz heute. unter Mitwirkung des Landgerichts- Direktors Brausewetter zu zu sein und zählt die hervorragendsten Autoritäten, auch Der erste Redner aus dem Haufe war der Zentrums stande gekommenen Strafurtheile Abhilfe zu schaffen sei. Frrenärzte, zu ihren Mitgliedern. Neben dem Gutmann Rintelen. Er hielt von seinem Standpunkt ans Wir bedauern im Interesse der von der Brausewetter- achten der behandelnden Aerzte hätte ein Votum eine vortreffliche Rede und übte, soweit nicht seine religiösen Kammer in den letzten Jahren Verurtheilten, noch mehr aber der Wissenschaftlichen Deputation doch eine bessere Unter- und bürgerlichen Anschauungen eine unübersteigliche Schranke in Rücksicht auf das Rechtsbewußtsein des Volkes, daß die lage für die Entschließungen der Justizverwaltung gegeben, bildeten, scharfe und treffende Kritik. Nachdem er, im Ein­Justizverwaltung keinen Anlaß findet, sich mit der Nach- als die Berichte der Brausewetter'schen Amtskollegen, die klang mit dem Beschluß einer Konferenz von Vertrauens­prüfung der unter Mitwirkung Brausewetter's zu stande sich ja selbst einer schweren Unterlassungssünde bezichtigen männern aller Fraktionen, den Vorschlag gemacht, die ganze gekommenen Strafurtheile zu befassen. würden, wenn sie anders berichtet hätten. Vorlage einer Kommission zu überweisen, die dann ja nach suchte ihr Doktor Langenberg oft zerstreuung zu bieten. Er führte sie öfter ins Konzert und Theater.

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Clotilde.

( Nachdruck verboten.)

Noman aus der Gegenwart von H. W. M. von Walthausen.

Aber etwas war ja schon erreicht, er war hier; nun galt es aufzupassen, er nahm sich vor, den gleichgiltigen, aber aufmerksamen Beobachter zu spielen.

Sein angeborener guter Humor erwachte wieder, er begann über sich selbst zu spötteln.

Er sah sich schon selbst umstrickt von der schönen Sirene; sah sie schon verführerisch eintreten. Mit freund­lichen Blicken, holdem Lächeln, süßen Reden, würde das schöne Weib auch ihn überwältigen, so daß auch er, statt ihr den Hals als Rächer umzudrehen, bezwungen von ihr ein beruhigendes Tränkchen in den Hals gegossen bekam. Zur äußersten Vorsicht legte er daher seinen Revolver nicht allzu weit abseits.

Die schönste Zeit des Lebens, der Brautstand, brachte für Clotilde, für Eugen glückliche Stunden und Tage. Der vielbeschäftigte Arzt fand noch Muße, sein Bräutchen durch allerhand Aufmerksamkeiten und Gaben zu erfreuen.

Clotilde arbeitete an ihrer Ausstattung. Einige Freundinnen ließen es sich nicht nehmen, ihr zu helfen. Dabei wurde viel gelacht und genascht, denn der neue Hausbewohner Palavi schickte immer ausgesucht feine Süßigkeiten, um, wie er sagte, den Arbeitseifer der Damen anzuspornen.

Er wußte seine Geschenfe in stets zarter Weise und mit freundlichen Worten darzubringen, sodaß man sie annehmen und dabei noch herzlich lachen mußte.

Palavi war gefällig. Er errieth stille Wünsche und suchte sie, ohne daß man es ahnte zu erfüllen.

Dabei sprach er sehr verständig, man erbat seinen guten

Rath, er hatte sich bald unentbehrlich gemacht nnd war " Hans in allen Gassen" geworden.

Besonders verstand er sich darauf, Besorgungen und Einkäufe auszuführen. Er brachte immer das Beste und doch so unbeschreiblich billig.

Das Meublement zum neuen Hausstande der jungen Leute hatte er mit gutem Geschmack ausgewählt und so preiswerth angekauft, daß selbst Brambach darüber staunte, als er Palavi die ausgelegten Beträge hinzählte.

Palavi strich das Geld ungezählt ein, aber er be­trachtete, wenn er allein war, die Bankscheine genauer. Aber warum gerade die Bankscheine?

Balavi ließ den Zweck, weshalb er hier war, nicht aus den Augen.

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Einmal hatten sie sich Shakespeare's" Hamlet " ange­sehen.

Bei der Stelle, wo im Schauspiel dem König vom Bruder Gift in die Ohren geträufelt wird, war Clotilde wie ohnmächtig ihrem Eugen an die Brust gesunken, und als er sie darauf nach Hause gebracht, hatte sie ihn gebeten, er möge sie Ophelia nennen.

Ihrem Verlobten gelang es indeß bald, ihre frohe Laune wieder herzustellen, und nach und nach wichen diese traumhaften Zufälle ganz einer steten glücklichen Zu­friedenheit, die sich durch helles, fröhliches Lachen nur zu oft äußerte.

Wenn er Brambach zu Geldausgaben verleitete, so ge= Balavi war im Stillen beschäftigt, einen Polterabends schah es, um die Vermögensbestände und Geldsorten Bram- scherz einzustudiren. Man sah ihn regelmäßig jeden Tag bach's zu erforschen. Aber auch dieser war schlau. Palavi in eine nahe gelegene Wohnung gehen, die er für seine tam zu feinem Anknüpfungspunkte, doch suchte er seinen Dienerschaft gemiethet hatte. Dort speiste er. Wirth Brambach immer sicherer zu machen.

Georgine war, wie früher, auch jetzt nicht für kleine Geschenke unempfänglich. Sie war entzückt über die Hoch­zeits- Geschenke, die Palavi dem jungen Paare in wahrhaft fürstlicher Art zugedacht, als er sie ihr, im Vertrauen schon vorher zeigte.

Clotilde war überglücklich. Wenn Eugen kam, flog sie ihm entgegen und hatte ihm immer so viel zu erzählen, daß Langenberg faum zu Worte kam. Doch er hörte sie so gern reden, sie sprach so wohltönend, kindlich und naiv, ihr Lachen klang so herzlich.

Manchmal war sie jedoch plötzlich träumerisch ernst ge­worden, hatte Eugen umhalft und ihn an sich gezogen, als könne sie ihn verlieren und hatte geschluchzt, ohne sich im nächsten Augenblicke erklären zu können warnm.

Wegen dieses Anflugs von traumhaftem Traurigwerden

Doch warum nicht im Hause Branibach's? Palavi hielt sich seinen eigenen Koch, und hatte diesen nebst Familie von Italien mitgebracht.

Die Familie seines Eßkünstlers bestand, aus zwei Zwillingspaaren. Ein Jüngling von Ein Jüngling von 19 Jahren, der uns als Ganymed vorgestellt ward, hatte wie seine Zwillingsschwester, uns als Hebe bekannt, wunderschöne Gesichtszüge und echt klassische Körperformen. Das andere Zwillingspaar waren zwei sechzehnjährige Mädchen, eben falls sehr wohlgebildet, in denen wir die beiden Pagen wieder erkennen.

Die Mutter der Kinder, des Kochs Frau, war gestorben. Palavi ließ sie kaum vermissen, er sorgte für diese Familie in wahrhaft hochherziger Weise.

V

Diese fünf Personen sollten den Polterabend Scherz vorführen. ( Fortsetzung folgt.)