Morgenausgabe
Nr. 287
A 145
46.Jahrgang
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Sonnabend
22. Juni 1929
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Reichskabinett für Houng- Plan.
Als Grundlage für die Konferenz der Regierungen angenommen.- Gesamt: liquidation der Weltfriegsfragen gefordert.
Danach werden zu Beginn der Sitzung zunächst die Bericht erstatter zu den drei Etats des Auswärtigen Amts, der Kriegs. lasten und der besetzten Gebiete sprechen. Dann wird Reichsfinanzminister Dr. Hilferding das Wort nehmen, und zwar zum Kriegslaſtenetat.
Unter der Leitung des Reichsaußenministers, der an| in der die Dispositionen für die am Sonnabend beginnende AusStelle des erkrankten Reichskanzlers den Vorsitz führte. sprache zum Etat des Auswärtigen Amts festgelegt wurden. fand gestern vormittag eine Kabinettssitung statt. In ihr berichtete der Reichsaußenminister über die Tagung des Völkerbundsrats in Madrid und über die dort und in Paris geführten politischen Besprechungen. Im Anschluß an diesen Vortrag nahm das Kabinett Stellung zu dem Bericht des Sachverständigen. ausschusses vom 7. Juni d. J. Als Ergebnis dieser Beratungen faßte das Reichskabinett einstimmig folgen den Beschluß:
Hiernach ist beabsichtigt, zunächst die Vertreter der Opposition zum Bort tommen zu lassen. Im Anschluß daran wird Reichsaußenminister Dr. Stresemann erwidern und gleichzeitig die notwendigen Ausführungen zu seinem Etat machen.
,, Die Reichsregierung ist bereit, den am 7. Juni d. J. Ein näheres Eingehen auf die Reparationsfragen soll nach Mögin Paris von den Sachverständigen unterzeichneten Plan für die Lösung des Reparationsproblems als Grundlichkeit vermieden werden. Auch die Regierungsparteien, die dann lage für die Konferenz der Regierungen anzuneh- das Wort nehmen, wollen sich in dieser Frage zurückhaltung auf men; in notwendigem Zusammenhang hiermit erlegen. Am Montagabend soll die Aussprache zu Ende geführt ist gleichzeitig die Gesamtliquidation der noch werden. Die Regierungsparteien werden wahrscheinlich einen Antrag schwebenden Fragen aus dem Weltkriege herbeizuführen." einbringen, wonach der Reichstag den Beschluß der Reichsregierung Der Verlauf der außenpolitischen Aussprache. Reichsaußenminister Dr. Stresemann hatte am Freitag abend eine Besprechung mit den Führern der Regierungsparteier,
Das Getreidemonopol.
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Noch eine Ausschußsihung. Aus Schweden noch feine Aniwort.
Die Verhandlungen des Sachverständigenausschusses zur Rege
lung der Getreidewirtschaft sind auch in der gestrigen Gigung noch nicht zum Abschluß gebracht worden. Mit der Formulierung Des Berichts der Sachverständigen an das Reichskabinett wurde begonnen. Die voraussichtlich legte Sitzung des Ausschusses findet heute nachmittag um 2 Uhr statt. Dabei soll ein letzter Versuch unternommen werden, die Differenzpunkte, besonders auch hinsichtlich
des Stabilisierungspreises für Weizen, auszugleichen.
Die Verhandlungen des Staatssekretärs Heukamp mit der schwedischen Regierung über die Erhöhung der schwedischen Vertragszölle haben noch zu feinem Ergebnis geführt. Das schwedische Kabinett tritt erst demnächst zusammen, um zu den deutschen Vorschlägen Stellung zu nehmen.
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Die Führer der Regierungsparteien treten heute abend 6 Uhr zu einer Besprechung über die Agrarfragen zusammen.
Um das Sofortprogramm.
Heute interfraktionelle Besprechungen. Zentrum und Bayerische Voltspartei haben den Reichskanzler am Donnerstag im Hinblick auf den Antrag der Deut schen Volkspartei zur Erwerbslosenfrage gebeten, in einer interfrattionellen Sizung nochmals einen Versuch zur Erledigung der Reform der Erwerbslosenversicherung noch vor der Sommerpause des Reichstags zu machen. Die Reichsregierung war bereit, dem Wunsch der beiden Regierungsparteien zu entsprechen und hatte für Freitagnachmittag eine Parteiführerbesprechung einberufen. Die Sizung konnte jedoch nicht stattfinden, weil bereits vorher interfrattionelle Besprechungen wegen der Reparationsfrage angesetzt maren. Die Verhandlungen werden wahrscheinlich am Sonnabendnachmittag vor sich gehen.
Die Sozialdemokratie ist nach wie vor der Auffassung, daß die Fragen des Sofortprogramms, der Saisonarbeiterunterstüßung und der Beitragserhöhung im Interesse einer fachlichen Reform der Erwerbslosenversicherung zusammen behandelt werden müssen. Außerdem muß darauf hingewiesen werden, daß keine fachliche Reform möglich ist ohne Berücksichtigung der Erhebungen der Reichsanstalt über das Berufsschicksal der von der Arbeitslofenfürsorge am 15. März betreuten Erwerbslosen .
Der Antrag der Deutschen Volkspartei kann auf keinen Fall Grundlage der Berhandlungen bilden, da er eine Gesamtreform der Arbeitslosenversicherung bezweckt, deren Beurteilung erst möglich ist. wenn die ebenfalls von der Reichsregierung beschlossenen Arbeiten Sachverständigenausschusses vorauf
des gegangen sind.
neuen
zur Kenntnis nimmt.
Stresemann- Rede im Rundfunk.
Die Funkffunde beabsichtigt, die Rede des Reichsaußenminifters auf den Berliner Rundfunk zu übertragen.
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Die Gemeinheit enthüllt sich.
Hafenkreuzlärm im Reichstag.
Am Schlusse der geftrigen Reichstagssigung veranstaldie nationalsozialistischen Reichstagsabgeordneten Dr. Frid und Strasser Schimpforgien, wie sie in den übelsten Kaschemmen selten erlebt werden dürften. Als Strasser die Sozialdemokraten Buhälter" nannte, schnitt ihm ein Entrüstungssturm das Wort ab, Präsident Löbe verwies ihn und Frick aus dem Saal.
fang- und flanglos. Größer als die Lust an der Gemeinheit Beide Helden machten gelassen kehrt und verschwanden ist bei ihnen die Furcht vor dem Verlust der Diäten.
Womit diese Burschen genügend gekennzeichnet sind.
PPS. gegen die Pilsudski- Diktatur. Internationale Solidarität mit Polens Proletariat. Von einem Teilnehmer an den jüngsten sozialistischen Kund gebungen in Polen wird uns geschrieben:
Im Westen Europas hat die Sozialistische Arbeiterinternationale erfolgreich dahin gewirkt, daß Kriegsgefahren gebannt und Staaten gezwungen wurden, die Fragen der Reparationen und der Sicherungen auf dem Wege der Verständigung zu lösen. Nicht minder wichtig für den Frieden Europas ist es, auch im Osten die Völker einander näherzubringen. Im Osten gibt es eine ganze Fülle ungelöster wirtschaftlicher und politischer Probleme. Die Probleme sind überdies kompliziert durch direkte und indirekte faschistische Regierungsmethoden, wie in Litauen und in Bolen. Die sozialistischen Parteien der europäischen Oststaaten haben eine doppelt schwere und überaus verantwortungsvolle Aufgabe zu erfüllen. Vor allen Dingen gilt es, die Demo. tratie wieder auf der ganzen Linie zur Geltung zu bringen. mehr denn je ist das Schicksal eines Volkes das Schicksal auch anderer Völker, Der Kampf der arbeitenden Massen im Osten Euro pas für Demokratie und Frieden muß von den sozialistischen Par teien der westlichen und mitteleuropäischen Staaten mit allen Kräf
ten unterstützt werden.
In Bolens Hauptstadt, in Warschau , und in Polens größter Industriestadt, in 2odz, legte die sozialistische Bewegung durch große wirtungsvolle Kundgebungen Zeugnis dafür ab, daß sie guten Mutes und kampfbereit ist. Die Kundgebungen wurden durch die Teilnahme von Vertretern aus west- und mitteleuropäischen Staaten zugleich Demonstrationen für die internationale proletarische Solidarität. In War cha u sprachen die Genossen Vandervelde , Löbe, Cramp und Crispien. Die Redner wurden von den Massen begeistert begrüßt und ihre Ausführungen löften immer wieder spontane Beifallsstimmung aus. Die Teilnehmer waren einmütig überzeugt davon, daß die Vorstöße und Herausforderungen machtlüfterner Militärs episodenhafte Erscheinungen sind. Bleiben wird das arbeitende Bolt, dem troß allem die Zukunft gehört.
Neuer Often.
Bom Gutshof zum Bauerndorf.
Wenn doch der Junker von T... tom heute, fnapp anderthalb Jahr nach seinem unrühmlichen Abzug, seinen Herrensiz widersehen könnte! Er würde ebenso wie mir staunen über den Verjüngungsprozeß, der innerhalb weniger Monate einen altersschwachen Gutshof in ein jugendfrisches Dorf verwandelt hat. Die Deutsche Bauernschaft, die republifanisch orientierte fleinbürgerliche Gegenorganisation zum Landbund, hat hier mit Krediten des Reiches eine geradezu verblüffend rasche Erneuerung aller Lebensfunktionen erzielt: im November 1927 wurde der Besitz angekauft; im August 1928 zogen die Siedler ein, fleine Heuerleute aus dem Emsland , aus Oldenburg und Westfalen , und jetzt schon sehen sie mit gelassenem Vertrauen ihrer ersten Ernte entgegen. Man braucht also nicht Jahre, wie das in manchen Siedlungsgesellschaften gang und gäbe gewesen ist.
Fast unwahrscheinlich wirkt das Bild, das sich von der Kuppe einer Bodenwelle herab dem Beschauer überraschend auftut: inmitten der weiten, junigrünen Ebene, in diesem weltfernen Winkel des deutschen Ostens, wo Grenzmark , Pommern und Neumark einander berühren, ist ein friesisches Dorf entstanden. Breit ausladend erheben sich zu beiden Seiten der Straße leuchtenbrote Ziegeldächer von jenem unverkennbaren Typ, der in den Marschen bei Emden und Wilhelmshaven zu Hause ist. Wohnhaus, Stall und Scheune unter einem Dach, eine bautechnisch und betriebswirtschaftlich gleich praktische Anordnung. Die Siedler bestätigen das ausnahmslos.
Mitten in dem greisenhaft verschrumpften Gewebe des alten Gemeindeorganismus find hier die jungen Zellen der neuen Gehöfte emporgewachsen, eine neben der anderen: 30 Bollbauernstellen zu je 50 bis 60 Morgen, 8 Halbbauernstellen zu 30 Morgen, 17 Arbeiterstellen zu 7 Morgen, dazu fleine Stellen für einen Bäcker, einen Schmied, einen Krämer, einen Stellmacher und einen Schneider: das ist das Ergebnis der Aufteilung des Gutes, das bis dahin neben einem fnappen Duzend Bauern( die natürlich auf ihren Höfen verblieben sind) und einigen 20 armseligen Deputanten, die heute größtenteils auf den Arbeiterstellen angesetzt werden konnten, im Grunde nur einem einzigen Menschen Heimat und Existenz bot, eben dem hochgeborenen Schloßbefizer. Sechs weitere Güter werden hier in unmittelbarer Nachbarschaft in ähnlicher Form besiedelt. Wenn man sich den Prozeß weiter denkt, eröffnet sich für den gesamten Often bevölkerungspolitisch ein gibt dem Bauern das Land zurück, das ihm Fürsten und Ausblick von wahrhaft historischer Bedeutung. Die Republik .
Junker in vergangenen Jahrhunderten geraubt haben.
Fremd und tot liegt das Herrenhaus inmitten der neuen Dorfgemeinschaft. Was soll man mit seinen 32 Wohnräumen, was mit dem alten 20 Morgen großen Park anfangen? Eine Stadt, eine Krankenkasse fönnte hier ein ideales Erholungsheim für ein Spottgeld erwerben. Jegt verwittert der Bau, das Denkmal einer begrabenen Epoche, da niemand die Mittel für seinen Unterhalt aufwenden kann. Die Brennerei nebenbei ist bereits niedergerissen worden. Jeder Siedler hat sich ein paar Fuhren Steine gesichert, um weiterzubauen: Schweinebuchten, Scheunenraum und was ihm sonst zu eng dünkt. Verschwunden ist leider auch die Schnitterfaserne. Sie hätte als eine Art historisches Museum junterlicher Kulturarbeit späteren Geschlechtern erhalten bleiben müssen. Ein Haus was sagen wir! ein Stall, durch eine Längswand in zwei Gelaffe abgeteilt. In jedem Raum eine Pritsche für je ein Dugend Arbeiter und Arbeiterinnen. Kein Schrank, fein Spind, fein noch so fleines Schubfach. Nichts als die table Pritsche, die wüsten Wände und die blinden Fenster. Wie geradezu menschlich hatten es dagegen gleich nebenan Stall, dessen Fliesenboden und Kachelwände fast an die gedie zwölf Wagen- und Reitpferde des Barons in ihrem Stall, dessen Fliesenboden und Kachelwände fast an die gepflegten Räume im Schloß gegenüber erinnerten. Feudal
fultur!
Eine Dorfgasse führt zwischen einer Doppelreihe funkelDerbes ems= ländisches Plattdeutsch flingt uns entgegen. Ein fantiger nagelneuer Bauernhöfe aufs Feld hinaus. Siedler gibt Auskunft. Sieben Rinder zwischen 8 und 21 Jahren hat ermitgebracht. Sie helfen ihm, die 60 Morgen feines Besigtums zu bearbeiten. Die Anzahlungen bewegen sich zwischen 1500 und 4500 mt. Bei den gutseingefeffenen Deputanten, echten ostelbischen Landproletariern, genügt auch eine wesentlich geringere Barleistung. Hinzu kommt das tote und lebende Inventar.
Voller Stolz zeigt uns der neugebadene Bauer- in feiner Heimat ein fümmerlicher Heuermann seine Stuben, feinen Stall, sein Vieh, sein Land. 4 Milchkühe, 2 Pferde, 10. Schweine und 150 Legehühner. Auf 8 Milchkühe und 50 Schweine will er es bringen. Seinem ältesten Jungen möchte er eine Geflügelfarm errichten. But zwei Dukend junger Obstbäume zählt sein Garten. Einen neuen Schweinestall hat er in Arbeit. Wie der Winter hier oben war? Hart, aber erträglich. Das Haus hat sich bewährt. Die Ernteaus