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Morgenausgabe

Nr. 289

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46.Jahrgang

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Vorwärts

Berliner Boltsblatt

Sonntag

23. Juni 1929

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Dr. Roos freigesprochen!

Abschluß des Prozesses von Besançon .

Hochpolitischer Hochsommer.

Und Hugenbergs Sommertheater.

Noch im Laufe dieser Woche wird der Reichstag den Etat für 1929 mit einiger Verspätung endlich und endgültig verabschiedet haben. Dann geht er auf einige Wochen in die Ferien. Aber im Gegensatz zu früheren Jahren, in denen

Besançon , 22. Juni. ( Eigenbericht.) noch weniger für die behauptete finanzielle Unterstützung der mit dem Auseinandergehen der Abgeordneten auch das politi­

Jm Autonomiffenprozeß gegen Dr. Roos wurde am Sonnabend das Urteil gefällt. Es lautet auf Freispruch. Dr. Roos wurde sofort in Freiheit gefeht. Das Urteil wurde im Saal mit ungeheurem Jubel aufgenommen.

*

Der heutige letzte Tag des Prozesses Roos brachte die Plädoyers der Verteidigung. Als erster sprach Rechtsanwalt Klein, fteil­vertretender Bürgermeister von Straßburg , der den Prozeß als eine

Autonomistenbewegung durch Deutschland .

von

Besançon ist aber vor allem auf die Erkenntnis des unge Das freisprechende Urteil der Geschworenen heuren Schadens zurückzuführen, den die französische Sache im Elsaß durch das Colmarer Urteil erlitten hatte. Während Regierung und Kammermehrheit nicht begriffen hatten, daß sie durch Schaffung von Märtyrern dem Autono­mismus nur einen großartigen Aufschwung verliehen, und die Torheit sondersgleichen begingen, Ridklins und Mandate zu fassieren, waren die Bolfsrichter von Besançon besser beraten. Sie haben durch ihren Freispruch die Mög lichkeit geschaffen, die vergiftete Atmosphäre im Elsaß zu rei­nigen und den inneren Frieden wieder herzustellen.

politische Mache verurteilte, die Legende vom Komplott geißelte und den Freispruch forderte, weil dadurch dem Bruderkampf ein Ende bereitet und dem Elsaß der Friede wiedergegeben werden würde. Seinen Ausführungen folgte Beifall im Zuhörerraum. Hierauf plädierte der Pariser Rechtsanwalt Fourrier, der scharf Es ist im Laufe dieses Prozesses das Wort gefallen, daß tritisierte, daß das ganze Komplott auf Grund der Berichte von Besançon zum Locarno des Elsa B" werden müßte. zwei Polizeikommissaren, Bauer und Becker, aufgebaut werde. Dieses Wort scheint auf die Geschworenen einen starken Ein­Ihnen, so sagte Fourrier, glaube man, man glaube aber nicht den druck gemacht zu haben. Als am Dienstag der anerkannte Vertretern des Elsaß, nicht den Senatoren und Abgeordneten, die Autonomistenführer Ridklin als Zeuge vernommen wurde, als Zeugen erschienen seien. Man glaube zwei Bolizisten, die auf erhob sich ein Geschworener und richtete an ihr die Frage: Berichte von Polizeispigeln hin eine für das Elsaß und für Frank- ,, Glauben Sie, daß es noch eine Möglichkeit gäbe, den Frieden reich verderbliche Arbeit leisteten. im Elsaß wiederherzustellen und würden Sie sich verpflichten, dazu beizutragen?" Der Sinn dieser Frage war jedem flar und Dr. Ricklin antwortete unter atemloser Stille: ,, Jawohl, die Möglichkeit liegt in einem Freispruch des Ange­flagten und in einer Tilgung des Schandfledes von Colmar dann verpflichte ich mich ehrenwörtlich, mich mit allen Kräften für den Frieden im Elsaß einzusetzen!"

Dr. Roos hatte, bevor die Geschworenen sich zur Beratung zurückzogen, noch einmal die eidesstattliche Versicherung abgegeben, daß er niemals daran gedacht habe, das Elsaß von Frankreich zu trennen und daß er niemals mit deutschen Kreisen in Verbindung gewesen sei.

*

Dr. Roos war mitangeflagt im Colmarer Prozeß gegen Ridlin, Roffe und die anderen elfäßischen Autonomisten führer. Er war jedoch rechtzeitig in die Schweiz geflüchtet und infolgedessen nur in Abwesenheit verurteilt worden. Durch seine freiwillige Rückkehr in das Elsaß hatte er eine Wiederaufnahme seines Prozesses erzwungen. Freilich hatte er nicht damit gerechnet, daß die französischen Behörden das unsinnige Attentat gegen den Anhänger im Colmarer Bro­zeß, den Generalstaatsanwalt Fachot zum Vorwand nehmen würde, um den neuen Prozeß anstatt in Colmar nach Besançon , also vor innerfranzösischen Geschworenen, zu ver­legen.

Indessen hat der gesunde Menschenverstand dieser fran­ zösischen Geschworenen über den Verfolgungswillen der Be hörden gefiegt. Die Beweisaufnahme in Besançon nahm den gleichen Berlauf wie vor einem Jahr in Colmar : Troß der Befundungen verschiedener Polizeispiel ergab sie nicht den geringsten Beweis für die Existenz eines ,, Komplottes" und

Die Zollfragen.

Parteiführerbesprechungen erst heute.

Die ursprünglich für Sonnabendnadymittag vorgesehene Be­sprechung der Parteiführer mit dem Reichs ernährungsminister über die Frage der Zollerhöhungen ist auf Sonntagnachmittag 5 Uhr verschoben worden. In der Besprechung mit den Barteiführern, die je einen Sachverständigen ihrer Frattion mit bringen, soll über den Gesamttompler der 3ollfragen verhandelt werden. Es handelt sich außer um die Erhöhung der Getreidezölle auch um die 3ölle für Bieh und Fleisch, für Milch und Milcherzeugnisse sowie für Kartoffeln, ferner u. a. um die Schuhzölle. Am Montag­vormittag foll fich bereits das Kabinett mit dem Ergebnis dieser Parteiführerbesprechung beschäftigen.

Der Sachverständigenausschuß für die Frage des Getreide monopols setzte am Sonnabendnachmittag seine Verhandlungen fort. Die Verhandlungen werden am Montag mit der Anhörung von Bertretern des Müllereigewerbes zur Frage des Mahlzwanges fort. gefeßt.( Siehe auch Wirtschaftsteil.)

Chauvinisten gegen Poincaré . Die französische Regierung und die Frontkämpfer. Paris , 22. Juni. Der heute vormittag abgehaltene Ministerrat beschäftigte fich mit der für Sonntag geplanten Rundgebung von Organisationen chemaliger Frontfämpfer gegen die Ratifizierung der Schulden­abkommen, die mit der Ueberreichung einer Adresse an den Minister­präsidenten ihren Abschluß finden sollte. Die Regierung hat be schlossen, die Abordnung, die diese Adresse überreichen will. nicht zu empfangen, weil die in der Presse bereits veröffent lichte Rundgebung der Frontfämpferverbände durch beleidigende"

Dieser Zeugenausspruch Ricklins dürfte den Ausschlag bei der Geschworenenberatung gegeben haben. Es fragt sich nur, ob die Regierung aus diesem Urteil die notmendi gen Konsequenzen ziehen und eine Wiederaufnahme des Col­ marer Prozesses betreiben wird. Ob das rechtlich über­haupt möglich ist, ist eine sehr schwierige Frage, aber es be­steht fein 3meifel daran, daß es politisch unbedingt not wendig ist, wenn das Gelöbnis Ridlins erfüllt werden soll. Bir begrüßen den Freispruch von Roos nicht aus Sympathie für ihn oder die anderen Autonomisten, sondern als Borboten einer Entspannung im Elsaß , die sich auch auf die gesamten deutsch - französischen Beziehungen günstig aus wirfen müßte. Eine Verurteilung Dr. Roos' hätte eine neue Welle des Autonomismus links des Rheines und neue törichte Hoffnungen bei den Nationalisten rechts des Rheines erzeugt. Nur die Gegner einer ehrlichen Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich hätten Anlaß gehabt, sich über eine Neuauflage des Colmarer Fehlurteils zu freuen. fich über eine Neuauflage des Colmarer Fehlurteils zu freuen.

sche Leben einen gewissen Stillstand erfuhr, werden wir dies­schweren Rämpfen, an aufregenden Situationen und an mal einen hoch politischen Sommer erleben, reich an schicksalsschweren Entscheidungen. Die innerpolitischen Pro­bleme bleme Arbeitslosenversicherung, neue Schußzzolloffensive­werden troß ihrer Bedeutung besonders für die Arbeiter­flaffe eine Zeitlang in den Hintergrund treten, weil die internationale Politif in Deutschland und in allen

führenden Ländern der Welt das Feld beherrschen wird. möglich gehalten hätte, wird jene große internationale Schneller noch, als man es vor faum vierzehn Tagen für Regierungskonferenz zusammentreten, deren Auf­gabe es sein wird, nicht nur über das Pariser Sachverständi­genprogramm für eine endgültige Reparations= regelung zu verhandeln, sondern auch und zugleich die Räumung des besezten Gebietes zu beschließen, sowie die Erledigung des fomplizierten Saar problems in die Wege zu leiten. Mit anderen Worten: jene ,, Ge= famtlösung" der ungelösten Nachkriegsprobleme, die Briand und Stresemann vor nahezu drei Jahren in Thoiry ins Auge faßten, dürfte, wenn nicht alle Anzeichen trügen, noch in diesem Hochsommer gefunden werden.

Wir täuschen uns nicht über die Schwierigkeiten, die einer befriedigenden Lösung noch entgegenstehen, über die Heftigkeit der parlamentarischen und sonstigen Kämpfe, die sich in jedem Lande um die außenpolitischen Entscheidungen entbrennen werden. Die Nationalisten Frankreichs und Deutschlands rüsten zu einer Berzweiflungsschlacht gegen die Regierung ihres Landes, weil sie wissen, welche Katastrophe für sie die endgültige Liquidierung des Krieges bedeuten würde. Die französische Regierung wird es dabei nicht leichter haben als die deutsche, sondern eher schwerer: Die Zustimmung zum Young- Plan sett nämlich eine höchst unpopuläre Maß­nahme voraus, gegen die sich jahrelang nicht nur die Rechte, sondern auch die Linke, einschließlich der französischen Sozia­listen, auf das Heftigste gesträubt haben: die Ratifizierung des Schuldenabkommens mit Amerika . Selbst die Autorität Boincarés vermag den Proteststurm der Frontkämpferver­bände, des französischen ,, Stahlhelms ", nicht zu beschwichtigen: iegt muß jogar ein Poincaré den Vorwurf über sich ergehen laffen, daß er die Interessen seines Landes ,, verrate". Die Linke dürfte, trotz heftigsten Widerwillens gegen Zahlungen an die einstigen amerikanischen Bundesgenossen, die sie viel­leicht nicht zu unrecht als unmoralisch empfindet, sich mit dem Unvermeidlichen abfinden. Auch unsere französischen Partei­freunde sehen ein, daß dieses Ueberzeugungsopfer notwendig des Krieges in Europa nicht zu gefährden und um die deutsch - französische Verständigung nicht zu

Bendungen auf die Beratungen und die Entschlußfreiheit der Reist, um die endgültige politische und finanzielle Liquidierung gierung einen Drud auszuüben versuche. Den Frontfämpferverein gungen, die vorher um Genehmigung einkommen, soll lediglich ein furzer Aufmarsch und eine Kranzmiederlegung am Grabe des unbekannten Soldaten gestattet werden. Jede weitere Kund­gebung bleibt verboten.

Die nationale Frontfämpfervereinigung hat zu dem Beschluß des Ministerrats nach dem Temps" beschlossen, über den Beschluß der Regierung hinwegzugehen, also die Rundgebung ab zuhalten.

Der Religionsfriede in Mexiko .

Erste Folgen des Vertrages. Megifo- Cify, 22. Juni.

( Eigenbericht.)

Die Regierung hat im Zusammenhang mit der Beilegung des Kirchentonflittes die sofortige Inventurauf nahme aller Kirchen und firchlichen Gegenstände zweds llebergabe der kirchlichen Gebäude an die firchlichen In­

tanzen angeordnet. Das Epistopat ist seinerseits bereits eifrig bemüht, die versprengten und zum großen Teil außerhalb Meritos weilenden Pfarrer in ihre Sprengel zurückzuführen. Die allge meine Wiederaufnahme des Religionskultes wird für Ende Juni

erwartet.

Es handelt sich bei dem ganzen Kompromiß zunächst nur um die Beilegung der letzten Phase des Kirchenkonfliktes, der an sich bereits seit 1850 andauert. Die Probleme der Nationalisierung des Kirchenbensizes und andere schwierige Fragen sind mit dem Kom­promiß nicht aus der Welt geschafft. Sie dürften vielmehr schon in allernächster Zukunft beiden vertragschließenden Seiten eine harte Nuß zu fnacken geben. Im übrigen wird erwartet, daß die Ber­einbarungen zwischen Staat und Kirche in hiesigen reattionären reifen auf Widerstand stoßen. Immerhin ist die Regierung über­zeugt, daß durch die Verständigung mit dem Episkopat, im Innern eine wesentliche Beruhigung eintritt und die christlichen Rebellen sich beruhigen werden.

verzögern.

Darüber hinaus werden die Chauvinisten in Frankreich alle Hebel in Bewegung setzen, um die politischen Kon­sequenzen aus der Reparationsregelung hinauszuschieben. Auf die Regierung Boincaré- Briand wird bereits ein starker Drud ausgeübt, damit sie die Räumung nicht zugleich mit der Einigung über den Young- Plan bindend verspreche. In­wieweit sich die französischen Unterhändler von diesem Feld­zug werden beeinflussen lassen, bleibt abzuwarten. Bermut­lich werden sie versuchen, zur Besänftigung ihrer ,, nationa­len" Opposition alle möglichen Fragen in die Debatte zu werfen, die der kommenden Konferenz manche unangenehme Momente und vielleicht sogar manche frisenhafte Zuspizung bereiten merden. Dazu gehört die Feststellungs- und Ver gleichskommission" für das Rheinland, und auch bei der Saarfrage wird es an Schwierigkeiten nicht fehlen. Wenn aber die französische Regierung gut beraten ist, dann wird fie erkennen, daß die europäische Berständigung nicht durch Zugeständnisse an die eigenen Nationalisten erreicht werden fann, sondern nur im Kampfe gegen den einhei mischen Chauvinismus.

Das Gleiche gilt selbstverständlich für die deutsche Regierung. Aber vielleicht sind unsere Minister insofern etwas besser daran als ihre französischen Ge­genspieler, als der Feldzugsplan der Deutschnationalen ausgesprochen dämlich ist. Worin besteht er eigentlich? Der zügellose Rampf gegen den Young- Plan, den die Hugenberg . Thyssen und Genossen eingeleitet haben, ist im Grunde mit einem Worte zu erledigen: die Herren ziehen also den Dames- Plan vor! Sie würden es lieber sehen, menn Deutschland weiter mindestens 2,5 milliarden jährlich aufbringen müsse als im Höchftfalle 2,075 Mil­liarden. Sie würden es namentlich außerordentlich bc=