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Gonntag 23.IUM 1929
I Unterhaltung unö Luissen
Beilage des Vorwärts
Xola
Camlau: Z>ÄS»16116 A6»1lsA?6HHK
D i e drei Religionen. Dies also ist Jerusalem  , dieser kahl« graugelb« Stewferuch mit seinen zahllosen Bauplätzen, seinen zerstreuten Trümmerhausen, die nicht etwa Ruinen, sondern Baustein« junger Häuser sind und mit den schmalen ausgerissenen Gassen, die wie ausgetrocknet« Gebirg s däche Steingeröll mit sich schleppen. Di« Altstadt, die hinter der Mauer des Jafsatores beginnt, scheint zuerst wie in einer tiefen Höhle versunken. Da ist die neue Hauptstraße mit ihren geputzten Fremdenläden, den Selterbuden, den europäischen   Geschäften, wo sich das Leben der kleinen Bürger in harter mühsamer Arbeit ab rollt. Und auf ossenem Platz, vor der Post, wo sich vor den Schaltern Araber mit weißen Kopstüchern, uniformierte Engländer, junge Juden in der Arbeitermütz«, verschleiert« Frauen, Pilger, Mönche, amerikanische Reisende drängen, ragt hart, quadratisch nüchtern der weiße Uhrturm aus, der mit seiner europäischen Zeit die orien talische Muße und Träumerei zerschlägt. Jerusalem  , heilig« Stadt, bist du es wirklich, hat sich dein Gesicht so verändert, nach dem man sich au» der phantastischen Vorstellung der Kinderjahre wie nach einer mystischen Offenbarung sehnt«? Man ist zuerst verwirrt, ja» beklommen. Nickst ein erhabene, Antlitz, sondern verschiedenst« Gesichter starren aus diesem Labyrinth. Denn immer noch bauen die drei Religionen und zahllos« Völker an dieser Stadt, immer noch meißeln alle Sprachen, alle Rassen, vom hellsten Weiß bis zum tiefsten Schwarz ihre Züge in den schrosfen Stein. Dicht neben dem italienischen   Hospital steht der wuchtig« Bau des Abefsinierhauses, das sich die freie Negerrepublik errichtet hat. Bunt und golden funkeln die Zwiebcltürm« des Russenplatzes hin- über: auf der Straße nach Bethlehem   befinden wir uns plötzlich in einer deutschen Kleinstadt, der deutschen Kolonie, die mit ihren ge- pflegten Wegen und den grünen Oasen ihrer lieblichen Borgärten in das nordisch« Europa   zurückführt. Hier dieser mathematisch klar« Platz im Stil sirenger Sachlichkeit ist von jungen Ziowsten erbaut und bewohnt, und hinter dem Wohnviertel der christlichen Araber aufsteigend glänzt auf dem Hügel die jüdisch« Dillenkoloni« Talbiot. So stößt auch in dem neuen Jerusalem   aus engem Raum ein« West dicht an die ander«, jede hat sich starr und untermischt in ihrer Art erhalten und sondert sich von der fremden ab. Hier breitet sich ein Jnselreich von zahllosen Landschaften der Sitte und de» Blutes aus, ein kleines Abbild von Palästina, das heute noch immer die vcr- schiedensten und widerspruchvollsten Elemente umschließt. Dennoch, die Häuser des neuen Jerusalem   haben trotz aller Gegensätzlichkeit etwas Gemeinsame», das felsenfest Starre und Herbe des gelbbraunen Urgestein«, in das sie bei der Abenddämmerung ties zu verfinlen scheinen. Dies« Gebirg-stadt, fast tausend Meter hoch gelegen» ohne Bäume, ohne grüne Schatten, über die morgen« und abends der Wind jagt, über die jeden Mittag die Sonn« wie ein Feuer niederfällt, sie ist ohne Zärtlichkeit und Sanftmut. Jerusalem  rfte-nbart erst langsam seine wirkliche Schönheit, die nur eine inner- tiche» völlig eine Schönheit der gespannten und hingerissenen Seele ist. Dann beginnen diese Steine zu flüstern, zu weinen, ja. zu singen. Mag es die fanatische Verzückung irgendeiner religiösen «iiekt« sein oder ist es, ün neuen Jerusalem   vielleicht am reinsten sichtbar, der Crlösungswille der jungen zionistischen   Pionier«, ist« aus ihrer uralten Heimat«in neue» Heim des Friedens und der Gerechtigkeit für ihr Volk aufbauen wallen, immer ist es die grenzen- lose Hingab« für eine Idee und die wilde unerbittliche Kraft des menschlichen Opfer». Zwar auch hier steht eine geistig« Welt fre-nd und feindlich Gegen die andere, und sei sie vom gleichen Blut«. Die christliche Grabeskirch« wird allein von sechs Sekten, den Kopten, den GriechischiDrthadaxen, den Römisch-Katholischen  , von Griechisch-Ka- tholischen. Armeniern und Abessiniern bewohnt, die in verschiedenen Kapellen beten und sich oft an den großen Festen bitter befehden. Die christlich-arabische Welt hat sich von dem mohammedanischen Brudcrtum abgewarstst. Nicht zuletzt aber kämpft der zionistisch« Messianismu» der Tat und Wirklichkeit gegen den Messianismus der religiösen Träum«. Denn was verbindet noch den orientalischen Juden im Kastan. der die Stein« der Klagemauer streichest, mit dem jüdischen Einwanderer in der Arbeiterbluse, der die Stein« hart mit seinen Fäusten packt, um sie zum Neubau zu türmen? In der Altstadt. Gehen wir doch diesen beiden ehrwürdigen Juden in die Altstadt noch» und wir werden von der Neuzeit in das Mittelaster zurück- gezaubert werden. Sie schreiten langsam, mit aufrechtem fürst- lichem Gang, trotz der Hitze in prunkend« Sammetmäntel von leuchtenden Farben gekleidet, aus dein Haupt« rund« pelzbesetzte Sammetbarett», leibhaftig wandelnde Bilder Rembrandt  . Ihre Ge- sichter sirch von der Arbest tiefer Gedanken gezeichnet. Tief ver- funken in geistige Gespräche gehen sie durch das wuchtige Iaffator, die schlüpfrige Basarstrah« hinunter, hören nicht das laute Geschrei der Händler von den offenen Gemüseständen, lpüren nicht den beißenden Geruch der Fäulnis, der durch die Straßen schleicht. Die Gaste, eng wie ein Schlauch, schwillt über von Menschen. Ein arabischer Wasserverkäuser, den schön geschmiedeten Krug an der Hüfte, schlägt in klingendem Rhythmus sein« beiden Master- schalen gegeneinander. Dicht hinter ihm setzt ein Esel vorsichtig Hus vor Huf  , auf ihm reitet ein alter blinder Bettler, der sein« beiden Hände wie Teller ausstreckt und den Namen Mohammeds flüstert. Zerlumpte Kinder spielen zwischen den, Gedräng«, lesen Abfälle aui. kreischen und betteln. Eine unverschleierte Fellachin, eine arabische Bäuerin im verschmutzten, aber prächtig gestickten Gewände, das ihr bis auf die Füße niederfällt, trägt den schweren Korb voll Gemüse auf dem Kopf, ohne zu straucheln. M» sie zwei Deduinen überholen hast sie scheu ihr Tuch vor den Mund, um sich vor den fremden Männern zu verhüllen. Plötzlich tönt ein dumpfes Klopfen auf dem Stein, die Menge drängt zur Seite. Eine Prozession von Priestern in schwarzen Rährenhüten und düsteren Talaren stoßen ihr« lanqen Stäb« auf den Boden, um für da« Heiligtum, da« sie traaen Ehrfurcht und Raum zu schassen. In welchem Jahrhundert leben wir? Niemand würde erstaunen, wenn«in« Schar von Kreuz- rittern aus ein« Seitengaste sprengte, mn denUngläubiges zu kämpfen. Immer noch tönt dieselbe arabische Musik, bu nun aus serner Flöte zwischen bunten Seidenfetzen der zunge Basar- Verkäufer spiest, wüstenhast monoton, melancholisch und doch aus- xeizend bis zur Ekstase. In solchen Augenblicken möchte man fast die Europaisierung ver- wünschen, die zweifellos diese bunte Phontastik des Orients ver- Züschen  , ja. vielleicht völlig vsmichten wird. Aber der Durchgang dukth die europäische   Zivilisation ist notwendig und-mabwendbar.
Dieser Zauber von Tausend und einer Nacht ist nur noch der zer- schlissen« Prunk einer vergangenen Kultur. Denn wer tiefer blickt. gewahrt hinter der malerischen Pracht den Schmutz und die Ver- wahrlosung, hinter dem romantischen Frauenschleier die Sklaverei, durchschaut hinter der schönen Gebärd« des Orientalen den ver- hängnisvollen Fatalismus und Aberglauben. Ein« zwölfjährige Mutter. Dom Basar führen stockfinstere übelriechende Gänge in die hinteren Höf«, wo sich eine Wohnhöhle an die ander« reiht. Auf dem nackten Boden ein«? kellerartigen Raumes liegt ein Säugling, bei einer Hitze von dreißig Grad in dicke Wolldecken verschnürt, die kleinen Arme fest an die Brust gebunden. Fliegen kriechen über die wunden Augen, das schmutzverklebte Gesicht. Neben dem Kinde kauert die kleine zwölfjährige Mutter, die zweite Frau eines siebzig- jährigen Greises, der sich genug erspart hatte, um das Mädchen von ihren Eltern durch sein« Brautgab« zu kaufen» und der am Tage stundenlang ün arabischen   Kaffeehaus über die Wasterpfeif« brütet. Diese kindhafte Mutter mit schönen dunklen, tierhaft sanften Augen, preßt zärtlich das Kind an sich und hüllt es noch fester in seine Lumpen. Hier ist Armut, die nichts von sich weiß und in den gleichen Gasten lebt sogar aufgehäufter Reichtum, der das Geld geizig in der Erde versteckt, zu unwistend, um es sinnvoll zu g«< brauchen. So dämmert das arabische Bolk, das heute noch die Mehr- zahl der Bevölkerung Palästinas   bildet, im Analphabetentum ohne Erziehung dahin. Die Herrenschicht der reichen Effendns aber ge­bildet« kultiviert« Leute hat kern soziales Empfinden für die Stammesbrüder, auf die sie meistens verächtlich herabblickt. Da» einzig« Bestreben dieser Kaste ist, die Formen des feudalistischen Systems aufrechtzuerhalten. Welchen Gegensatz bildet dazu die soziale Tätigkest der Zionisten im neuen Jerusalem  . Säuglingsheime nach modernstem Muster, Kindergärten. Schulen sind entstanden. Neben der Arbesterkranken- taste hat sich ein Organisattonszentrum für Hygiene und Gesundhests- pflege, die Hadasta, geblidet, die auch der arabischen Bevölkerung Rat und Hilf« gewährt. Diese soziale Arbeit gleicht der mühsamen Urbarmachung des Bodens. In den Armenvierteln der orientalischen Juden muß man noch gegen älteste Vorurteile, wie die frühe Kinderheirat, ja, die Kinderarbeit ankämpfen und die Mütter zur Kinderpflege erziehen. Bisweilen gibt es wunderbare Ueberraschungen. Als man den jemenitischen   Jüdinnen Heimarbeit verschossen wollte, brachten st«
köstliche Stickereien von berauschenden Farben und sinnvoller Orna- mentik au« ihren Schubläden hervor. So entfaltet« sich unter der Anleitung von europäischen   Frauen«in junges jüdisches Kunst- gewerb« von berückender Eigenart. Auch die soziale Arbeit der Missionsschulen lindert unermüdlich da« Elend: nur ist sie leider nicht frei von dem Fehler konfessioneller Einseitigkeit. Da» Gesicht des Propheten. Jerusalem  , die Stadt der unsichtbaren seelischen Schönheit, hat auch ihren Jahrmarkt der Religionen, wo die Erlösung in billiger Münze verhandest wird. Dicht vor der Klagemauer sind Bettlerinnen wie Lumpenbündel aufgereiht, vor der Grabeskirche werden Kerzen, Ostereier und Kreuze seilgeboten und nah« der Omarmosche« wnt mißtönend da« Bokschisch. der Bettelruf der Kinder. Aber dann, mitten aus dem Gewühl, taucht plötzlich ein Gesicht auf mit dem brennenden Glanz visionärer Schönheit: dreimal erschien«s auf unserem Wege. Es leuchtete in den Zügen eines singenden Chor- knaben, es loderte in den schwarzen Augen eine« mohammedanischen Büßers und ersirahtle christiushaft im Antlitz eines rotblonden Ghettojuden, der sich vor der Klagemauer wiegt«. Immer ist es dasselbe Gesicht des gottbegeisterten Propheten, der nur hier zwischen diesen öden Steinen wachsen konnte. Di« Gaste scheint zu Ende, wir stehen vor dem Tempelplatz, und als wir ihn betreten, weitet sich die schmutzige Eng« zu strahlen- der Weite. Da« Mittelalter versinkt und ein« steinern« Ewigkeit reißt den Raum aus. Dieser Platz mit den riesigen Steinquadern hat die gigantischen Dimensionen einer göttlichen Schöpfung. Di« grün- blau schimmernde Kuppel der Omarmoschee scheint sich auf seiner Mitte wie eine exotisch« Blume zu wiegen, am Rande stehen die Wölbungen der kleinen Kuppeln wie Knospen, und die schön ge- schwungenen Säulen und Treppen sind nur ein zitterndes Ranken- werk, das der Tempelplatz bis in die Unendlichkeit durchbricht. Hier stand der Tempel Solomons, von hier ging da« Urlicht der mono- theisttschen Religionen, das Keimblatt menschlicher Echik au«. Don hier sieht man weit über die kahlen Hügel Jerusalems  . Der Blick wandert von dem chrisllichen Oelberg   und seinen Klöstern zum Nachbarhügel, dem Skopus mit dem edlen Bau der hebräischen Universität. Er schweift von dem Kidrontal auswärts zu den zahl- losen Grabsteinen am Abhang, dem jüdischen Friedhof, einer ganzen Stadt von Toten und von dort hinüber zur Stadt der Lebendigen, Jüngsten, dem neuen Jerusalem  . Aber aus der Höhe dieses unsterblichen Platzes verschwimmen alle Rasten und Religionen. Jugend und Alter. Leben und Tod in «in einziges Gewimmel» m das eine vergängliches Menschengeschlecht, das bald hier, bald dort wie dünnes Gras ausspneßt, verwelkt und immer wieder neu zu keimen beginnt.
Steins Xiepmann:
3)ie große StilflofigkeH
An dem Tage, an dem«r Anm bei einer Heidewanderung kennengelernt hatte, war es geschehen, daß sie ihm die Arme um den Hals legte, ihn auf den Mund küßt« und sagte: Ich glaube, man kann dich sehr gern haben." Dieser einfach« Satz verwirrte ihn dermaßen, daß er sast zusammenbrach vor Liebe und plötzlicher Zärtlichkeit. Und als an diesem Abend das Geschäft, in dem er Lehrling war, ein« Nein« Feier veranstaltete, hatte er in seiner groß- spurigen und unbegreiflichen Weise ein« Schuld von 9l> Mark ge- macht, eine Schuld, von der er genau wußte, daß er sie unter normalen Umständen nicht zurückzahlen konnte. Er hatte das Geld in gemeiner Weise verjubelt, indem er dem ganzen Personal andauernd Schnap» und Liköre spendierte, und hinterher war ihm das alles ganz unbegreiflich, unverständlich, rätselhast gewesen. Er hoffte von Tag zu Tag aus irgend«ine Aenderung, ein Ereignis, einen Zufall, der es ihm ermöglichen würde, wenigstens einen Teil seiner Schulden abzubezahlen, und in dieser ihn stets erregenden Hoffnung schleppten sich die Wochen und Tag« hin. Die furchtbare Angst denn wenn Onkel Herbert es erfahren würde, würde er ihn bestimmt in eine Erziehungsanstalt geben hing nun seit Wochen über jeder Freude, jedem Lachen und jedem Ausruhen. Es schreckte ihn in jeder Stund« auf. Wenn der Geschäftsführer, Herr Meyer, ihn ernst ansah, meint« Martin, er wisse alle« und alles sei verloren, und wenn die Klingel In seiner Wohnung ging, schoß ihm dos Blut zu Kopf, und er glaubte, sein Onkel käme und alle» sei aus selbst aus seinen Träumen schrak er empor und tonnte in den schwarzen Nächten bis gegen Morgen nicht mehr einschlafen so daß er ausstand und einen endlosen Roman zu schreiben begann, ohne jede Absicht und Zweck, nur aus Not, und jeden Tag zerriß er, was er am vorigen geschrieben hatte. An einem dieser Abende fuhr er nach Dortmund   rt ist nur eine Station mit der Eisenbahn   und ging in die Straße, die man ihm als Bordell bezeichnet hatte. Er betrat diese klein« müde, geschäftige Gass«, in der rote Laternen brannten, mit wildklopfendem Herzen und einer großen Verzweiflung, und doch wollte er irgendeine Erlösung finden. Di« Mädchen standen in den Türen und öffneten die Mäntel, wenn er vorbeikam, und er sah, daß sie unter dem Mantel fast nackt waren. Andere lagen in den Fenstern, die Brüste quollen wie Berge heraus, sie lachten und flüsterten und lockten:Kleiner. Kleiner, Bubi, Liebling, komm', ich muh dir etwas sagen," da sah er aus, und er sah in dies« uralten, aufgedeckten Gesichter. In dieser Offenheit der Antlitze fehlte aber etwas, sah er, was Frauen haben: nicht die Nase, nicht der Mund, irgend etwas ganz andere»--, die groß« Hilflosigkeit schlug über ihm zusammen wie«in brausender Strom: das waren keine Menschen, die man begehren konnte, in deren Annen man still liegen wollte, bei denen man an seine Mutter denken konnte und auch an Anni das waren ja Apparat«, uad das Fleisch, fett und locker, quoll über die Rutztcile der Maschine hinweg er konnte sich nicht Helsen   er schrie, er lief, man sah sich nach ihm um eine Laterne erlöschte er rang nach Atem wie toll, bis er draußen war aus der Straß«. Verloren, alles verloren und verlogen und vorbei. Er rannte wie befesten durch die nächtlichen Straßen, erbrach sich immer wieder vor Ekel und Entsetzen urtf» betete zu Gott wie«in Kind und weinte zugleich, daß sein Gesicht naß war, aber er merkt« es gar nicht. In dieser Nacht kam er nicht nach Haus«, es war ihm ein Wunsch aufgetaucht, ein« große Begierde,«ine kleine Hoffnung, ein Ge- danke: Ruh«, Ruhei
Vor wenigen Wochen war er Jahre alt geworden. Di« Be- griff« verwirrten sich. Er sagte sich: ich bin ein Kind, ich müßte eigentlich lächeln und fröhlich und unschuldig, und«in wenig ein Lausejung« sein und dumme Streiche machen, aber nun hol mir Gott diese Zeit beschert, die ich mit mir herumtrage wie ander« Leute einen Buckel oder ein kürzeres Bein. Ich stehe nun hier und bin ein Dieb und«in zwiefach Verlorener durch ein Bordell und den kleinen Verrat eines Mädchens. Ich habe viele Roman« gelesen von Kindern und ihren Müttern, von Sonn« und Birkenwäldern, aber ich Hobe in meine-' ganzen Leben noch keinen Freund gehabt, und das ist kein Vorwurf, den ich mir machen kann. Ich bin zu allen gekommen, und ich habe gesagt:Seht, hier bin ich, ich lieb« euch, und ich bin jung, und ich weiß noch von nichts, lehrt mich, liebt mich, nehmt mich hinl Ich will nichts als daH Gute! Ich sehne mich nach nichts wie nach Verstehen und nach Würde!" Man hat mir gesagt: Du bist«in Kind der Kriegszeit: du kannst nicht verlangen, daß du es bester habest als die anderen Kinder, die früher denken mußten als ihr« Estern: warum willst du es bester haben? Deine Eltern sind ja nurauch" am Kriege g«- storben. Du hast als kleines Kind keine liebevollen Tanten und sonnigen Gasten und See und wilde Spiele und still« Abend« ge- sehen, nein, dein« erwachenden Augen sahen Jubeln über zigtausend Tote. du lerntest lesen und aßest täglich mit dem Essen den Bericht über Stellungskämpfe, Sturmangriffe, Gasangriff«, Gaskrieg. Tote, Erwürgte, Erstickte, und man jubelte: du hast nicht» zu fressen be- kommen als Not und Steckrüben. Was willst du eigentlich? Bei jedem Sieg habt ihr in der Schule Hurra schreien dürfen. Was?! Ihr hattet Hunger?! Ihr wart nicht lustig?! Eure Eltern hat der Krieg wahnsinnig gemacht und zersetzt? Nun schön, ihr seid allein zurückgeblieben und wißt nicht, daß eure Eltern gut waren, denn sie haben auch mitgeschrieen... Was? Ihr glaubt nicht an Gott  ? nun, dann glaubt doch an die Steckrüben und an dl« Mittelstandsküchen und die alten Männer, die auf den Straßen Kohlen aufsammelten! Männer habt ihr nicht gesehen, Väter, die gut und ernst waren? Wozu denn auch? Genügten euch nicht diese grauen, dreckigen Helden, dl« einmal auf acht Tage im Morden ein« Paus« machten, um bei euren Müttern in der Heimat zu schlafen? Saht ihr denn nicht die Gier, wenn sie kamen? Ihr habt doch alles gesehen, mit offenen Augen, was wollt ihr denn mehr? Ja, habt ihr nicht l»i« Gier nach euren jungen Leibern gefühlt, als die Männer knapp wurden? Habt ihr diese wundervolle, entsetzliche Hilflosigkeit nicht in euer Blut eingeimpft bekommen, Trvmmeln gehört und Musik, Fluchen und Fluchen und Fluchen... Wir haben ja niemals gelacht. Mein Gott, wir waren doch Kinder!!!" lAu» bem hebtn im Maldrm.Nerlaz. W.-n, erschein?" bei Ron«".MIchte eints alten»tnS««".)_ Bahnsteigkarten New Jork Hamborg. Die führenden New- Porter Schiffahrtsgesellschaften hatten vor einiger Zeit beschlossen, kein« sogenannten Quai-ttcket». die zum Betreten de» Schiffe« kurz vor der Abfahrt berechtigen, also gleichsam Schiffs-Bahnsteigkarten waren, mehr ouszugeben, da die Unordnung zu groß wurde. Bei der Abfahrt des Dampfer«Leviathan" stellte sich nun heraus, daß l2 Platze unbenutzt blieben. Die Aufklärung erfolgte jetzt vor einigen Tagen: Einige Rew-Porker Millionärssöhn« hatten diese Karten gelöst, um ihrem nach Europa   fahrenden Freunde das Geleit bis aufs Schiff geben zu können.