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BERLIN  Dienstag 25. Juni

1929

Der Abend

Erfeinttaglio enter Sonntags.

Sugleich Abendausgabe des Vorwärts". Bezugspreis beide Ausgaben 85 Pf. pro Woche, 3,60 M. pro Monat. Redaktion und Expedition; Berlin   SW 68, Lindenstr. 3

Spätausgabe des Vorwärts

10 Pf.

Nr. 292

B 145

46. Jahrgang.

66 Anzeigenpreis: Die einfpaltige Nonpareillezeile 80 Vf., Reklamezeile 5 M. Ermäßigungen nach Tarif. Bosscheckkonto: Vorwärts- Verlag G. m. b. H., Berlin   Nr. 37 536. Fernsprecher: Dinhoff 292 bis 297

Das Giftgas der Heimwehren.

Seipel und die Industrie rüsteten zum Bürgerkrieg.

Defterreich steht zurzeit unter dem Eindrud von Ent­hüllungen über die österreichische Abart des Faschismus, die Heimwehrbewegung. Seif einer Woche veröffentlichen der ,, Grazer Arbeiterwille" und die Wiener Arbeiter- Zeitung" fortlaufend Dokumente, die unwiderlegbar die Geldquellen, die Bewaffnung und die letzten Ziele diefer antidemokratischen Bewegung und ihre standalöse Förderung durch die Regierung Seipel die Gendarmerie- und Polizeibehörden bloßlegen. Diese Dokumente ftammen durchweg aus Heimwehrkreisen der Steiermark  , dem Bundesland, in dem die Heimwehrbewegung am stärksten anwachsen und mit tatkräftiger Unterstützung der ,, Alpine- Montangesellschaft  " als Beriebsfaschismus auch da und dort unter der Arbeiterschaft Fuß faffen konnte. Aus ihnen geht nicht nur hervor, in welch unerhörtem Maße die Bürgerkriegsrüstungen der Heimwehrverbände bereits ge­diehen find, sondern fie erklären auch, wie das Entstehen einer antidemokratischen Bewegung in Defferreich in solchem Um. fang überhaupt möglich wurde.

An sich fehlen in Desterreich die Borauslegungen für das Ent­stehen einer antidemokratischen. Behrorganisation nach der. Art der deutschen Stahlhelmverbände. Weder war und ist ein auch nur beachtenswerter Teil der österreichischen Bevölkerung. mon. archistisch eingestellt, noch gibt es eine außenpolitische Frage, wie die Rheinland  - oder Reparationsfrage im Reich, an der sich eine nationalfaschistische Bewegung hätte nähren können. Tatsächlich spielten auch bis 1927 die rechtsradikalen Wehrverbände der Frontkämpfer, des Heimatschutzes und der Heimwehr   eine völlig untergeordnete Rolle. Erst seit den Julitagen des Jahres 1927, an denen die Kopflosigkeit und die Unfähigkeit der Wiener   Polizei­direktion der Erregung der Bevölkerung über einen beispiellosen Fehlspruch eines Schwurgerichts vernünftig zu begegnen, zum Brand des Justizpalastes und in der weiteren Folge zur Bernichtung von 90 Menschenleben führte, begann die Heimwehrbewegung um sich zu greifen, jedoch bezeichnenderweise nicht ir sien, sondern in den Ländern. Denn nun fonnte man den Bauern draußen in den Gebirgsgräben, den aufgeregten Spießern in den Provinznestern meismachen, daß es sich am 15. Juli um nichts geringeres gehandelt habe als um einen bolsche wistischen, bewaffneten Aufstands= versuch der Sozialdemokraten. Aber diese von verkrachten Existenzen, beschäftigungslosen Offizieren und bramabarisierenden antisemi­tischen Provinzadvokaten getragene und aus einem einmaligen, zu­fälligen Ereignis emporgeschossene Bewegung in fürzester Zeit schon aus dem Mangel einer Idee sehr bald wieder in

das nichts bedeutungsloser Kriegspielerei und Krieger­

Mächte

-

vereinsmeierei

ätte zurüdfinfen müssen, wenn sich ihrer nicht andere soziale Mächte angenommen hätten. Gerade die entscheidende Rolle dieser Regierung und Industrie enthüllen nun die von ,, Arbeiterwille" und der Arbeiter- Beitung" veröffentlichten Doku­mente. Regierung und Industrieverband wußten, daß die Sozial­

demokratie durchaus auf dem Boden der Demokratie stand und steht; auch sind Gendarmerie, Polizei und Bundesheer   verläßliche bürgerliche Machtmittel. Aus diesem Grunde brauchte man gewiß feine Heimwehr. Seipels Heimwehrförderung entstand aus der parlamentarischen Situation in Desterreich. Er dachte sich im Kampf um den Abbau des Mieterschutzes gegenüber der Opposition eines unparlamentarischen Druckmittels

zu bedienen; dazu erschienen ihm die Heimwehren gerade geeignet. Das beweist die Tatsache, daß der erste Anstoß zu einer großzügigen Aufzüchtung dieser Bewegung nicht etwa von der Industrie, sondern in erster Linie von der Regierung ausging, wie das Protokoll über eine Besprechung der Heimwehrführer einwandfrei zeigt. In dieser am 17. Oftober 1927 abgehaltenen Besprechung konnte Dr. Steidle, der Innsbrucker   Advokat und erste Bundesführer der Heimwehren, berichten, daß es nunmehr gelungen sei ,,, eine Roope ration mit der Regierung" anzubahnen und daß nunmehr

die großzügige Finanzierung im Wege durch Banken, In­duftrien und Großgrundbesitzer gemeinjam erfolgen wird". Gleichzeitig stellte Dr. Steidle damals den Heimwehrführern den General des Bundesheeres Kasamas vor, den der Heeresminister Baugoin als Berbindungsmann zwischen dem Heeresministerium und den Heimwehren bestimmt hatte. Es ist sehr bezeichnend für den Zweck dieser Verbindung, daß Dr. Steidle damals erklärte ,,, er hoffe dadurch material aus den Heeresreferven für die Heimwehren verschaffen zu können". Ein vielleicht noch schlagen­

Wirkung aus der Ferne.

M

..

Dugenberg: Geltfam! Nun war ich absichtlich zu Stresemanns Rede nicht gekommen und habe doch die Backpfeifen abgefriegt!"

Zwölftausend nach Wien  !

Maffenbeteiligung am internationalen Jugendtreffen.

Das internationale Jugendtreffen in Wien  , das vom 12. bis 14. Juli stattfindet, hat auf die deutsche sozialistische Jugend eine ungeahnte Anziehungskraft ausgeübt. Nicht weniger als 3 wölf­tausend junge Genoffen und Genoffinnen werden die Reise nach Wien   antreten, um Teilnehmer der größten internationalen sozia­liftischen Jugendfundgebung zu werden, die jemals stattgefunden hat.

Un dieser Mafsendelegation find alle Bezirke des Reiches beteiligt. Die nächstgelegenen sächsischen Bezirke stellen die größte Teil­nehmerzahl. Je zwei Sonderzüge von Dresden  , Leipzig   und Chemnit befördern insgesamt rund 4500 Jugendliche. Den Sachsen   folgen die Berliner, die allein 1400 Teilnehmer stellen. In zwei Sonderzügen freten fie gemeinsam mit den Brandenburgern, Medien­burgern und Pommern   die Reise nach Wien   an. Eine stolze Leistung fann Hamburg   melden. Aus Hamburg   fahren, froh der riesigen Entfernungen, faft 12 00 Teilnehmer. Zwei Sonderzüge müffen die Jugend der Waffectante nach wien   bringen. Auch Schlesien  fährt mit einem eigenen Sonderzug. Er hat faft 800 Teilnehmer zu befördern. Ebenfo Thüringen  , das 700 Jugendliche stellt.

Selbstverständlich fehlt auch der Westen nicht in diesem Auf­marich. Er fendet feine 600 Teilnehmer in einem eigenen Sonderzug ab Köln  . Auch die Süddeutschen sind gut vertreten, denn sie haben einen verhältnismäßig furzen Weg bis zum Reiseziel. Bon Frankfurt und von München   fahren zwei stark besetzte Sonderzüge nach Passau  , und von dort werden am 11. Juli zwei Donaudampfer 1100 Jugendliche die Donau   abwärts nach Wien   bringen. Die Nürnberger haben sich mit den Württembergern und den Pfälzern vereinigt, 800 Teilnehmer stark fahren sie im Sonderzug von Nürnberg   nach Wien  .

Sechzehn Sonderzüge und zwei Donaudampfer müffen aufgeboten werden, um die zwölftausend den weiten Weg bis zum roten Wien   zu befördern. Es ist eine stolze Armee deutscher fozialistischer Jugend, die in den Abendstunden des 11. Juli in Wien  einziehen und in den folgenden Tagen als die stärkste ausländische Delegation an den Kundgebungen des Jugendtreffens teilnehmen. wird. Wir sind überzeugt, daß sie nicht nur durch ihre große Zahl fondern auch durch ihre Disziplin und Gefchloffenheit Zeugnis ab­legen wird von der Stärke und Geschloffenheit der deutschen sozia liffifchen Jugendbewegung.

derer Beweis dafür, daß die Heimwehrbewegung von der Regierung| Gerichten verfolgten Flüchtlingen weiter. Es ist stelbstverständlich. bewußt gezüchtet wurde, ist die Tatsache, daß der

Heimwehraufmarsch in Wiener- Neustadt   am 7. Oftober 1928 von der Regierung selbst gewünscht wurde. Konnte doch ein Heimwehrführer in einem Brief berichten, daß der Aufmarsch in Wiener- Neustadt   nicht nur ein Wunsch der Heimwehren, sondern auch Wunsch der Regierung ist". Nachdem jo die Regierung selbst den Anstoß gegeben hatte, griff auch der Industrie verband den Heimwehren energisch unter die Arme. Denn die Unternehmer waren, wie aus Klagebriefen der Heimwehren hervorgeht, ursprünglich nicht gewillt, wesentliche Summen für die Soldatenspielerei der Provinzadvokaten und Putschoffiziere zu opfern. Erst auf die Anregung Seipels hin floffen die Unterstützungen reichlicher. So konnte Dr. Steidle im November 1927 ben steierischen Heimwehrführern mitteilen, daß der

Industrieverband für die steierische Heimwehr allein einen Betrag von 55 000 Schilling als außerordentlichen Aus­rüftungsbeitrag bewilligt

habe. Daneben erfolgte noch eine monatliche Subventionierung durch den Industrieverband mit 4000 Schilling. Schließlich beteiligte fich auch der Großgrundbesitz und die Gremien der Kauf mannschaft an der Finanzierung der Heimwehren, so daß diese über ganz beträchtliche Summen verfügen konnten, die sie unter anderen auch dazu verwenden, um den Offizieren, die die militärische Ausbildung der Heimwehrleute leiten, recht annehmbare Gehälter zu zahlen. Die Art der Eristenzen, die da als Stabsleiter und Stabsoffiziere für die Organisierung des Bürgerkrieges befoldet werden, zeigt am besten die Person des Hauptmann Babst, der sich zuerst unter dem falschen Namen Peters in Innsbrud nieder­ließ und mit bezeichnender Beschleunigung die österreichische Heimat. zuständigkeit erwerben fonnte. Seit dem Heimwehrkurs der Regie: rung Seipel tritt dieser Kapp- Butschift ungeniert unter seinem Namen auf, verhandelt mit der Regierung, organisiert die Bewaffnung der Heimwehren und hilft so nebenbei rechtsradikalen, von den deutschen

daß die Industrie von dem Augenblick an, in dem sie größere Summen in die Heimwehrbewegung investierte, auch versuchte, das Möglichste aus ihr herauszuholen. So tam es, daß die Bewegung vor allem in Obersteiermart, dem Produktionsgebiet der größten öster reichischen Unternehmung, der Alpine- Montangesellschaft  , einen

betriebsfaschistischen Charakter

annahm. Deutschnationale, antisemitische Ingenieure und ehe malige Offiziere, die nun als Industrieangestellte tätig sind, besorgen dort das Geschäft, die Arbeiter durch rüdsichtslosen Terror in die Heimwehrorganisation zu preffen. Die große Arbeitslosigkeit, die Tatsache, daß fast die ganze Arbeiterschaft in diesem Gebiet in Wertswohnungen lebt und mit dem Brot im Weigerungsfalle auch das Obdach verliert, ermöglichen es den Heimwehren, hier und da bei den Arbeitern allerdings sehr fragliche Erfolge zu erzielen. Der Erfolg aber, den die Regierung Seipel vor allem mit den Heimwehren erzielen wollte, war die Einschüchterung der Sozialdemokraten im Parlament. So bekam das anfänglich recht verschwommene und bedeutungslose Raisonnieren einiger Provinzspießer über den Parlamentarismus seine von Seipel ab sichtlich unterstrichene Bedeutung, so wurde es den Heimwehrführern möglich, hochyverräterische Reden zu halten, den Kampf gegen die Verfassung mit Messer und Mistgabel zu predigen und nach denr Borbild Mussolinis

den Marsch auf Wien   anzukündigen.

Sie durften das, ohne daß ein Staatsanwalt sich um sie gefümmert hätte, meil Seipel diefe antibemokratischen Aeußerungen brauchte, um den Sozialdemokraten Angst um die österreichische Demokratie zu machen und so ihren Widerstand im Parlament zu brechen. Wie die Unternehmer an der Wiege der betriebsfaschistischen Tendenzen, so fland Seipel, der Bundeskanzler der Republik  , an der Wiege der Dadurch antidemokratischen Tendenzen der Heimwehrbewegung. wurde aber auch die früher bedeutungslose Soldatenspielerei infolge des Waffen- und Menschenmaterials, das den Putschoffizieren zur