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Morgenausgabe

Nr. 293

A 148

46.Jahrgang

Böchentlich 8531, monatfid) 3,60 22. tm boraus zahlbar, Bostbezug 4,32 M. einschließch 60 Bfg. Boftzeitungs- und 72 Big. Boftbeftellgebühren. Auslands abonnement 6.- M. pro Monat. *

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Vorwärts

Berliner Bolksblatt

Mittwoch

26. Juni 1929

Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.

Die etnipalttge Ronpareillezetle 80 Pfennig. Reflamezeile 5.- Reichs mart. Kleine Anzeigen das tettge brudte Wort 25 Pfennig( zuläffig awet fettgedruckte Worte), jedes weitere Wort 12 Pfennig. Stellengesuche das erste 2ort 15 Pfennig, jedes weitere Wort 10 Pfennig. Borte über 15 Buchstaben zählen für zwei Borte. Arbeitsmarkt Zeile 60 Pfennig. Familienanzeigen Zeile 40 Pfennig. Anzeigenannahme im Haupt geschäft Lindenstraße 3, wochentäglich von 8 bis 17 Uhr.

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Redaktion und Berlag: Berlin SW 68, Lindenstraße 3 Bernsprecher: Donboft 292-297 Telegramm- Adr.: Soztaldemokrat Berlin

Vorwärts- Verlag G.m.b.H.

Zurückgeschraubte Zollwünsche.

Das Agrarprogramm des Reichstags.

Im Laufe des Dienstag ist zwischen den beteiligten Barteien I weiter über die dem Reichstag vorliegenden Anträge auf Er höhung der Agrarzölle verhandelt worden. Die Berhand­Die Berhand. lungen führten zu einem Abschluß, der als Grundlage für die fommende Regelung betrachtet werden kann.

Die Stellung der Sozialdemokratie in diesen Verhandlungen mar dadurch gegeben, daß sich die auf Errichtung eines Getreide monopols hinzielenden Bestrebungen zerschlagen hatten. Damit war der Weg für eine organische Sanierung der für die 2igrarproduktion in Betracht kommenden Märkte verbaut. Die Sozialdemokratie bezwedte von Anfang an, in dieser Regelung vor allem den notwendigen Schuß für die großen breiten Verbraucher maffen einzuschalten. Nachdem das nicht in Form der anfänglich geplanten Maßnahmen gelang, fam es für sie darauf an,

eine Berfeuerung der Lebenshaltung der breiten Massen abzu­wehren. Das ist ihr in weitestem Maße gelungen. Der Erfolg ist um so höher einzuschäzen, da die Sozialdemokratie den anderen Parteien gegenüberstand, die sich für Zollmaßnahmen festgelegt hatten.

Hinsichtlich der Getreidezölle hat man sich dahin geeinigt, die 3ollsäge auf die im Handelsvertrag mit Schweden vereinbarten Zwischensäge zu erhöhen. Das bedeutet, daß der gegenwärtige Zwischenzoll von 5 bzw. 5,50 m. durch den sogenannten Schweden : soll von 6 bzw. 6,50 M. ersetzt wird. Hier gelang es der Sozial demokratie, den Blan zu zerschlagen, die autonomen 30lle ( 7,50 m.) auf 10 M. zu erhöhen. Die geforderte Erhöhung der autonomen Zölle ist damit abgewehrt worden und fommt nicht mehr in Betracht.

Abgewehrt wurde auch die Forderung, die Zuderzölle zu erhöhen. Es bleibt bei dem im vorigen Jahre festgesetzten Preis Don 21 Mart. Dazu tritt eine Unkostenvergütung( Report) von 15 Bf. pro Monat für die neuen Monate der Zuderfampagne. Da­nach steigert sich der Preis vom 1. Januar ab pro Monat um 15 Pf., so daß im September ein Preis von 22,35 M. erreicht wird. Vom Oftober ab trift dann wieder der normale Preis von 21 M. in Kraft. Der Zoll für Spätfartoffeln soll von 1,50 m. auf 2 M. erhöht werden. Diese Erhöhung hat angesichts des Kartoffelüberschusses int Deutschland faum praftische Bedeutung und dürfte sich nur dahin auswirken, die Einfuhr von Spätkartoffeln nach Ostdeutschland zu unterbinden.

Bezüglich der geforderten Anpassung der Lebendvichzölle an die Fleischzölle hat man sich dahin geeinigt, durch wirtschaftliche Maß­nahmen den Auswirkungen eines übermäßigen Bichimports nach Deutschland vorzubeugen.

Der Butterzoll wird von 27,50 M. auf 50 M. gesteigert werden. Gefordert wurden hier 80 M. Der Zoll von 50 M. ist aber be fristet. Er soll die Wirtung eines Erziehungs3olls haben. Darauf legte die Sozialdemokratie besonderen Wert, da die deutsche Sutter gegenüber der ausländischen nur wettbewerbsfähig werden fann, wenn sie in ihrer Qualität verbessert wird.

Der Sozialdemokratie ist es auch gelungen, die Pläne zu durch freuzen, die auf eine Ab broffefung der Gefrierfleischeinfuhr hinzielten. Hier sollte der§ 12 des Fleischbeschaugesetzes( Einfuhr von Fleisch nur mit Innereien) aufgehoben werden. Das geschieht nicht. Berhindert hat die Sozialdemokratie auch die Erhöhung Der Futtermittelzölle.

Poincaré zieht die Schweiz vor.

Obgleich England für London eintritt.

Paris , 25. Juni.

Nach Beendigung seines heutigen Exposés erklärte Ministerpräsident Poincaré in den vereinigten Rammer: ausschüssen im Hinblick auf die Besprechungen über die Wahl des Tagungsortes der bevorstehenden Re­gierungskonferenz, daß es der Wunsch der englischen

Regierung sei, diese Konferenz in 2ondon stattfinden zu lassen, daß es nach seiner Auffassung jedoch zwed. mäßiger wäre, sie in einem neutralen Lande, ant Besten in der Schweiz , stattfinden zu lassen.

in

der Fülle der auf der kommenden Konferenz zu erledigenden Gegen­stände taum anzunehmen, daß dort auch bereits die Saarfrage einer stände kaum anzunehmen, daß dort auch bereits die Saarfrage einer Lösung zugeführt wird. Dagegen muß es möglich sein, eine bindende Zusage der französischen Regierung auf Einleitung baldiger Berhandlungen nach der Konferenz zu erhalten. Die amerikanischen Sachverständigen in Washington Owen Young , Morgan, Lamont und Perfins wurden gestern Dom Staatssetretär Stimson Washington empfangen und berichteten ihm über ihre Eindrücke von der Pariser Konferenz. Staatssekretär Stimson , der das Staats­departement, d. h. die auswärtigen Angelegenheiten leitet, erklärte Nicht ungünstige Aufnahme der Stresemann- Rede. der Bresse , daß die vier Sachverständigen nicht offizielle Bertreter der amerikanischen Regierung feien und er sie daher auch nicht befragt habe, welche Schritte die Regierung unternehmen solle, um die neuen Jahreszahlungen Deutschlands in Kraft treten zu laffen. Die Entscheidung hierüber liege beim Präsidenten Hooper. Nach ihrem Besuch im Weißen Hause werden die vier Delegierten auch im Schazamt vorsprechen und sich mit Schagsekretär Mellon und Unterstaatssekretär Mills über die finanztech­nischen Einzelheiten besprechen.

Paris , 25. Juni. ( Eigenbericht.)

Die franzöfifche Regierung hat im Laufe des am Dienstag vor­mittag abgehaltenen Ministerrates beschlossen, die Aufnahme der Berhandlungen mit den an der Sachverständigenkonferenz be­feiligten Mächten über die Einberufung der diplomati. fchen konferens möglichst zu beschleunigen. Damit tritt erneut zutage, wie sehr der Regierung an einer raichen Erlepi. gung der Reparationsfrage im Hinblick auf die nötige Rafififation der inferalfilerten Schulden gelegen ist.

Ministerpräsident Poincaré verfolgt immer noch die Absicht, tie Ratifitation durch Detret vorzunehmen, obwohl faum anzunehmen ist, daß sich in einem der Häuser des Parlaments eine Mehrheit hierfür finden wird. Die Regierung fann auf die Rati­fitation der Schuldenabkommen durch die Kammer nur rechnen, wenn vorher bie Annahme des young- Blanes durch Deutschland gesichert ist. Dr Stresemann hat in feinen Ausführun gen in der Reichstagsfizung am Montag feinen Zweifel darüber gelassen, daß diese Annahme nur unter der Bedingung der au­mung erfolgen fann. Gegen die in der Rede Stresemanns ent­haltene fategorische Ablehnung der ständigen Kontrollfommiffion toird in der hiesigen Deffentlichkeit taum ernsthaft Proteft erhoben. Man legt die Erklärung des deutschen Außenministers lediglich dahin aus, daß Deutschland in eine Kontrollkommission bis 1935 milligen würde. Bir glauben ferner zu wissen, daß die französische Regierung auch einen etwaigen deutschen Antrag auf fofortige Löfung der Saarfrage nicht rundweg ablehnen würde. Sie würde allerdings in diesem Falle wahrscheinlich erheb­liche Konzessionsforderungen stellen, die sich nicht nur auf den im Vertrag festgelegten Rücklauf der Saargruben bezogen, sondern auch in Erjazansprüchen für den wirtschaftlichen Nachteil, den Frankreich durch eine vorzeitige Loslösung der Saar aus seinem Zollgebiet erleiden würde. Immerhin ist wegen

Ministerprozeß in Polen .

Pilsudstis Schatzfanzler vor dem Staatsgerichtshof.

arichau, 25. Juni.

Am Mittwoch um 11 Uhr vormittag beginnt der Prozeß gegen den ehemaligen Finanzminister Czechowicz. Den Borfih im Staatstelbunal wird Supinfti, Präsident des höchsten Gerichts hofs, führen. Unter den von den beiden parlamentarischen Körper­fchaften gewählten zwölf Beisitzern find u. a. der frühere Minister Thuguff and General 3eligowski, der Wilna - Putschift. Als parlamentarische Ankläger amfieren die Abg. Dr. Hermann iebermann( S03.), Dr. Pieradi und Wyrzykowski, während die Berteidigung Rechtsanwalt Pachalffi führt. Die Presse glaubt, daß Marschall pilsuditi persönlich vor dem Staatsgerichtshof erscheinen wird. Die Hauptverhandlung soll drei Tage dauern.

Das Reichskabinett verabschiedete in seiner gestrigen, laufenden Angelegenheiten gewidmeten Sigung den Entwurf eines Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Reichsminister( Reichs minister gefe 3) und den eines Gejeges über Zuschüsse aus Reichsmitteln für die Ansiedlung von Landarbeitern. Beide Ent würfe werden unverzüglich dem Reichsrat zugehen.

Bostscheckkonto: Berlin 37 536.

Bankkonto: Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten Wallstr. 65. Diskonto- Gesellschaft, Depofitentasse Lindenstr. 8

Notbehelf in Sachsen .

Kabinett Bünger auf schwankender Grundlage. Von Richard Lipinski .

Dresden , 25. Juni. Der Sächsische Landtag hat den bisherigen Volks bildungsminister Dr. Bünger mit 44 von 96 Stimmen bei 12 Enthaltungen zum Ministerpräsidenten gewählt.

*

Die durch das Urteil des Staatsgerichtshofs bedingte Neuwahl des Landtags brachte in dem proletarischen Sachfen am 12. Mai eine bürgerliche Mehrheit. Der Kommunistenschreck des Berliner Maitampfes hatte die Spießer auf die Beine gebracht. Waren im Jahre 1926 die Altsozialisten mit ihren vier Mandaten das Bünglein an der Wage und bildeten sie eine bürgerliche Regierung, so geben diesmal fünf Nationalsozialisten den Aus­schlag für eine Mehrheitsbildung.

Der Bürgerblock suchte nun die fünf Nationalsozialisten für eine Mehrheitsbildung bei der Wahl des Ministerpräsi denten zu gewinnen und wollte ihnen die Verantwortung zuschieben, falls sie versagten, um sie dann nach einer Auf­lösung des Landtages niederringen zu können. Dieser Plan ist ihnen vorläufig gelungen, denn zum dritten Male wurde gestern im Landtage die Wahl des Ministerpräsidenten vor­genommen und der Deutschvolksparteiler Bünger mit 44 Stimmen zum Ministerpräsidenten gewählt. Für den Genossen Fleißner wurden 33 Stimmen, für den De­motraten Innenminister Apelt 5 Stimmen, für Heldt 2 Stimmen abgegeben, während die Kommunisten zwölf weiße 3ettel abgaben. Nach Artikel 26 der sächsischen Berfassung wird der Ministerpräsident vom Landtag bei Anwesenheit von zwei Drittein der gesetzlichen Zahl der Ab­geordneten gewählt. Gewählt ist, wer mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen erhalten hat. Bei 96 anwesenden Abgeordneten, würde die Mehrheit 49 Stimmen sein. Da aber die Kommunisten 12 weiße Bettel abgegeben hatten, die nach der Geschäftsordnung des Landtags nicht mitgezählt werden, so waren 84 gültige Stimmen abgegeben worden, die Mehrheit also 43 Stimmen, und so ist Bünger mit 2 Stimmen Mehrheit gewählt. Nationalsozialisten und Kommunisten haben Bünger, das heißt dem Bürgerblod, im proletarischen Sachsen zum Siege verholfen.

Dieser Sieg ist aber nur ein Scheinsieg, denn nach Ar­tifel 27 der sächsischen Verfassung bedürfen die Minister zu ihrer Amtsführung das Vertrauen des Landtages. Jeder Minister muß zurücktreten, wenn der Landtag durch Zahl- also 49- der Abgeordneten faßt, ihm das Vertrauen ausdrücklichen Beschluß, den die Mehrheit der gesetzlichen entzieht oder seinen Rücktritt fordert. Da Altsozialisten und

Demokraten nicht für Bünger gestimmt haben, so ist ein zu bildendes Kabinett von ihrer Duldung abhängig. Es fann mit Hilfe der Kommunisten jederzeit gestürzt werden.

Dieser Abstimmung sind im bürgerlichen Lager einige Auseinandersehungen voraufgegangen. Die Nationalsozia­listen hatten ihre Unterstützung Büngers von einer Reihe Bedingungen abhängig gemacht. Sie wollten nicht Heldt, den bisherigen altsozialistischen Ministerpräsidenten; dem Innenminister Apelt wollten sie das Gehalt verweigern, fie wollten einen Demokraten auch als Voltsbildungsminister nicht dulden und schließlich sollte die sächsische Regierung im Reichsrat gegen den Young- Plan stimmen. Dem deutsch­gegen das Reichsfabinett, gegen Strefe polksparteilichen Minister Bünger muteten sie also zu, mann zu stimmen. Ob die Deutsche Bolkspartei dieses Joch auf sich genommen hat, steht dahin. Wenn dennoch die Nationalsozialisten für Bünger gestimmt haben, so zeigt diese Abstimmung selbst, auf wie unsicherer Grundlage ein ge­duldetes Kabinett steht. Dazu kommen die Forderungen der Deutschnationalen auf zwei Ministerposten, Innenministerium und Wirtschaftsministerium, Forderungen. die durch die Ab­stimmung der Nationalsozialisten für Bünger gestützt wor= den find. Sollte es Bünger gelingen, ein Rabinett auf die Beine zu stellen, io fann es nur ein vorübergehender Not­behelf sein. Die Regierungsbildung ist also nicht endgültig Dollzogen.

Die Sozialdemokratie steht seit sechs Jahren in Sachsen in Opposition. Die sozialistische Minderheits­regierung war im Januar 1923 mit Hilfe fämtlicher bürger­lichen Parteien, auch der Demokraten und den Kommunisten, gestürzt worden. Damit war der Partei die Bildung einer Roalitionsregierung mit den bürgerlichen Parteien verleidet. Die von den Kommunisten geduldete neue sozialistische Min­derheitsregierung wurde nach dem Eintritt der Kommunisten verfassungswidrig mit Militärgewalt des Amtes entsetzt. Das von den Demokraten danach geduldete sozialistische Ka­binett ellisch wurde nach kurzer Zeit gtürzt und von einer bürgerlichen Regierung abgelöst. Die Disziplinlosigkeit der sogenannten Dreiundzwanzig, ihre Koalition 1924 mit den Bürgerlichen, die Bildung der Altsozialistischen Partei, ihre Schlüsselstellung bei der Landtagswahl 1926 ließ die