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Morgenausgabe nission on
Nr. 301
A 152
46.Jahrgang
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Sonntag
30. Juni 1929 Groß- Berlin 15 Pf. Auswärts 20 Pf.
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Dreiteilung der Konferenz? Schuß der Republik !
Ein Vorschlag des britischen Schahzamtes.- London wieder fraglich?
Condon, 29. Juni. ( Eigenbericht.)
In britischen amtlichen, insbesondere in den mit dem Schahzamt ( Snowden) in Berbindung stehenden Kreisen scheint man angesichts der immer deutlicher werdenden Schwierigkeiten, auf die eine glatte und schnelle Abwicklung der kommenden Reparationsfonferenz stoßen därste, mit großem Nachdrud auf eine Dreiteilung der konferenz einzutreten. Nach dieser Auffassung würde man es für richtig halfen, als erstes Stadium der Konferenz eine Besprechung der Außenminiffer und Experten abzuhalten. 3wed dieses Borstadiums wäre es, die aufgeworfenen Fragen politischer,
finanzieller und wirtschaftlicher Natur a b 3 u grenzen und bis zu
einem gewissen Grade auch auszuwählen. Als zweite Etappe würde sich eine Expertenkonferenz anzuschließen haben, bei der eventuell die Finanzminister anwesend zu sein hätten. Die Experten, die naturgemäß im wesentlichen mit den Fachleuten der Parijer Konferenz identisch zu sein hällen, würden jedoch bei diesen Diskussionen nicht als unabhängige Fachleute, sondern als Bertreter der Regierungen fungieren. Das dritte Stadium mit der formellen Unterzeichnung des Abkommens durch die Ministerpräsidenten müßte sich nicht unbedingt unmittelbar an diese zweite Etappe anschließen.
Es tann im gegenwärtigen Augenblid jedoch noch nicht gefagt werden, inwiefern dieje, aus autoritativer Quelle stammende Aufjajjung auch die Auffassung des Außenamles widerspiegelt. Nach den letzten Informationen unseres Londoner Korrespondenten ist das anscheinend bereits als fe ft stehend betrachtete nachgeben der französischen Regierung bezüglich Condon als Eagungsort der Konferenz neuerdings ernstlich in Frage gestellt.
Amerifas Absage an Frankreich . In der französischen Kammer mitgeteilt.
Paris , 29. Juni. ( Eigenbericht.) Die neuen Schuldenverhandlungen mit Amerika , zu denen Ministerpräsident Poincaré von der Kammer in patriotischer Aufwallung gezwungen war, haben, wie nicht anders zu erwarten war und wie der sozialistische Parteiführer Léon Blum gleich voraus acjagt hatte, zu einem glatten Mißerfolg für Frankreich geführt.
französischen Verlangens um Schuldenaufschub auseinandergesetzt. Stimson ist ihm zwar an Höflichkeit nichts schuldig geblieben. Er hat mit sichtlicher Bewegung" zunächst daran erinnert, daß er selbst französisches Blut in den Adern habe, daß er drei Jahre lang für den Eintritt Amerikas in den Krieg gekämpft, und daß er schließlich den ganzen Feldzug selbst mitgemacht habe. Er hat dann aber doch, wenn auch mit Trauer", dem französischen Botschafter eine Absage erteilen müssen. Ein Schulden auf chub tönne vom Präsidenten Hoover nicht gewährt werden, da er dazu nicht berechtigt sei. Der Kongreß aber könne nicht ein berufen werden, da seine Mitglieder alle verreist seien und sich zum Teil jogar, außer Landes befinden. Im übrigen aber habe Amerika seine Freundschaft gegenüber Frankreich deutlich genug gezeigt, indem es ihm schon im Schuldenabkommen vom Jahre 1926 einen 50 prozentigen Nachlaß gewährt habe.
Die französische Regierung hat sofort die Kammerausschüsse für die Finanzen und auswärtigen Angelegenheiten einberufen, um auch ihnen die schlechte Nachricht zu übermitteln. Am Sonnabendabend soll die Kammer zu einer kurzen Bollfizung zusammen treten, um ihrerseits von dem negativen Ergebnis ihrer patriotischen Aufwallung unterrichtet zu werden. Eine Diskussion soil unter allen Umständen vermieden werden, damit die Blamage nicht noch größer wird.
In der Sitzung der Ausschüsse verlangte Poincaré , daß die Kammer bis zur Unterbreitung des Berichtes der beiden Ausschüsse über die Ratifizierung, also bis zum 7. Juli, in teine De batte über die Ratifizierung eintrete. Er unterstrich) ferner, welche Vorteile man erzielen könne, wenn man in die Ratifizierung teine Borbehalte einschließe und dies erst nach Unterzeich nung des Defrets der Ratifizierung durch den Präsidenten der Republik tue.
Poincaré erklärt: Nicht vor dem 15. August.
Ueber das voraussichtliche Datum des Zusammentritts der Regierungskonferenz machte Ministerpräsident Poincaré der außenpolitischen Kommission einige interessante Mitteilungen. Auf die Frage des sozialistischen Abgeordneten Grumbach, wann die Regierungskonferenz zusammentreten werde, antwortete er, daß dies nicht vor dem 15. August möglich sei, nich: nur weil Nach einer amtlichen Mitteilung, die der Innenminister Tar die Vorberatungen der anderen Regierungen faum vor diesem Datum dieu am Sonnabend mittag in der Kammer verlas, hat der fran- abgeschlossen seien, sondern auch, weil die technische Kom zösische Botschafter in Washington , Claudel, dem amerifanischen mission zur Ausarbeitung des Statuts der internationalen ReStaatssekretär Stimson ,, mit aller Dringlichkeit" die Gründe desparationsbant ihre Arbeiten nicht vorher beendet haben würde.
Fünf Personen ertrunken.
Lindau , 29. Juni. Ein Flugzeug des Bodensee- Aero- Lloyd mit fünf Passagieren, dem Flugleiter und dem Piloten an Bord, wollte heute abend bei Lindau auf dem Bodensce niedergehen. Es überschlug sich wenige Meter über dem Wasser nach einem scharfen knall, der wahrscheinlich von einer Explosion herrührte, und versant im Sec. Zwei Passagiere fonnten schwerverlett gerettet werden, die übrigen fünf Insassen
sindertrunken.
Ein überaus schweres Flugzeugunglüd ereignete sich heute abend zwischen 5 und 6 Uhr unweit von Lindau auf dem Bodensee . Das Flugzeug D 1620, eine neue Maschine, die erst vor kurzem in den Dienst des Bodensee- Aero- Lloyd gestellt worden war, wollte eben nach einem Flug, mit fünf Passagieren, dem Flugleiter und dem Piloten an Bord, auf das Wasser niedergehen,
als es sich nur wenige Meter über dem Wasser nach einem scharfen Knall, wahrscheinlich infolge einer Explosion, überschlug und dann nach wenigen Minuten im See versank.
Boote, die rasch zur Unglücksstelle eilten, konnten zwei Per fonen, den Apotheker Johann Firles aus Friedberg in Hessen und den Kaufmann Hermann Wüster aus Barmen, schwer verlegt mit Hand- und Rippenbrüchen bergen. Erst später konnte der Rumpf des Flugzeuges an die Oberfläche des Gees gehoben und aufge schlagen werden, die Leichen des Flugleiters des Bodensee - Aero
Lloyd in Lindau , Eduard Hagge, des Oberbaurats Haag aus Friedberg in Hessen und der Frauen der zwei Schwerver: letzten geborgen werden.
Der Vorderteil des Flugzeuges mit dem Motor liegt noch auf dem Grund des Sees, vermutlich befindet sich in ihm auch die Leiche des Piloten Zinsmeister.
Alle Bemühungen, das Flugzeug an Land zu ziehen, mißlangen, so daß der Rumpf des Flugzeuges mit einem Trajektkahn unter Wasser in den Hafen von Lindau geschleppt werden mußte, wo man ihn mit einem Kran hochziehen wird. Die Ursache des Unglücks ist
noch unbekannt.
Die Sozialdemokratie bleibt auf dem Poffen.
Der 28. Juni ist von nationalistischen Verbänden mit lärmenden Trauerfundgebungen" begangen worden. Die Massen des arbeitenden Bolles, zumal die bewußten Sozialdemokraten unter ihnen, find ferngeblieben, nicht etwa, weil ihnen der Tag gleichgültig wäre, sondern eher im Gegenteil, weil ihr Empfinden ihm gegenüber echter und stärker ist. Der Tag, an dem der Vertrag von Versailles unterschrieben werden mußte, war ein Tag der Niederlage nicht nur für das deutsche Volt, sondern auch für den Gedanken der internationalen Gleichberechtigung, wie die sozialistische Arbeiterbewegung ihn vertriff. Mit seinem Wiederaufstieg ist seitdem auch der Wiederaufstieg des deut schen Volkes unlösbar verbunden, und was diesem Gedanken entgegengesetzt ist wie der besinnungslose Phrasenlärm unserer Nationalisten nüßt dem deutschen Volke nicht, sondern es schadet ihm.
Kein Sozialist wird ohne tiefe Erschütterung die Bilder aus dem Jahre 1919 betrachten, die Victor Schiff in seinem Buche ,, So war es in Versailles ..." wiederaufleben läßt. Es ist aber der besondere Wert dieser Schrift, daß sie den Leser nicht in eine Stimmung stumpfer Verzweiflung versetzt, sondern daß sie ihm den Glauben gibt an die unzerstörbare Kraft des internationalen Gedankens und an die unzerstörbare Kraft unseres Volkes.
Von Versailles geht der Weg zurück nach Weimar . Dem 28. Juni folgte der 11. Auguft. Wenige Wochen, nach dem Hermann Müller die erzwungene Unterschrift unter den Friedensvertrag geleistet hatte, unterschrieb Friedrich Ebert aus freiem Willen die neue Berfassung der deutschen Republit. Sie war die Bekundung des Willens zu leben und auf neuen Wegen einer helleren Zukunft entgegenzugehen.
Man hat diese Verfassung ,, die freieste der Welt genannt. Ihre Gegner haben darüber gespottet. Aber diese Verfassung hat sich jetzt eben wieder zu ihren Gunsten ausgewirkt, und sie haben diesen Erfolg mit lärmenden Kundgebungen der Freude begrüßt. Das Gesetz zum Schutz der Republif ist gefallen, weil sich im Reichstag die zu seiner Verlängerung notwendige Zweidrittelmehrheit nicht mehr fand. Die Feinde der Republik werden also vom 22. Juli ab dank der Verfassung eine nahezu unbeschränkte Freiheit genießen in der Bekämpfung dieser Ver= faffung auch mit den Mitteln der niedrigsten Beschimpfung und der gefährlichsten Verlegung. Wenn etwas imstande ist, fie vom äußersten zurückzuhalten, so ist es nicht ein Gefühl für Recht und Billigkeit, das ihnen leider vollständig fehlt, sondern es ist nur die Furcht vor den Folgen einer allzu weitgetriebenen Dreistigkeit. Das gilt für alle, die jetzt durch die Berfassung von Weimar lästige Bindungen losgeworden sind: sowohl für die Anhänger des Herrn auf Doorn wie auch für die Partisanen Adolf Hitlers und die Nachläufer Teddy Thälmanns.
Das Gesetz zum Schuße der Republik war die Folge der politischen Unreife, von der manche Schichten des Boltes noch nicht losgekommen sind. Die Verfassung von Weimar gibt allen die gleichen Chancen zur Gewinnung der politischen Macht. Sie gibt auch Herrn Hitler oder Herrn die Vorausseßung, daß dies mit Billigung einer Mehrheit Thälmann die Möglichkeit zu regieren, sie fnüpft daran nur des Volkes geschieht. Hätten sich alle dieser gerechten und vernünftigen Regel unterworfen, so wäre niemals notwendig geworden, das Gesetz zum Schutze der Republik zu schaffen und es anzuwenden. Weil aber fleine Minderheiten es sich in den Kopf gesetzt hatten, durch politische Meuchelmorde und Putsche die Regierungsgewalt zu erstreben, sind be= sondere gesetzliche Maßnahmen notwendig geworden, um die fie sich in Zukunft als entbehrlich erweisen, um so besser! und der Republik . Ziehen aber neue Gefahren herauf, so Dies wäre der schönste Triumph der Verfassung von Weimar wird die Republik ihnen zu begegnen wissen. Severing hat es versprochen, und er ist ein Mann, der sein Wort hält.
Der Kaiser kommt! Kommuniffen schreien nach dem Republitschutzgesetz. Ein tommunistisches Abendblatt bricht in den Entseßensruf aus: der Kaiser tommt! Es weiß zu berichten, daß in Homburg bereits Zimmer für Wilhelm gerichtet werden. Das Entsetzen des kommunistischen Abendblattes bei dem Gewaltsame Auseinandersetzung zwischen Faschisten und Kom danken, daß Wilhelm wiederkehren fönnte, ihre Ueberschäßung Wilhelms ist nur so zu erklären, daß die Kommunisten noch völlig in der Bergangenheit leben und die Gegenwart nicht begreifen. Daher das Entsetzen und die daraus plöglich geborene Sorge
die Kommunisten im Reichstag für die Aufhebung Es ist dem kommunistischen Abendblatt nur eins entfallen: daß des Republitschußgefeßes gestimmt haben. Warum also das Entsetzen?
Man stelle sich einmal vor, die Verteidiger der Republik würden ihre Bemühungen aufgeben, die Sozialdemokratie würde sich auf Passivität und Neutralität zurückziehen. Was links, die sich jetzt so schön miteinander vertragen, würden wäre die Folge? Die Feinde der Republik von rechts und sofort in zwei Heerlagern einander gegenüberstehen, die gemunisten würde beginnen. Im Straßenfampf würde entschieden werden, wer in Deutschland regieren soll, und den Sieg würde der Teil davontragen, der den größeren Teil der disziplinierten und geübten Waffenträger auf seine Seite zu bringen vermöchte. Daß dies die nisten recht zweifelhaft sein, aber auch ein vorübergehender Kommunistische Partei wäre, wird auch den meisten KommuStraßensieg dieser Partei müßte angesichts ihrer allgemein anerkannten Unfähigkeit binnen wenigen Tagen mit dem
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