Morgenausgabe
Nr. 305
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46.Jahrgang
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Mittwoch
3. Juli 1929 Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.
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Programmdebatte im Unterhaus.
Baldwins gemäßigte Oppositionsrede.
Das Parlament, das sich dem Herkommen gemäß nach Ver lesung der Thronrede vertagt hatte, trat am Nachmittag zur Debatte des Regierungsprogramms( Adreßdebatte)
von Selbstbeherrschung auf beiden Seiten nötig 3weite Kammer der Generalstaaten statt. Die Zweite Kammachen.
Anschließend sprach Ministerpräsident Macdonald,
wieder zusammen. Der erste Tag besitzt nach der britischen parlader in seiner Rede eingangs betonte, parlamentarisch gesprochen sei mentarischen Tradition den Charakter eines feierlichen Aktes. Er der Unterschied zwischen seiner Regierung und der voraufgegangenen murde jedoch angesichts der Vielfältigkeit der in der Thronrede murde jedoch angesichts der Vielfältigkeit der in der Thronrede Regierung: Baldwin der, daß Baldwin zwar eine Minderheit der aufgerollten Fragen zum Anlaß einer politischen Aussprache, in Stimmen, aber eine Mehrheit im Parlament besessen habe, während deren Berlauf feine Regierung außer der Minderheit der Stimmen auch eine Minderheitim Parlament darstelle. Macdonald ging darm auf eine grundsägliche Frage ein, deren Aufrollung, wie er meinte, notwendigerweise durch die schwierige parlamentarische Lage seiner Regierung bedingt sei. Man müsse sich fragen, inwieweit es ohne Aufgabe der Parteigrundsätze möglich sein tönne, fich im Parlament
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in Erläuterung der Thronrede hielt. Daß die Arbeiterpartei entschlossen war, den politischen Charakter dieser Aussprache von vornherein flarzulegen, ging aus der Tatsache hervor, daß die beiden Abgeordneten der Regierungspartei, melche die Annahme der Thronrede dem Parlament zu empfehlen hatten, auf die bei dieser Gelegenheit herkömmliche Hoftracht das ist Frack und Kniehose verzichteten und damit mit einer alten Tradition brachen. Der Labour - Abgeordnete Snell, dem die Aufgabe zu gefallen war, als erster Redner dem neuen Barlament die Annahme der Thronrede zu unterbreiten. begrüßte die Aussicht auf eine baldige Räumnung des Rheinlandes und versicherte, daß alle von der Arbeiterpartei geplanten guten Dinge" im gegenwärtigen Regierungsprogramm enthalten feien. lleber die Räumungsfrage erklärte Snell wörtlich: 3u großer Genugtuung gereicht es uns, daß sich die Möglichkeit zeigt. die englischen Truppen im Rheinland zurüdzuziehen und einem Bolt, mit dem wir seit mehr als zehn Jahren im Frieden leben, das heißgeliebte Land zurückzugeben, das mit fo vielen glanzvollen und romantischen Erinnerungen der deutschen Geschichte verknüpft ift. Benn dieses Ideal in Erfüllung gehen mürde, so würde das in England wohl mit fast derfelben Zufriedenheit begrüßt werden, wie in Deutschland ." Diese Borte Snells löften allgemeine Zustimmung im Hause aus, besonders beim Staatssekretär des Aeußern Henderson,
der nachdrücklichst mit dem Kopfe nickte und hört, hört" rief.
mehr als ein Staatsrat und weniger als Armeen zu fühlen, die fich zur gegenseitigen Bekämpfung gegenüberständen. Macdonald betonte, daß seine Regierung zwei große Fragen zu lösen habe: die Arbeitslosigkeit und das Problem des Friedens. was die Erwerbslosigkeit anbelange, so sei zu ihrer Ueberwindung eine Politik nötig, die die Wirtschaft fördere, den Lebensstandard der großen Massen erhöhe und Vertrauen darin schaffe, daß nach allen Seiten Gerechtigkeit gewährt werden würde. Was die Frage des Friedens betreffe, so sei nur die Besserung der amerikanischenglischen Berhältnisse die grundlegende Voraussetzung. Die Regierung sei entschlossen, den Kellogg Patt zu einer lebendigen und entscheidenden Macht der internationalen Politik zu machen.
In bezug auf die Réparationsfrage bemerkte Macdonald, daß der Expertenbericht von der Regierung zurzeit auf das forgfältigste geprüft werde. Die Reparationskonferenz müsse bald abgehalten werden, und seine Regierung habe London als Tagungsort vorgeschlagen. Macdonald betonte, daß der Dawes- Plan mit der Beröffentlichung des Pariser Expertenberichts nicht mehr viel länger in Kraft bleiben könne und eine neue Vereinbarung zustande kom men müsse. Hierauf stellte Macdonald mit großem Nachdrud, und fichtlich gegen Frankreich und Italien gewendet, die große Generosität der britischen Regierung gegen seine britannien seien Laften auferlegt, welche nach dem Grundsatz der Alliierten und die genaue Erfüllung ihrer Pflichten fest. Groß Thron- britannien Gerechtigkeit und im Verhältnis zu seiner Zahlungsfähigkeit ihm niemals hätten auferlegt werden dürfen. Damit diese Bemerkung jedoch über den Kanal hinaus nicht mißverstanden würde, betonte Macdonald, daß Großbritannien feine der eingegangenen Verpflichtungen rüdgängig zu machen gedenke.
Der zweite Redner der Arbeiterpartei, Wilson, begrüßte
insbesondere die geplante Wiederaufnahme der eng lisch russischen Beziehungen sowie die in der Thron rede angekündigte Reorganisation des britischen Kohlenbergbaues. Wie bei dieser Gelegenheit üblich, begann der Führer der Oppofition, der bisherige fonservative Ministerpräsident
Baldwin
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Nachdem Macdonald dann noch einen Ueberblick über die geplanten innerpolitischen Arbeiten gegeben hatte, betonte er, das Land habe auf eine überwältigende Weise durch die Wahlen seiner Gegner schaft gegen die Industrie- Schußpolitik Ausdruck verliehen. Die Regierung werde unter feinen Umständen die Industrieschutzgesetze erneuern, falls fie bis zu ihrem natürlichen Ablauf( insgesamt fünf Jahre) in Kraft bleiben sollten. Die Regierung behalte sich jedoch das Recht vor, die Industrieschutzgesetze zu einem früheren Zeitpunkt zu beseitigen.
seine Rede mit einem Glü dwunsch an die beiden Borredner. Baldwin erkundigte sich hierauf im weiteren Berlauf seiner Rede, ob die Empfehlungen der Pariser Expertenkonferenz dem Barlas ment unterbreitet würden, che sie zur endgültigen Annahme fämen. Im Hinblick auf die geplante Unterzeichnung der fakultativen Klausel des Ständigen Gerichtshofes im Haag stellte Baldwin die Frage, ob diese Klausel mit oder ohne Vorbehalten unterzeichnet werden sollte. Baldwin betonte dann, daß ein Be fuch Macdonalds in Washington in jeder Beziehung einen wichtigen Schritt darstellen würde. Beide Länder hätten Aus den abschließenden Bemerkungen Macdonalds über die darunter zu leiden, daß tein persönlicher Kontakt Frage der Bahlrechtsreform schien hervorzugehen, daß die zwischen den Staatsmännern der englischen und der amerikanischen Regierung im wesentlichen eine Beseitigung der undemokratischen Nation aufrecht erhalten würde. Baldwin schloß mit dem für Nebenerscheinungen des gegenwärtigen Wahlrechts und englische Berhältnisse bezeichnenden Satz: Er wünsche der Arbeiter weniger eine Reform des britischen Wahlsystems an Haupt und regierung eine von parteipolitischem Geiste ge Gliedern plane. Macdonald schloß seine Rede, die auch auf die tragene Oppofition entgegenzulegen. Das Land Oppofition fichtlich stärtsten Eindrud machte, unter le b. müffe regiert werden, es werde sich jedoch ein gewisses Maß 1 baften Beifallstundgebungen seiner Bartei.
Die Sünde wider das Hakenkreuz.
Der frühere nationalsozialistische Abgeordnete v. Müde hat im Auftrage der Reichsleitung der Nationalsozialisten sowohl an die sozialdemokratische als auch an die tommuni stische Fraktion des Sächsischen Landtages ein Schreiben ge richtet, in dem gefragt wird, unter welchen Bedingungen beide Par richtet, in dem gefragt wird, unter welchen Bedingungen beide Parteien bereit jeien, eine Regierung zu bilden, die gewisse Wünsche der Nationalsozialisten erfülle und demgemäß die Unterstübung ber Rationalsozialisten erhalten würde.
Und Bünger hofft noch. Dresden , 2. Juli. ( WTB.) Wie zuverlässig verlautet, kann das neue Kabinett des Minister präsidenten Dr. Bünger nunmehr als jo gut wie vollstän dig betrachtet werden. Dr. Bünger wird sein Kabinett am Don ertlärung abgeben. Wie weiter verlautet, handelt es sich bei nerstag, dem Landtag vorstellen und eine Regierungs. dem Kabinett Bünger um ein Kabinett von Fachleuten, in das auch einige der bisherigen Minister, die als Fachleute anzusprechen find, wieder eintreten werden.
Die Anfrage erfolgte mit Renntnis der nationalsozialistischen Die parlamentarische Situation ist nun so: wenn Herr Bünger im Landtag teine Mehrheit oder ein MißtrauensFraktion des Sächsischen Landtages , die erst vor einigen Tagen den votum erhält, bleibt sein Kabinett bis zur Neuwahl eines Dollsparteilichen Minister Dr. Bünger zum Ministerpräsidenten Ministerpräsidenten als geschäftsführendes Ministerium im
pählen half!
Amte.
Am 3. Juli finden in Holland die Neuwahlen für die mer besteht aus 100 Mitgliedern, welche direkt und mittels geheimer Abstimmung von den wahlberechtigten Männern und Frauen gewählt werden. Seit 1917 besteht in Holland das allgemeine Wahlrecht für Männer; seit 1919 auch das allgemeine für Frauen. Die Wähler müssen das Alter von 25 Jahren erreicht haben. Das Wahlsystem ist proportional.
Bekanntlich bestehen in Holland nebeneinander eine große Zahl politischer Parteien, von denen mehrere auf onfessioneller Grundlage fußen. Es gibt nicht nur eine Ratholische Staatspartei, sondern auch zwei politische Parteien von Protestanten, nämlich die„ ChristeInthistorische Party" und die Anti- revolu= tionaire Party", die beide sehr konservativ sind. Außerdem bestehen noch zwei Splitterparteien auf fonfessioneller Basis, welche im Parlament vertreten sind, und auch die kleine demokratische Katholische Volksparty" hat einen Abgeordneten im Parlament. Neben einer liberalen Partei haben wir eine Partei des demokratischen Freisinns, welche sich in den Jahren des Wahlrechtskampfes von den Liberalen abgetrennt hat. Weiter gibt es eine kleine Bauernpartei, welche als ein mißlungener Versuch zur Bildung einer großen agrarischen Volkspartei zu betrachten ist.
Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei ( SDAP .) besteht seit 1894; fie ist seit 1897 im Parlament vertreten; von 1897 bis 1925 war Troelstra ihr politischer Führer. Bon den Kommunisten, die auch in Holland gespalten sind, hat nur die offizielle Moskauer Partei einen Bertreter in der Kammer. Eine Unmenge anderer kleiner Parteien, bewerben sich jedesmal um Size im Parlament, ohnen einen zu erlangen.
Vor der Einführung des allgemeinen Wahlrechts war in Holland die Regierung abwechselnd in den Händen der Liberalen und der christlichen Parteien. Diese, die Katholische Staatspartei, die Christlich - historische und die Antirevolutionäre Partei bildeten zusammen die sogenannte christliche Koalition. Seit Einführung des allgemeinen WahlRede sein. Die Liberalen, welche vollständig konserrechtes fann von einer liberalen Regierung nicht mehr die vativ geworden sind, verfügen jetzt im Parlament nur noch über 9 Size! Aber auch die ,, christliche Koalition" kann nicht mehr auf parlamentarischer Grundlage regieren. Obwohl die drei christlichen Parteien 1922 noch 59 Abgeordnete hatten, brach ihre Mehrheit schon 1923 zufolge ihrer inneren Uneinigkeit zusammen. Im Jahre 1925 wurde aufs neue versucht, eine christliche Koalitionsregierung zu bilden. Diese scheiterte aber schon im November desselben Jahres.
Holland hat also schon verschiedene Male außer Parlamentarische Regierungen gehabt, die sich nicht auf eine Mehrheit im Parlament stüßen konnten. Die Notauf eine Mehrheit im Parlament stüßen konnten. Die Notwendigkeit einer neuen Parteigruppierung wird von sehr vielen anerkannt. Trotzdem sind bisher alle Versuche, eine neue demokratische Mehrheit zu bilden, mißlungen. Die SDAP . hat sich schon auf ihrem Kongreß von 1918 im Prinzip bereiterklärt, sich an einer demokratischen Regierung zu beteiligen, jedoch unter der Bedingung, daß ein Einvernehmen über ein Programm zustandekomme, das gewisse ihrer wichtigsten Forderungen genügend berücksichtigt. Im November 1925, als die christliche Regierung unmöglich geworden war, ist während der Kabinettsfrise der Führer des demokratischen Freisinns von der Königin beauftragt worden, ein Rabinett zu bilden. Er wandte sich an die SDAP . und an die große fatholische Partei. Lettere verweigerte aber ihre Mitarbeit. Die fonservativen und reaktionären Elemente in der fatholischen Partei hatten die katholischen Arbeiter und Demokraten völlig in ihrer Hand.
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Die Sozialdemokratie hat 1925 ihre Parlamentsfraktion auf 24 Mitglieder davon zwei weibliche Abgeordnete verstärkt. Sie ist die zweit stärkste Frattion im Parlament; nur die Katholische Partei. mit 31 Abgeordneten übertrifft sie noch. Der Mißbrauch der religiösen Losungen im politischen Kampf bewirkt eine Trennung zwischen den Arbeitern, von denen Hunderttausende noch immer in der Meinung gefangen gehalten werden, der politische Kampf sei ein Kampf um religiöse fratie ungemein schwer, die Arbeiterklasse in einer Interessen. Deswegen ist es in Holland für die Sozialdemo= einzigen Bewegung zu vereinigen. Dennoch gewinnt sie allmählich größeren Anhang unter den firchlichen Arbeitern, besonders bei den katholischen Arbeitern in den südlichen Provinzen des Landes.
Sozialdemokratie in Holland fämpft, sind die Abrüstung Die wichtigsten Forderungen, für deren Erfüllung die und die Altersversorgung( Staatspensionierung). 1921 hat unsere Partei. nach langer und ernster Vorbereitung