Einzelbild herunterladen
 
Donnerstag 4.3ul»1929
Unterhaltung unö ÄAissen
Vellage des Vorwärts
mengen: Qefang der Walchinen
Sturzbäche sprühenden Sonnenscheins. Ein Baum atmet so tief das belebende Licht, das sein« tausend ffnospen platzen. Unter dem Baum steht ein« alt« Frau und bietet Schneeglöckchen an. Maien- jung sind die fleinen Blumen, die den Lenz aus Eisesstarre und Schnee gelockt. Ich stehe, staune, trinke Licht und Blumemvunder und versinke im jauchzenden Hoffen--- Da schlägt mir jemand herzhast auf die Schulter und lacht: Komm mit, Traumpeter, ich Hab' heute etwas Besonderes für dich." ist der Redakteur I., ein lieber, lebenbejahender Mensch, der asies Sinnendeweich" nennt und gegen Lyrik, von Berufs wegen, hundert Dorurteil« hat. Unterhakend nimmt er mich in» Schlepptau und redet davon, daß um dies« frühe Frühlingszeit seine Redaktwnsstube zum Rori- tätenkabinett wird. Denn der April bringt die ersten Maikäfer, kahlnackte Spatzenbabys, flügelzerknickte Schmetterlinge, eine Riesen- Heuschrecke, die Zeitlupe läuft, vorzeitige Blumen und Blüten. Jeder liebe Einsender erhofft am anderen Tage«inen beträchtlichen Artikel in seiner lieben Zeiwng und schon am Tage darauf ein noch be- trächtlicheres Honorar in seinen noch weit lieberen Händen dafür zu holten. Er aber, so sagt mir mein Freundredakteur, sei heut« aus ein- ganz andere Rarität lüstern. Er möchte mal einen richtigen Früh- lings-, Mai- und Lenzidealisten von Maschinen zermalmt sehen. Ra, und ich sei gerade der Richtige dazu. Blutdürstiger Dompyr! Nein, nicht ganz so grausam habe er da» gemeint. Aber ich solle mit ihm kommen, er wolle mir«in Zeitungshaus vom Keller bis zum Dach zeigen. Leb wohl, jubelnde Sonne, lachender Lenz. Freiheit und Leben, lebt wohl! Hinein ins Dröhnen, Getöse, in Fron und menschen- marternde Technik! Ich will meine abgöttische Lieb« zur Natur retten, darum will ich mit ihm gehen und sein Maschinenelend kennen lernen. Im Maschinenraum, bei den Transformatoren, waren wir zu- erst. Kacheln, Fliesen, Marmor, blitzende Knopfe, zuckende Zeiger in Uhren wie lauernd« Augen. Dieses Herz des ganzen Hauses dröhnt und smnmt im dumpfen, rhythmischen Sang und sendet geheimnisvolle Ströme von Energie und Kraft durch tausend Adern. Die werden zerspalten in hundert« zuckender, vibrierender Nerven und laufen bis in d«n First de» Daches. Der ganze Raum der Schlag eines Herzens vertausendfacht klopft, und pocht bei Tag und Nacht. Und die Kraftströme geben Leben und Tat den klappernden. plärrenden, schnarrenden Setzmaschinen, diesen Wundern der Technik. Rädchen, Häkchen Sttftchen, Spiralen, Hebel, Walzen greifen, heben, schieben, sammeln und zerteilen. Ein Grisf des Mannes an der Maschine und das Surren, Spurren, Hächeln und Rasseln verstummt, oll die tausend kleinen Tel«, die eben noch so munter hin und her sprangen, verharren tot und reglos. Ein Griff--- es schnarrt und knarrt, zirpt und pfeift, tuschelt und raschelt von neuem. Wie pulswarm lieb«nd die Hand des Setzers auf diesem bannen- den und lösenden Hebel liegt, so-- so-- liegt wohl Gottes Hand auf dem Herzen des Menschen. Doch weiter geht's. Dort wallen und wogen in riesigen Bottichen galvanische Bäder. Achtzig Stunden um einen einzigen Willi- meter Kupferniederschlag zu gewinnen. Achtzig Stunden ohne Unter- laß dies Brodeln und Sprudeln, Strömen und Fliehen-- Und es zischt silbriger Gischt in kochenden Kesseln, wasserflüssiges
Blei, Matrizen zu gießen, halbe Zylinder, Stück um Stück, in einem fort. Hartgegossene Weisheit aus heißen Köpfen, polittsch Gezänk, politisch Geschrei, bleischwer verbunden mit Unglück und Schmerz und den Seltsamkeiten fernwetter Welten. In den Riesenrotattonsmaschinen, an dicke Walzen gepreßt, um- dreht sich die starre silbrige Weisheit wohl tausendmal und preßt ihr Bild hunderttausendfach auf das endlose Band weihen Papiers. Jedweder Menschcnlaut wird von dem Gang der Ungeheuer zermalmt. Ich schreie meinem Begleiter etwas ins Ohr, aber es wird nicht einmal ein Flüstern daraus. Hebel greifen, Zähne beißen, Messer reißen, Farbe tropft wie ölig Blut. Walzen und Bolz«n, Wellen und Räder, Federn und Kolben stoßen und stampfen, stöhnen und dröhnen, wuchten und donnern gigantisches Lied. Hymnus der Technik! Der Boden bebt in rhythmischen Akkorden und zitternd Singen tönt in der zerrissenen Lust. Gewaltig Brausen, grausig schön, zer- malmend, in die Knie zwingend und erhaben, voll Stolz und voll Triumph. Der Siegessong der wuchtenden Maschinen, die sich der Mensch erdacht, erklügelt und ersonnen. Das Loblied des Geschöpfes auf den Schöpfer. Hoch oben, auf blitzendem Gestänge, schreiten Männer in blauen Kleidern, sicher, gelassen und ruhig, mit schier königlicher Würde. Da und dort ein leichter Griff an Hebel oder Uhr, ein sanftes Streichen mit einem Tuch, als wische er einem Fiebernden begüti- gend den Schweiß von der Stirne. Ich lege die Hand auf die Schulter meines Begleiters: Nein, sie zermalmen mich nicht, deine Maschinen. Donnernd und berstend, erhaben und zerbrechend ist der Maschinen erzenes Lied. Doch tausendmal herrlicher ist der Mensch, der da oben steht! Er ist nicht Knecht, nicht Sklave seiner Maschine, nein, nein! Er ist ihr Herr, ist König über sie! Sieh, das berauscht mich! Es ist nicht wahr, was ich bisher geglaubt, daß die Maschin« den Menschen zur Nummer macht, ihn um Denken und Wollen, um seine Persönlichkeit bringt. Nein, nein, des Menschen Werk ist sie, und er freut sich seiner Schöpfung. Aus seinen Augen tönt das geweihte Lied, da seine Lippen verstummen müssen in dem Getöse."
Wir stehen wieder im Freien, der Freund und ich. Bon ollen Dächern, Firsten und Zinnen rinnt flüssiges Sonnengold gleich blin- kenden Bächen. In meinen Ohren summt, tönt und klingt noch der Sang der Maschinen, und die Gedanken daran machen mich stumm und versonnen. Nun, bist du endlich bezwungen, Traumpeter? Hat dich die Moschino gepackt und deine weiche Lyrik zerhackt?" Und wieder lege ich schwer die Hand aus des Freundes Schulter und zeige auf einen Baum, der dort in einem Garten steht. Sieh dort den Baum, lieber Freund, kahl ist er noch und scheinbar tot. Bald springen seine Knospen, grüne Blätter drängen sich heraus. Dann wird er weiße Blüten tragen, ein schneeiger Schaum in Duft wird sein, und aus den Blüten werden rote Früchte reifen, poll Saft und würziger Süße--- und all dies Sprießen, Wachsen, Blühen und Reisen aus tausend Bäumen und Sträuchern zugleich--- geschieht, ohn' daß ein«inz'ger Laut an deine Ohren dringt, ohn' daß ein Siegessang erklingt. Der Schöpfung ur- gewaltig, heilig Lied, lautlos aus tausend Wundern blüht."
Da reichte mir der Freund die Hund und sagte im Fortgchm: Unverbesserlich!"
Alexander von Sacher-Waloch: Das Zigeuncrvolkl Wir kennen sie nicht und es ist schwer, sie zu erkennen. Und was wir über sie wissen, ist sicher vielfach zum Guten oder Bösen übertrieben und verzerrt. Diese ewig ruhe- losen, von Ort zu Ort und Land zu Land streifenden Vagabunden, diese geheimnisvollen, von den Wirtsvölkern durch einen kaum überbrückbaren Abgrund getrennten Menschen, denen, wohin sie auch kamen, ihr zweifelhafter Ruf vorauseilte, da» Gefühl mit Neugier gepaarten Grauens hervorrufend, wir kennen sie nicht! Woher kommen sie? Vor einem Jahrtausend tauchten sie in unserem Erdteil auf. Ein Nomadenoolk, wie die Hunnen und Madjaren und doch in ihrer Wesenheit durch Welten von denen getrennt. Denn während jenen als Triebfeder zu ihren Wanderungen natürliche Umstände, das Aufsuchen neuer Iagdgründe und Weideplätze, die«ehnsucht nach einer neuen Heimat und damit auch das unbewußte Symbol der Seßhaftigkeit diente, ist den Zigeunem der Begriff 5)eimat fremd geblieben bis auf den heutigen Tag. Der Zigeuner ist heute wie vor Jahrhunderten: Triebkraft und ungebrochen in seinen Instinkten. Er hat sich nie mit den Wirtsoölkern befreunden können, die ihm naturgemäß feindlich gegenüberstanden. Dos einzige Volt, das sich vollkommen rassenrein erhalten hat, weil es keine Entwicklung kennt. Moral, Sitten, Religion sind jür sie leere Begriffe. Sie sind die geborenen Ausbeuter und haben es seit jeher oerstanden, auf Kosten anderer zu leben. Wo sie auf- tauchten, waren sie stets nur geduldet, für kürzere oder längere Zeit, und mußten dann weiter, denn sie taten Nichts dazu, sich beliebt zu machen. Wenn man aber heut« vom Standpunkt des modernen Europäers ein Urteil über sie fällen will, so darf man nicht ver- gessen, daß alles, was wir ihnen an Unmoral, Grausamkeit, Ge- winn- und Genußsucht mit Recht zuschreiben, sür sie Ziel und Lebens- inhalt bedeuten. Der Zigeuner stiehlt aus Neigung um der Sache selbst willen. Er lügt um der Lüge willen, dem Zwange eines Ur- mstinktes nochgebend, der sich durch die Jahrhunderte seines Man- derlebens rein und ungebrochen vererbt hat. Dabei ist er heute wie ehedem in da» Netz finstersten Abeuglaubcns verstrickt, �enn da er keine Entwicklung kannte, ist er so wie sein Voter war und wie dessen Vorväter waren.Zigeuner  ",Zigany" ist die gebräuchlichste Bezeichnung für sie. Unter diesem Namen sind sie in der Wallache!, an den Ufern der Moldova  , in Ungarn  , Siebenbürgen  , Italien  , Polen   und Galizien  , Oesterreich und Deutschland   bekannt. In alten Aenchtsakten des 15. und 16. Jahrhunderts bezeichnet man sie
3)ieSchwarmreHer" häufig als Aegyptcr und man findet Angehörige ihrer Raffe in fast alle größere Zauberei» und Hcxcnprozesse dieser Epoche verstrickt. In Deutschland   tauchten si« am Anfang des 15. Jahrhunderts auf. Sie kamen über die böhmische Grenze unter Anführung ihres eigenen Kapitäns, Zigcunerkönigs, und nannten sich selbst Aegypten  Sie erzählten die fantastischsten Dinge über ihre Abstammung, um- gaben sich selbst mit der Glorie eines aus der Heimat vertriebenen Volkes, das vergeblich gegen seine Unterdrücker gekämpft hotte, und machten den Dorfbewohnern weis, in allen Künsten der Zauberei wohl bewandert zu sein. Auch nach Frankreich   kamen sie zuerst aus Böhmen  , daher bezeichnete man sie dort als Bohemiens. Wir wissen heute, daß sie keine Aegyptcr waren. Die Ur- Heimat der Zigeuner liegt in Indien  , an den Ufern des Indus. Ueberraschend ist die Uebereinstimmung vieler Vorstellungen sexual- psychologischer Art bei den Indern und Zigeunern. Ihre Wände- rung noch Europa   begann im 13. Jahrhundert und sie kamen mit den Scharen der Nachfolger Dschingischans. Sie brachen zuerst in die asiatische Türkei   und nach Persicn und Armenien   ein. Ihre Mehrzahl war und blieb Nomaden. Di« bildeten im 15. und 16. Jahrhundert Räuberbanden, die an Grausamkeit alles überboten. Aus Asien   kamen sie schon im 9. Jahrhundert n. Chr. in großen Scharen nach dem westlichen Europa  . Sie wurden von Ort zu Ort gejagt. Immer wieder scharten sie sich unter eigenen Kapitänen und Zigeunerkönigen zusammen und nahmen zeitweilig längeren Aufenthalt. Die einzelnen Mitglieder dieser Banden hielten in unverbrüchlicher Treue zueinander. Diesem selten starken Käme- radschastsgefühl, das sie untereinander und auch mit dem in diesem Zeitalter blühenden Landstrcichertum verband, lag der Gedanke der Blutsbrüderschaft zugrunde. Das Symbol der Vlutmifchung brachte eine Art geschwisterliches Verhältnis zustande und sollte bis zum Tode ein unzerreißbares Band der Treu« um die Beteiligten schlin- gen. Diese Art Blutgenossenschoften, deren Blütezeit in da» 16. und 17. Jahrhundert fällt, stammt übrigens schon aus der germanischen Wanderzeit. Auch hier g«b es Blutsbünde, hie sich zur Voll- bringung einer besonders gefährlichen Tat zusammenschlössen. Die Zigeuner waren oft in der Lage, Freibriefe der Kaiser und Päpste vorzuzeigen. So erhielt der Jigeunsrherzog Andrias, der mit tausend Anhängern nach Bologna   zog, vom Papst Martin V.  einen Schutzbriei. Im Mittelalter finden wir sie in allen Zauberei- und Hexenprozessen und an der Spitze der wahnwitzigsten Sexual- verirrungen. Man darf aber nicht glauben, daß sie sich in jenen
Zeiten der Folter und Inquisition, in einer Epcfthe, in der selbst in den Kreisen der Begüterten und Gebildeten der finsterste Aber- glaube herrschte, in ihren Verbrechen merklich von dem dieses Zeit- alter überwuchernden Landstreichervolk unterschieden. Wenn wir heute bei dem Mordprozeß in Kaschan   von ihren Grausamkeiten und Verbrechen hören, die uns das Blut in den Adern erstarren lassen und uns in unserem fortgeschrittenen Zeitalter ungeheuerlich erscheinen lassen, so dürfen wir eben nicht vergessen, daß es sich hier um Angehörige einer Rasse handelt, die keine Entwicklung kennt und über die Zeit, ohne sie zu berühren, hinweggewachsen' ist. Di« Zigeuner, die berüchtigtenSchwarzreiter", die Kinder verkrüppel- ten und zum Betteln abrichteten, vor denen Hob und Gut anderer nicht einen Augenblick sicher waren, und die fähig waren, jedes Verbrechen im Dienste ihrer von Aberglauben durchsetzten Phantasie zu begehen, standen in diesem Zeitalter des Verbrechertums nicht allein. Wenn wir die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts betrach- ten, diese Hochflut grausamer Verbrecher und Verbrechen, so wird uns vieles, was uns heute an diesem Volk ohne Zeit und ohne Ent- wicklung ungeheuerlich erscheint, verständlicher werden. Eine ganze Zunft der Diebe, Mörder, Zauberer, Hexen, Wolfbanner und öhn- lichen Gelichters bevölkerte die Landstraße. Dazu Maximilians ent- lassene Söldner, die die Alpenländer als Gartknechte(garten betteln) unsicher machten und den Zigeunern an Grausamkeit und Blutdurst keineswegs nachstanden. Dieses Volk wurde später mit allen Mitteln ausgerottet, in Hexen- und Zaubereiprozessen gefoltert und verbrannt. Was übrig blieb, mußte der Zeit weichen. Die Zigeuner aber blieben bis auf den heutigen Tag das Ilrvolk. dos sie waren. Sie wußten in allen Zweigen und Künsten der Zauberei und Giftnüschcrei Bescheid. Zur Erwerbung desGlücksfingcrs", des Fingers eines zu gewisser Zett und unter gewissen Unsständen Gemordeten, auchSchlaslicht" ge- nannt, scheuten sie vor nichts zurück. Das Schlaflicht sollte vor Entdeckung bei Einbrüchen schützen und wer ein solches bei sich hatte, konnte ruhig und unbekümmert einen Einbruch begehen, denn die Bewohner des Hauses oerfielen alle in tiefen Schlaf und merkten nichts von den Vorgängen. Seit jeher standen die Zigeuner beim einfachen Volk im Rufe von Leuten, die in Liebesdingen besonders gut Bescheid wissen und dieser Ruf hat sich bis heute erhalten. Man denke nur an Wahr- fagefrauen zigeunerischer Herkunft, an Liebestränklein usw. In Europa   gibt es heute rund 650 006 Zigeuner. Die meisten davon leben in Ungarn   und in der Wallache!. In Deutschland  dürfte ihre Zahl kaum 600 überschreiten. Diele von ihnen sind er- staunlich musikalisch, und«S gibt in Ungarn   heute noch ganze Gcigergcschlcchtcr, deren Talent sich von den Vätern auf die Söhne weitervererbt und die beim Volk sehr beliebt sind. Aber das sind Ausnahmen. Ihre Mehrzahl sind nach wie vor Vagabunden. Di« hier gegeben« Schilderung wirft kein gutes Licht auf diese braunen Gesellen. Vergessen wir aber nicht, daß sie viele Jahr- hunderte in Unterdrückung und Sklaverei gelebt haben und von Ort zu Ort gejagt wurden. Es ist historisch, daß noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Bukarest   bei einem Erbschoftsverkauf ganze Zigeuncrfamilien als käufliche Sklaven öffentlich versteigert wurden. Vielleicht ist der Abgrund, der sie noch heute von allen Völkern trennt, nur darum unüberbrückbar, weil man an ihnen alle Mittel der Bekehrung versucht und verschwendet hat, mit Ausnahme eines einzigen: der Liebe. SelbUm&rder und fflellgehilfe Am Wege sitzt ei» Mann, der aussieht wie ein Stück Holz. Die Sonne bescheint ihn, aber er rührt sich nicht. Am frühen Margen ist Schnee gefallen. Dieser Schne« bedeckt in weichen Polstern Knie, Schultern und Kopf. Darüber wundert sich der Heilgehilfe, der des Weges dahin- wandert, eingedenk seiner Pflicht, allen Menschen«in freundlicher Helfer zu sein. Er nimmt die Schneebrille ab, um den Sitzenden besser betrachten zu können. Dieser steife Mann ist wahrscheinlich erfroren(so urteilt der Heilgehilfe) und legt seinen Rucksock ab, geht eilig ans Werk, unter- sucht den Körper. Die Haut ist kalt, ober das Herz zuckt noch, flackert wie ein« Kerzenflamme im Luftzug. Rettung ist möglich. Der Heilgehilfe arbeitet, um das erlöschende Herz wieder anzufachen. Es gelingt endlich. Der Mann erhebt sich langsam und stampft mit den Füßen. Der Heilgehilfe setzt seine Schneebrille wieder auf. Dann gehen beide nebeneinander weiter ohne zu sprechen. Nachdem sie ein tüchtiges Stück vorwärtsgekommen sind, wagt der Heilgehilfe endlich, den schweren sonderbaren Mann, den er gerettet hat, mit einem Wort anzurühren. Halb verächtlich wird ihm darauf der Vorwurf hingeworfen, warum er die Menschen am Sterben hindere. Der Heilgehilfe, bestürzt über solche Lebensaus- fassung, wagt den Einwand, daß Gott jeden Menschen sterben ließe zu seiner Zeit. Der Mann meint, er sei erwachsen und brauche keinen Vormund, er wolle sterben, wann es ihm passe. Der Heilgehilfe ist sehr bekümmert und betrübt. Er möchte etwas bemerken über die göttliche Vorsehung, unterdrückt es aber rechtzeitig, uin den Mann nicht zu reizen. Schreckliches Unglück muß den Mitwanderer betroffen hoben, warum sonst hätte er den Ent- schluß gefaßt, diese lebendige Erdenwelt zu verlassen! Während sein« Gedanken diesen Punkt umkreisen, geht der Tag zu Ende. Di« Dunkelheit wird immer dichter und umwächst sie wie ein plötzlicher Wald. Jetzt endlich ist der Heilgehilfe im klaren, daß der Mitwanderer doch nach seinem Unglück gefragt werden müsse, aber als er sich nach ihin hinwendet, beinerkte er nichts mehr von ihm. Er ruft und«rhält kein« Antwort. Er läuft zurück und strengt seine Augen an. Da sitzt er dunkel im Schnee, in der nämlichen Haltung wi« zuvor unter der Sonne. Er geht hin und setzt sich wortlos neben ihn. Was ist denn?" fragt der Mann. Wenn du durchaus sterben willst, so werde ich mitsterben. Es stirbt sich leichter zu zweien. Verzeih mir, daß ich dich vorhin daran gehindert habe." Ich will nicht belästigt werden." Ich bin Heilgehilfe und muß überall, wo etwas schwer fallt, erleichtern. Das will Gott   so haben. Mir ist dos Leben eigentlich nicht wichtiger als dir. Aber meinen Beruf nehm« ich ernst." Der Mann steht auf. Im Weitergehen sagt er erstaunt:Daß Gott   auch so aussehen kann, hätte ich mir niemals träumen lassen." Der Heilgehilfe hütet sich, seine Freude anzudeuten. Er geht dem Geretteten zur Seite, läßt aber einen kleinen Zwischenraum. damit seine Gegenwart nicht allzu deutlich werde und das bewegte Meer ihrer Seelen ungestört sich besänftig«. Znfi aa't