Morgenausgabe
Nr. 311
A 157
46.Jahrgang
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Sonnabend
6. Juli 1929
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Henderson für schnelle Räumung. Der Vertrag mit der Kirche
möglich.
London , 5. Juli. ( Eigenbericht.) jedoch vor einem Eintreffen der Antworten der Dominien nicht Der dritte Tag der Debatte über die Thron rede im Unterhaus war auf Grund einer Vereinbarung zwischen den Parteien der Außenpolitik gewidmet. Er gab dem Außenminister Henderson in Beantwortung einer Reihe von Fragen, die der frühere Außenminister Chamberlain an ihn gestellt hatte, Gelegen heit, eine Anzahl bedeutungsvoller Erklärun, gen zu den Problemen der Räumung des Rheinlandes, der englisch - russischen Beziehungen, der Unterzeichnung der Fakultativ- Klausel und der Beziehungen Henderson
begann seine Rede, seine erste als Außenminister, mit der Fest stellung, die französische Presse habe vor kurzem einen Artikel mit
feiner Unterschrift gebracht, in der er Meinungen zur auswärtigen Politik äußerte. Die Aufmachung dieses Artikels habe fälschlich den
Eindruck erweckt, als seien diese Feststellungen von ihm seit lleber nahme seines Postens als Außenminister gemacht worden. In Wirklichkeit habe es sich um eine aus dem Zusammenhang herausgeriffene Stelle einer Rede gehandelt, die er auf dem internationalen sozialistischen Kongreß im vorigen Jahre in Brüssel gehalten habe.
Henderson ging hierauf auf die von Chamberlain angeschnittenen Fragen der englisch russischen Beziehungen ein und teilte mit, daß sich hinsichtlich der Handelsvertragsver handlungen Meinungsverschiedenheiten gezeigt hätten, die zur Jeit unter Beratung stünden.
Zur Frage der Unterzeichnung der Fakultativtlaufel des ständigen Gerichtshofes im ha a g übergehend, be= tente der Außenminister, daß Großbritannien diese Klaujel nicht unterzeichnen werde, ohne vorher allen Problemen, die sich hierbei stellen, entsprechende Beachtung zu schenken.
Was die Beziehungen zu Rußland anbelangt, so verlas Henderson eine von den Juristen des Außenamts stammende Darstellung der Rechtslage zwischen Großbritannien und Rußland , in der die Auffassung ausgesprochen wurde, daß die Anerkennung Rußlands durch England im Jahre 1924 infolge des Abbruches der Beziehungen im Jahre 1927. gesetzlich nicht rüdgängig gemacht worden märe. Die völkerrechtlichen Pflichten und Rechte zwischen den beiden Staaten hätten deshalb auf die Beziehungen der beiden Nationen untereinander weiterhin Geltung. Die britische Regierung wünsche eine Wiederaufnahme der normalen Handelsbeziehungen; fie weiß sich hierbei in volier Uebereinstimmung mit einem Großteil der öffentlichen Meinung Großbritanniens ohne Rücksicht auf die Parteieinstellung. Die Regierung sei entschloffen, diese Frage so schnell als möglich zu erledigen. Sie sei
Räumungsvorbereitungen.
Interne Befagungsmaßnahmen im vollen Gange.
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Der Außenminister betonte hierauf, daß ein Fortschritt auf der Grundlage von Locarno und des Kellogg - Paftes gemacht werden müsse, falls diese Instrumente der Friedenspolitik jene Wirkung ausüben sollen, die bei ihrer Schaffung erwartet worden sind. Die Zeichnung der Fakultativklausel sei nicht der einzige Schritt, sondern lediglich der erste. Die Räumung des Rheinlandes, fuhr Henderson fort, müffe in Fairneß gegenüber den Deutschen , die soweit er jehe bisher alle ihre Verpflichtungen aus dem Versailler Vertrag erfüllt hätten, so schnell als möglich durchgeführt werden. Er jei jedoch jest davon überzeugt, daß eine stückweise Räumung( gemeint ist hiermit die Räumung durch eine einzelne Macht) nicht im Intereffe Europas liege und für die Deutchen eine ebenso große Enttäuschung bedeuten würde, wie die Berzögerung der Räumung überhaupt.
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Bolkspartei einst und jetzt.- Zentrum und Republik
Der Preußische Landtag nahm gestern abend in einfacher Abstimmung den Staatsvertrag mit der katholischen Kirche an.
Der Preußische Landtag nahm in seiner Freitagsizzung die zweite Lesung des Staatsvertrages zwischen Preußen und dem Päpstlichen Stuhl vor. Vor Eintritt in die Tagesordnung dementierte der Volksparteiler Ladendorff die Meldungen volksparteilicher Blätter, daß der Wirtschaftspartei zur Belohnung für die Annahme des Staatsvertrages das Handelsministerium von der preußischen Regierung angeboten worden sei. Er fügte boshaft hinzu, daß die Wirtschaftspartei überhaupt nicht mit der Volks= partei um Ministersize in Preußen wettlaufen wolle.
Der Staatsvertrag selbst war im Ausschuß unverändert angenommen worden mit den Stimmen des Zentrums, der Sozialdemokraten und der Demokraten, also der drei Regierungsparteien, und der Wirtschaftspartei. Deutschnationale und eine Anzahl fleinerer Parteien stimmten dagegen, weil Wir haben," so sprach Henderson wörtlich, nicht gleichzeitig ein Vertrag mit der evangelischen Kirche gekeinen Grund zur Annahme, daß die franzöſchlossen würde; sie erklärten sich aber sonst mit dem Inhalt fische oder belgische Regierung der völligen des Vertrages einverstanden. Gegen den Vertrag selbst Räumung des Rheinlandes irgendwelche unüber haben nur Kommunisten, Nationalsozialisten und- Deutsche windliche Widerstände in den Weg jeten werden. Volkspartei sich gewendet. Großbritannien wird, insbesondere auf der kommenden Reparationskonferenz, alles tun, was in seiner Macht steht, allen Großbritannien zur Verfügung stehenden moralischen Einfluß einsehen, um eine schnelle Entscheidung zugunsten einer völligen Räumung des Rheinlandes herbeizuführen."
Der Staatsfetretär im Außenministerium,
Dalton,
befonte in einer Rede, die sich hauptsächlich mit den Methoden der Außenpolitik der gegenwärtigen Regierung beschäftigte, die Arbeiterregierung plane bei allen wichtigen Fragen die Dominien mit heranzuziehen. Es werde unter der jezigen Regierung nicht passieren, daß die Dominien zu Proteſten darüber gezwungen würden, daß fie in Fragen von größter Bedeutung für das gesamte Reich vor vollendete Tatsachen gestellt würden.
Die außenpolitische Aussprache gab auch dem in Deutschland als ehemaligen( fommunistischen) Korrespondenten des Daily Herald" und des Manchester Guardian" bekannten neugewählten sozialistischen Abgeordneten Philipp Price Gelegenheit zu seiner Jungfernrebe im Unterhaus. Price betonte, daß der Einfluß der tommunistischen Internationale in Asien im starten Rückgang
begriffen sei, wodurch eine der konservativen Lieblingsargumente gegen die Wiederaufnahme der Beziehungen zwischen Rußland und England an Bedeutung verloren hätten.
Nach den holländischen Wahlen. Kein politischer Kurswechsel möglich.
Köln , 5. Juli. ( Eigenbericht.) Amsterdam , 5. Juli. ( Eigenbericht.) Das Bild der Zweiten Niederländischen Kammer erfährt teine Wie die„ Kölnische Zeitung " berichtet, werden die Räumungsvorbereitungen der Besatzungsbehörden in Koblenz nennenswerte Veränderung. Eine Mehrheitsbildung im in größerem Umfange fortgesetzt. Der franzöfifche General- Sinne der demokratischen Neuorientierung wird mit der Kammer vom Juli 1929 ebenso wenig möglich sein wie mit der ftab foll nach Ansicht eines franzöfifchen Journalisten Borbereitungen Rammer vom Juli 1929 ebenso wenig möglich sein wie mit der Kammer vom Juli 1925. für die frühzeitige Räumung der Koblenzer Zone angeordnet haben. Die zuständigen deutschen Stellen find allerdings über die militärischen Maßnahmen der Besatzungsmächte noch nicht in Kenntnis gefeht. Die Entwicklung wird sich vielmehr so abspielen, daß die militärischen Räumungsvorbereitungen erst in dem Augenblic vonstatten gehen, da die Rheinlandkommission für den Rücktransport bei der Reichsbahn Züge anfordern wird.
Die niederländische Sozialdemokratie hat sich im all gemeinen gut geschlagen. Namentlich das rote Amsterdam bleibt mit einem Zuwachs von 22 000 Stimmen und einer fozialdemokratischen Gesamtstimmenzahl von mehr als 134 000 Stimmen nach wie vor die Hochburg der niederländischen Sozialdemokratie. Auch Rotterdam mit 94 393 Stimmen hat eine Zunahme um 11 000 sozialdemokratische Stimmen zu verzeichnen. Die Befreiung des Gebietes fann daher unter Umständen sozuBon den drei kommunistischen Gruppen werden jagen von einem Tag auf den anderen erfolgen. In diesem Zu- fünftig die Richtung De Visser und die Richtung Wijnkoop in der jammenhang teilt die„ Kölnische Zeitung " noch mit, daß die miliKammer vertreten sein; an ein Zusammenarbeiten beider Kommu tärischen Stellen bereits mit einer großen Koblenzer Spedi- nisten ist natürlich nicht zu denken. Die Sozialistisch- Revolutionäre fionsfirma in Verbindung getreten sind und einen Eventual- Gruppe des Herrn Sneevliet , des Leiters des syndikalistischen Natioauftrag erteilt haben. Man rechnet auch damit, daß der Schul- nalen Arbeitsfefretariats, bleibt mit etwa 19 000 Stimmen weit betrieb der dortigen Besatzungsschulen nach den Ferien nicht mehr hinter der für ein Mandat erforderlichen Ziffer von 33 000 Stimmen aufgenommen wird.
Englischer Regierungsbefehl: sofort Truppenübungen abbrechen!
zurüd.
Bon den konservativen Parteien haben die Antirevo lutionären ein Mandat verloren, so daß sie fünftig nur noch über 12 Bertreter verfügen werden, während die Christlich Historischen ihre 11 Mann zu behaupten vermochten. Die Liberalen find geschwächt, da sie statt bisher 9 nur noch 8 Abgeordnete besigen. Die freisinnigen Demokraten haben sich ebenfalls behauptet.
Frankfurt a. M., 5. Juli. ( Eigenbericht.) Wie wir erfahren, ist dem englischen Hauptquartier von der englischen Regierung in London der direkte Befehl übermittelt worden, die Truppenübungen in der Eifel und in der Gegend von Simmern sofort einzustellen. Irgendwelche Anord- sundung der politischen Verhältnisse des Landes nur durch eine nungen über die Räumung des besetzten Gebietes sind nicht eingetroffen. Damit erübrigen fich auch die Mitteilungen eines englischen Blattes, wonach bereits ein Stab von militärischen Rechnungs prüfern in Wiesbaden tätig fei, um die deutschen Schadenersatzansprüche für Berlufte während der Befahungszeit zu prüfen.
Dabei sind aus dem Vertragswerk auch die letzten Zweifel ausgeräumt worden. Der Artikel 1 des Kirchenvertrages sichert den Katholiken freie Uebung ihres Glaubens zu. Mit sehr gewaltsamen Auslegungen hat man versucht, das dahin zu deuten, als fönnte von dieser Bestimmung aus ein katholischer Anspruch auf die Schule hergeleitet werden. Inzwischen haben die beiden vertragschließenden Parteien die Erklärung abgegeben, daß die Schule von dem Vertrage weder direkt noch indirekt berührt werde. Es handelt sich also im Artikel 1 nur um den ungestörten Gottesdienst.
Gegen Artikel 5, der von den Kirchen und kirchlichen Gebäuden handelt, die der Staat der Kirche weiterhin überläßt, hat man das Bedenken erhoben, daß sein Umfang sich schwer übersehen ließe. Die beiden vertragschließenden Parteien haben inzwischen erklärt, daß der Artikel sich nur auf die Grundstücke und Gebäude bezieht, über die feit 1821 ein besonderer Vertrag zwischen Staat. und Kirche geschlossen worden ist.
sichergestellt, daß weder die materiellen Interessen des Kurzum, es ist bis in die letzte Silbe des Vertrages Staates noch die Staatshoheit über die Schule, noch die dem Kommunisten und Deutsche Volkspartei sich mächtig über geistige Freiheit irgendwie beeinträchtigt werden. Wenn trotzdiesen Staatsvertrag aufregten, so muß man das ihrem unauslöschlichen Haß gegen die preußische Regierung zugute halten. Aber ebenso muß man feststellen, daß der Vertrag materiell und ideell weit hinter dem zurückbleibt, was die Sowjetrepubliken der katholischen Kirche zugestanden haben. Und die Volkspartei muß man daran erinnern, daß der Vertrag dem deutschen Reichsaußenminister Dr. Stresemann vorgelegen hat, und von ihm nicht beanstandet worden ist; daß die volksparteiliche Reichstagsfraktion einen fommunistischen Antrag, das preußische Konkordat zu beanstanden, einstimmig abgelehnt hat; daß die Volkspartei im Kabinett Stegerwald 1921 ein Konkordat gefordert hat, und zwar nur für die katholische, nicht auch für die evangelische Kirche das steht deutlich in Stegerwalds Regierungserklärung. Und endlich schafft nichts den Brief des polfsparteilichen Kultusministers Dr. Boeliz aus der Welt, in dem er am 6. Januar 1922 schreibt, er sei bereit, mit dem Papst über die Sicherstellung der katholischen Intereffen in der Schule zu verhandeln.
Jetzt, wo die Schule restlos aus dem Vertrage ausgelassen ist, spielt die Volkspartei Opposition. Aber die kategorische Aufforderung, Herrn Dr. Boelig zur Stelle zu schaffen, die am Freitag mehrfach an sie gerichtet wurde, hat sie doch nicht ausführen können.
einer Erklärung des Genossen König eingeleitet, die diese Die Landtagsdebatte über den Staatsvertrag wurde mit Sachlage noch einmal mit aller Schärfe umriß und eine erschöpfend klare Begründung der Haltung der Sozialdemokratie gab. Im übrigen bestand die Diskussion im wesentlichen aus Auseinandersetzungen zwischen Zentrum und Volkspartei,- das große kommunistische Geschimpfe nimmt so wie so niemand ernst, es bleibe deshalb unbeachtet. Immer wieder nagelte das 3entrum die Volkspartei darauf fest, daß ihre Argumente nicht aus der Weitherzigkeit der Weimarer Ver fassung , sondern aus der Brutalität des alten Staates stamm
Die niederländischen Wahlen zeigen deutlich, daß eine Geten. weitere Stärkung der Sozialdemokratischen Arbeiter partei herbeigeführt werden kann. Während die Katholiken troj aller äußerlichen Einheit durch Interessengegensätze zerrissen sind, ist die Sozialdemokratie immerhin bereits heute der stärkste ein heitliche politische Machtfattor im Lande.
Daran anknüpfend gab der Zentrumsabgeordnete Dr. Linneborn die weitestgehende Sympathieerflä rung für die Republik ab, die wir je aus Zentrumsmunde gehört haben. Der Dienst des Zentrums an der Re publik und ihr Bündnis mit der Sozialdemokratie sei jetzt auch dogmatisch vollkommen gerechtfertigt, der Papst habe das Preußen Otto Brauns in seiner republikanisch- demokratischen