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Beilage Dienstag, 9. Juli 1929

Arbeitswissenschaft

Von M. Kantorowicz

Dem Taylorsystem war es vergönnt, lange Jahre seinen Sieg zu feiern, bis die Wissenschaft, sofern sie nicht ausdrücklich den Unternehmerinteressen diente, feststellen konnte, daß die durch dieses System erzielte Intensivierung eine Ausbeutung des Arbeiters be­deute, die weitgehende gesundheitsschädliche Folgen hat. Ohne das Bestreben einer Erzielung höchster Produktivität aufzu geben, haben einige Gelehrte ein anderes Arbeitssystem ausge­arbeitet, monach die beste Arbeitsgestaltung ohne begleitende Ge­sundheitsschädigungen des Arbeiters erreicht werden kann. Hat Taylor bei der Ausarbeitung seines Systems das Arbeitspro duft in den Mittelpunkt seiner Forschung gestellt, so haben seine Antipoden nur den arbeitenden Menschen ins Auge gefaßt. Eine neue Wissenschaft, die Arbeitswissenschaft, hat sich auf diese Weise in den letzten Jahren entwickelt. Diese ist nichts anderes als die Wissenschaft von den Bedingungen und Wirkungen der mensch­lichen Arbeit.( Otto Lipmann  .) Die neue Arbeitskunde nimmt eine wichtige Stellung in der Berufshygiene ein, denn sie erstrebt, mie aus dem vorhin Gesagten zu ersehen ist, die Ausschaltung der gesundheitsschädlichen Momente im Arbeitsprozeß an. Sie beeinflußt die bisherige gewerbehygienische Forschung, da hin überzugehen, die herrschende Arbeitsmethode mit Tiererperi­menten durch unmittelbare Beobachtungen des Arbeiters in seinen Arbeitsverhältnissen zu ersetzen.

In der Tat haben die Tierexperimente nicht die volle Ermar­tung der Arbeitshygieniter erfüllt; denn abgesehen davon, daß zwischen der Empfänglichkeit der Versuchstiere und der der Menschen zwischen der Empfänglichkeit der Versuchstiere und der der Menschen wesentliche Unterschiede bestehen, erzielen derartige Untersuchungen oft akute Vergiftungen bei Lieren, nicht aber chronische, denen Ar­beiter in Betrieben ausgesetzt sind. Freilich haben auch die bisheri­gen Forschungsmethoden große Fortschritte gemacht. Sie haben uns wertvolle Aufschlüsse über verschiedene Berufsgefahren, wie

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3. B. bei der Verarbeitung von Blei, Phosphor usw. gegeben. Aber die Gewerbehygiene muß sehr begrenzt bleiben, solange nicht der arbeitende Mensch in den Mittelpunkt der Forschung gestellt wird. Die lettere Methode wendet insbesondere das Kaiser- il helm Institut für Arbeits physiologie an. bührt seinem Direktor, Prof. Edgar Ayler, besonderer Dant dafür, daß er den Faktor Mensch" in seinen arbeitsphysiologischen Arbeiten, das sind solche über die Funktion des Körpers des Ar­beiters während seiner Tätigkeit, hervorhebt. Im Gegensatz zu Taylor bemüht sich Azler, eine optimale Leistung des Arbeiters zu erreichen, d. h. die höchstmögliche Produktivleistung, die ein Ar­beiter schaffen kann, ohne seine Arbeitskraft zu schädigen. So ist es möglich, anstatt des Arbeitsproduktes den Arbeiter selbst den Ausgangspunkt der Forschung werden zu lassen. Neuerdings ist das obengenannte Institut nach Dortmund   übergefiedelt, wo seine Arbeiten einen großzügigen Charakter angenommen haben.

Ahlers Aufgabe, die Physiologie des Arbeiters während der Arbeit zu studieren, muß aber in ihrer Methode noch weitgehender ausgebaut werden. Wenn wir seine Arbeitsmethoden ins Auge fassen, die nur im Laboratorium zustande kommen, so müssen wir dagegen einwenden, daß die Arbeiten des Arbeiters in einer Fabrik, nachdem er den langen Weg von seiner Woh­nung zurückgelegt hat usw., ganz anders ausfallen als ein Ver­fuchsexperiment, das mit einem Arbeiter im Laboratorium unter günstigen Bedingungen vorgenommen wird. Dasselbe gilt auch für die Psychotechnit. Auch diese Wissenschaft hat zweifellos viel geleistet, aber ihre Ergebnisse haben nur relativen Wert, denn die Psychotechnit ist noch viel zu wenig zentralisiert, um den Arbeiter unmittelbar bei seiner Arbeit zu beobachten. Wir haben schon her­vorgehoben, daß wir nur wenig Gelegenheit haben, die schädlichen Wirkungen der Arbeit unmittelbar zu beobachten. Allerdings ist die Wissenschaft bereits zu der Erkenntnis gekommen, daß nicht die Arbeit, sondern der Arbeiter selbst beobachtet werden muß, damit die schädlichen Wirkungen der Arbeit beseitigt werden können. So hat sich neuerdings die Deutsche Gesellschaft für Gewerbehygiene" entschlossen, einen ärztlichen Ausschuß für Konstitutions= forschung der Arbeiter zu begründen. Die Ergebnisse solcher Arbeiten werden es ermöglichen, viele Arbeiter aus den Berufen fernzuhalten, deren Arbeitsverhältnissen ihr Körperbau nicht ge­wachsen ist. In der Hauptsache ist jetzt aber eine Wissenschaft ent­standen, die die Aufgabe hat, die Physiologie, Hygiene und Batho­logie der Arbeit allseitig zu erforschen. Diese konzentrierte Wissen­schaft hat den Namen Arbeitsmedizin und die Aufgabe, Forschungsinstitute zu begründen, die die Arbeit in allen ihren Ent­stehungsformen studieren, ihre Forschung der Allgemeinheit nutzbar machen, die einzelnen Forschungsergebnisse zusammenfassen, die Lücken zwischen einzelnen Arbeiten ergänzen, ein Nebeneinander­arbeiten und eine allzu große Zersplitterung der Mittel verhüten, eine Sammlungsstelle und gleichzeitig eine Vermittlungsstelle sein

soll.( Koelsch.)

Als ein wichtiger Bestandteil solcher Einrichtungen sollen spezielle Arbeitertliniten geschaffen werden, in denen ein­wandfreie Untersuchungen der Arbeitspathologie vorgenommen werden können. Seinerzeit, als die Kaiser- Wilhelm- Akademie für militärärztliches Bildungswesen" liquidiert werden mußte, hegte man den Plan, ein Reichsinstitut für medizinische Ar­beitsforschung zu errichten. Leider blieb dieser Plan wegen Mangel an Mitteln" auf dem Papier. So haben die Bewert schaften die dringende Aufgabe, zur Schaffung einer solchen Forschungsstelle aufzufordern. Darüber hinaus müssen wir aber neben den Forschungen der Arbeitsmedizin die rein soziale Seite der Arbeitsverhältnisse studieren. Es ist allerdings unmöglich, daß ein und derselbe Forscher den ganzen Problemfompler beherrscht, denn dazu muß er eingehende Kenntnisse in der Physiologie, Patho­logie, Psychologie, Anthropologie. Hygiene, Soziologie, Jurispru­denz, Statistit, Technologie und Nationalökonomie haben. Als ich vor drei Jahren über eine spezielle und allseitige Untersuchung über " Die Arbeit in Gießereien" berichtet habe, schrieb ich u. a.:

Es war allerdings schwer, den ganzen Kompler von Pro blemen durch einen Berfasser... zu behandeln. Es wäre aber eine Aufgabe für mehrere Fachgelehrte gewesen, die alle und jeder besonders ein Ziel verfolgen, in dem Sammelwert eines umfangreichen Handbuches das Bild der Psychologie, Physiologie, Soziologie, Hygiene und Pathologie der Arbeit zu geben, indem jede Untersuchung in einen deskriptiven und in einen normativen Teil zerfällt. Hoffentlich ist die Zeit nicht mehr fern, wo wir ein solches Unternehmen begrüßen fönnen."

Diese Aufgabe hat jetzt die Arbeitswissenschaft zu erfüllen. Im

Der Abend

Shalausgabe des Vorwans

Versuche an Menschen

Ein Riegel für die Experimentierwut

Der seinerzeit im ,, Borwärts" eröffnete Kampf gegen die über­handnehmende Experimentierseuche an Kranten hat zu einem ge­wiffen Erfolg geführt: unsere Forderung, im Strafgefeßenwurf, der gegenwärtig im Reichstagsausschuß verhandelt wird, leicht fertige und gewissenlose Experimente an Kranten in schärferer Weise, als es bisher geschehen, als Körperver legung unter Strafe zu stellen, ist Genüge geleistet worden. Es ist wegen der Wichtigkeit dieses Erfolges notwendig, an dieser Stelle das Ergebnis der Beratungen des Strafrechtsausschusses näher zu beleuchten.

Es ist bekannt, daß die Aktionen gegen das zwecklose, sinnlose und oft gemeingefährliche Herumexperimentieren an Kranten, wie man es in den letzten Jahren immer häufiger in gewissen öffent­lichen Krankenanstalten bemerken mußte, von einem Teil der ge­lehrten Welt" mit Mißfallen beobachtet wurden. Meist wurde uns entgegengehalten, daß solche Experimente im Interesse des Fort­schrittes der Wissenschaft nötig seien. Wir haben an zahl­losen Beispielen, die unverdächtigen Quellen, nämlich den medizini schen Zeitschriften, entnommen waren, aufgezeigt, daß es Versuche waren, die ohne jeden Sinn unternommen wurden,

Versuche, die nicht der Heilung wegen erfolgten,

sondern aus einer überspannten wiſſenſchaftlichen Geltungssucht heraus. Ebenso wie es heute modern geworden ist, daß junge Assistenten sich berufen fühlen, wissenschaftlichen Literaturehrgeiz an den Tag zu legen, ohne dazu berufen zu sein

wir erinnern an

ieds Urteil, daß der größte Teil dieser Arbeiten pöllig wertlos ist genau so ist der Forschungsdrang" modern geworden. Berufene und Unberufene experimentieren an Kranken herum, ohne daß das Experiment einen ersichtlichen Heilungszweck verfolgt oder einem wissenschaftlichen Bedürfnis ent­spricht. Eine maßlose Berrohung der ärztlichen Stilistik in medizinischen Zeitschriften ist die natürliche Folge dieser hemmungs. losen Experimentiermut. Rrante werden als Material", als Fälle" bezeichnet, frante Kinder werden mit dem terminus technicus ,, Versuchs" oder Kontrolltinder" bedacht. Der Kranke ist kein jeder Bernunft baren Versuche ausgeführt werden, Versuche, die oft Mensch, sondern ,, Material", an dem oft die widersinnigsten und jeder Bernunft baren Versuche ausgeführt werden, Versuche, die oft von den schädlichsten Folgen für Leben und Gesundheit begleitet sind. Im Strafrechtsausschuß sind eine Reihe solcher Fälle mitgeteilt Im Strafrechtsausschuß sind eine Reihe folcher Fälle mitgeteilt worden. Insbesondere ein Fall aus der Greifswalder Frauenklinik, veröffentlicht in der Klinischen Wochenschrift", und zwar wurde dort mit einem Mittel( Gynergen) herumexperimentiert, durch deffen Anwendung bereits Todesfälle zu verzeichnen gewesen find. Es heißt da in der Veröffentlichung aus der Greifswalder

Klinik:

Um angesichts des unglücklichen Gynergenerlebnisses nicht zu schaden, mußten die Versuchspersonen vorsichtig aus­gewählt werden, zumal auch sonst schon in der Literatur wiederholt über mehr oder weniger starte Schädigungen durch Gynergen berichtet worden war."

Es wird dann ein Versuch an eine 21jährigen Erst gebärenden während der Geburt am Ende der Aus­treibungszeit geschildert:

Wegen der zu erwartenden Schädigung des Kindes wurde 0,5 Kubitzenfimeter Gynergen intravenös injiziert und ferner die Zange im Falle zu großer Gefahr für das Kind bereit­gehalten."

Der Bericht stellt dann fest:

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In 10 Minuten ein rapider Abfall der findlichen Herztöne auf 40 nicht mehr ganz regelmäßige Schläge. Das Kind wurde dann in einem leicht afphyktischen Zustande, der schon nach wenigen Minuten behoben war, geboren. Zu einem zweiten derartigen, nicht ganz ungefährlichen Versuch konnte ich mich nach Rüdsprache mit Herrn Profeffor Hoehne nicht entschließen.

Also: eine 21jährige junge Frau geht vertrauensvoll in eine Universitätsklinik, um dort der Niederkunft ihres ersten Kindes ent­gegenzusehen, und die Aerzte finden gar nichts dabei, während der gestandenermaßen lebensgefährliche Experimente vorzunehmen, Geburt, also in der schwersten Stunde, die eine Frau erlebt, zu­lebensgefährlich für Mutter und Kind! Wir haben mit Nachdrud erklärt, daß bei diesem Fall nicht mehr die Wissenschaft, sondern nur noch der Staatsanwalt mitzureden hätte, zumal über das weitere Schicksal von Mutter und Kind und namentlich Kind nichts bekannt geworden.

mit Totschweigen aufgenommen worden oder man hat uns Feind In gewissen Aerztekreisen sind nun unsere Anklagen entweder schaft gegen die Wissenschaft" vorgeworfen. Wir haben wiederholt

Gegensatz zu anderen Disziplinen ist die Arbeitswissenschaft eine reine Grenzwissenschaft, d. h. sie ist noch weit davon ent­fernt, eine bestimmte Form einzunehmen, sondern entnimmt den für sie in Frage kommenden Arbeitsgebieten der Forschung das, was sie braucht. Und wie eine Biene aus verschiedenen Blumen fäften ein Einheitsprodukt, den Honig, schafft, so vereinigt die Arbeitswissenschaft in sich alle den angrenzenden Wissenschaften ent­nommenen Fragen, um sie einheitlich unter dem oben angegebenen Gesichtspunft zu gestalten und nutzbar auszuwerten. Noch stedt fie in den Kinderschuhen und ihr Charakter ist noch nicht genügend fristallisiert. Ihr Dasein ist aber durch die heute herrschenden Arbeitsverhältnisse berechtigt. Wenn auch ihren Bahnbrechern noch viele Kämpfe bevorstehen, bis sie anerkannt ist, so ist an ihrer 3u funft doch nicht mehr zu zweifeln. Das erfordert vor allem das Intereffe der Arbeiterklasse, und dieser Faktor ist der entscheidende für das Schicksal der Arbeitswissenschaft.

Eingeweide werden gefilmt

Der Berliner   Röntgenologe Dr. Gottheimer und der Photograph Kurt Jacobjohn haben zusammen einen Filmröntgenapparat ton struiert, den sie auf dem Röntgenologenfongreß zum ersten Male der Deffentlichkeit vorführten. Man fann mit diesem Apparat das Herz, den Magen, die Lungen usw. in ihrer Arbeit aufnehmen und tontrollieren. Da sich der Röntgenfilm auf höchstens 1 Mart pro Meter stellt, ist die neue Methode geeignet, allgemeine Aufnahme in der ambulanten Krantenbehandlung zu finden,

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Gelegenheit genommen, zu erklären, daß wir natürlich das Experi­ment als Mittel der wissenschaftlichen Forschung nicht ablehnen. Wir haben aber verlangt, daß solche Versuche zuerst an Tieren aus­probiert werden, daß sie dort, wo eine Gefahr für den Patienten entstehen kann, von den Aerzten, die glauben, auf das Experiment nicht verzichten zu fönnen, an sich selbst oder ihren An gehörigen ausprobiert werden. Wir haben uns gegen die Gleichgültigkeit der Experimentatoren gegen das ihnen zur Heilung anvertraute menschliche Leben gewendet, eine gleichgültige Roheit, die ihren Ausdrud in den furchtbaren Entgleisungen Material", Versuchs- und Kontrollkinder" findet.

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Wir lehnen das Experiment, soweit es die Heilung des Patienten bezweckt, nicht ab. Wir lehnen aber Experimente ab denke an die furchtbaren Versuche mit sterbenden Kindern-, aus Ehrgeiz ohne ersichtlichen Heilungseffekt unternommen

wurden.

man die

Solche Experimente bekämpfen wir nicht nur aus ethischen Gründen, sondern auch als soziale Ungerechtigkeiten. Wir haben bewiesen, daß auch nicht in einem einzigen Falle solche Versuche an wohl­habenden Patienten in Privatflinifen, Sanatorien usw. ausgeführt wurden. Wir lehnen ferner den Mißbrauch des Patienten als

Bersuchskarnickel" ab, weil solche Experimente nur geeignet sind, das Mißtrauen weiter Bevölkerungsschichten gegen den Aerztestand

noch zu vergrößern. Völlig irrelevant ist der Einwand, den manche Anhänger des Experimentierunwesens uns entgegengehalten haben: Die Publikationen in der medizinischen Fachpresse seien nicht für die

breite Deffentlichkeit bestimmt. Das heißt, man solle alle diese Miß­bräuche vor dem Volke vertuschen. Dazu geben wir uns nicht her. Für das Experiment ist nicht ausschlaggebend, daß es von einem Arzt vorgenommen wurde, sondern ob es den Forderungen

der ärztlichen Ethit, wie überhaupt der allgemein gültigen Moral entspricht. Im Herbst wird sich der Reichsgesundheitsrat in einer Ertrafigung mit dieser Frage an der Hand einer Broschüre, die Genosse Moses   angekündigt hat, beschäftigen. Dort wird Experimente im Schoße der Vergessenheit erledigt" sind, ohne daß Gelegenheit sein, nachzuweisen, welche erschütternd hohe Bahl von Experimenten bekannt geworden ist, und wer fann ermeffen, welche Die Verantwortlichen für ihre Taten einstehen müssen. die Verantwortlichen für ihre Taten einstehen müssen.

Der Paragraph 263 des neuen Strafgefeßentwurfs hatte ursprünglich folgende Fassung: Eingriffe und Behandlungen, die der Uebung eines gewissenhaften Arztes entsprechen, find teine Körperverlegungen im Sinne dieses Gesetzes."

Es ist klar, daß diese Bestimmung infolge ihrer unflaren Stili­fierung uns als teine genügende Sicherheit gegen Mißbräuche der ärztlichen Macht erschien. Schließlich wird auch der gewissenloseste Experimentator von sich behaupten, sein Versuch, der den Patienten mit den schädlichsten Folgen bedroht, habe der, llebung eines ge­wissenhaften Arztes" entsprochen. Diese tautschutartige Bestimmung allein hätte feine Besserung herbeigeführt. Damit hätten, wie Ge­nosse Landsberg   im Ausschuß mit Recht hervorhob, Fanatiker des Chirurgenmessers einen Freibrief erhalten. Genosse Moses  stellte die Forderung auf, das ärztliche Eingriffsrecht im Gesetz eng zu begrenzen. Für die Eingriffe müssen nicht nur die Regeln der Wissenschaft maßgebend sein, sie müssen vor allem auch vom Stand­puntt der ärztlichen Ethit zulässig sein und ausschließ lich Heilzmeden dienen. Die sozialdemokratischen Mitglieder verlangten, daß in den§ 263 ausdrücklich die Bestimmung eingefügt werde, daß nur Eingriffe, die zu heilzweden" vorgenommen werden, feine Körperverlegungen sind. Auch der Ober­reichsanwalt a. D. Ebermayer stimmte den Forderungen auf Einfügung dieses wichtigen Zusages in das Gesetz zu. Unter dem Eindruck des von Genossen Moses   vorgelegten Materials über haar­sträubende Versuche an Patienten war sich der ganze Strafrechts­ausschuß darin einig, daß der Experimentierseuche ein Riegel vor­geschoben werden müsse. Der Zentrumsabgeordnete Wegmann ergänzte den sozialdemokratischen Antrag durch einen eigenen An­Heilzweden und gemäß den Regeln der ärztlichen trag, nur die ärztlichen Eingriffe für straffrei zu erklären, die zu Kunst erfolgen. Fast einstimmig nahm der Strafrechts­ausschuß den§ 263 in folgender Fassung an:

Eingriffe und Behandlungen, die lediglich zu heil­3weden erfolgen, der Uebung eines gewissenhaften Artes entsprechen und nach den Regeln der ärztlichen Kunst vorgenommen werden, find feine Körperver­letzungen im Sinne dieses Gesetzes."

folute Schuß gegen mißbräuchliche Experimente noch nicht erzielt,

Es ist ein Erfolg! Natürlich ist der Idealzustand, der ab­

und man wird sich bemühen müssen, in der zweiten Lesung dem Baragraphen noch eine flarere Fassung zu geben, aber auch in dieser Form gibt die Bestimmung eine ausreichende Handhabe gegen gewiffenlose Experimentierwüteriche, denen die Patienten bisher hilflos überantwortet waren. Eingriffe dürfen lediglich zu Heil­zwecken, erfolgen. Also: Alle Experimente, die nur des Experimentierens wegen vorgenommen werden und bei denen der Experimentator feinen Heilzwed nachweisen kann, werden als Körperverlegungen bestraft. Unter diese Bestimmung fallen jetzt zahlreiche Fälle, die wir früher bereits der Deffentlichkeit mitgeteilt haben habenso die Versuche an sterbenden Kindern, der Greifswalder Vorfall und viele andere- und die straflos blieben, weil das Gesetz wenig Möglichkeiten bot, die Schul­digen zur Verantwortung zu ziehen und sich auch selten ein An­tläger fand. Als weitere Sicherung kommt hinzu die Bestim­mung, daß Straffreiheit nur dann besteht, wenn die Eingriffe der Uebung eines gewissenhaften Arztes entspricht und nach den Regeln der ärztlichen Kunst vorgenommen werden. Damit joll ein Riegel jenen Experimenten vorgeschoben werden, in denen ,, von der Uebung eines gewissenhaften Arztes" teine Rede war, sondern die Person des Arztes also des Heilenden hinter den ,, Forscher" zurüdtrat, der die Eingriffe nicht nach den Regeln der ärztlichen Stunst vornahm, sondern nach Methoden, die den Regeln oft wider­sprachen, da sie ja feinen Heilungszweck verfolgten, sondern, wie die Experimentatoren sagen ,,, einen Erkenntniswert" schaffen sollten. Diese Auffassung, Erkenntnisse auf Kosten der Patienten zu ge winnen, wird jegt als Rörperverlegung unter Strafe gestellt.

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Medicus.