Morgenausgabe
Nr. 321
A 162
46.Jahrgang
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Paris , 11. Juli. ( Eigenbericht.)
Die Verhandlungen über die kommende diplo matische Konferenz werden unablässig unter den beteiligten Mächten weitergeführt, jedoch läßt sich nicht leugnen, daß in der letzten Zeit ein gewisser Still st and eingetreten ist, der aber wahrscheinlich nur vor übergehend sein dürfte.
Inzwischen hat die französische Regierung ebenfalls ihre Delegierten zur Konferenz bestimmt, und zwar Mi nisterpräsident Poincaré, Außenminister Briand und Finanzminister Cheron . Außerdem werden der Präfi. dent der Bank von Frankreich Moreau und der Generalsekretär Berthelot zur französischen Delegation gehören. Die französischen Mitglieder für die vorbe reitende technische Konferenz, deren Zusammentritt von de: tscher Seite für den 15. Juli in Berlin vorgeschlagen worden war, sind noch nicht bestimmt.
Was den Tagungsort der Konferenz betrifft, so ist der Quai d'Orsay nach wie vor fest entschlossen, bei der Wahl Luzerns zu bleiben. Der fran zösische Widerstand gegen die Vorschläge der englischen Arbeiterregierung läßt sich nicht allein aus Prestige. gründen, sondern zu einem großen Teil auch dadurch er. klären, daß man hier glaubt, die Befürchtung hegen zu müssen, England könne die Annahme des Young Blanes in seiner jezigen Form und zwar zuun gunsten Frankreichs - noch in Frage stellen.
möglichst schnell an die Räumung des Rheinlandes gehen werden. In politischen Kreisen wird darauf hingewiesen, daß die britische Regierung in feiner Weise zu der starren Bolitit des Belassens britischer Truppen im Rheinland , folange die militärischen Kontingente der anderen Mächte sich dort befinden, verpflichtet ist.
Deutschland hat sich bisher in dem Streit, ob London oder die Schweiz , neutral verhalten. Eines ist allerdings etwas rätselhaft: wenn man in London annimmt, daß die Konferenz einen vollen Monat dauern würde, so würde das bedeuten, daß zu Beginn der Völkerbundstagung, an der insbesondere Macdonald, Henderson, Stresemann, Briand und noch viele andere, deren Anmesenheit auf der Reparations- und Räumungskonferenz unentbehrlich ist, in London festgehalten würden. Sie müßten dann allesamt etwas hals über Kopf nach Genfübersiedeln. Wie stellt man sich das rein praktisch vor? Schon aus diesem
mäßiger erscheinen.
Nach Luzern taucht nunmehr auch Montreug am Genfer See als neutraler Schweizer Tagungsort für die Regierungskonferenz auf. Die Behörden von Montreur haben sich an die interessierten Regierungen mit dem Anerbieten gewandt, ihre Stadt als Konferenzort zu wählen. Nach einer Bariser Meldung der„ Gazette de Lausanne" hält man es in französischen Kreisen nicht mehr fürwahrscheinlich, daß Lausanne als Tagungsort nicht in Frage fommt.
Reuter zufolge wird die Regierung einen neuen Appell an Frank reich richten, seinen Widerstand gegen die Wahl Londons als Deutsch - belgische Verhandlungen vor dem Abschluß Tagungsort der nächsten internationalen Konferenz aufzugeben, zuDie Konferenz werde mal teine andere Regierung dagegen sei. wahrscheinlich am 6. August zusammentreten und wie man annehme, einen Monat dauern.
Man hoffe, daß einige Tage nach dem Zusammentritt der Konferenz die Mitteilung werde erfolgen können, daß die drei
Alliierten
Trotty darf auch nicht nach England.
Asylrecht verweigert.
London , 11. Juli. ( Eigenbericht.) Innenminifter Clynes feilte im Unterhaus mit, daß die Regierung das Einreisegefuch Leo Trogtis abschlägig
befchieden habe.
der Abgeordnete der Arbeiterpartei Wedgewood wies den Innenminister nach dieser Mitteilung darauf hin, daß in der Vergangenheit Revolutionäre wie Garibaldi , Mazzini und Karl Marg als politische Flüchtlinge in Großbritannien Aufnahme gefunden häffen. Auf diese Frage gab der Innenminister teine Ant
wort.
Für Wiederaufnahme der Beziehungen mit Sowjet- Rußland.
Condon, 11. Juli. ( Eigenbericht.)
Die Regierungen der Dominien haben auf das Ersuchen der britischen Regierung um Stellungnahme zu der geplanten Wieder. aufnahme der englisch - russischen Beziehungen so geantwortet, daß munmehr innerhalb 48 Stunden der nächste Schritt erfolgen soll. Die britische Regierung gedenkt in Mostau die Aufnahme vorbereitender Besprechungen oder den Zusammentritt einer gemeinsamen Konferenz anzuregen, deren Aufgabe es sein würde, den Weg zu einer offiziellen Wiederaufnahme der englisch - russischen Beziehungen mit größter Beschleu
nigung anzubahnen.
Annäherung England- Aegypten?
London , 11. Juli. ( Eigenbericht.) Der englische Außenminister Henderson hatte am Dommers tag eine längere Unterredung mit dem ägyptischen Mi nisterpräsidenten Mohammed Mahmud Pascha , die durchaus freundlich verlaufen ist. In amtlichen Kreifen wird die Lage auf Grund dieser wichtigen Besprechung mit ausgesprochenem Optimismus beurteilt und die Hoffnung ausgesprochen, daß be reits im Laufe der nächsten drei Wochen ein Abkommen der Deffentlichkeit übergeben wird, durch das die englisch - ägyptischen Beziehungen auf eine befriedigendere Grundlage gestellt werden
mürden.
In parlamentarilchen Kreisen der Arbeiterpartei wird diefer amtliche Optimismus allerdings angesichts der Stellung Mahmud Baschas in seinem eigenen Land durchaus nicht geteilt.
Die deutsch belgischen Verhandlungen über die Martfrage befinden sich zurzeit im Endstadium. Eine Berständigung über den Rücklauf der Markbestände durch Deutsch land ist bereits erzielt. Die Regelung der in Belgien sequestrierten deutschen Guthaben wird für Freitag erwartet.
Neue Verhaftungen in Bukarest . Das Kriegsgericht wird schnell zusammentreten.
Butareft, 11. Juli. ( Eigenbericht.) 3m Zusammenhang mit dem geplanten Militärpuffch hat die Polizei am Donnerstag wiederum 10 Berhaffungen vorgenommen. Es verlautet, daß inzwischen auch ein Oberst verhaftet worden sein soll.
Das Kriegsgericht ist bemüht, den Putschisten schon in den allernächsten Tagen den Prozeß zu machen."
Weitere Einzelheiten über das Komplott. Ueber den Butschversuch erhalten wir aus Butare st brieflich und daher verspätet folgende direkte Einzelheiten:
,, In der Nacht vom vergangenen Sonntag zum Montag wurde. in Butarest ein weitverzweigtes Komplott zur Ausrufung einer Militärdiftatur aufgedeckt. An der Spize der militärischen Geheimorganisation, die seit längerer 3eit einen Butsch plante, stehen die Generäle Brosteanu, Betala, Paul Anghelescu, Mardarescu( die beiden letzteren ehemalige liberale Kriegsminister), Miroescu, ehemals Kriegsminister in der Regierung Averescu , und Sturza, sowie die Obersten der Fliegertruppe Stoica und Zamfirescu.
3weds Organisierung des Butsches bereifte in den letzten Tagen ein Sendling des Bukarester Geheimfomitees das Land und über brachte den Vertrauensleuten geheime Instruttionen. Aber fchon am Donnerstag, dem 4. Juli, erhielt die Regierung durch die Geheimpolizei Kenntnis von dem Komplott und dem Butschplan. Angeblich hat vor allem der gegenwärtige Kriegsminister Cihosti großen Anteil an der Aufdeckung. Infolge der sofort getroffenen Maßnahmen wurde die Ausführung des Butsches ver hindert. Die Obersten Stoica und Zamfirescu wurden noch am Sonntag abend verhaftet, die Generäle Brosteanu und Sturza unter Haus arrest gestellt. Die Untersuchung hat bisher ferner ergeben, daß einige hundert Offiziere in das Komplott verwickelt sind. Auch der Butar efter Bolizeipräfett Rico leanu foll an den Vorbereitungen beteiligt sein. Seine Demission ist deshalb bald zu erwarten. Nicoleanu ist aktiver General und Polizeipräfeft feit 1915.
Das Militärfomplott hat in allen politischen Kreisen großes Aufsehen und Verwunderung erregt. Mit den politischen Parteien stehen die Butschisten jedoch in feiner Verbindung. Dagegen wird behauptet, daß die Rönigin wit we mitbeteiligt ist. Inwieweit auch Egprinz Carol im Spiele ist, fonnte bisher noch nicht einwandfrei festgestellt werden.
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Mathematik oder Sozialpolitik.
Grundsägliches zum Arbeitslosenschuh.
Es ist erstaunlich, wie unbelastet von aller sozialen Berantwortung die Diskussion über die Reform der Arbeitslofenversicherung von den bürgerlichen Politikern und ihrer Presse geführt wird. Welch ein Unterschied, wenn man die Auseinandersetzungen um das gleiche Problem in England verfolgt! Es handelt sich nicht darum, durch versicherungsmathematische Berechnungen die schreckliche Zahl der Arbeitslofen aus der Welt zu lügen. In erster Linie kommt es darauf an, den Arbeitslosen Arbeit zu beschaffen, nicht aber, den Unterstützungsanspruch zu beseitigen oder herabzudrücken.
Bon der Notwendigkeit der Arbeitsbeschaffung ist die gefamte öffentliche Meinung in England beherrscht. In diesem flassischen Lande des ökonomischen Liberalismus ist es herrschende Meinung geworden, daß es Aufgabe des Staates ist, durch großzügige arbeitsmarktpolitische Maßnahmen die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Wir sind dagegen auf dem besten Wege, nicht nur die sozialpolitischen Ueberlegungen durch verficherungsmathematische Quacksalbereien zu ersehen, sondern auch noch die notwendigsten arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen zu verbauen. Die Lage des Arbeitsmarktes ist alarmierend genug.
allem Nachdruck in den Bordergrund rüden, weil nur so auch Man muß diesen Zusammenhang immer wieder mit der richtige Ausgangspunkt für die Lösung wesentlicher Streitfragen über den materiellen Arbeitslosenschutz gewonnen werden kann. Wenn es gelingt, durch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen eine ausreichende Entlastung des Arbeitsmarktes herbeizuführen, ist auch das Kernproblem in der Versicherung, ihre finanzielle Ausbalancierung, gelöst. Geschieht das nicht, versucht man vielmehr mit Hilfe von ver Sicherungsmathematischen Kunstgriffen den finanziellen Ausgleich zu schaffen, dann ist vielleicht in der Versicherung das Problem gelöst, mit dem Endergebnis jedoch, daß die Lasten auf andere Träger abgeschoben worden sind. Deshalb führt uns die Versicherungsmathematik in dieser entscheidenden Frage für den materiellen Arbeitslosenschuh feinen Schritt weiter. Was wir gebrauchen, ist feine mathematische, sondern eine sozialpolitisch befriedigende Lösung. Unter diesem Gesichtspunkt stellen sich die Dinge folgendermaßen dar:
Wir haben es jetzt glücklich auf vier Formen des materiellen Arbeitslosenschutzes gebracht: Arbeitslosenversicherung, Krisenfürsorge, Landesfürsorge und Wohlfahrtspflege. Die lettere beschränkt sich nun nicht etwa darauf, bei besonderen individuellen Notständen von Unterstüßungsempfängern aus den ersten drei Gruppen ergänzend einzugreifen, was sich in gewissem Umfange aus ihrer Funktion als individualisierende Fürsorge rechtfertigen ließe, die Wohlfahrtspflege muß vielmehr heute in ungeahntem Umfange die großen Lücken in unserem Arbeitslosenschutz ausfüllen. Sie ist also ein selb ständiger Unterstützungsträger für arbeitsfähige, aber unfreiwillig arbeitslos gewordene Arbeitnehmer. Das aber ist nicht die Aufgabe der Wohlfahrtspflege! Auf die Dauer ist diese Regelung auch für die Arbeitnehmer unerträglich. Wenn sich hierbei das Problem für die Gemeinden in erster Linie unter dem Gesichtspunkt des Finanzausgleichs darstellt, neben der ebenso ernſten arbeitsmarktpolitischen Seite, so bedeutet für die Arbeitnehmer diese Lösung ein unerträgliches Minus an sozialpolitischem Schuh. Wir erwähnen beispielsweise nur die Rückerstattungs pflicht der empfangenen Unterstützung.
Welchen Umfang die Betreuung von solchen Arbeitslosen durch die Wohlfahrtspflege angenommen hat, darüber gibt eine jezt vorliegende Erhebung in den Städten über 50 000 Einwohnern durch den Deutschen Städtetag Aufschluß. Es find insgesamt 154 899 unterstüßte Personen ohne die mitunterstügten Angehörigen gezählt worden. Ueberträgt man diese Feststellungen auf das ganze Reich, dann kommt man auf rund eine Viertelmillion solcher Unterstützungsempfänger. So erklärt sich auch die große Differenz in den amtlichen Ausweisen über die Zahl der verfügbaren Arbeitsuchenden und der Unterstügungsempfänger, die in den letzten Monaten ständig über eine halbe Million betrug. Es zeigt sich aber auch hier, wie unzulässig es ist, den Arbeitsmarkt nach der zahlenmäßigen Entwicklung der Hauptunterstützungsempfänger zu beurteilen. Die Veränderungen, die durch Aussteuerung aus der Versicherung und aus der Krisenfürsorge oder durch Einengung des Personen= treises in der Krisenfürsorge auf Grund der letzten Neuregelung eintreten, spiegeln feine Entlastung des Arbeitsmarftes wider, fie bedeuten nur eine Abwälzung der Lasten auf die Wohlfahrtspflege.
Die Erhebung des Städtetages gibt auch nach dieser Richtung einen höchst bemerkenswerten Aufschluß; faſt 50 Broz. der der Wohlfahrtspflege Anheimgefallenen waren Ausgesteuerte aus der Arbeitslosenver sicherung und aus der Krisenfürsorge; zählt man die Unterstützungsempfänger mit furzen Anwartschaften, also einer versicherungspflichtigen Beschäftigungsdauer von dreizehn Wochen hinzu, die eigentlich in die Krisenfürsorge ge= hören, dann beträgt der Anteil dieser drei Arten Unter