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Morgenausgabe

Nr. 321

A 162

46.Jahrgang

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insmute

Vorwärts

Berliner   Bolksblatt

Freitag

12. Juli 1929

Groß Berlin   10 Pf. Auswärts 15 Pf.

Die etnipaltige Nonpareillegelle 80 Pfennig. Reflamezeile 5.- Reichs mart. Kleine Anzeigen" das fettge brudte Wort 25 Pfennig( zuläffig zwet fettgebrudte Morte), jedes weitere Bort 12 Pfennig. Stellengesuche das erste Bort 15 Pfennig, jedes weitere Bort 10 Pfennig. Borte über 15 Buchstaben zählen für zwei Worte. Arbeitsmartt Beile 60 Pfennig. Familienanzeigen Zeile 40 Pfennig. Anzeigenannahme.imhaupt geschäft Lindenstraße 3, wochentäglich von 81%, bis 17 Uhr,

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Vorwärts- Verlag G. m. b. H.

Paris schlägt Luzern   vor.

Vorübergehender Stillstand in den Verhandlungen.

Paris  , 11. Juli.  ( Eigenbericht.)

Die Verhandlungen über die kommende diplo matische Konferenz werden unablässig unter den beteiligten Mächten weitergeführt, jedoch läßt sich nicht leugnen, daß in der letzten Zeit ein gewisser Still st and eingetreten ist, der aber wahrscheinlich nur vor übergehend sein dürfte.

Inzwischen hat die französische   Regierung ebenfalls ihre Delegierten zur Konferenz bestimmt, und zwar Mi nisterpräsident Poincaré, Außenminister Briand   und Finanzminister Cheron  . Außerdem werden der Präfi. dent der Bank von Frankreich Moreau und der Ge­neralsekretär Berthelot zur französischen   Delegation gehören. Die französischen   Mitglieder für die vorbe reitende technische Konferenz, deren Zusammentritt von de: tscher Seite für den 15. Juli in Berlin   vorgeschlagen worden war, sind noch nicht bestimmt.

Was den Tagungsort der Konferenz be­trifft, so ist der Quai d'Orsay nach wie vor fest ent­schlossen, bei der Wahl Luzerns   zu bleiben. Der fran­ zösische   Widerstand gegen die Vorschläge der englischen Arbeiterregierung läßt sich nicht allein aus Prestige. gründen, sondern zu einem großen Teil auch dadurch er. klären, daß man hier glaubt, die Befürchtung hegen zu müssen, England könne die Annahme des Young Blanes in seiner jezigen Form und zwar zuun gunsten Frankreichs  - noch in Frage stellen.

Neuer Appell Englands zugunsten Londons  .

London  , 11. Juli.

möglichst schnell an die Räumung des Rheinlandes gehen werden. In politischen Kreisen wird darauf hingewiesen, daß die britische   Regierung in feiner Weise zu der starren Bolitit des Belassens britischer Truppen im Rheinland  , folange die mili­tärischen Kontingente der anderen Mächte sich dort befinden, ver­pflichtet ist.

Deutschland   hat sich bisher in dem Streit, ob London   oder die Schweiz  , neutral verhalten. Eines ist allerdings etwas rätselhaft: wenn man in London   annimmt, daß die Konferenz einen vollen Monat dauern würde, so würde das bedeuten, daß zu Beginn der Völkerbundstagung, an der insbesondere Macdonald, Henderson, Stresemann, Briand   und noch viele andere, deren An­mesenheit auf der Reparations- und Räumungskonferenz unentbehr­lich ist, in London   festgehalten würden. Sie müßten dann allesamt etwas hals über Kopf nach Genfübersiedeln. Wie stellt man sich das rein praktisch vor? Schon aus diesem

Grunde müßte die Wahl eines Schweizer   Konferenzortes zweck­

mäßiger erscheinen.

Stadt Montreux   schlägt sich selbst vor.

Genf  , 11. Juli.

Nach Luzern   taucht nunmehr auch Montreug am Genfer See  als neutraler Schweizer   Tagungsort für die Regierungskonferenz auf. Die Behörden von Montreur haben sich an die interessierten Regierungen mit dem Anerbieten gewandt, ihre Stadt als Kon­ferenzort zu wählen. Nach einer Bariser Meldung der Gazette de Lausanne" hält man es in französischen   Kreisen nicht mehr fürwahrscheinlich, daß Lausanne   als Tagungsort nicht in Frage fommt.

Reuter zufolge wird die Regierung einen neuen Appell an Frank­ reich   richten, seinen Widerstand gegen die Wahl Londons   als Deutsch  - belgische Verhandlungen vor dem Abschluß Tagungsort der nächsten internationalen Konferenz aufzugeben, zu­Die Konferenz werde mal teine andere Regierung dagegen sei. wahrscheinlich am 6. August zusammentreten und wie man annehme, einen Monat dauern.

Man hoffe, daß einige Tage nach dem Zusammentritt der Konferenz die Mitteilung werde erfolgen können, daß die drei

Alliierten

Trotty darf auch nicht nach England.

Asylrecht verweigert.

London  , 11. Juli.  ( Eigenbericht.) Innenminifter Clynes feilte im Unterhaus mit, daß die Re­gierung das Einreisegefuch Leo Trogtis abschlägig

befchieden habe.

der Abgeordnete der Arbeiterpartei Wedgewood wies den Innenminister nach dieser Mitteilung darauf hin, daß in der Ver­gangenheit Revolutionäre wie Garibaldi  , Mazzini und Karl Marg als politische Flüchtlinge in Großbritannien   Aufnahme gefunden häffen. Auf diese Frage gab der Innenminister teine Ant­

wort.

Für Wiederaufnahme der Beziehungen mit Sowjet- Rußland.

Condon, 11. Juli.  ( Eigenbericht.)

Die Regierungen der Dominien haben auf das Ersuchen der britischen   Regierung um Stellungnahme zu der geplanten Wieder. aufnahme der englisch  - russischen Beziehungen so geantwortet, daß munmehr innerhalb 48 Stunden der nächste Schritt erfolgen soll. Die britische   Regierung gedenkt in Mostau die Aufnahme vorbereitender Besprechungen oder den Zusammentritt einer gemeinsamen Konferenz anzuregen, deren Aufgabe es sein würde, den Weg zu einer offiziellen Wieder­aufnahme der englisch  - russischen Beziehungen mit größter Beschleu­

nigung anzubahnen.

Annäherung England- Aegypten?

London  , 11. Juli.  ( Eigenbericht.) Der englische Außenminister Henderson hatte am Dommers tag eine längere Unterredung mit dem ägyptischen Mi nisterpräsidenten Mohammed Mahmud Pascha  , die durchaus freundlich verlaufen ist. In amtlichen Kreifen wird die Lage auf Grund dieser wichtigen Besprechung mit ausgesprochenem Optimismus beurteilt und die Hoffnung ausgesprochen, daß be reits im Laufe der nächsten drei Wochen ein Abkommen der Deffent­lichkeit übergeben wird, durch das die englisch  - ägyptischen Be­ziehungen auf eine befriedigendere Grundlage gestellt werden

mürden.

In parlamentarilchen Kreisen der Arbeiterpartei wird diefer amtliche Optimismus allerdings angesichts der Stellung Mahmud Baschas in seinem eigenen Land durchaus nicht geteilt.

Brüssel  , 11. Juli.

Die deutsch   belgischen Verhandlungen über die Martfrage befinden sich zurzeit im Endstadium. Eine Ber­ständigung über den Rücklauf der Markbestände durch Deutsch­ land   ist bereits erzielt. Die Regelung der in Belgien   sequestrierten deutschen   Guthaben wird für Freitag erwartet.

Neue Verhaftungen in Bukarest  . Das Kriegsgericht wird schnell zusammentreten.

Butareft, 11. Juli.  ( Eigenbericht.) 3m Zusammenhang mit dem geplanten Militärpuffch hat die Polizei am Donnerstag wiederum 10 Berhaffungen vor­genommen. Es verlautet, daß inzwischen auch ein Oberst ver­haftet worden sein soll.

Das Kriegsgericht ist bemüht, den Putschisten schon in den allernächsten Tagen den Prozeß zu machen."

Weitere Einzelheiten über das Komplott. Ueber den Butschversuch erhalten wir aus Butare   st brieflich und daher verspätet folgende direkte Einzelheiten:

,, In der Nacht vom vergangenen Sonntag zum Montag wurde. in Butarest ein weitverzweigtes Komplott zur Aus­rufung einer Militärdiftatur aufgedeckt. An der Spize der militärischen Geheimorganisation, die seit längerer 3eit einen Butsch plante, stehen die Generäle Brosteanu, Betala, Paul Anghelescu, Mardarescu( die beiden letzteren ehemalige liberale Kriegsminister), Miroescu, ehemals Kriegsminister in der Regierung Averescu  , und Sturza, sowie die Obersten der Fliegertruppe Stoica und Zamfirescu.

3weds Organisierung des Butsches bereifte in den letzten Tagen ein Sendling des Bukarester   Geheimfomitees das Land und über brachte den Vertrauensleuten geheime Instruttionen. Aber fchon am Donnerstag, dem 4. Juli, erhielt die Regierung durch die Geheimpolizei Kenntnis von dem Komplott und dem Butschplan. Angeblich hat vor allem der gegenwärtige Kriegsminister Cihosti großen Anteil an der Aufdeckung. Infolge der sofort ge­troffenen Maßnahmen wurde die Ausführung des Butsches ver hindert. Die Obersten Stoica und Zamfirescu wurden noch am Sonntag abend verhaftet, die Generäle Brosteanu und Sturza unter Haus arrest gestellt. Die Untersuchung hat bisher ferner ergeben, daß einige hundert Offiziere in das Komplott verwickelt sind. Auch der Butar efter Bolizeipräfett Rico leanu foll an den Vorbereitungen beteiligt sein. Seine Demission ist deshalb bald zu erwarten. Nicoleanu ist aktiver General und Polizei­präfeft feit 1915.

Das Militärfomplott hat in allen politischen Kreisen großes Aufsehen und Verwunderung erregt. Mit den politischen Parteien stehen die Butschisten jedoch in feiner Verbindung. Da­gegen wird behauptet, daß die Rönigin wit we mitbeteiligt ist. Inwieweit auch Egprinz Carol im Spiele ist, fonnte bisher noch nicht einwandfrei festgestellt werden.

QUAKER

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Mathematik oder Sozialpolitik.

Grundsägliches zum Arbeitslosenschuh.

Es ist erstaunlich, wie unbelastet von aller sozialen Ber­antwortung die Diskussion über die Reform der Arbeits­lofenversicherung von den bürgerlichen Politikern und ihrer Presse geführt wird. Welch ein Unterschied, wenn man die Auseinandersetzungen um das gleiche Problem in England verfolgt! Es handelt sich nicht darum, durch versicherungs­mathematische Berechnungen die schreckliche Zahl der Arbeits­lofen aus der Welt zu lügen. In erster Linie kommt es darauf an, den Arbeitslosen Arbeit zu beschaffen, nicht aber, den Unterstützungsanspruch zu beseitigen oder herabzudrücken.

Bon der Notwendigkeit der Arbeitsbeschaffung ist die ge­famte öffentliche Meinung in England beherrscht. In diesem flassischen Lande des ökonomischen Liberalismus ist es herr­schende Meinung geworden, daß es Aufgabe des Staates ist, durch großzügige arbeitsmarktpolitische Maßnahmen die Ar­beitslosigkeit zu bekämpfen. Wir sind dagegen auf dem besten Wege, nicht nur die sozialpolitischen Ueberlegungen durch ver­ficherungsmathematische Quacksalbereien zu ersehen, sondern auch noch die notwendigsten arbeitsmarktpolitischen Maß­nahmen zu verbauen. Die Lage des Arbeitsmarktes ist alar­mierend genug.

allem Nachdruck in den Bordergrund rüden, weil nur so auch Man muß diesen Zusammenhang immer wieder mit der richtige Ausgangspunkt für die Lösung wesentlicher Streitfragen über den materiellen Arbeitslosenschutz ge­wonnen werden kann. Wenn es gelingt, durch arbeitsmarkt­politische Maßnahmen eine ausreichende Entlastung des Ar­beitsmarktes herbeizuführen, ist auch das Kernproblem in der Versicherung, ihre finanzielle Ausbalancierung, gelöst. Geschieht das nicht, versucht man vielmehr mit Hilfe von ver Sicherungsmathematischen Kunstgriffen den finanziellen Aus­gleich zu schaffen, dann ist vielleicht in der Versicherung das Problem gelöst, mit dem Endergebnis jedoch, daß die Lasten auf andere Träger abgeschoben worden sind. Deshalb führt uns die Versicherungsmathematik in dieser entscheidenden Frage für den materiellen Arbeitslosenschuh feinen Schritt weiter. Was wir gebrauchen, ist feine mathematische, son­dern eine sozialpolitisch befriedigende Lö­sung. Unter diesem Gesichtspunkt stellen sich die Dinge folgendermaßen dar:

Wir haben es jetzt glücklich auf vier Formen des materi­ellen Arbeitslosenschutzes gebracht: Arbeitslosenversicherung, Krisenfürsorge, Landesfürsorge und Wohlfahrtspflege. Die lettere beschränkt sich nun nicht etwa darauf, bei besonderen individuellen Notständen von Unterstüßungsempfängern aus den ersten drei Gruppen ergänzend einzugreifen, was sich in gewissem Umfange aus ihrer Funktion als individualisierende Fürsorge rechtfertigen ließe, die Wohlfahrtspflege muß viel­mehr heute in ungeahntem Umfange die großen Lücken in unserem Arbeitslosenschutz ausfüllen. Sie ist also ein selb ständiger Unterstützungsträger für arbeitsfähige, aber un­freiwillig arbeitslos gewordene Arbeitnehmer. Das aber ist nicht die Aufgabe der Wohlfahrtspflege! Auf die Dauer ist diese Regelung auch für die Arbeitnehmer unerträglich. Wenn sich hierbei das Problem für die Gemeinden in erster Linie unter dem Gesichtspunkt des Finanzausgleichs darstellt, neben der ebenso ernſten arbeitsmarktpolitischen Seite, so bedeutet für die Arbeitnehmer diese Lösung ein unerträgliches Minus an sozialpolitischem Schuh. Wir erwähnen beispielsweise nur die Rückerstattungs pflicht der empfangenen Unterstützung.

Welchen Umfang die Betreuung von solchen Arbeitslosen durch die Wohlfahrtspflege angenommen hat, darüber gibt eine jezt vorliegende Erhebung in den Städten über 50 000 Einwohnern durch den Deutschen Städtetag Aufschluß. Es find insgesamt 154 899 unterstüßte Personen ohne die mitunterstügten Angehörigen gezählt worden. Ueberträgt man diese Feststellungen auf das ganze Reich, dann kommt man auf rund eine Viertel­million solcher Unterstützungsempfänger. So erklärt sich auch die große Differenz in den amtlichen Ausweisen über die Zahl der verfügbaren Arbeitsuchenden und der Unter­stügungsempfänger, die in den letzten Monaten ständig über eine halbe Million betrug. Es zeigt sich aber auch hier, wie unzulässig es ist, den Arbeitsmarkt nach der zahlen­mäßigen Entwicklung der Hauptunterstützungs­empfänger zu beurteilen. Die Veränderungen, die durch Aussteuerung aus der Versicherung und aus der Krisen­fürsorge oder durch Einengung des Personen= treises in der Krisenfürsorge auf Grund der letzten Neu­regelung eintreten, spiegeln feine Entlastung des Arbeits­marftes wider, fie bedeuten nur eine Abwälzung der Lasten auf die Wohlfahrtspflege.

Die Erhebung des Städtetages gibt auch nach dieser Richtung einen höchst bemerkenswerten Aufschluß; faſt 50 Broz. der der Wohlfahrtspflege Anheimgefallenen waren Ausgesteuerte aus der Arbeitslosenver sicherung und aus der Krisenfürsorge; zählt man die Unterstützungsempfänger mit furzen Anwartschaften, also einer versicherungspflichtigen Beschäftigungsdauer von drei­zehn Wochen hinzu, die eigentlich in die Krisenfürsorge ge= hören, dann beträgt der Anteil dieser drei Arten Unter