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Die
Donnerstag
18. Juli 1929
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Mittwoch vormittag Debatte über die Schuldenablommen in der Kammer hat fraglos zur Klärung der Situation zwischen Regierung und Oppofition beigetragen. Leon Blum
übte einleitend im Auftrage der sozialistischen Fraktion nochmals fcharfe Kritik an den Ausführungen des Außenministers vom Dienstag. Briand habe, erklärte der Sozialistenführer, eine schöne
seitigen. Man tann nicht zulassen, daß Frankreich 62 Jahre lang beträchtliche Summen zahlt und Deutschland keine Anstrengungen macht." Der Reichstanzler habe das verstanden und so sei man sich über dret Buntte einig geworden, deren erster die Rheinlandräumung gewesen sei. Briand gab jedoch hier. über teine weiteren Ertlärungen ab, da er, wie er sagte, nicht im voraus seine Haltung auf der kommenden Konferenz darlegen tönne. Anschließend protestierten einige Bertreter der Rechten, ins
gegen die
vergeblich ein, daß Deutschland erklärt habe, es werde niemals durch Gewalt seine Westgrenze ändern wollen. Hierauf kam der
Führer der Radikalen,
Hoffnungen und Erwartungen.
( Bon unserem Orientforrespondenten.)
Kalkutta , im Juli. Der Niederschlag der durch den Wahlsieg der Arbeiterpartei geschaffenen neuen Situation für Indien in der inbischen Deffentlichkeit erweckt nach außen den irrtümlichen Einbrud, als ob hoffnungslose Resignation die Stimmung Döllig beherrscht. Nicht nur die radikalen, auch die gemäßigten Elemente des Indischen Nationalfongresses sind auf die Formel höchstes Mißtrauen gegen alles eingestellt, was nicht auf völlige Unabhängigkeit und wenigstens die weitgehende Selbstverwaltung für Indien hinausläuft. Selbst Mrs. ihres Aufenthaltes in Eng
studieren, predigt nach ihrem alten Tert„ Der Preis für Indiens Loyalität ist Indiens Freiheit" größte Stepsis.
Rede gehalten, aber seine Partei fordere präzise Zusicherun. befondere die ehemaligen Minister Reibel und Fabry, aufs heftigte land Gelegenheit hatte, die Stimmung an Ort und Stelle zu gen worten auf die gestellten Fragen. Das einzige, was aus der Rede Briands etwa entnommen werden könne, fei, daß die Regierung dem allgemeinen Schiedsgerichtspatt ohne Bor behalte zustimmen werde. Der Minister des Auswärtigenfuhr Blum fort hat gestern von den Bereinigten Staaten von Europa gesprochen. Das war die Idee von Louis Blanc und Mazzini. Die Sozialistische Partei wird sie am wenigsten als Utopie und Chimären behandeln.
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Aber ihre Berwirklichung jetzt zuerst eine vollkommene und aufrichtige Annäherung zwischen Frankreich und Deutschland voraus. Const freilich wären es die gefährlichsten Chimären, die schließlich die Bildung eines nebelhafteren Europa gestatten würden, das sich um ein nationalistisches Deutschland gruppiert. Also schieben Sie nicht die große Geste auf, die wir fordern, wenn Sie nicht
wollen, daß es eine Geste ohne Vornehmheit wird, die uns demütigt, ohne uns die Borteile der Eintracht zu geben." Die Sozialistische Partei habe immer den Chauvinismus bekämpft, nicht minder wie jenen Nationalismus, der immer dem eigenen Lande Unrecht gebe. Der Patriotismus der Sozialisten bestehe in dem Wunsche, ihr Land als erstes Gerechtigkeit üben zu sehen. Im Namen dieses Gefühls, schloß Blum, beschwöre ich die Kammer, zu antworten, da die Regierung nicht antwortet.
erwiderte, er habe in Genf dem Reichs/ tanz Ier Müller erflärt: ,, Wir wollen nicht Don Deutschland unmögliche Dinge fordern. Die Regierungen sollen alle zwischen beiden Ländern bestehenden Streitursachen be
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Daladier
zum Wort. Er erflärte, es liege ein Abgrund zwischen den der ohnehin mit allerhand Sorgen belasteten LabourAuffassungen seiner Partei und denjenigen der Rechten.
Die Rheinlandräumung müsse unbedingt auf die Annahme des Young- Planes folgen.
Die Sicherheit des Landes sei auch gar nicht dadurch garantiert, daß
30 000 Mann am Rhein ständen, von denen die Hälfte nicht aus
gebildet sei. Sie beruhe auf der Reorganisation der Armee, besonders aber auf den Verträgen von Locarno und der allgemeinen Schiedsgerichtsbarkeit. Die radikale Gruppe werde einstweilen für eine Regelung der Schuldenfrage in Berbindung mit einer aufeine Regelung der Schulbenfrage in Berbindung mit einer auf richtigen Friedenspoliti?.Dorfieht.
Der Antrag Blums wurde dennoch mit 350 gegen 238 Stimmen zurüdgewiesen.
In der Nachmittagssigung verbreitete sich Herriot aus führlich über die Schuldenabkommen. Die juristische Berechtigung der Schuld stritt der Redner nicht ab, aber man müsse fich Rechenschaft davon ablegen, daß Frankreich das Schlachtfeld der Freiheit gewesen sei. In bezug auf die Reparationen machte Herriot folgende intereffante Aeußerung: Im Grunde ist es die alte Auffassung vom Tribut ,,, vae victis"( Wehe dem Besiegten!). Aber in Wahrheit muß der Sieger, der die Kette hält, ebenso unbeweglich bleiben wie der Besiegte, der sie trägt. So entstand die Idee der Solidarität zwischen Sieger und Besiegten."
Die Vereinheitlichung des Berliner Berkehrs vorbildlich für Amerita.
Die
Die Berliner Stadträte Reuter und Busch, Stadt-| der Bereinheitlichung des Berkehrs wird überall anerkannt. baurat Dr. Wagner und Markthallendirektor Moraw sti find gestern von einer Studienreise nach Amerika zurückgefehrt. Die Reise hatte den 3wed, in Amerika Berkehr und Bauwesen sowie die Lebensmittelverfor gung der Bevölkerung der Großstädte zu studieren. Wir hatten Gelegenheit, uns unmittelbar nach der Ankunft mit Stadtrat Reuter über seine Eindrücke zu unterhalten. Er schilderte seine Eindrücke wie folgt:
New- Yorker Stadtverwaltung bemüht sich besonders um die Lösung dieses sehr komplizierten Problems. Aber mit der Anerkennung der Notwendigkeit der Verkehrsvereinheitlichung sind die wirt fchaftlichen und politischen Schwierigteiten noch nicht überwunden, die sich in Amerika den Vereinheitlichungstendenzen entgegenstellen.
Unser Aufenthalt in Amerita hat etwa sechs Wochen gedauert. Wir haben folgende Großstädte besucht: New Yort. Boston , Buffalo, Cleveland , Detroit , Chicago , Los Angeles , St. Franzisko, Milwaukee, Washington , Baltimore , Philadelphia und Atlantit City, wo wir überall freundliche Aufnahme fanden. Der stärkste Eindrud für uns war
die ungeheure Ausdehnung des Automobilverkehrs, die für Deutschland fast unvorstellbar ist. Das Automobil wird auf dem Lande fast ganz allgemein, in den großen Städten von der großen Mehrzahl der Bevölkerung benutzt. Für die großen Städte haben sich dadurch die schwierigsten Bertehrsverhält. niffe ergeben. In den ganz großen Städten fann man taum noch von einem geordneten Verkehr sprechen. Aus diesen Berhält nissen heraus ergeben sich Anforderungen und Neuanlagen, die geradezu phantastisch sind. Es müssen Untergrundbahnen neu angelegt werden, Brüden, zweiftödige Straßen, niveaufreie Straßentreuzungen hergestellt werden, um den Verkehr wieder einigermaßen zu befreien.
Die Stadt New York hat für die nächsten fünf Jahre ein fleines Brogramm für den Ausbau der Untergrundbahnen aufgestellt, das allein 700 Millionen Dollar erfordert.
In den meisten Städten find die Berkehrsmittel in der Hand privater Gesellschaften.
Die auf der Hand liegende Notwendigkeit, den Berkehr einheitlich zu regeln, hat in einigen Städten starte Tendenzen hervorgerufen, die privaten Berträge abzulösen. Die Notwendigkeit
Die Berliner Verkehrsvereinheitlichung ist in den amerikanischen Großstädten mit dem größten Intereffe beobachtet worden. Die Grundsätze der Berliner Berkehrsvereinheitlichung werden von affen amerikanischen Jachtreifen anerkannt und als die allein möglichen bezeichnet.
Angesichts der Diskussion um die Frage, ob die Straßen bahn in einer modernen Großstadt noch ein zweckmäßiges Ber tehrsmittel fei, ist es sehr intereffant, daß der Straßenbahn verkehr in den amerikanischen Großstädten außerordent ich start entwidelt ist. Die Straßenbahn wurde uns als das rationellfte Massenverkehrsmittel bezeichnet. das rationellfte Massenverkehrsmittel bezeichnet. In einzelnen Städten gibt es viergleisige Straßenbahnen mit erheblich größerem Fassungsraum als die europäischen Bahnen.
Ueberall findet man fabelhaft gute Automobil. straßen, und die Städte bemühen sich, alles zu tun, um dem Ueberall findet man die Automobilverkehr gerecht zu werden. automatische Berkehrsregelung mit Lampen. Trotzdem ist im Innern der Städte nur schrittweises Vorwärtstommen möglich! hier wird alles kompliziert durch die Tendenz, Hochhäuser zu bauen. Soweit es sich in einigen weniger ernsten Worten zufammen fallen läßt, ergibt sich aus den Beobachtungen für unsere Ber liner Berfehrspolitit folgende Lehre:
Syftematische Weiterbefolgung unserer Berkehrspolifit, die felbst für den Amerikaner vorbildlich ist.
Dezentralisation der Großstädte durch die Entwicklung des Berkehrs in den Außenbezirken.
Ausbau des Untergrundbahnnetzes. Herstellung breiter, leistungsfähiger Straßen unter Berüdfichtigung des fommenden Automobilverkehrs, feine Hochhäuser!
Angesichts dieser Unentwegtheit, die sich grollend auf das Naturrecht unbeschränkter Selbstbestimmung beruft, scheint die Situation für England höchst schwierig und die einzige Lösung Regierung in der indischen Frage darin zu bestehen, wenige stens das Ministerium der nationalistischen Wünsche zu akzeptieren. Nun ist der Begriff dieses Minimums feineswegs scharf umrissen. Während er für Annie Besant und ihre Freunde in dem sogenannten Nehru Report enthalten ist, hat ein nicht zu unterschäzender Teil Indiens trop der Boykottparole des Nationalfongresses die Arbeit der SimonKommission unterstützt und sie damit als Blattform für eine Berständigung anerkannt. Verschiedenen Gruppen geht nicht greß vorgeschlagenen Form weit genug und in dem großen einmal die Forderung der Unabhängigkeit in der vom RonTopf der indischen Freiheitsbewegung brodeln die verschieden= stent Substanzen wild durcheinander.
Nach konservativen Begriffen war der Weg aus diesem Labyrinth der Meinungen leicht gefunden. Er bestand in dem Willen zur Erhaltung der gegenwärtigen englischen Machtstellung um jeden Preis und mit jedem Mittel. Diese Politik trägt die Hauptschuld an den gegenwärtig so schwierigen Beziehungen zwischen England und Indien . Die Arbeiter regierung steht nun vor der harten Aufgabe, dieses Verhältnis neu und zwar so zu gestalten, daß die jetzige Form im Wesen bleibt und doch auf eine beide Teile befriedigende Art innerlich neu gestaltet wird.
Als erste Voraussetzung für ein solches Ziel erblickt die englische Politit traditionsgemäß die Prüfung der Realitäten durch ein Gremium von Sachverständigen. Diese Absicht hat auh der Tätigkeit der Simon- Kommission zugrunde gelegen. Das englische Rolonialamt hat jedoch unter dem Einfluß der Tories bei der Festsetzung ihrer Kompetenzen den Fehler begangen, dem nationalen Selbstgefühl der Inder auch nicht im geringsten Rechnung zu tragen. Wenn sie trotzdem namentlich im Bundschab und im Sind ungeachtet der nationalistischen Bontottpropaganda nicht unbeträchtliche prattische Erfolge aufzuweisen hat, so ist das ein Beweis für die Theorie, daß nicht nur zwischen Hindus und Mohammedanern noch tiefgehende Differenzen über die Selbstverwaltung bestehen, sondern daß auch weite Kreise der nicht mohammedanischen Bevölkerung anderer Ansicht über die Notwendigkeiten Indiens sind als die Gefolgschaft der Kongre politiker. Die radikale indische Unabhängigkeitsbewegung ist als ernst zu nehmender Faktor noch nicht sehr weit über die Grenzen Bengalens hinausgefommen. Deshalb bleibt für einen Kampf mie für friedliche Verhandlungen die Aktivität wie die Abstinenz der übrigen Landesteile ausschlagebend, wenn sie auch fulturell und politisch hinter der Entwicklung des Küstengebiets zurückgeblieben sind.
Das Problem der Arbeiterregierung besteht realpolitisch gesehen darin, sich dieser Voraussetzungen zu bedienen, ohne fie mechanisch und brutal auszunußen wie das von fonservativer Seite der Fall gewesen ist. Dazu gehört Taft, psychologisches Feingefühl und vor allem das Berständnis dafür, daß Freiheit und Demokratie in ihrem Ausmaß nicht ausschließlich vom stärkeren Partner bestimmt werden. Die Beurteilung der Bersönlichkeit des Staatssekretärs für Indien Wedgwood Benn in seinem neuen Wirkungskreis deutet darauf hin, daß die ernsthaften Politiker Indiens mit dem Borhandensein dieser Eigenschaften bei ihm als Plusmoment für die indische Politit und für tommende Verhandlungen rechnen.
Die Bertrauensreserve Englands in Indien ist, wie der Ausfall der Wahlen zu den ProvinzialDerwaltungen erwiesen hat, weit größer als im Auslande gewöhnlich angenommen wird. Troß der allgemeinen durch verschiedene Mißgriffe der anglo- indischen Verwaltung immer wieder genährten Erregung, die von der Opposition weidlich als Agitationsmittel ausgenutzt wurde, ist es den Rongreßanhängern nicht gelungen, ihre Stellung in diesen Körperschaften zu stärken. Mit Ausnahme von Bengalen, das stets eine nationalistische Mehrheit hatte, sind überall die Anhänger einer Zusammenarbeit mit der Regierung zurüdgelehrt.
Für die vom Indischen Nationalfongreß zu Beginn des