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BERLIN  Montag 22. Juli

1929

Der Abend

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Der Reichskanzler schwer frank

In Heidelberg   operiert.- Zustand ernst.

Heidelberg  , 22. Juli.  ( Eigenbericht.) Reichskanzler Hermann Müller  , der zur Er­holung in Bad Mergentheim   weilte, erkrankte Ende voriger Woche plötzlich an einer hochfiebrigen, eitrigen Gallenblasenentzündung. Am Sonnabend wurden durch den behandelnden Arzt, Dr. Haug, die Geheimräte Ender­Ien und Krehl aus Heidelberg   und Professor Hermann Zondek   aus Berlin   an das Krankenlager gerufen. Der Reichskanzler, dem die Aerzte die sofortige Operation empfahlen, wurde am Sonntag vormittag im Kranken­wagen nach Heidelberg   gebracht.

Die Operation wurde am Sonntag nachmittag gegen 17 Uhr durch Geheimrat Enderlen vorgenommen. Bei der Operation zeigte sich an der Gallenblase eine Durch. bruchstelle in die Bauchhöhle. Die Operation nahm einen normalen Verlauf, der Zustand muß als ernst bezeichnet werden.

Wie uns von zuständiger Seite soeben mitgeteilt wird, war das Befinden des Reichskanzlers in den frühen Morgenstunden des Montags unverändert. Zu ernsten Besorgnissen besteht vorläufig kein Anlak.

Der Kanzler leidet schon seit Monaten an einem schweren Gallen- und Leberleiden. Die ersten Berichte über seine Kur in Bad Mergentheim   lauteten durchaus befriedigend.

Man muß nun mit der Möglichkeit rechnen, daß der Reichskanzler die Führung der deutschen   Delegation auf der tommenden Regierungskonferenz nicht selbst übernehmen fann. Der Umschlag zum Ungünstigen stellte sich plötzlich vor einigen Tagen ein, am Mittwoch verschlimmerte sich der Zustand derart, daß der nunmehr erfolgte Eingriff erforder­lich wurde.

In der Nacht zum Sonntag stieg die Temperatur bis auf 39,5 Grad. Die Gattin des Kanzlers, die sich in Berlin   auf­hielt, wurde sofort verständigt und reiste nach Mergentheim  ab. Am Sonntag vormittag wurde der Reichskanzler dann in einem Krantenwagen nach Heidelberg   transportiert. Reichsaußenminister Dr. Stresemann, der sich in Bühlerhöhe   aufhält, hat am Sonntag dauernd Erkundigungen über den Zustand des Reichstanzlers eingezogen. Reichs­innenminister Severing, der vor Antritt seines Urlaubs zweds Teilnahme an den Festspielen in Heidelberg   weilt, hat fich am Sonntag längere Zeit an dem Krankenbett auf­gehalten.

Heidelberg  , 22. Juli.  ( Eigenbericht.)

Das Befinden des Reichskanzlers ist am späten Vor­mittag gut, die Temperatur geht zurück. Zu unmittel­baren Besorgnissen ist kein Anlaß.

Bremen  " noch heute in New Hort.

Ankunft mit Spannung erwartet. New York  , 22. Juli. Die ,, Bremen  " legte am Sonntag 705 Meilen, das find 28,2 Knoten in der Stunde zurück. Da Aussicht auf klares Wetter besteht, dürfte die Ankunft der ,, Bremen  " am Leuchtturm im Ambrose- Kanal bereits um

3.30 Uhr amerikanischer Zeit, an der Quaran

täne- Station um 4 Uhr und am Brooklyn  - Dock um 5,30 Uhr erfolgen.

Berichte von Bord des Dampfers beschreiben die Fahrt als beispiellos ruhig. Die Paffagiere wollten faum glauben, daß fie bereits heute nachmittag New York   sehen würden. Der Reford­erfolg sei nicht in geringem Maße der Navigationskunst des Kapitáns 3iegenbein zuzuschreiben, der geschickt die Gegenströmungen des Golfftroms zu vermeiden verstanden habe,

Die Morgenblätter berichten in großer Aufmachung von der zwischen 5 und 7 Uhr nachmittags erwarteten Landung der Bremen  " und stellen Vergleiche mit früheren Retordfahrten an, von dem Raddampfer Savannah  " an, der im Jahre 1819 26 Tage für die Ueferfahrt brauchte, bis zum letzten Rekord der Mauretania" im Jahre 1928 mit 5 Tagen 3 Stunden 14 Minuten

Das

Arbeitersportfest in Nürnberg  

Oben:

Schwimmbassin im Stadion

Unten:

Der Dutzendleich, auf dem die Kanurvettkämpfe stattfinden

Ideale des Arbeitersportes.

Höhepunkt und Ausklang des Nürnberger   Festes.

Nürnberg  , 21. Juli.  ( Eigenbericht.)

Was Nürnberg   in der Sonnabendnacht zwischen 9 und 1 Uhr erlebte, hat Bayern  , hat Deutschland   noch nicht gesehen. Glut­rot stand nach der untergegangenen glühende Sonne der Vollmond am nächtlichen Stadionhimmel, die Dunkelheit tauchte den mäch­tigen Fahnenwald in ein tiefes Schwarzrot und Kopf an Kopf standen 60 000 Menschen in einer einzigen Mauer in dem Oval der großen Kampfbahn.

In stummer feierlicher Erwartung harrten die Sinne und die Herzen auf den Beginn eines Festspiels, das in fünftlerischer Entfaltung dem erwachten Proletariat einen Begriff seiner 3deale versinnbildlichen sollte.

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Mach dich freit" unter diesem Motto zeigte das Feft­spiel eine herrliche Berkörperung des Kampfes für die Freiheit des arbeitenden Menschen aus den Fesseln jahrtausende langer Unterdrüfung und Ausbeutung.

artiger Maffenregie zu einer Geschloffenheit und Harmonie zusam­Sprechhöre und Bewegungschöre muchjen in groß­men, die tiefe Ergriffenheit und dann wieder jubelnde Begeisterung der 60 000 Menschen zu einem einzigen Körper und einem einzigen Willen einte.

,, mach dich frei!" rief die rote Sturmfruppe den in Zügen ankommenden Arbeitsbrüdern und Arbeitsschwestern zu, die sich aus der Dunkelheit in das Licht der Kampfbahn bewegten.

"

Dies war modernes Proletariat in aller gesellschaft lichen Schichtung des Bolfes, aus den Fabriten und kontoren. Mach dich frei!" dröhnte es erschauernd und gewaltig in die Nacht hinaus, jo gewaltig und gebieterifch, daß sie alle, die geiftig und förperlich versflavt dahinleben und-fiechen, wach wurden und, gepadt von stürmischen Mahnrufen, sich schließlich an die rote Sturmtruppe der neuen Menschheit anschloffen. Mächtig brauften die immer wieder fortreißenden Akkorde der Jnternationale durch den freien Raum, über den sich schwarz

der Himmel wölbte. Und dann schloffen sich 20 000 Jugendliche in der Arena zu einem wundervollen harmonischen Gesamtbild zusammen.

In feierlicher Stille sprach mit weithin hallender Stimme der Jugendbundesführer von den hohen 3dealen der Arbeiter­iportbewegung, die neben der förperkulturellen Betätigung auch die geistige und sinnliche Verfiefung des ganzen Menschen erstrebt. Kaum, daß das Gelöbnis zur Menschheitserneuerung ver­flungen, glühten die Fadeln auf und in wenigen Augenblicken ftrömte die ganze Kampfbahn in einem wogenden Flammen­meer. Dazu der Gefang der Internationale und des Liedes Brüder zur Sonne, zur Freiheit! Ein überwältigender Eindrud. Dann bewegte sich das Flammenmeer hinaus aus dem Stadion und in geteilten und wieder vereinigten Schlangen hinein in die Mauern von Nürnberg  .

Hunderttausende ffanden an den Rändern des Feuermeeres und nächtigen Kundgebung in den Hauptmarkt, auf dem der letzte Schwur begleiteten die Künder der neuen Menschheit hinein zur mitter­in die lodernde Nacht hinausdröhnte. Dann wurde es schwarz und ffill in den alten Mauern Kürnbergs, feine Seele aber war erfüllt von der Idee des roten Proletariats.

Der Festzug.

Der frühe Sonntagmorgen regte zu neuer Taf. Es galt, in einem grandiosen Feftzug der Nürnberger   Arbeiterschaft den Dank für ihre Gastfreundschaft abzustatten, zugleich aber auch dem ftillgewordenen Spießbürger die glutvolle Macht der deutschen  Arbeitersportbewegung zu zeigen.

In glühender Sonne, aber mit nicht minder heißem Herzen zogen die hunderttausend Turner und Sportler beiderlei Geschlechts mit leuchtenden Augen und nicht endenwollenden Frei- Heil!. Rufen in drei Stunden durch Nürnberg  . Es war ein unvergeßliches Bild: die frohen Augen des Arbeiterjungwolfs der