Beilage
Donnerstag, 25. Juli 1929
Der Abend
Spalausgabe des Vorwans
Schulferien und Schulschluß. Eine Schule geht neue Wege..
Ein Vergleich mit Frankreich .
Wir veröffentlichen diese Studie, die beachtenswerte Anregungen enthält, obwohl wir ganz und gar nicht die Ansicht des Autors teilen, daß der Gemeinschaftsgeist in der modernen deuts fchen Schulbewegung überbetont ift. Wir glauben, daß Persön lichkeitsentfaltung und Gemeinschaftsgeift sich sehr wohl miteinander vereinbaren laffen und daß jener Ehrgeiz der gefündeste ist, der darauf gerichtet ist, mehr der Gemeinschaft als dem eitlen Jch zu dienen.
Mitte Juli fangen in Frankreich die Ferien in den höheren Echulen an, Ende Juli in den Volksschulen. So spät? Ja, aber man höre: Erst am Anfang Oktober fängt die Schule wieder an! Bolle zwei bzw. zweieinhalb Monate sind also frei.
Warum machen die Franzosen das so?
Bei der Preisverteilung am Schulschluß, der ich in einem Bariser Gymnasium beizuwohnen Gelegenheit hatte, gab einer der Redner die Antwort auf die Frage. Die Ferien, sagte er, sind eine Wohltat, eine heilsame Pause zwischen zwei Begabschnitten, wertvoll zum Nachdenken; heraus aus dem Mechanismus des Schulbetriebs, hat der Schüler Gelegenheit, seine wahre Natur wiederzufinden und neue Luft zum Lernen zu gewinnen. So ungefähr sagt ein Schulleiter wohl auch bei uns zu Ferienbeginn, aber: wieviel wahrer sind die Worte, wenn es sich um so lange Zeit handelt.„ Seine wahre Natur wiederzufinden", sagte das ist ja bei furzer Zeit gar nicht möglich, und das ist ja der Kern- und Angelpunkt aller wahren menschlichen Bildung: die harmonische, in sich ausgeglichene, zu sich selbst zurückgefundene Persönlichkeit....
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Was hat denn so ein Laufejunge groß für eine Persönlich feit?" wird mancher fragen und damit bloß beweisen, wie wenig Berständnis noch für diesen Wert im Volte herrscht einen Wert, der noch von einer anderen Seite her höchst erstrebenswert erscheint. Sagt doch Goethe mit Recht( vielleicht nicht immer aber hier hat er recht), daß die Persönlichkeit„ das höchste Glück der Erdentinder" sei.
Trog aller unserer vielberedeten Schulreformen haben wir, Eltern und Lehrer, noch viel zu wenig gelernt, Achtung, Hochach tung zu haben vor der gewiß noch unentwickelten, aber in der Anlage doch vollkommen, vollwertig vorhandenen, von der Natur ( der ehrwürdigen!) gewollten und geprägten, in sich geschlossenen und eigenartigen Persönlichkeit des Schülers, einstweiligen Schülers, baldigen Menschen!
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Wenn dann dieser Wert: Persönlichkeitswachstum bei den längeren französischen Ferien herausspringt( und er springt heraus; denn Zeit für sich selber ist das beste Rezept dafür, stehe Dehmel), so lohnt sich wohl ein genauerer Vergleich des beider seitigen Feriensystems.
Man hat also in Frankreich außer den großen Ferien von Juli bis Ende September, die die Schuljahre voneinander trennen, Weihnachtsferien: eine Woche, Ostern: zwei Wochen, Pfingsten einige Tage Ferien,
Ein Vormittag Rütli- Schule./ von Hans Bauer.
In der Rütli- Schule zu Neukölln.„ Du, Mädel," frage ich auf dem Schulhof ein kleines Ding ,,, wo werde ich Herrn Rektor Jensen finden fönnen?" Sie hat mich nicht sogleich verstanden. Herr Refior": das ist hier eine unbekannte Formalie. Dann unterrichtet sie mich lächelnd: Onkel Ad( eine Abkürzung für den Vornamen Adolf) ist im Zeichensaal!"
Hinauf in den Zeichensaal. Um einen weißhaarigen Mann fizzen und liegen fleine Jungen und Mädel herum, und rasch genug wird der Hospitant gewahr, daß hier, in dieser Versuchsschule, anders als an anderen Schulen Pädagogik getrieben wird. Zunächst einmal fallen all die Formalitäten wie Aufstehen und Handaufheben fort, die Kinder können auch reden während des Unterrichts und sich, in gewissen Grenzen, Bewegung machen. Trotzdem gibt es natürlich eine Disziplin: denn zuweilen kann der Unterrichtende ohne Ruhe und Konzentration nicht auskommen, aber auch dann enträt er des Brügelns oder der Strafandrohungen( es gibt hier fein Nachsitzen und feine Strafaufgaben, wie es fein Sizenbleiben und feine Zenfuren gibt), er begnügt sich mit humoristisch gehaltenen Aufforderungen und im Notfall mit Appellen an den findlichen Ehrgeiz, sich doch anders zu betragen, als etwa ein Kind, das noch zu flein sei, um die Schule besuchen zu können.
Immerhin sind die geloderie Disziplin und der Verzicht auf autoritative Mittel nicht das Hauptcharakteriſtikum der Art, wie hier gelehrt wird. Das Reformatorische liegt in der Zuspigung des Prinzips: Arbeits- statt Lernschule.„ Onkel Ads" Hauptthese: Es gilt, in die Kinder nur soweit objektiven Wissensstoff hineinzutragen, als damit das Ureigenste, das in ihnen schlummert, sich befreien und Geltung verschaffen fann. Lächerlich," sagt er, ihnen zuzumuten, daß sie die Hauptstadt Portugals fennen sollen. Aber das ist wichtig, daß sie Karten gebrauchen lernen, damit sie, wenn es sich nicht um die Hauptstadt Portugals , sondern um ein fleines portugiesisches Nest handelt, wissen, wie man es anstellt, den richtigen Plan in die Hände zu bekommen und das Nest darauf zu finden." Eine Meinung, zu der man nicht ohne weiteres ja oder nein sagen kann, die aber doch nachdenklich macht.
Was heißt„ Bildung"? Ich schlage eine beliebige Seite des Konversationsleritons auf: fie enthält 41 Stichwörter, 36 davon sind mir böhmische Dörfer. Ich weiß nicht, wer Grandidier, Graener, Granet , Granier de Cassagnac, Brant waren, weiß nicht, wo Grand Island , der Grand- Junktion- Kanal, Grand Rapids , Grandson, Grangemouth, Gränig und was nicht sonst noch liegen, weiß nicht, was Grandmehl, Gräne, Granne, Granulation vorstellen. Es gibt Leute, die mehr wissen als ich: Aber auch ihnen werden 30 bis 33 der Stichwörter unbekannt sein, und es gibt Leute, die weniger wissen als ich. Ihnen werden 39 der der 41 Stichwörter ungeläufig setn. Ruht in dieser Differenz ,, Bildung" und Unbildung"? Gewiß nicht.
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,, Darauf fommt es an," sagt ,, Onkel Ad". Schon in diesen so daß das Schuljahr sich in drei( gleiche) Drittel teilt, statt wie bei fiebenjährigen Burschen und Mädelchen die Persönlichkeit zu entuns in vier( ungleichhe) Viertel. Die Abschnitte im Winter entdecken, sie sich selbst geben zu lassen, herauszufinden, was in ihnen sprechen sich in beiden Ländern, der Unterschied liegt im Sommer. ftect, ihrer Urwüchsigkeit und Natürlichkeit Bahn zu verschaffen. Die Franzosen haben einen zufammenhängenden Arbeitsabschnitt, Er legt mir einige Auffahefte vor, deren Inhalt freilich danach einen zusammenhängenden Ferienabschnitt wir dagegen wesentlich von jenem fonventionellen Optimismus abweicht, den man haben drei Arbeitsabschnitte, getrennt durch die zweiwöchigen in Auffagheften anderer Lernanfänger in der Regel findet. Nichts Pfingstferien und die vier oder fünfwöchigen Sommerferien. von jenen schöntuerischen Phrasen, daß der Ausflug gestern schön" Denken wir uns diese beiden Ferienzeiten derart verschoben, daß sie war, daß ,, die Blumen duften" und daß man ,, Mutti liebe", sondern an die Herbstferien heranreichen und mit ihnen eine zusammen solche Echtheiten: hängende Ferienzeit bilden, so haben wir das französische System. Die Franzosen haben nicht etwa mehr Ferien als wir, bloß die Verteilung der Ferien ist anders.
Bot der Zusammenhang der sommerlichen Ferienzeit einen großen Vorteil, so bietet der Zusammenhang der sommerlichen Arbeit geit einen nicht minder großen. Daß bei unserer Schularbeit im Sommer wenig herauskommt, darüber sind die Klagen unter den Lehrern so allgemein, daß wohl nicht daran zu zweifeln ist, daß die Schüler im allgemeinen im Sommer Im Sommer bummeln, und erst im fchlecht arbeiten. Winter sich auf die Hosen sehen," ist der bekannte beliebte Schüler. grundsatz.
Ist dieser Grundsatz vielleicht daran schuld, daß im Sommer so wenig geleistet wird, so ist an diesem Grundsatz wiederum vielleicht doch die den Sommer hindurchgehende Berzettung von Arbeitszeit und Ferien schuld, und die Wurzel des Uebels läge doch im System und nicht bei den Schülern. Das franzöfifche System jedenfalls macht den schlimmen Schülergrundfaz unmöglich, indem es für die zusammenhängende Arbeitszeit, die es hat, durch den Schuljahrsschluß im Juli mit Versehung und Breisverteilung noch einen besonderen Ansporn gibt, der dem erschlaffenden Einfluß der sommerlichen Wärme die Waage hält.
Ueber dieje Preisverteilung bei Schulschluß noch ein paar
Morte.
Grundsätzlich zunächst: Sie ist die hervortretendste Auswirkung ber im französischen Schulwesen start wirksamen Tendenz der Anstachelung des Ehrgeizes.( Ehrentafeln gibt es außerdem, Orden für gute Arbeiten, mit denen die Schüler in den Straßen herumlaufen und dergleichen.)
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Diese Tendenz ist im deutschen Schulwesen verpönt und im Abbau begriffen. Die früher zumeist üblichen Maffenpläge hat man abgeschafft wegen der angeblich ungesunden Anstachelung des perfönlichen Ehrgeizes zugunsten der Förderung des Gemeinschaftsgefühls sehr schön! Nun find aber Selbst gefühl und Ge. meinschaftsgefühl zwei polare Gegenfäße, die beide als ausschließliches Prinzip unmöglich gelten können, zwischen denen vielmehr ein Mittelweg, ein Kompromiß gesucht werden muß. Es entspricht dem französischen Wesen und stimmt zu unseren phigen Gedankengängen, daß man in Frankreich der Pflege des Selbstgefühls, mit dem ja Ehrgeiz und Persönlichkeitsbewußtsein einen Komplet bilden, mehr Sugeständnisse macht als in Deutsch land, daß man bei uns dagegen mehr das Gemeinschaftsgefühl betont. Bielleicht Indes ich möchte es hoffen tritt bei uns bald wieder eine Verschiebung in der Wertung ein. Eine zu starte Betonung des Gemeinsamteitsbewußfeins wirkt lähmend auf die persönlichen Kräfte ein. Das Gefühl, ein Tröpfchen nur im Strome der Menschheit zu sein, die auf ihrem Sternchen mit Schwärmen anderer Gestirne durch das Beltall schwirrt, braucht ein Gegengewicht( das nur das Persönlich feitsgefühl sein fann), und von den Franzosen wird man wohl nicht behaupten, daß ihr betontes Persönlichkeitsgefühl( ihr Ehr
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,, Wen ich gros bin ferheirate ich mir nie und gehe auch nie ein Glas Bier trinken mit das Mätchen. Das tost blos so viel Geld und ich wil sparen. Dann fauf ich mir ein Bandonium und ein Klavir..."
Oder: Unsere Sufi hat schon wieder liblingskumer. Da haben wir ein Eimer Wasser genomen und haben die Sufi mit den Potsch reingesetzt. Dan haben wir den ausfloper genomen und haben ir auf den Potsch gehauen und da hat sie immer mer getrampelt das hat mir aber leit getan..."
geiz, ihre Eitelkeit) das Gemeinschaftsgefühl bei ihnen hätte verfümmern lassen.
Es liegt mir fern, die Preisverteilung am Schuljahrsschluß, wie wie sie in Frankreich üblich ist, etwa zur Einführung an unseren Schulen zu empfehlen, aber zweifellos ist sie lehrreich und gibt Stoff zum Nachdenken. Die Pariser höheren Schulen find Riesenanstalten mit über 1000 Schülern und haben außer Pensionären", die hier in der Minderzahl, in der Provinz aber in der Ueberzahl sind, noch Halbpensionäre", die über Mittag in der Anstalt bleiben und dort essen( eine Einrichtung, die, nebenbei gesagt, in Neukölln für die Oberstufe der Karsenschen neuen großen Einheitsschule geplant ist) und Externe", die nur zum Unterricht in die Schule fommen.
herein
Zur Preisverteilung tommen nur die mit Preisen bebachten Schüler- bei der Schule, zu der ich Zutritt hatte, waren es gegen 200. Und so ging es zu. Auf dem Podium vor der mit rotem Stoff verhängten Rückwand des Schulfaales mit Schulwimpel und Flaggen in den Landesfarben stehen( katholisch bunt) Reihen hellblauer Ehrensessel und Stühle, vor dem Podium zwei lange Tische, hochbepadt mit Büchern. Die vordere Hälfte des Saales nehmen die Schüler( auch einige Mädchen sind darunter) ein, die hintere Hälfte ist von Angehörigen besetzt. Ein( gemietetes) Orchester spielt die Marseillaise , alles erhebt sich und herein. zieht in schwarz glänzenden Talaren mit gelben, roten, violetten Aufschlägen, Gürteln und ebensolchen Schärpen auf der linken Schulter, mit Barett und langem weißen Jabot der Trupp des Berwaltungsrates, des Lehrtörpers und der Ehrengäste. Den Ehrenplag in der Mitte nimmt als„ Borsigender" ein Mann ohne Kostüm, ein namhafter Schriftsteller ein, der geladen worden ist, um durch seine Redekunst dem Feste einen besonderen Glanz zu verleihen. Es folgen drei Festreden: die erste gedankentief und ernst, die zweite voll Menschlichkeit und Esprit, oft von Beifall unterbrochen, die dritte voll Würde zur Ehrung eines abgehenden Lehrers, alle drei aber nicht frei gesprochen, sondern vom Blatt gelesen!( Allgemein ist also die berühmte französische Redekunst doch nicht verbreitet.) Die furzen Pausen zwischen den Reden und die lange danach vor der Verteilung der Preise werden vom Dr. defter ausgefüllt; fein Schüler das ist mit Bedauern festzu stellen ist an der Ausgestaltung des Festes irgendwie attiv be teiligt.
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Oder: Onkel As soll mal Heftflaster mitbringen und die finder, die imer petsen auf den mund fleben. Ursela Bleistein is die erste weil die am meisten pest und den tut sie so als wen sie gleich sterben muß..."
Die Orthographie ist nicht in der Ordnung, wie man sieht. ,, Orthographie", sagt,.Onkel AD" ,,, muß sein, aber sie wird bei uns nicht als Wichtigstes angesehen, sie wird nebenher gelehrt und den Kindern als das dargestellt, was sie ist: als eine Konvention unter den Menschen, die man vorteilhafterweise berücksichtigt, entscheidend aber sind Frischheit, Lebendigkeit, innere Wahrhaftigkeit der Auffätze."" Onkel Ad" will ven schwer erziehbaren Kindern" wenig wissen. Das gäbe es, aber nur in verschwindend wenigen Fällen. So gut wie jeder Schüler sei für den Unterricht zu gebrauchen, es tomme nur darauf an, sich in seine Eigenarten zu versenken, und das, was als Verstocktheit oder Flegelei in Erscheinung tritt, durch geeignete Behandlung in Positives umzusetzen. die inneren Spannungen in Schöpferisches überzuleiten.
denken nicht daran, fluchtartig das Schulzimmer zu verlassen. Es scheint ihnen gar nicht recht zu sein, daß sie nach Haus gehen sollen. ,, Onkel Ad" ist ja nicht nur ihr Lehrer. er ist ihre Vertrauensstelle. Sie haben viele fleine private Nöte, die sie sich jetzt vom Herzen reden müssen.„ Onkel Ad" hört willig zu: ein Berater und Helfer.
Ende der Unterrichtsstunde. Aber die Mädchen und Jungen
Recht interessant sind die Aeußerungen, die ehemalige Schüler der Rütli- Versuchsschule auf Grund ihrer nachträglichen Erfahrungen über den Wert dieses Schulsystems gemacht haben. Es geht aus den Protokollen, die darüber existieren, hervor, daß die Meinungen geteilt sind. Etwa zur Hälfte verteidigen die früheren Rütlianer ihre alte Schule. Oft mit begeisterten Worten.
Ein Fortbildungsschüler. Maler, spricht sich vers nichtend über seine neuen Klassentameraden aus. Das einzige, was sie zuwege brächten, sei das Strammstehen vor den Lehrern, hinter ihrem Rücken aber alberten fie. Wirkliche, ernste Arbeit leisteten fast ausschließlich die Rütli- Leute. Er selbst käme in allen Fächern bestens mit.
Aehnlich spricht sich ein Besucher der chemischen Fort bildungsschule aus. Wiewohl viele seiner neuen Mitschüler aus höheren Schulen stammten, fämen sie nicht so gut mit fort wie er Er habe denten gelernt, jenen sei etwas eingetrichtert worden. Ein dritter Schüler, jetzt Besucher einer Berufsschule, bekundet ebenfalls, daß er auf keinerlei Schwierigkeiten beim Unterricht stoße und aus. gezeichnet folgen fönnte. Auch er wirft seinen neuen Mitschülern vor, daß sie den Lehrern heimliche Schabernacks spielten, im übrigen aber häufig Kriecher seien.
Eine Kunstgewerbeschülerin hatte zuerst befürchtet, im Deutsch Lücken aufzuweisen, aber ihre Furcht sei unbegründet gewefen. Sie fühlt sich gut vorbereitet für ihren Beruf. Ein 3eitungsfahrer lobt den freien Geist, den die Rütli- Schule ihm ins Leben mitgegeben habe.
Das sind einige der günstigen Urteile. Die ungünstigen sind bezüglich des Objekts ihrer Kritif nicht recht einheitlich. Ein junger Arbeiter vermißt die bewußte und betonte Erziehung zur Rameradschaftlichkeit und zum proletarischen Klassenbewußtsein. Ein anderer bemängelt, daß zuviel gespielt und gesungen worden sei. Das Leben schenke niemandem etwas. Der angehende Proletarier werde in der Rütli- Schule verweichlicht. Eine ehemalige Stülerin, die als Stenotypistin tätig ist, führt Klage darüber, daß sie auf Abweisung gestoßen sei, wenn sie an der Arbeitsstelle, um die sie fich bewarb, angegeben habe, daß sie eine Rütli- Schülerin sei. Eigentliche Unzufriedenheit mit der vermittelten Bildung wird nur in einem einzigen Falle ausgesprochen: von einer in einem Haus. halt tätigen Erzieherin, die Mängel in ihrem Deutsch empfindet. Eines ist gewiß: Mit Beklemmung denkt fein ehemaliger Angehöriger dieser Neuköllner Bersuchsschule an seine Lernstätte zurüd.
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Dann beginnt der Namensaufruf und die Ueberreichung der Preise. Einige Preise bestehen in Geld, die meisten in Büchern, aber nicht in einzelnen manchmal gibt es ganze Stapel, mit bunten Bändern zusammengebunden. Es gibt Preise für alle Fächer, für alle Klassen, für die besten Schüler jeder Klaffe, für die fleinsten Abcschüßen gibt es Preise, neben den Preisen noch ehrenvolle Erwähnungen. Zum Schluß ein Ferienglückwunsch, und noch einmal die Nationalhymne, unter deren Klängen der kostümierte Echwarm durch die stehende Menge hindurch den Saal verläßt voran der Schriftsteller mit der Hand in der Hosentasche. F. Lindemann
Kerschenfteiner.
An seinem fünfundsiebzigsten Geburtstag( 29. Juli) darf auch auf die großen Verdienste hingewiesen werden, die sich der greise Pädagoge Georg Kerschensteiner um die Prägung des neuen Begriffs Sachlichkeit" erworben hat. In dem 1925 in sechster Auflage erschienenen Werk„ Begriff der Arbeitsschule" finden wir zum ersten Mal das Wort„ Sachlichkeit" in einer über den bis. herigen Sprachgebrauch hinausgehenden Bedeutung. Sachlichkeit heißt hier nichts andres als Einstellung auf objektiv ge'tende Werte und steht in bewußtem Gegensatz zur reinen formalistischen und subjektivistischen Lebenserfahrung. Wer sachlich denkt, sucht den Dingen und ihrem Wertinhalt auf den Grund zu gehen und läßt bei der wissenschaftlichen Erforschung des Lebens fein anderes Gefühl walten als das der objektiven Erkenntnis. Sachen haben ihren eigenen Wert, der nur erkannt werden kann, wenn man von allen personalen Gefühlswerten abstrahiert. Kerschensteiners Theorie, von ihm nur auf die pädagogische Pragis angewandt, trägt unzweifelhaft Züge des Positivismus und der Phänomenologie. In ihrer sinnfälligen, dem Zeitdenten angepaßten, Terminologie hat sie aber eine weit über die Gebiete der Pädagogik hinausgehende Wirkung getan. Der Begriff der Sachlichkeit" hat wie fein zweiter. Schule" gemacht. Von Kerschensteiner stammt der Saz:„ Sachlich. feit ist Entpersönlichung." Das Wesen der von ihm propagierten philosophischen Richtung umreißt er noch deutlicher, wenn er„ die auf die Möglichkeit der Selbstprüfung ruhende, immer mehr aus. reichende fachliche Einstellung" des Beschauers fordert. Dr. Paul Herzog.
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