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föeilage Freitag, 26. Juli 1929

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Niidilfnhrl durch' s 3)schungei Jlbenieuer im märkischen Seengebiel

Vom frühen Morgen an hatten wir unermüdlich gepaddelt. Nur eine kurze Zeitlang tonnten wir das Segel setzen und uns der Kraft des Windes überlassen. Nun stand die Sonne tief, und wir dachten daran, irgendwo an einem Waldrund oder einer trockenen Wiese zu landen, um das Zelt aufzuschlagen und zu übernachten. Nur noch dieses letzte Gewässer der märtischen Seenkette wollten wir durchfahren. In wundervoller Färbung liegt sein Wasser spiegelglatt im Glanz der Abendsonne. Kein Laut weit und breit. Leise tauchen die Paddel ins Wasser, das mit zartem, bald Heller, bald dunkler klingendem Ton an die GummihautwSnb« des Bootes Ichlägt. Wir halten uns nahe am Ufer, um irgendwo«ine Landungsmöglichkeit zu erspähen. Aber überall steht hohes Schilf, und der Boden ist moorig und von unzähligen Wasserpflanzen be- wachsen. Doch da öffnet sich plötzlich ein entzückender kleiner Kanal. Blendend weiß«, vollerblühte Wasserrosen und dunkelblau schim- mernde Vergißmeinnicht ruhen aus dem Wasserspiegel, im Hinter- grund liegen weite Wiesenflächen. Ein« leise Strömung des Sees treibt uns hinein, und bald sind wir vollkommen gefangen vom Zauber der Landschaft. Ein Meer von Blüten umgibt das Boot. In strahlendem Weiß, Gelb, Blau und Rot schillert, gleißt und leckt es, und im Hintergrund steht still bewegungslos«in dunkelgrüner Gürtel von blühendem Schilf. Ein zarter berauschender Duft liegt über dem Wasser. So hatte man sich als Kind das Reich des Wassermanns und der Nixen vorgestellt ein« verzauberte Landschaft, erfüllt von geheimnisvollen, unergründ- lichen Geschehnissen. Alles atmet und lebt. Alles ist von gesteigerter, unwirklicher Ausdrucksfähigkeit und Schönheit, und selbst der grün« Frosch, der auf einem Blatt der Wasserrose ruht und bei unserem Nähergleiten nicht ins Wasier springt, soydern unbeweglich sitzen bleibt, scheint einem jener Zauberwesen zu gleichen, von denen Sagen und Märchen der Vergangenheit erzählen. Noch ist kein Ende des kleinen Fließes abzusehen. Immer neue Abzweigungen und Windungen führen durch das Schilf. Immer betäub«nder wird die Luft, immer üppiger die Pflanzenwelt. Wir beellen uns, vor» wärts zu kommen, denn es wird dunkler und dunkler. Aber der schmale Kanal wird immer enger, und immer schwieriger ist es, weiterzupaddeln. Endlich ist er nur noch etwa einen Meter brest es bleibt nichts übrig, als die Paddel auseinanderzunehmen und uns am Schilf vorwärts zu ziehen. Dann geht es nicht mehr weiter ein hoher Schilfgürtel mit unentwirrbarem Gestrüpp von �Msserpflanzen versperrt jedes Weiterfahren. Wir müssen zurück. Ein feiner weißer Nebel erhebt sich. Die Dunkelheit bricht herein. Mit voller Kraft schieben wir uns zurück. Unheimlich wird es jetzt hier drinnen. Da schlägt ein bekannter Ruf an unser Ohr: Kuckuck, Kuckuck". Wir müssen ganz nahe am Ausgang sein, und drüben liegt der Wald, aus dem der Vogelruf tönt. Noch einen Augenblick lauschen wir, dann folgen wir der Richtung, aus dem das Rufen kam. Aber wieder versperrt hohes Schilf das Weiter- kommen wir müssen uns verirrt haben. Wieder heißt es, mühsam sich zurücktasten. Eine Rohrdommel stiegt erschreckt dicht vor uns hoch wir erkennen sie an ihrem schnarrenden Ruf, denn zu sehen ist jetzt nichts mehr. Es ist dunkle Nacht, und dichter Nebel umgibt uns. Nur unentwegtes Suchen und Weiterfahren kann uns aus diesem Labyrinth noch herausbringen. Aber wieder sitzt das Schiff fest, wieder müssen wir zurück. Der Nebel dringt eisig

W-'f,

durch die leichte Kleidung, und der schwül« Dust legt sich schwer aus Kopf und Lunge. Man ist müde, totmüde, betäubt und halb be« sinnungslos durch diese drückende, feuchte, von giftigen Dämpfen und Düften geschwängerte Luft. Nur weiter, vorsichtig und behutsam, eng an das Schilf gepreßt. um einen Ausweg zu finden. Umsonst. Weder geht es nicht weiter: wir sind rettungslos gefangen. Ob es nicht möglich wäre, durch das Schilf zu waten und zu versuchen, aus die Wiese zu gelangen? Wir versuchen es einmal, zehnmal, zwanzigmal. Aber ein Aussteigen ist unmöglich, man müßte unrettbar im Moor versinken. Wie lang« fahren wir nun schon in dieser unheimlichen, ver- zauberten Landschaft herum? Stunden müssen vergangen sein. Aber nun scheint sich das Fließ zu verbreitern die drückende Luft scheint bewegter zu werden. Mutig, mit leiser Hoffnung im Herzen

paddeln wir vorwärts, um im nächsten Augenblick erschreckt inne- zuhalten. Vor uns erhabt sich eine riesenhafte Gestalt. Sie dehnt die Arme, sie reckt sich, dann stürzt sie sich auf uns. Eiseskälte durchdringt uns. Ein Nebelgespenst, ein zusammengeballter Klumpen

feuchter Lust zog vorüber. Vorwärts, vorwärts, mit überwachen, bis zum Aeußersten gespannten Sinnen, um«in Ende zu finden und endlich, endlich herauszukommen! Aber nach wenigen Minuten sitzt das Boot wieder fest. Da beschleicht uns«ine grenzenlos« Mutlosigkeit. Ob man nicht am besten das zwecklos« Fahren auf«

gibt, sich mit Zeltbahnen zudeckt und zum Schlafen ins Boot nicti. legt? Aber auch das ist unmöglich. Die furchtbare Nässe und Kälte ist längst überall durchgekrochen, in wenigen Minuten sind wir stc-s und bewegungslos, wenn wir nicht weiterpaddeln. Da klang nicht ein Ton aus der Ferne? Ganz leise, kaum vernehmbar: Vier zart«, helle Schläge und dann zwei etwas lautere, dunkler tönende. Der Klang einer Dorfkirchenuhr, weit entfernt, aber doch ein Gruß aus dem Leben, aus der MenfchenweU, der wir uns so tief verbundne fühlten, die wir nie so sehnsüchtig suchten, wie in dieser furchtbaren Nacht. Zwei Uhr. Noch eine Stunde, dann muß der Tag grauen, dann muß es hell werden, dann ist es vorbei mit der Macht un- heimlicher Wassergeister, dann hat der Dschungel seine Schrecken verloren. Oder winkt jetzt schon Rettung? Was ist das für ein seltsames Licht, das da plötzlich vor uns auftaucht? Sind wir nicht allein in dieser Einöd «? Ach, es ist nur ein modernder Baumstumpf, der phosphoresziert. Wie endlos lange kann ein« Stunde werden! Todesmatt, mit einem dumpfen Druck im Hirn, von Kälte und Nässe geschüttelt, paddeln wir mechanisch weiter, vorwärts, dann wieder zurück, wieder vorwärts, so weit es gcht. Aber nun wird es ja plötzlich freier und weiter? Der ausgestreckt« Arm berührt nicht mehr das Schilf, das Paddel ist nicht mehr in rankend« Wasserpflanzen verstrickt. Träumen wir? Nein, es ist Wirklichkeit. Milde, weiche Seelust strömt herein. Die Nebelgeister, die Gespenster des Todes zerflattern. Der See liegt vor uns. Wir sind gerettet, sind frei! Wortlos reichen wir uns die Hand. Dann gleiten die Paddel mit frischem Schwung durch das Wasier. Die Nacht und das Grauen liegen hinter uns, es geht dem Leben, den Menschen zu hinein in den leise er- wachenden, jubilierenden Morgen... Dr. Else Möbus.

Die Wiedergeburt des Auges Das Xichtspiel als Wessi as der Siörper/ Von Xolar Wolland

Theater Lichtspiel. Zwei polare Gegensätze im künstlerischen Mittel: jenes die Kunst des Intellekts, der Sprache: dieses des Ge- fühls, des Bildtraums. So haben sie ihre besonderen Aufgaben, die ihren verschiedenartigen soziologischem Wesenskennzeichen entsprin- gen: basiert die Dialektik des Bühnenspiels, de/künstlerische Kniff" der Dramenkomposition, auf der Erfahrung der Sozialkrast der Sprache, so liegt dem Film die neue Erfahrung einer ge- wissen Sozialverbundenheit der Erscheinungen(in bezug auf Ausdruck, zweckvollen Sinn, kausales Zusammenwirken der Erscheinungs-Ansichten") zwangsläufig zugrunde. Ohne diese Tat- fache, daß dem Nebeneinander(zeitlich: Nacheinander) von Erschei- nungen ein den menschlichen Sozialverhältnissen entspringenden Er- fahrungen und Anschauungen entsprechender Sinn zu entnehmen ist, der im Alltag im großen und ganzen durch die geistige, im Film durch die räumliche Perspektive des Schauenden(vermittelt durch die Einstellungen der Kamera)relativiert" wird, wäre jedes filmische Erlebnis unmöglich. Theater Lichtspiel. Offenbarte uns jenes die Eigenwelt des Geisteslebens(von der empirischen Gebundenheit Strindbergs bis zur Frecheit Goethes), so deckt uns der Film(in seiner zukünftigen Form, heute zum T.'il in den Werken der Russen und der französi- schenAvantgarde" des Films in Paris ) das Erlebnis der Er- scheinungswelt vor dem sozialen Bindemittel der Sprach«, zumindest ohne dieses, auf. Man pries bisher aus geschäftlichen Berücksichtigungen die internattonale Verständlichkeit des Films: man wird sie in Zukunft eingehender vom sozialphilosophischen Standpunkt aus betrachten müssen, um ihrem wirklichen inneren Wert gerecht zu werden. Es wird sicherlich in der kommenden Epoche der Kinematographie, an- geregt durch diese, die heutige Sozialphilosophie, die die Sprache als den ersten kulturgesellschaftlichen Ausdruck und Antrieb ansteht, noch einen Schritt weiter zurück in die elementaren Regionen des körper- lich-kausalen Zusammenlebens von Erscheinungen als solchen in das Lehrbuch der Tatsachen tun müssen. Dieser Satz mag ungewohnt erscheinen, da die Sprache doch unleugbar die Ziehmutter der Kultur gewesen ist es ist aber offenbar, daß die B e g r i f f s b i l d u n g in der Sprache bei jedem sprechenden Einzelwesen erst die Sinnbildung de Auges in weitem Maße zur Grundlage hatte, und andererseits dürfen wir nicht außer acht lassen, daß mit der Bildung von Begrissssymbolen durch die Sprache zugunsten einer freien geistigen Gedankenakrobatik eine Loslösung von den natürlichen Begriffsträgern erfolgt ist, die schließlich zur Folge haben mußte, daß die geistig kulturelle Ent- Wicklung im Laufe des Trainings eigentlich immer mehr zu einer Kultur der Ideologie wurde, der man die natürlichen Kausalitäten der Erscheinungen(am fühlbarsten in der kapitalistischen Wirtschasts- struktur...) zwangweise unterordnen wollte. Der Weg der kul- turellen Entwicklung über den absoluten Geist(wie z. B. bei der Konzipierung eines egozentrischen Wirtschaftssystems) führte bisher nicht zu einer Erhebung sondern zur Unt er drückung der fleisch, und bluttragenden Erscheinungswelt. Das Charakterfftikum des Geistes istes, daß er sich insolge der ihm wesens. entsprechend innewohnenden ideologischen Zielhaftigkeit im Mittel einer jeweilig momentan egoistischen Tendenz entwickelt, während der reine Körper infolge seiner Gebundenheit und- Unverdrängbor- keit die solidarische Kooperation zu seiner Entwicklungsbasis wählen muß. Der Film führt die selbstherrliche Ideologie ad absurdum, indem er das Erlebnis des Zuschauers aus der Brücke der elementaren visuellen Begrifiesymbolik zurück zum Erlebnis der Erschei- n u n g s w e l t leitet. Er greift somit in die Wahrheiten tiefer, weil in primitiverer Richtung, ein und offenbart tiefere Wahrheiten, weil

er sie aus den Dingen und Menschen als reine daseiende Erscheinun- gen elementarer schöpft als die Bühne. Was diese im besten Fall ideologisch statuiert, kontrolliert er an der Realität. Das außerordentliche Realitätsbedürsnis des Films ersährt jeder Filmautor, dem die Aufgabe gestellt wurde, ein Bühnenbrama zu verfilmen. Wir brauchen uns nur den manuskriptlich zum Tell be- schämend hilflosenF a u st"- F i l m vor Augen zu führen, um die Bedeutung der Forderung zu verstehen: für den ideologischen Be- griffFaust" gleichwertige Anschauungsstoffe in der bloßen Erschei- nungswelt zu erfinden. Weiterhin dokumentiert sich die äußerst relative Gültigkeit des Bühnengeschehens vom Standpunkt des Re- alisten aus darin, daß die Bühne ihren Stoff vom realen Raum trennt und in einen willkürlichen neuen Schauplatz setzt: DieRe. volte im Erziehungshaus" spielt sich nicht in dem wirk- lichen Erziehungsheim ab, wird noch nicht einmal von den Zöglingen selbst vorgeführt, sondern ist eben nur eines Dichters Werk, dem ein künstlerischer Schauplatz untergeschoben wird. Unter besten Um- ständen können wir sagen, daß die Bühne den Raum bewegt während der Film ihn belassen kann, wo und wie er ist. Der Film geht aber auch noch darüber hinaus: er löst die egozentrische ynd dadurch in höchstem Maße ideologische Struktur des Bühnendramas in ein dezentrisches Erlebnisbild aus. In dem Theater konzentriert sich das Erlebnis des Zuschauers um die handelnden Persoen, insbesondere der führenden Rollen, die ihrerseits in die enge Form desTyps" eingepreßt sind, wobei ein durchaus selektives Prinzip die Statisten hinter den Hauptdarstellern vollkommen zurücktreten läßt. Dagegen sind die Erscheinungen im Film ungeachtet ihrer ideologischen Bedeutung durchaus gleich- wertig, wobei derjenige Spieler der.Hauptdarsteller" wird, der von Natur aus die aktivste visuelle Ausdruckskraft besitzt. (Man denke an die Beliebtheit von Kindern und Tieren im Film. Ferner war im Gründe genommen Friedrich II. im FilmFride- ricus Rex" eine filmische Nebenperson gegenüber den im Rhythmus marschierenden Soldatenbeinen in Nahaufnahm«, den Schlachten- details usw. Und schließlich beruhte der Erfolg des.Potemkin" zu einem großen Teil auf der genialen Komposition von visuell gleich- wertigen aktiven Erscheinungsdetails unter Vermeidung der ideolo- gischen Klassifizierung der Darsteller, die leicht zu fatalen Wider- sprüchen führt.) Der Film befreit die Erscheinungen von ihrer ideologischen S ch e i n b e d e u t u n g un! offenbart sie in ihren natürlichen Werten. Aus diesem Wesenszug des Lichtspiels: der Negierung jene Ideologie, die bisher zu allen Kulturepochen bis zur Gegenwart Rußlands nachgewiesenerweise die jeweiligen Träger der in einer Gesellschaftsform realisierten Gemeinschaftsideologie zu Mördern an den von dieser letzteren nicht opportun betroffenen Mitmenschen machte, ergibt sich die unabänderlick� Forderung der Durchdringung eines sich homogen sozial entwickeln wollenden Volkes mit den Er- lebniswerten dieser seinen Tendenzen entsprechenden Kunst. Die bewußte oder unbewußte geistige Stütze, die das frühere Bürger- tum unzweifelhaft in dem Theater fand, darf dem neuen gesamt- schichtigen Volk nicht vorenthalten werden. Diese findet es in dem Lichtspiel, das heißt, dem von bürgerlicher Ideologiepropagando freien Film. Die Sozialoerantwortüng basiert auf den Gegeben Helten und kann sich nicht allein auf Ideologien stützen. In diesem Sinne ist das Lichtspiel der Messias d e> Körper. Das Wort wird nicht verdrängt aber die Kulturbasie wird um einen bedeutenden B-ftimmungsfaktor: das Erleben, unt die Berücksichtigung der reinen Tatsachen, erweitert. Die Welt. die bisher hauptsächlich in Begriffen existierte, wird durch das Aug entdeckt. Nicht nur in Reise- und Expeditionsfilmen, sondern.-- wichtiger für uns ist: in politischen Filmen.