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BERLIN  Dienstag 30. Juli 1929

Der Abend

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Schlagwetterfatastrophe.

24 Todesopfer, 11 Verletzte in Waldenburg.

in

Am Montag abend gegen 19 Uhr ereignete sich auf der Friedenshoffnungsgrube Niederhermsdorf eine schwere Schlagwetter. explosion, von der 35 Bergleute betroffen wurden.

Faschistengruß der Kommunisten.

23 Mann tonnten nur als Leichen ge: Wie Mussolini   von russischen Fliegern begrüßt wurde.- Der große Mann."

borgen werden, während 12 Mann lebend zutage gebracht und sofort ins Knappschafts­lazarett überführt wurden. Einer davon ist seinen Verlegungen erlegen, sechs sind schwer und fünf. leicht verletzt. Die Ursache der Explosion sieht noch nicht fest.

Waldenburg  , 30. Jul.( Eigenbericht.) Ganz Waldenburg   steht unter dem Eindrud der furchtbaaren Katastrophe, die die Friedenshoffnungshütte heimgesucht hat. Die Bergungsarbeiten wurden sofort nach Bekanntwerden des Unglüds durch Grubenrettungsleute aufgenommen; sie waren gegen 3 Uhr morgens beendet. Bald nach dem Bekanntwerden des Unglüds trafen der Bergrevierbeamte Erster Bergrat Berger und Bergrat Rudolf und während der Nacht Berghauptmann Fischer und Ober­bergrat Weber auf der Grube ein, um die Unglücksstelle zu befahren. Die betroffenen Betriebspunkte find befahrbar, doch ist der Betrieb dort vorläufig eingestellt.

Ueber die Ursache

laffen sich zunächst mur Vermutungen aussprechen. Früher wurde die Kohle durch Schießen gewonnen. Dies wurde jedoch vor einiger Zeit verboten, da beim Schießen besonders leicht Schlag wettererplosionen vortommen. Es ist also nur möglich, daß durch das Hauen des Gesteins ein Funken abgesprungen ist oder daß aus einer schadhaften Grubenlampe eine Flamme herausgeschlagen ist. Bon den 23 Toten

find 14 verheiratet und 9 ledig. Bei den Berheirateten handelt es sich meist um solche mit ein oder zwei Kindern. Nur einer ist dar­unter mit drei Kindern. Die Toten sind aus verschiedenen Alters­flaffen: von 18 bis in die vierziger Jahre.

Auf dem Unglücksschacht.

Waldenburg  , 30. Juli.  ( Eigenbericht.) Bom Förderturm weht im Morgenwind die schwarze Fahne der Trauer. Die knappen starben, und die Räder rollen nicht mehr. Lähmende Stille liegt über dem Ort. Nur hier und da stehen fleine Gruppen auf der Straße, und wenn man an ihnen vorbeigeht, fieht man in übernächtigte Gefichter, sieht man in angst­erfüllte Augen. Oft gellt ein Weinen auf. Kurz nach 19 Uhr durch­eilte die kunde von dem furchtbaren Unglück den Ort. Bald raffen Sanitätsautos heran, Feuerwehren raffelten, die Grubenrettungs­wehr erschien. Um 20.30 Uhr wurde der erste tote knappe geborgen, und dann bewegte sich ein unaufhörlich langer Jug vom Wert zu den Reffungswagen. Gegen 4 Uhr morgens wurde der lehte Tote ins Knappschaftslazarett gebracht. Vor dem Schacht aber fammelte sich alles, was in Herzensnot um Vater und Bruder, um Sohn und Männer bangte. Kinderweinen und Stöhnen gequälter Frauen ward zur graufen Nachtfinfonie. 3m Raum des Pförtners spielen fich noch immer bittere Tragödien ab. Da fragen Vater und Mutter nach dem Sohn, und der Pförtner muß fie nach dem knappschaftslazarett verweisen, derweil in seinen Listen der Name längst mit dem schwarzen Kreuz gezeichnet ist. Das Telephon gellt, Weinen ziffert im Raum, und der Beamte gibt unermüdlich Auskunft. Grauen und Qual liegt über dem knappenort. Es iſt, als hielte das arme gequälte Leben für Trauerffunden den Atem an. Soviel Not hat das leidgewohnte Waldenburger Bergland   lange nicht gesehen.

Das Schlagwetterunglüd ereignete fich auf den Schwestern­schächten im Bereich der achten Sohle. Die 12 Mann, die lebend zutage gebracht und in das Knappschaftslazarett befördert tourden, find mit einer einzigen Ausnahme sämtlich schwer verlegt. Die Bergungsarbeiten waren um 3 Uhr nachts beendet. Die Schwesternschächte gehören zum Betriebe der Niederschlesi­fchen Bergbau- Aktiengesellschaft Das Neue Tage­blatt" in Waldenburg   erinnert aus Anlaß des ichweren Unglüds au frühere Katastrophen, von denen die Schwesterschächte früher heim­gesucht worden find. Am 31. Dezember 1895 kamen durch eine Schlagwettererplosion in diesen Schächten 31 Bergleute zu Tode, am 10. Dezember 1891, ebenfalls durch eine Schlag­wetterexplosion, 14 Bergleute. Das letzte größere Unglüd er­eignete sich in der Grube am 28. mai 1920, wo infolge Brand­gasvergiftung fünf Berglente den Tod fanden.

Wir haben fürzlich festgestellt, wie die faschistischen Flieger, in Odessa   von den kommunistischen   Behörden brüderlich auf­genommen wurden: auf dem Boulevard Feldmann, einst dem Schauplatz der Niedermehelung von streitenden Massen durch die Kosaten des 3aren, waren die zärtlichen Erfolge der Faschiffenoffiziere bei den kommunisten zu sehen. Jeht tommt der amtliche Bericht davon, wie die Bejagung des Sowjet­flügels", eines fowjetruffischen Flugzeuges, in Rom   aufge­nommen wurde: der italienische Staatssekretär für das Luft­fahrwesen Balbo berichtet im Corriere della Sera  " vom 27. Juli:

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einen solchen Mann in den Tod gehen tann. Selbstverständ­lich so schloß Abg. Balbo haben solche Erklärungen neue herzliche Gefühle geweckt, die nicht so leicht erlöschen werden. Während in den italienischen Kerfern sozialdemokratische und tommunistische Opfer der Faschistenjustiz verkommen, tauschen die Machthaber des tommunistischen und des faschisti­fchen Staates Freundschaftsgrüße miteinander aus. Herz­liche Bertraulichkeit", Mussolini   so groß oder größer als Lenin", das sind die Ausdrücke, in denen die Seelenver­wandtschaft der Dittaturen sich manifestiert. Kom­munisten, die wie Faschisten grüßen: ein Symbol für die politische Verlumpung Moskaus   und seiner Anhänger.

Freitod Max Falkenfelds.

Die Piloten und Passagiere des russischen Flugzeuges find von den italienischen Fliegertreifen mit großer Sympathie auf­genommen worden. Vor allem können die italienischen Flieger nicht den Empfang vergeffen, der dem italienischen, Fluggeschwader auf seinem Rundflug im öftlichen Mittelmeer   und Schwarzen Meer   in Odessa   bereitet wurde. Die russischen Flieger haben sich über ihren Der bekannte sozialdemokratische Anwalt in Frankfurt   a. D. Aufenthalt in unserem Lande befriedigt gezeigt. Die russische Flieger­mission war so höflich, dem Duce ein Danttelegramm zu senden, und hat darauf darum gebeten, vom Regierungschef emp­fangen zu werden, der diesem Wunsch entgegentam und die russischen Flieger gestern abend nach der Rüdtehr von ihrem Ausflug in Neapel   in der Villa Torlonia   empfing. Der Besuch beim Duce hat Duce hat sich für die Bhafen des Mostau- Rom- Fluges interessiert, den Charakter herzlicher Bertraulichteit gehabt. Der für den Apparat, für die Motoren und für die Organisation der Sowjetaviatik und

verabschiedete sich dann mit dem römischen Gruß, den nicht nur ich, Oberst Pellegrini, Hauptmann Mameli   und Leutnant Di Robilant, die wir die russischen Gäste begleiteten, sondern auch ein Teil der Ruffen selbst in gleicher Weise beantworteten. Gestern abend, während des Banketts beim Sowjetbotschafter Kursti, haben mir die Mitglieder der Besagung des Sowjetflügel" den außerordentlichen Eindruck geäußert, den der Besuch beim Duce auf sie gemacht hat. Unter anderem erklärte mir einer der Russen, daß er Gelegenheit gehabt habe, Lenin  , Kemal Pilsudski und viele andere Staatsmänner des letzten Jahrzehnts tennenzulernen,

aber noch nie einen solchen Eindrud von Kraft und Sympathie empfunden habe, wie sie von der Persönlichkeit des Duce aus­strömen.

Derfelbe erklärte mir auch, er begreife jetzt sehr gut, wie man für

Poincarés Rücktritt.

Th

Und mir sollte es nicht vergönnt sein, die Versöhnung mit Deutschland   zu Ende zu führen!"

Frankfurt   a. d. O., 30. Juli.  ( Eigenbericht.) Heute früh wurden der auch weiteren Kreisen be­fannte sozialdemokratische Rechtsanwalt Mar altenfeld und seine Gattin in der Küche ihrer Wohnung leblos aufgefunden. Sie hatten gemeinsam den Freits durch Leuchtgas   gesucht. Der Feuer altenfeld vorläufig wieder zum Leben zurückzurufen, wehr gelang es, mittels Sauerstoffapparaten Frav Falkenfeld vorläufig wieder zum Leben zurückzurufen, bei dem Manne aber waren die Versuche erfolglos. Auch Frau Falkenfeld liegt schwer vergiftet im Krankenhause und die Aerzte haben keine Hoffnung, ihr Leben zu er­halten.

Genoffe Faltenfeld, der im 65. Lebensjahre stand, ist schon seif langer Zeit an Arteriosklerose schwer leidend gewesen. In dieser Krankheit, die ihn schließlich vollkommen arbeitsunfähig machte, ist das Motiv zu dem verhängnisvollen Schritt zu suchen. Genoffe Faltenfeld war bereits seit 1913 Mitglied der Sozialdemokratischen Partei und stand im Kampfe für die Sache der Arbeiterbewegung ftets in vorderster Front. Die Schikanen, mit denen ihn das alte Syftem verfolgte, haben ihn nicht davon abhalten können, auf seinem Platz zu bleibenund unermüdlich für das Wohl der notleidenden Maffen zu arbeiten. Falfenfeld war, ebenso wie feine Gattin, von 1919 bis 1924 sozialdemokratischer Stadtverordneter in Frankfurt  a. d. Oder. Sein Name als Verteidiger ist weit bekannt aus dem Ahrensdorfer Reichsbannerprozeß und aus vielen anderen politischen Prozessen. Besonders verdient gemacht hat er sich um die Aufklärung der Vorgänge beim& app- Putsch und beim Küftriner Putsch, über die er auch im Borwärts" wiederholt Auffäße veröffentlichte. Schon vor wenigen Jahren verlor er einen Sohn, der ebenfalls durch Freifod aus dem Leben schied. Besonders die Frankfurter   Parteibewegung hat durch den Tod ihres verdienten Genoffen einen unerfetzlichen Berlust erlitten.

Die Leiche wird morgen nach Berlin   übergeführt und dort ein­geäschert werden. Aller Voraussicht nach wird die Asche auch in Berlin   beigesetzt.

35 Millionen hungern. Menschenfresserei aus Rot in China  .

London  , 30. Juli.

Die Leiter der chinesischen internationalen Hungersnothilfs­fommiffion berichten nach Pekinger   Meldungen, daß durch die ge­troffenen Maßnahmen seit dem Frühjahr das Hungersnot­gebiet beträchtlich verringert werden konnte, daß aber noch immer 35 millionen Menschen unter der Hungersnof leiden. In Zentralfanju im nordwestlichen China   hat es seit vier Jahren nicht geregnet. Das Weizenanbaugebiet gleicht einer Wüste. Ju einer Stadt ist die Bevölkerungszahl von 60 000 Köpfen auf 3000 herabgefunken. Nach Mitteilung der Kommiffion hat in diesem Gebiet der Kannibalismus fehr erhebliches Ausmaß erreicht. Ein Friedensrichter fuchte diejenigen zu beffrafen, die sich in dieser Hinsicht vergangen haften, aber ohne Erfolg. Der Typhus   hat unter den Mitgliedern der Hilfskommiffion zahlreiche Opfer gefordert. Bon zwanzig infizierten Personen sind nur elf mit dem Leben davon­getommen,