(Beilage Mittwoch, 31. Juli 1929
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Schlöffer unö Schmtterkafernen.
Wir setzen uns»uf die Eisenbahn und fahren nach Mecklenburg hinauf, nach einem gottvergessenen, nur durch den Postomnibus zu ereichendcn Nestchen von«ttva 300 Einwohnern. Der Wirtschaftshof. mit den Kühen und Pferden, die Mühle, die Brennerei sind einigermaßen respektable Gebäude, die Kirch« fehlt natürlich auch nicht, in der chauptsache aber besteht der Ort aus kleinen, zum Teil mit Stroh bedeckten, äußerst primitiven Häuschen, den Katen, wie man dos hier nennt. Aber dann sehen wir. von der Landstraße diskret entfernt, etwas Weißes durch die Bäume schimmern: Das Schloß. O ja, Schloß muß sein auf einem Fideikommiß,«in Schloß mit Türmen und Veranden, mit Park und Teich, Garagen und Stallungen. Das Nestchen, wte es steht und liegt, und vor allem fein« Umgebung in einer Ausdehnung von 7000 Morgen Land, ist Eigentum des Schloßherrn, eines Barons, der im zarten
Aus dem Leben Mecklenburgs. Sache zur Sprache gebracht werden, die einfach eine deutsche K u l t u r I ch a n d-e ist. Ueberoll im Bereich dieser Mecklenburgi- schen Fidctkommiss« und Großgüter schlechthin, befindet sich zumeist in respektvoller Entfernung von den anderen Häusern, andeutend, daß es sich um eine Art Ghetto handelt, ein ausgedehnter Bau: Die Schnitterkaserne. Wenn man Wohnkasern« sagt, so ist dos eine p e s s i m> st i s ch e Uebertreibung, denn ganz so un» anheimelnd und lieblos wie«ine Kaserne ist das Haus nun denn doch nicht, das man im Auge hat, aber wenn man Schnitterkaserne sagt, so steckt darin durchaus ein« optimistische Uebertreibung, denn nirgendwo gibt es Kasernen, die so kalt, primitiv, srende- leer sind, wie diese elenden Wohnställe. Kommt der Sommer heran, so bedarf das Rittergut einer Auf- füllung feiner Arbeitskräfte, und wie stark auch der Agrarier auf Landbundversammlungen und deutschnationalen Tagungen seiner
Herr
Diener— Knecht.
Alter von 24 Iahren steht... Das heißt,„Eigentum" ist zu viel gesagt, denn das Gut befindet sich in der Zwangsverwaltung. Schlechter Boden, vermute ich, RigorositSt�der Steuereintreibung.... und war schon geneigt, den Klagen über die Not der Landwirtschast «in williges Ohr zu leihen. Aber die Leute, mit denen ich sprach, belehrten mich eines Besseren.„Der Bater des Barons," sagten sie, frellich nicht in Hochdeutsch, sondern im schönsten Platt,„ist e i n wüster Verschwender gewesen, und was den lungen Baron anbelangt, so hat er sich niemals im geringsten um das Gut ge- kümmert, sondern alles verpachtet: Die Mühle, die Gast- Wirtschaft, die Brennerei, den Fischfang, die Jagd, das Ackerland.. aber der Hauptpächter, der vom Ackerland, ist«in völlig unfähiger Mensch, der wohl alle Wochen ein paarmal große Gesellschaften gibt und im Auto nach Hamburg zum Pferderennen fährt, von der Landwirtschaft aber einen Teufel versteht. Er hat das Gut heruntergewirtschaftet und zahlt die Pocht nicht. Es ist zum Heulen, wern man daran denkt, wie das Gut früher war und wie es heute ist. Jetzt soll es verkauft werden. Die Siedlungstommission in Rostock hat sich darum be- worden, aber es heißt, daß ihr die neue, siedlungsfeindliche Rechts- regierung in Schwerin kein Geld zur Verfügung stellt— and so wird es wohl m Privathand kommen." Die landwirtschaftlich� Arbeit auf dein Gut leisten in erster Linie die„Tagelöhner". Aber der Name ist durchaus irre- führend, denn es handelt sich keineswegs um Leute, die im Tage- lohn stehe.i, sondern um eine merkwürdige Mischung au, Bauer und Landarbeiter. und das Arbeitsverhältnis sieht folgendermaßen aus: Der„Tage- löhner " besitz: einen Vertrag mit dem Gutsherrn, wonach er für die ihm zur Verfügung gestellte Kate keine Miete bezahlt. zur Nutznießung einige Morgen Land und etwas Garten erhält und ferner 50 bis SO Mark bares Geld im Monat bezieht. Seine Gegenleistung besteht in 10- bis Ilstündigem Arbeitsdienst. den er für' den Gutsherrn zu verrichten hat. Bei oberflächlicher Betrachtung möchte dieses Abkommen für den„Tagelöhner" gar nicht so unvorteilhaft erscheinen: Frei« Wohnung, bare» Geld, ein Stück Acker... Aber es steht dennoch schief darum. Di?„freie Wohnung" ist ein primitives Loch, das bare Geld entsprich: einem Stundenlohn von noch nicht 30 Pfennigen und der Acker.der Acker ist das eigentlich Teuflische an der Geschichte. Er bedeutet in Wahrheit keinen Besitz, denn dafür ist sein Ausmaß viel zu upbeträchllich, aber er suggerier: dem„Tage- löhner " das Gefühl des Besitzes, er spiegelt ihm eine Interessengemeinschaft mit dem Gutsbesitzer, dem Herrn Baron im Schlosse vor. er schiebt psychologisch einen Keil zwischen ihn und den freien, völlig besitzlose�, Landarbeiter, er ist eine Iota Morgana des Wohlstandes. Ein praktisches Beispiel: Die „Tagelöhner" haben eine Petition an die Regiermig in Schwerin gerichtet, und sich in ihr dagegen ausgesprochen, daß die Siedlung?- kommission. die bei einer Veräußerung des Gutes ein Vorkaufsrecht hat. Unterstützung seitens der Regierung erfährt. Ihr Gedanken- gang ist klar? Sie befürchten bei einer Besiedlung des Landes die Wegnahm« ihres Ackers. Die Armen wenden sich also gegen die noch Aermeren. vnd das hat mit dem Lockköder eines winzigen Stückchen Landes die kluge Diplomatie des Großagrariertums getan. Sie Schnitterkaferne. Hinter den„Tagelöhnern" rangieren in der sozialen Klassen- ockaung die Jttiea Arbeiter", und da muß einmal eine
Antipathie gegen andere Völker Ausdruck verleiht: Den polni- schen Landarbeiter, oder vielmehr seine Billigkeit und De- scheidenheil weiß er zu schätzen, und allezeit steht ihm die Schnitterkaserne weit geöffnet. Ich habe mir ihr Inneres angesehen, und es war ein' phantastisches Bild: Ein T-förmiger, einstöckiger Bau, aufgeteilt in etwa 15 Abteil«, denn Zimmer kann man das nicht nennen. Das Inventar eines solchen Abteils: ein oder zwei auf Drahtgestellen aufliegende Strohsäcke, ein wackeliger Tisch, eine Bank. Kein Bild an den weißgetünchten Wänden, nirgendwo sonst noch ein Möbelstück, nurschmutziges Gerümpel hier und dort: Konservenbüchsen und Lumpen. Und in den Abteilen: Polen , Polinnen, polnisch« Kinder. In der Tlzeorie Hausen die El)«- paar-, die unverheirateten Männer, die unverheirateten Frauen getrennt, wobei es imnier noch toll genug bliebe, daß die Kinder mit den Eltern in einem Bett zusammen schlafen. In der Praxis. besonders bei voller Belegung der-Kaserne, in die bis z u 8 0 P e r. s o n e n gepfercht werden, herrscht sexueller Kommunismus, der aber beileibe nicht als Auswirkung einer erotischen Theorie bewertet werden darf, sondern ein stumpfes, dumpfes, wahlloses. geschlechtliches Durcheinanderleben ist. Und das kann ja auch kaum anders sein. Der polnische Landarbeiter verdient, 2 5 Pfennig die Stunde, die Landarbeiterin 2 0 Pfennig, wozu lediglich das Deputat kommt: Kartoffeln. Brot, Schmalz, Petroleum: mit Ausnahme der Kartoffeln und des Petroleums alles unzureichend. Irgend etwas leisten können sich diese Polen nicht Der neue Anzug wird ihnen zum Existenzproblem, jedes Glas Bier, jede Zigorr« bedeutet einen unerhörten, nicht zu rechtfertigenden Luxus für sie. So sitzen sie. nach elfstündiger Arbeitszeit in ihren Kasernen herum und denken ans Esten und an den Geschechtsgenuß. Im Dorf unten weiß man Bescheid. Aber während, mindestens bei den Spitzen des Fideikommistes, durchaus die Neigung besteht, sich theoretisch für altdeutsche Sittenstrenge und gesundes Bauerntum zu begeistern, nimmt man die Zustände in der Schnitterkaserne aus die leichte Schulter„Polen, " lächelt man„die wissen'« nicht anders." Di« Ausrede lchnellfertiger Scheinmoralisten, die jede 5 gerade sein lassen, wenn sie nur am Lohn sparen können Der kanöttreichcr. Die Schnitterkaserne wird nicht ausschließlich von Polen be- wohnt, auch Deutschen dient sie als Behausung, aber, freilich nicht immer den besten Deutschen , sondern Lumpen- und Land- streicherproletariat. das weder geographisch noch politisch eine Heimat hat. Dies« Leute tippeln von Ort zu Ort. arbeiten einmal einen Tag, fechten, vertrinken das erarbeitete und«rfochtene Geld, lasten sich beim Verwalter Vorschuß geben, machen Schulden beim Wirt, ziehen wieder weiter Man6)mal hegen Gutsverwaller und Wirt ihnen den Gendarmen hinterdrein. Dann macht ihnen dos auch nichts aus, und sie verbringen drei Tage im Spritzenhaus: zu versäumen haben sie wahrlich nichts. Ich lernte in der von mir besuchlen Schnitterkaserne einen solchen Deutschen kennen Eine Handvoll Zigaretten erschloß ihm rasch den Mund und ein Sturzwetter van Worten brach über mich nieder. „Ick haue ab hier," sagte er unter ständigem fröhlichen Lachen. „Det is keen Leben for mir Ick bin Berliner und tipple jetzt nach Berlin . Iowall In Berlin handele ick wieder mit Uhren und Brillanten, in der Weinmeisterstraße. wistenie. Wat denkensen, wot da forn Ieschäft zu machen is? Ick habe nämlich'n Liseranten. der mir die Klamotten in Kommission jibt. Nee. det is hier keen Leben for mir. Fünfundzwanzig Pfennje de Stunde... und for die Arbeet. Wat denkensen. wie die Polen schuften, da komm'n Se nich mit. ick ooch nich. Und det Freisen ... Nee. det is hier keen Leben for mir." Dann erzählte«r mir noch mit großem Behagen und in sehr ungeschminkten Worten ewige« über
die Liebesabenteuer, die er in der Schnitterkaserne erlebt habe. Für eine Tafel Schokolade sei jede der unverheirateten, seien aber auch viele der verheirateten Polinnen zu haben Manchmal gäbe es Eifersuchtsszenen, während der die Polen sehr wütend werden könnten, aber das leg« sich rasch wieder„Meine Papiere sind beim Verwalter," fuhr er fort,„aber er jibt ie nich 'raus, weil er Ield von mir kriegt. Na. ick komme ooch ohne Papiere hin. In meine Penn« in Berlin brauch ick ke«n« Papiere." „Das ist doch alles nichts, was Sie da machen." redet« ich ihm ins Gewissen.„Sie müssen ein anständiger Arbeiter werden, sich organisieren, in eine Schlafstelle ziehen."„Schlafstelle." sagte er. „mir nimmt doch ke«ne Wirtin. Ja, wenn eener jeschniegelt kommt und'n Koffer IN der Hand hat. Aber so..." Ich sah an ihm herunter: Schmutzige Fegen hingen aus seinem Leibe. Auf dem Tisch lag«in verschnürter Karton, der seine Hab? enthielt. Gewiß, vertrauenerweckend sah er nicht aus, aber welä« psrjön- ltche Schuld dieser Landstreicher auch an seinem Geschick tragen mochte und gewiß trug er persönlich Schuld: Ein solches Milieu, wie diese Schniltertajerve, muß die Haltlosen noch haltloser, dle verlorenen noch verlorener machen. In keinem Zuchthaus sieht es öder und menschenunwürdiger aus als in diesen erbärmlichen Baracken, die die Schloßherren denen zuweisen, die ihr Feld pflügen und ihre Ernte einbringen. Das Wirtshaus. Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens auf dem Fideikommiß ist das Wirtshaus. Es befindet sich nur ein einziges am Ort, und so gibt es keine Möglichkeit, daß die besseren Herren, josern sie Appetit auf ein Glas Bier verspüren, und nicht dieserwegen nach Hamburg oder Lübeck fahren wollen sich von den einsachea Schnittern räumlich absondern: aber Reserve muß selbst« verständlich dennoch sein, und so hat sich der Brauch herausgebildet, daß die Pächter, der Creme des Fideikommistes, ausschließlich in den Vormittags- und frühen Nach- Mittagsstunden die Schenke aufsuchen, während di« niedrigeren Schichten, die„Tagelöhner" und„freien Arbeiter" die späteren Tagesstunden bevorzugen. Eine Mittelstellung nehmen die sogenannten freien Bauern ein. das sind selb- ständige Ackerpächter ohne die Verpflichtung einer Arbeitsleistung. und gemäß dem ungeschrieben«» Komment des Kastengeistes sieht man sie auch sowohl zu Zeiten im Wirtshaus sitzen, die den Pächtern gehören, als auch zu jenen, in denen die Landarbeiter sich erquicken. Der Wirt ist ein gutmütiger breitschulteriger Mann. der es mit denen oben und mit denen unten hält. Alle vierzehn Tage veranstaltet er einmal hinten im„Saat", ein beschönigendes Wort für eine geräuinig« Stube, ein„Tanzvergnügen". „Warum nicht öfters" fragte ich.„Die Tagelöhner und Arbeiter haben doch kein Geld," sagte er,„wo sollen sie es denn her- nehmen?"
Beim Tanz. Das politische Leben ist ziemlich tot, aber soweit die Politik in den Stammtischgesprächen eine Rolle spielt, läßt sich doch durchaus eine fortschrittliche und nach links weisende Note heraushören. Ein Wunder ist das wahrlich nicht. Denn nirgendwo treten die Ungerechtigkeiten und Sinnwidrig- keitcn unserer Gesellschaftsordnung plastischer als aus solch einem Jideikommih Zulage: Ein schönes Schloß und darin ein Bewohner, der ein oerschwenderi- sches Faulenzerleben führt, von der Landwirtschaft nichts versteht und sich um Acker. Wiesen. Land und Vieh nicht kümmert— ein öder Stall, genannt Schnitterkaserne, und darin ein Gewimmel von Menschen, die tagsüber elf Stunden für«in klägliches Geld fchwerstc Arbeit leisten, aus deren Hand der Acker seinen Segen und die Scheune ihre Frucht erhält: Das sind die iozialen Pole des Lebens auf dem großen Gntshcf. Hier muß vieles anders werden. Die es angeht, beginnen, es zu erkennen. Hau» Bauer