Beilage
Donnerstag, 1. August 1929
Der Abend
Shalausgabe des Vorwärts
Die letzten Tage
sie drängten die Monarchie".
Conrad seinen Zweck: am 31. Juli in der Frühe ist man in Berlin entschlossen,
selbst wenn Wien die Vermittlungsvorschläge annimmt, Rußland durch Ultimatum zur Einstellung seiner Teilmobilmachung gegen die Donaumonarchie aufzufordern. Das muß den Krieg herbeiführen, dessen Notwendigkeit und unvermeidbarkeit Moltke dem Reichskanzler suggeriert; er liegt Bethmann in den Ohren, doch ja
Benn sich gegen Emil Ludwigs jüngstes Buch Juli 14"| ftellten sie ruhig der Donaumonarchie anheim; man möchte fast| Kriegsvorbereitung Rußlands gegen Desterreich- Ungarn ! So erreicht ( Ernst Rowohlt Verlag, Berlin ) der Vorwurf erhebt, es falle eher sagen: ins Fach Roman als ins Fach Historie, so widerfährt ihm Unrecht. Mag seine Darstellung des diplomatischen Hin und Hers an der Schwelle des Weltkriegs hier und da im Stil schludrig sein, so ist sie doch, aus den Akten und Memoiren schöpfend, im Tatsächlichen gewissenhaft. Auch verzichtet der Porträtist Ludwig mit Bedacht darauf, die politische und wirtschaftliche Vorgeschichte der Katastrophe mit breitem Pinselstrich zu entwerfen und beschränkt sich darauf, die kläglichen Staatsmänner von damals verhandelnd und handelnd aus der Nähe zu zeigen. Wir erkennen ihre Gesichter und erraten ihre Geberden so genau wie die der Teilnehmer des Berliner Kongresses auf dem bekannten Bild Anton v. Berners. Das trägt, ein nüzliches Beginnen, zur
Zerstörung jener Legende vom Kriegsausbruch bei, die nur reißende Wölfe auf der anderen, und friedliche Lämmer auf der eigenen Seite fennt. Es ist schon so, wie Ludwig jagt: ,, Die Gesamtschuld lag in den Kabinetten, die Ge= samtunschuld auf den Straßen Europas ", und wenn er mit Der Berantwortung in erster Reihe Bien und Petersburg , banach Berlin und Paris , ganz zuletzt London belastet, so entspricht auch das den bekanntgewordenen, leider noch nicht genug bekannten Bor. gängen. Aber sein Bild verträgt auch manche Korrektur, so, was die Rolle der hohen Militärs angeht, die noch unheilvoller war, als sie bei ihm erscheint.
Bei Ludwig wie in der Weltgeschichte haftet der Fluch, der Hauptbrandstifter von 1914
zu sein, an einem geschniegelten und gebügelten, oberflächlichen und Leichtsinnigen Hallodri, denn er war wirklich jeder Zoll das, was der Desterreicher einen Feschat" nennt: Seine Hochgeboren Leo= pold Graf Berchtold von und zu Ungarschig, Fratting und Puliz, Minister. des t. und f. Hauses und des Aeußern der Vereinigten Königreiche und Länder; er hat mit lässiger, gepflegter Dandyhand den Fidibus des Weltbrandes gedreht und angeſtedt. Aber vor Berchtold war noch ein anderer, der leidenschaftlich, fanatisch, monoman den Krieg gegen Serbien wollte: der Generalstabschef Conrad von Högendorf, dessen Kopf seit langem wie ein Hummelnest von Kriegsplänen fummte. Als er die Ermordung des Erzherzog- Thronfolgers erfährt, steht es, ehe er auch nur die geringste Einzelheit weiß, unverbrüchlich in ihm fest: Das muß der Krieg sein! Als Soldat forsch drauflos, verachtet er auch die für die Galerie berechneten Flausen, daß es Sühne für einen freolen Mord gelte; um die höchst prattische Bedeutung des Prestiges einer Großmacht" handelt es sich für ihn, basta! Er zweifelt auch nicht daran, daß der Angriff auf Serbien wahrscheinti Rußland auf den Plan rufeit und daß es hart auf hart gehen wird; ja mehr, er erfennt: 1908/09 wäre der Ueberfall auf den fleinen Nachbarn ein Spiel mit aufgelegten Rarten gewesen, 1912/13 noch ein Spiel mit Chancen,
jeht ist es ein Babanque- Spiel“!
Aber was läßt sich schon machen: wenn sich Ludendorff zum Schluß der Partie als Hasardeur vorkommt, der alles auf die letzte Karte setzt, so spielt sein österreichischer Kollege gleich zu Beginn Babanque!
Als General Conrad am Tag nach dem Attentat von Sarajewo dem Grafen Berchtold bedeutet, jetzt gegen Serbien loszuschlagen, stimmt der Minister eifrig zu, meint aber dann zögernd, erst müsse das Ergebnis der Untersuchung vorliegen, und tommt noch mit weiteren Bedenken:
Wird Deutschland mitmachen? 3mar hat Bülow in der Annegionstrije, im schreienden Gegensatz zu Bismards Ueberlieferung , dem Ballplatz gegen Serbien freie Hand gelassen und Rückendeckung für jeden Fall zugesagt; damals, im Januar 1909, haben die Generalstabschefs beider Staaten auch eine Militärtonvention abgeschlossen, die für Deutschland den Bündnisfall schon eintreten läßt, wenn ein Angriff DesterreichUngarns auf Serbien Rußland zum Angriff auf die Donaumon archie herausfordert, während der Dreibundvertrag ursprünglich die Schuhpflicht Deutschland nur für das unprovoziert angegriffene Habsburgerreich vorsah. Aber der hohe Herr in Potsdam ift launisch und sprunghaft, mal so, mal so, Berlaß ist da feiner. Item, man muß abwarten, was Graf Hoyos , Ueberbringer eines franzjosefinischen Handschreibens an Wilhelm, von den Bundes. genossen zu hören bekommt.
So hängt von Deutschland , das ist: den deutschen Machthabern, dem Hohenzollern zunächst, ab, ob die Pandorabüchse geöffnet wird. Ein Berliner Nein, und Wien läßt den Sarras in der Scheide, es gibt keinen„ lokalisierten", es gibt überhaupt keinen Krieg, und Europa wird aus der Sommerruhe nicht aufgescheucht. Am 5. Juli rebet Conrad vor Franz Josef in Schönbrunn friegerisch daher, worauf der Kaiser den General forschend ansieht: Sind Sie Deutschlands sicher?" Conrad erschricht, aber Franz Josef : ,, Gestern abend ist eine Note an Deutschland abgegangen, in der wir flare Antwort verlangen". Conrad: Wenn die Antwort lautet, daß Deutschland auf unserer Seite steht, führen wir dann den Krieg gegen Serbien ?" Franz Josef :
„ Dann ja!"
Zwei Tage später erfährt der f. und f. Generalstabschef, daß it helm sich mit seiner„ Nibelungentreue" nicht lumpen lasse. Frohbewegt teilt Berchtold ihm mit:„ Deutschland wird unbedingt auf unserer Seite stehen, auch wenn unser Vorgehen gegen Serbien den großen Krieg
auslösen sollte. Ja mehr,
Deutschland rät uns zum Losschlagen!" Mit dieser deutschen Blantovollmacht an den Ballplaz tommt der Stein ins Rollen; fast alles Folgende ist für die Frage der Verantwortung von geringerer Be deutung.
Ganz wohl fühlen sich die Verantwortlichen in Berlin ja nicht, aber da Wilhelm II. , Selbstherrscher aller Preußen, sich und sie und sein Land festgelegt hat, tönnen auch die Bethmann und Jagom nicht anders; schließlich, was taugt ein Bundesgenosse, der, immer auf die Zehen getreten, nicht einmal dem anderen das Schien bein zerschmettert. So darf der t. und f. Botschafter in Berlin nach Bien melden, alle maßgebenden deutschen Kreise ließen Desterreid) ermuntern, energischest gegen Serbien vorzugehen"; die Mittel
Aber gedrängt werden braucht Graf Berchtold wirklich nicht. Schon am 7. Juli holt er sich im Ministerrat für gemeinsame Angelegenheiten die fast einmütige Zustimmung zu einer„ befristeten Demarche" mit unannehmbaren Bedingungen, um, wie Tisza sich ausdrückt, den Krieg mit Serbien zu provozieren". Nur mit Serbien ? Der fesche Graf Berchtold näselt in dieser folgen schwersten aller Sigungen leichthin: Ich bin mir flar darüber, daß der Krieg mit Rußland infolge des serbischen sehr wahrscheinlich ist", also der Weltkrieg. Vielleicht umwittert den stets Eleganten dabei die gleiche Gözendämmerungsstimmung, die in diesen Tagen aus den Worten des uralten Franz Josef zu Conrad spricht:
"
Wenn die Monarchie schon zugrunde gehen soll, so soll sie wenig stens anständig zugrunde gehen!" Anständig, im Habsburger - Jargon heißt das: mit ihr sollen zehn Millionen Menschen ins Grab sinten! Als am 23. Juli das Ultimatum an Serbien explodiert, fährt Europa in die Höhe. In Petersburg fizen strupellose Kriegs
,, die selten günstige Lage zum Losschlagen"
auszunügen. Darum heischt er am 31. Juli von seinem Biener Kollegen, Desterreich- Ungarn möge sofort mobilisieren, dadurch sei der Bündnisfall für Deutschland gegeben: Bon England erneuert eingebrachten Schritt zur Erhaltung des Friedens ablehnen. Für Desterreich- Ungarn zur Erhaltung
Durchhalten des europäischen Kriegs
legtes Mittel. Deutschland geht unbedingt mit". Berchtold hat die Mahnung des Reichskanzlers zur Annahme der Bermittlung mit äußerstem Unbehagen aufgenommen; er hat
Menschen sehen Dich an:
Der Internationale Gewerkschaftsbund hat zum Antitriegstag| graphien aus dem Kriege. Jene Photographien, die das Offiziers. ein Büchlein herausgegeben: Nie wieder Krieg!( Berlag Internationaler Gewerkschaftsbund, Amsterdam .) Der Text ist in sechs Sprachen erschienen: Deutsch , Englisch , Französisch, Spanisch, Holländisch, Dänisch. Aber viel Worte, sind nicht nötig in diesem Lesebuch gegen den Krieg. Das Bildwerk dieses Buches spricht eine gewaltigere Sprache, als es Worte vermöchten. Es sind Photo
tum a. D. gern unterdrücken möchte, wie es gegen den Teil der Kriegsliteratur Sturm läuft, der die Wahrheit sagt. Die Abbildungen sind dem Buch von Ernst Friedrich ,, Krieg dem Kriege" entnommen. Rein Fühlender wird das Buch aus der Hand legen, ohne in den Ruf mit einzustimmen, der die Parole dieses Tages ist und immer unsere Barole bleiben wird:
Nie wieder Krieg!
ichürer, die ihre Stunde gekommen wähnen, nicht der Zar, der ein ängstlicher, nervenschwacher, waffenscheuer Schwächling ist, nicht Sa& onow, den das Riefenrisiko der allgemeinen Konflagration" mehr schredt als seinen leichtherzigen Wiener Kollegen, wohl aber Großfürst Nikolaus, seit Jahr und Tag„ Kopf und Faust der Kriegspartei gegen Deutschland ", wohl aber Kriegsminister Suchomlinom und Generalstabschef Januschkiewitsch, wohl aber und nicht zuletzt der Botschafter in Paris , Is wolfti, der das Revanchefeuer in den Spalten der Boulevardpresse mit Rubelscheinen wachhält und bald jubeln wird:
,, Das ist mein Krieg!"
Aber die Oberhand über Zaren und Ministerpräsidenten gewinnen die Kriegstreiber erst mit dem Augenblid, da die Berchtold und Conrad, auf daß ihnen niemand mehr in den Arm falle, den Krieg an Serbien erklärt haben; der von und zu Ungarschiß, Fratting und Pulih mußte eine Beschießung österreichischer Donaudampfer durch serbisches Militär erfinden, um dem Kaiser die Unterschrift des verhängnisvollen Schriftstücks abzulocken. Ludwig führt an einer Stelle Paléologues Wort von dem
„ felbfiwirkenden Mechanismus der entfesselten Mächte" an, den kein menschlicher Wille mehr aufzuhalten vermochte. Diesen Mechanismus aber seht nicht erst die Mobilmachung der Großmächte gegeneinander in Lauf, sondern schon die Minute, da der erste f. und f. Truppenzug der serbischen Grenze entgegenrollt! Denn jetzt hat Conrad von Höhendorf nur mehr die eine stiere Sorge: daß der Krieg mit Rußland noch rechtzeitig genug ausbricht, um den Ausmarsch gegen Serbien in den Zweifrontenaufmarsch zu verwandeln, ohne daß das große Durcheinander eintritt. Der letzte Tag dafür ist der 1. August.
Bis zum 1. August muß der Krieg mit Rußland da sein! Troß der Kriegserklärung des Ballplates an Serbien sind nach der serbischen Antwort auf das Ultimatum im Lager wie des Dreibundes so der Entente Kräfte am Wert, die Kriegshandlungen zu stoppen, um eine friedliche Lösung trotz allem möglich zu machen. Wilhelm II. , den angesichts des großen Kladderadatsch doch etwas wie Heulen und Zähneflappern überkommt, und Sir Edward wie Heulen und Zähneflappern überkommt, und Sir Edward Grey , den vor der Erfüllung wie vor dem Widerruf seiner Verpflichtungen gegenüber Frankreich bangt, unterbreiten noch am 30. Juli in Wien Vermittlungsvorschläge. Aber Conrad hat seit dem 27. Juli unablässig Berchtold getreten, zu bewirken, daß Deutschland schon eine gegen Desterreich- Ungarn gerichtete russische Teilmobilmachung als Kriegsgrund auffasse. Am 28. und 29. Juli bohrt der f. und f. Minister des Aeußern dieserhalb in Berlin , und im gleichen Sinne drückt der deutsche Generalstabschef v. Moltke auf den Reichstanzler: deutsche Mobilmadyung als Antwort auf die
feinen Krieg in der Tasche und gibt ihn nicht mehr her, aber als er von der Blutkur gehört, die der deutsche Generalstabschef dem Habsburgerreich verordnet, staunt er:„ Das ist gelungen!
Wer regiert: Moltke oder Bethmann?" Die Antwort gibt er sich selber, da er dem deutschen Gesandten, unter dem Eindruck herbeizitiert, daß Deutschland zurückweiche, zufrieden sagt:„ Nun habe ich von maßgebendster militärischer Seite beruhigendste Erklärung!"
數
Zwar jetzt die Ablehnung jeder Vermittlung durch Wien den Bundesgenossen in einige Verlegenheit, aber die am 31. Juli gegen Mittag bekannt werdende russische Gesamtmobilmachung enthebt jeder Berlegenheit: jetzt fann in eigener Sache das schon vorher beschloffene zwölfftündige Ultimatum nach Petersburg abgehen, das, am 1. August den Krieg mit Rußland zur vollendeten Tatsache machend, Conrads Frist für die Umgruppierung der österreichischungarischen Streitkräfte sichert.
So beginnt der schauerlichste Totentanz auf den Feldern Europas , der vier Jahre währt!
Millionen Toter! Millionen Krüppel! Millionen Bitwmen! Millionen Waisen! Ein Meer von Blut und ein Meer von Tränen! Und von allen, die der Verantwortung in Wien und Petersburg , in Berlin und. Baris tragen, trifft nur die zwei, die dem Krieg am meisten widerstrebt haben, den 3aren und den Grafen Tisza der Strahl rächender Nemesis. Die anderen lebten und leben un bekümmert weiter, am unbeschwertesten der Hauptschuldige, Graf Berchtold . Schon 1916 wehrte er mit vornehmer Geste lästige
Fragen ab:„ Der Krieg langweilt mich schon eh'!"
und heute sieht man ihn jeben Winter in einem Luxushotel von Rapallo : immer noch ist er, trotz seiner etlichen sechzig, ein grandseigneuraler Kavalier, trägt ein Korsett unter dem bezaubernd ge schnittenen Smoking,
lächelt, lacht, wißelt, tänzelt und tanzt, tanzt die halben Nächte mit jüngsten, jungen und älteren Damen, ieder Zoll ein Feschat, ganz uneingedent jenes Totentanzes, zu dem er den Auftakt gegeben hat. Wie sagte doch schon vor mehr als hundert Jahren die Rahel Varnhagen ?
,, Diplomaten ist das gräßlichste
in der menschlichen Gesellschaft, Diplomaten werden hart durch Beichlichkeit, und dies geschieht dem Henker nicht einmal.... Sie haben eine eigene Phraseologie im Reden wie in den Depeschen. Das hält so äußerlich, wie die Equipagen und Manschetten, zusammen, und ein Willen in der Welt oder aufgehäufte Not trümmert all den Lug zusammen; der Greuel spricht sich aus gräßlichen, wirk lichen Wunden hervor; Krieg überschüttet Europa , aber wer ist Hermann Wendel . gesichert? Diese Kerle mit Manschetten!"