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Beilage

Sonnabend, 3. August 1929

Der Abend

Shalausgabe des Vorwärts

Die Republik   am Rhein  

Ausschnitte aus dem Lager der Roten Falken in Namedy

Die Teller sind leer!

Am Sonntag kommen die Belgier!" Das Parlament be­schließt: Auf dem Plaz der Republit wird eine große Empfangs. feier stattfinden. Jedes Dorf entfendet eine Zeltgemeinschaft nach dem Bahnhof Andernach   zum Empfang." Morgens 7 Uhr mar­hieren die Gruppen aus. Der Lagerpräsident Kurt Löwen= stein führt den Zug. Ein Wald von roten Fahnen zieht dem Zuge vorauf. Singend ziehen die Roten Falken in Andernach   ein. Die Andernacher   Bürger reißen die Fenster auf, die Kirchgänger bleiben stehen:" Was wollen die nur so früh in unserer Stadt?" Die Falten wissen schon, was sie wollen. Bis zum Bahnhof geht der Zug. Hier stellen sich die ganzen Republikaner zum Empfang ihrer belgischen Genossen auf. Der Zug läuft ein und es gibt eine große Enttäuschung, die Erwarteten sind nicht mitge. fommen. Ein Telephonruf verständigt das Lager. Hier flangen. gerade die Signale zum Antreten. Auch im Lager gab es Eni töidung, die aber sehr bald verschwindet, Ein neuer Fernruf meldet: Die Belgier tommen mit dem nächsten 3ug. Die Gruppen am Bahnhof laffen sich die Zeit nicht lang werden. Ein Lied nach dem anderen erklingt. Die Andernacher kommen so zu cinem unerwarteten Morgenständchen. Schnell ist die Zeit ver­flogen. Ein Zug donnert in die Halle. Die Belgier sind da!

Herzlich ist die Begrüßung. Bergessen ist, daß noch vor zehn Jahren bitterer Haß zwischen den Völkern lag, vergessen ist, daß noch einige Jahre früher vielleicht die Väter dieser belgischen Kinder und die Bäter unserer Roten Falten sich im Schüßengraben gegen­über lagen. Freundschaft", der Gruß der Roten Falken an die belgischen Genossen ist das ernste Symbol einer werdenden neuen Zeit. Die Roten Falken nehmen die beigischen Jungs und Mädels, etwa 40 insgesamt, in ihre Mitte. Im gemeinsamen Zuge geht es jetzt zurück ins Lager.

Herrlich ist der Empfang im Lager. Bem Haupteingang des Lagers bis auf den Platz der Republik   sind auf beiden Seiten des langen Weges die Falten aufmarschiert. Das ganze ist eine leuchtend blaue und rote Straße. Durch sie hindurch marschieren die belgischen Genossen, immer wieder durch freudiges Freundschaft" begrüßt. In einem großen Karree marschieren alle auf dem Platz der Republik   auf. Die belgischen Genossen stehen unter der leuchtenden roten Lagerfahne. Die Begrüßungsfeier ist ernst und würdig. ,, Kinder der Arbeit", das Lied der Arbeiterkinder, die selbst ihren Staat erbauten, leitet die Feier ein. Ein Roter   Falte, es ist der Präsident des Lagerparlaments ,, spricht die furzen Begrüßungsworte. Sie flingen dahin aus: Wir Arbeiterkinder aus allen Ländern wollen mit daran arbeiten, daß sich das völkerzerstörende Unglüd von 1914 niemals wiederholt." Theo Lill, der Obmann des Lagers, bekräftigt diese Worte, indem er einen belgischen und einen deutschen   Genossen an die Hand nimmt und mit ihnen in die Mitte des blauen Biered's tritt. Die Internationale", von belgischen und deutschen   Kindern gemeinsam gesungen, beschließt die kurze Feier.

Die belgischen Kinder, sie kommen zum größten Teil aus Brüssel   und Antwerpen  , haben sich sehr schnell im Lager ein­ge'ebt. Sie sprechen französisch und flämisch. Flämisch klingt sehr an unser plattdeutsch an und tatsächlich ist dadurch eine Ver­ständigung möglich. Das Jeltlagerleben ist für die belgischen Kinder etwas vollkommen Neues. Sie finden sich aber bereits sehr gut da herein und die Roten Falten helfen ihnen gut dabei.

GEG. Tag in der Kinderrepublik.

An jedem Sonnabendnachmittag und Sonntag ist das Lager zur Besichtigung freigegeben. Es wird dabei nicht gefragt, ob Freund oder Feind fommt. Hinein kommt jeder. Besuchstage sind für die Kinderrepublif eine große Belastung. Die Ordnung wird zer­stört, die Disziplin lockert fich. Wenn die Kinderrepublik trotzdem das Opfer auf sich nimmt, und ihre Tore für Freund und Feind offen hält, so ist das ein Beweis, daß sie nicht die öffentliche Kritik zu fürchten hat. Zu einem eigenartigen Erlebnis wurde für alle Besucher der letzte Besuchstag im Lager. An diesem Tage feierte die Kinderrepublit ein großes Genossenschaftsfest.

Kinderrepublik und Genoffenschaft, fie sind auf das engste mit einander verbunden. Es ist immer eine Selbstverständlichkeit ge­wesen, daß die Konsumgenossenschaft die Lebensmittel versorgung der Lager übernimmt. Diese Verbundenheit ist. nicht nur eine Zweckmäßigkeitsfrage, nein, sie ist auch ein Beweis für die innere Zusammengehörigkeit dieser belden 3weige der Arbeitarbewegung. Darum feierte die Kinderrepublif ein Ge­nossenschaftsfest. An dem Genossenschaftsfest nahmen der Vorstand

der Konsumgenossenschaft Hoffnung" Köln  , die Vorstände verschiedener an derer Genossenschaften aus dem Rhein­ land   und Borstandsmitglieder der ,, GEG." teil. Selbstverständlich war auch die Kölner   Arbeiterschaft und die Bevölkerung aus der Um­gegend zahlreich gekommen.

Das Fest der Kinderrepublik war ein Fest der Kinder. Von Kindern waren zum größten Teil die Ideen, und Kinder selbst waren auch die Aus: führenden. Das gab dem Fest seine besondere Note. Es war ein Volks­fest im schönsten und wahrsten Sinne des Wortes. Das Fest nahm seinen Anfang am Nachmittag mit dem großen gemeinsamen Kaffee trinken auf dem Sportplay. In die Mitte des Plages   war ein großes ,, GEG." geschrieben. Diese Schrift war lebend. Rote Falten hatten sich in Form der Buchstaben hingesetzt. Eingerahmt wurde dieses Zeichen durch ein mächtiges Rund anderer Falten. Im lustigen improvisierten Sprechchor gaben die lebenden Buchstaben, einer nach dem anderen, fund, was die Genossenschaft will und kann. Andere Gruppen zählten in lebender Schrift einen Artikel nach dem anderen auf, die durch die GEG." hergestellt werden.

Solche Reflame hat die Welt noch nicht gesehen. Halbnackie Jungen haben auf dem Rücken in roter Farbe einen Buchstaben. Auf ein Kommando reiht sich Junge an Junge, Buchstabe an Buch­stabe, liest die große Gemeinde staunend und fröhlich einen Artikel nach dem anderen, der in der Fabrik der GEG." hergestellt wird. Danach gibt es ein großes Zähneputzen, natürlich mit ein großes Zähneputzen, natürlich mit GEG."- Zahnpaste. Recht schwarze Zähne wurden im Nu blendend meiß. Groß war der Jubel, als hundert Kinder am Boden lagen, die Beine in der Luft und im Chorus gurgelten. Im Borkampf

G

Das Lager am Rhein  

zwischen dem Fein- und Schwarzbrot siegte natürlich das gute fräftige Bollkornschwarzbrot der Hoffnung". Beide Borer befamen als Belohnung einen großen Baden Schwarzbrotschnitten.

Nach der allgemeinen Veranstaltung fündigte der Sprechchor die Festumzüge der Dörfer an. Ihr werdet staunen, verkündete der Sprechchor. Ein Dorf hat eine richtige Karawane zusammengestellt, Boran zieht der Araberscheich als Karamanen führer. Waschechte Neger, Chinesen und was weiß ich noch, folgten. Ein Kamel trug auf seinem hödrigen Rücken eine schmere Last Ge­würze. Beduinenfrauen jonglieren mit Kokosnüssen. Der Karamane auf dem Fuß folgt ein Trupp frecher Schusterjungen. Ueberall, im Gesicht, auf den Beinen, auf dem Rücken, auf der Brust kann man mit schwarzer Schuhcreme geschrieben lesen: GEG." Dazu puzen die Jungens im Chorus die Schuh, und wer von den Zuschauern nicht eine aufpaßt, hat schwupp schwarze Nasenspitze.

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An allen Ecken des Lagers ist etwas los. Im Schlamman ders bad"( Schlamm- Anders- Bad, dersbad" nach seinem Erfinder dem Lagerarzt Dr. Anders) werden die waghalsig­ften Kopfsprünge gemacht; nachher reinigen fich die lehmigen Gestalten unten am Strand des Rheins, natür­lich mit GEG."- Seife. In langen Reihen find fie im Wasser aufmar­schiert. Einer wäscht immer den Buckel des Vordermanns. Das geht dann immer im Rhythmus nach der Melodie: GEG." Sehr gut und wirkungsvoll waren die von Kindern und Helfern gezeichneten Blafate.

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So gut war die Wirkung des ,, Genossenschaftsfestes", daß die Lei­tung der Hoffnung" und der ,, GEG." auf die geplanten Reden verzichtet haben. Ein Fest ohne Reden kann auch schön sein, das hat das Genossenschaftsfest. in der Kinderrepublik bewiesen. Eeinen Abschluß fand das Fest am Abend in einem Boltstanzfest aller

jungen Republikaner auf dem Sportplay. Schwer war es, ant Ende dieses schönen Tages die Republikaner   in die Betten, oder richtiger, auf die Strohsäcke zu bekommen. Märchenhaft schön muß an diesem Abend der Anblick unserer Insel vom Rhein   und den vorbeifahrenden Zügen gewesen sein, waren doch rund um die Insel Lampions gespannt.

Fahrt ins schwarze Land.

Die Kinderrepublik Rhein   ist ein Grenzlager und hat als solche eine hohe politische Aufgabe, die Aufgabe, im pofitiven Sinne für Völkerversöhnung zu werben. Der Gedanke, das Lager zu einem internationalen zu gestalten, hat nicht ganz durchgeführt werden können. Das hat seine Ursache darin, daß die Kinderfreunde­bewegung in Frankreich  , England, Holland   und Belgien   noch in der Anfängen steckt. Diese Länder haben darum bis auf Belgien  noch keine Delegationen ins Lager geschickt. Trotzdem tritt der Ge­danke der Internationale durchaus nicht zurück. Aber eine andere, vielleicht im Augenblick ebenso wichtige Frage tritt mehr in den Vordergrund. Man könnte diese Aufgabe die innerpolitische Auf­gabe nennen. Arbeiterfinder aus vielen Teilen Deutschlands   haben sich am Rhein   einen Staat, ihren Staat, die Kinderrepublik gebaut. Sie haben das getan in einem Lande, dessen Bevölkerung zum großen Teile ihnen nicht wohlgesinnt scheint. Warum nicht? Diese Frage werfen die Roten Falten auf. Gie missen nicht, was sie der Bevölkerung getan haben. Die Bevölkerung ist verhetzt. Schreibt doch das katholische Kirchenblatt in Köln   geistige Krüppel"," Kinder ohne Goit". Hier setzt die Aufgabe der Kinder. republik   ein. Sie will zeigen, wie die Wirklichkeit ist. Darum der Beschluß des Lagerparlaments: am tommenden Sonn­tag machen die zehn Dörfer der Kinderrepublik in zehn umliegende Dörfer Agitationsfahrten.

Am Montagnachmittag wanderte die Kinderrepublik aus, nur die notwendigen Wachen blieben zurück. Strahlenförmig nach allen Fimmelsrichtungen, nach Leutesdorf   und nach Kell, nach namedy und nach Brohl  , nach Rheinbrohl   und nach vielen Orten mehr marschierten die Dorfgemeinschaften und trugen die roten Fahnen und die Lieder der Roten Falken in die stillen Orte. Kreuz und quer ging es durch die kleinen Dörfer. Ueberall läuft bald ein großer Schwarm Kinder dem Zuge vorauf. Wir laden fie ein, mitzukommen und mitzuspielen. Auch Erwachsene schließen sich dem Zuge an. Auf einem freien Platz wird halt ge­macht. Ein paar fröhliche Lieder und dann gibt es Spiel und Tanz für alle. Die kleinen Jungs haben mehr Mut als die Mädel. Sie springen alle gleich luftig mit. Die Mädel entschließen sich lang­ſamer, aber dann kommen sie doch, ein eins nach dem andern und tanzen fröhlich mit. Eine furze Ansprache und die Einladung an die Bevölkerung, uns am fommenden Sonntag in dir Kinderrepublik zu besuchen, dazu ein furzer Sprech chor, der sagt, was die Roten Falken sind und wollen, beschließt, die Agitationsfahrt. Mit fröhlichen Liedern geht es heim.

Der Erfolg war überall gut. Von einem Ort ist vielleicht bes sonders zu berichten. Leutesdorf   ist ein fleines Bergdorf, gerade gegenüber unserer Kinderrepublik. Kleine Winzer und Steinbrucharbeiter wohnen dort. Armut und Elend ist in Leutesdorf  immer zu Haus. Aber auch die katholische Kirche   ist dort sehr mächtig, sie hat in dem kleinen Ort eine große Kirche, ein Kloster und sogar eine eigene Druckerei. In dieser Druderei merden die Schmähschriften gegen die Kinderfreunde hergestellt. Nach Leutesdorf   sind zwei Dorfgemeinschaften herüber gefahren. 400 Rote Falken find singend durch die engen Gassen des Ortes ge­zogen. Sie sind auch vorbeigezogen an der Druckerei der katholis schen Kirche. Ein erschreckter Pfarrer sah aus dem Fenster. Er bes fam viele hundert lachende fröhliche Kindergesichter zu sehen. An diesen Kindern möge er sich ein Beispiel nehmen. Kein häßliches Wort, kein Ton der Unduldsamkeit ist gegen ihn gefallen.

Wir haben in Leutesdorf   aber auch sehr viele Freunde ges finden. Alte Leute in winkligen Gassen legten sich meit aus dem Fenster und flatschten uns zu. Auf der Spielwiese am Rhein  fanden sich bald viele Erwachsene ein, die meisten noch in der Arbeitskleidung. Sehr viel Zustimmung und Beifall haben wir ge­funden, als mir erzählten, warum wir famen. Die Kinder haben uns bis an die Rheinfähre begleitet und wollten durchaus wissen, wann wir wiederfämen. Auf dem Heimmarsch, am anderen Ufer des Rheins, haben wir noch die Grüße der Leutesdorfer erwidert, Was riefen sie uns zu über den Rhein  ? Unseren Gruß: Freunde schaft. E. O.

Wir schreiben nach Hause!