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Nr. 371 A 187
46.Jahrgang
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Vorwärts
Berliner Volksblatt
Sonnabend
10. August 1929
Groß- Berlin 10 pf. Auswärts 15 Pf.
Die stnipattige Ronpareillezetle 80 Bfennig. Reflamezeile 5.- Reichs mart. Aleine Anzeigen das fettge brudte Bort 25 Pfennig zuläffig mel fettgebrudte Morte), jebes weitere Bort 12 Bfennig. Stellengesuche das erste Bort 15 Pfennig, jebes mettere ort 10 Pfennig. Borte über 15 Buchstaben gählen für zwei Borte. Arbeitsmarkt Beile 60 Pfennig. Familienanzeigen Zeile 40 Pfennig. Anzeigenannahme imhaupt gefchäft Lindenstraße 3, wochentäglich oon 8 bis 17 Uhr.
Redaktion und Verlag: Berlin SW 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297. Telegramm- Adr.: Sozialdemokrat Berlin .
Willkommen!
Unferen Gäften zur Verfassungsfeier 1929.
Nachdem wir schon gestern die Freude hatten, eine nach Hunderten zählende Abordnung des österreichischen Schuhbundes empfangen zu dürfen, werden im Laufe des heutigen Tages mit Sonderzügen und auf Lastautos viele Zehntausende Reichsbannerfameraden aus allen Gauen des Reiches in Berlin eintreffen, um mit uns den zehnjährigen Gedenktag der republikanischen Reichsverfassung festlich zu begehen. Ihnen allen gilt unser herzliches Bill
tommen!
Wir sind uns dessen bewußt, daß diese Reise für unsere Gäste, die fommen, um der Republik in der Hauptstadt der Republif ihre Treue zu befunden, ein erhebliches Opfer bedeutet. Für die Hingabe eines Teil ihrer Arbeitslöhne fann ihnen nichts geboten werden als eine Fahrt in gedrängter Enge und eine bescheidene Gastfreundschaft. Dazwischen liegt die Abwicklung eines Festprogramms mit Märschen durch die Weite der Weltstadt und damit eine Fülle von Anstrengung, aber auch, wie wir hoffen wollen, von erhebenden Eindrücken.
Vorwärts- Verlag G.m.b.H.
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Die Gründe Snowdens.
Ihr Verhältnis zur Labour Politik.
V. Sch. Haag, 9. Auguft.( Eigenbericht.) Für den, der die internationalen sozialistischen Konferenzen der letzten zehn Jahre miterlebt hatte, dürfte die ummachgiebige Haltung, die der britische Schazkanzler Philipp Snowden gegenüber den anderen Gläubigermächten eingenommen hat, teine allzu große lleberraschung bilden. Denn jedesmal, wenn die Frage der Reparationen und interalliierten Schuldenregelung auf solchen fozialistischen Konferenzen zur Debatte stand, hörte man die Bertreter der britischen Arbeiterpartei mit leidenschaftlicher Erbitterung den Standpunkt vertreten, daß die Art, wie bisher England von seinen ehemaligen Bundesgenossen und jetzigen Schuldnern behandelt werde, unfair und unerträglich sei. Neben scharfen Vorwürfen an die Adresse jener bürgerlichen RegieDenn, was sie in Berlin erwartet, ist viel mehr als ein rungen Englands, die die verschiedenen Schuldenabtommen unteroffizielles Festgepränge. Die Feier des 11. Auguſt mit ihrer Schrieben hatten, vernahm man oft auch recht lebhafte Auseinander Fülle der Darbietungen, die alle von einem einheitlichen legungen zwischen den Labour- Delegierten und den Genossen aus Geiste beseelt sein sollen, verspricht, ein wahres Bolts Frankreich und Belgien . Früher waren es vor allem Tom Shaw fest zu werden. Die große Masse der schaffenden Bevölke- und Gillies, die auf den Konferenzen von Frankfurt 1922, Berlin rung von Berlin steht treu zur Republit. Sie fühlt sich mit 1923 und Luxemburg 1926 den britisch- sozialistischen Standpuntt entden Gästen aus Desterreich und dem Reiche durch gemeinsame widelten. Snowden selbst, der infolge seines schweren Leidens, Ueberzeugung fest verbunden, und sie hat dieser Ueberzeugung einer Lähmung, England fast niemals verläßt es ist jetzt das nicht nur durch Worte Ausdruck verliehen, sondern auch erstemat feit nahezu zwanzig Jahren, daß er das europäische Fest. durch geschichtliche Tat. Was immer man über Berlin und land betreten hat hatte erst auf der Londoner Bierländertagung wir wissen es auch gegen Berlin sagen mag, so war es im Februar dazu Gelegenheit, seinen Standpunkt im internationalen doch erst die revolutionäre Majsenversamm- sozialistischen Streise zu entwideln. Die Teilnehmer an dieser interIung am 9. November 1918 vor dem Reichstag , aus der die Deutsche Republit emporstieg, und es war vor allem die Faust der Berliner Arbeiterschaft, unter der der KappRutsch zuckend verendete. Am Tage der Ermordung Rathenaus standen Millionen in den Straßen Berlins , geeint durch den gemeinsamen Willen, die Republif gegen ihre Meuchelmörder zu verteidigen. So ist der Anteil der Stadt Berlin an dem Aufbau und dem Schuße der Republif feineswegs gering- und sollte noch einmal ein Tag tommen, an dem der Ruf ertönte: Republif in Gefahr!" → die Berliner würden ihren Mann stellen!
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Aber da man uns Berlinern mitunter übergroßes Selbstbemußtsein nachsagt, sei gleich hinzugefügt: Wir bilden uns nicht ein, alles allein geschafft zu haben, und wir wissen sehr genau, daß manches anderswo beffer ist als bei uns. Wir beneiden unsere Genossen in Wien und in zahlreichen Städten des Reichs darum, daß es ihnen viel besser als uns gelungen ist. das Unheil der Spaltung und der Zersplitterung von der Arbeiterbewegung fernzuhalten. Und wir wissen auch die ungeheure Arbeit zu schäßen, die das Millionenheer des Reichsbanners in ganz Deutschland von der industriellen Großstadt bis in das legte Dorf hinunter für die Republik geleistet hat.
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nen Beratung werden ihm das Zeugnis nicht verweigern, fönnen, daß er damals mit außerordentlicher Eindringlichkeit fast alle die Argumente und ziffernmäßigen Angaben dargelegt hat, die man in seinen jezigen Reden auf der Haager Konferenz wiederfindet. Und es ist
nicht zu beftreifen, daß Snowden damals mit aller Entschiedenheit angekündigt hat, daß eine Arbeiterregierung Schluß mit jener Politit der Großzügigkeit gegenüber den alliierten Schuldnern machen würde, die die tonservative Regierung auf Kosten der britischen Steuerzahler betreibe.
Das war, wie gesagt, im Februar 1929, also am Vorabend des Zusammentritts der Pariser Sachverständigenkonferenz. Inzwischen ist dort jene Politik der Großzügigkeit Englands zugunsten seiner Alliierten fortgesetzt worden. Die englischen Sachverständigen willigen in verschiedene neue Konzessionen zugunsten Frankreichs und vor allem Italiens ein. Haben sie dabei, wie vielfach behauptet wird, und wie es zum Beispiel Briand in seiner heutigen Erklärung vor der französischen Presse ebenfalls andeutete, mit Zustimmung der englischen konservativen Regierung gehandelt? Erst ein fünftiger Geschichtschreiber des Reichsbanners Snowden bestreitet es ganz energisch. Das Gerücht, wonach Schwarz- Rot- Gold wird die ganze Summe von Idealismus, sogar ein besonderer Kabinettsbeschluß vorlag, wodurch Sir Josuah Don restloser Selbstaufopferung und bewunderungswürdiger Stamp und Sir Charles Addis zu einer Revision des VerDisziplin zu schildern vermögen, die in der unermüdlichen teilungsschlüffels von Spa ermächtigt worden wären, ist von einem Arbeit dieser Organisation enthalten ist. Wenn das Hohn- leitenden Mitglied der englischen Delegation als eine glatte Un. un wort von der„, Republik ohne Republikaner " im Munde unse- wahrheit bezeichnet worden. Aber selbst wenn es wahr wäre, rer Gegner längst verstummt ist, wenn in diesem Deutsch land , das noch vor einem halben Menschenalter ein Hort der so bliebe dennoch die Tatsache bestehen, daß Untertanengesinnung war, ein selbstbewußtes republitanisches Staatsbürgertum entstanden ist, das Reichsbanner hat an diesem Erfolg entscheidenden Anteil gehabt.
Beschämung erfüllt uns angesichts der Tatsache, daß das Reichsbanner aus einer gewissen Ede her mit Schimpfmorten der Goffe und schändlichen Lügen begrüßt wird. Hätte man dort noch etwas Gefühl für allgemein- menschlichen Anstand, so würde man wenigstens an diesen Tagen den Gästen Berlins gegenüber eine gewisse 3urück haltung üben. Indes haben wir die Zuversicht, daß die Bevölkerung Berlins in ihrer großen Mehrheit auch soweit fie unsere politischen Ansichten nicht teilt dieses Anstands gefühl befigt und sich entsprechend verhalten wird. Daß es in einer Riesenstadt wie Berlin immer Elemente gibt, die auch der unsinnigsten Parole folgen und an Krafeel und Radau Bergnügen empfinden, ist begreiflich, wenn auch das Gegenteil von erfreulich.
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Wir hegen aber auch die Zuversicht, daß unsere Freunde, Einheimische wie Gäste, die Bedeutung dieses Treibens nicht überschäzen und ihm gegenüber faltes Blut bewahren werden. Sie alle werden von dem Willen beseelt sein, die Würde des Festes zu wahren und Zwischenfälle, die fie beschmußen fönnten, zu vermeiden. Je ungestörter und geordneter diese Tage verlaufen, desto größer wird unsere Genugtuung sein. Wir fönnen zu einem solchen Berlauf das unsere tun, indem wir an allen Schimpfbolden und Raufhändelsuchern mit zusammengebissenen Zähnen und
Snowden damals als der führende Abgeordnete der Arbeiteropposition in Finanzfragen jene auffehenerregende Rede gehalten hat, in der er die Sachverständigen mit den schärfften Worten angriff und auch die Politik Frankreichs und Italiens gegenüber ihrem britischen Gläubiger in sehr harten Wendungen geißelte.
Diese Rede ist der Schlüssel zu der ganzen Situation. Ihre Geschichte und ihre Folgen sind mir von einem führenden Mitglied der englischen Delegation, einem mir seit Jahren bekannten Arbeiter Die Kenntnis diefer abgeordneten freimütig geschildert worden. Einzelheiten ist unerläßlich zur objektiven Beurteilung des Berhal
falter Berachtung vorübergehen. Daß wir aber jedem Bersuch, unser Recht zur Demonstration gemaltsam zu verlezen, tatkräftig begegnen werden, versteht sich von selbst. Je tadelloser unsere Disziplin, je geschlossener die Wucht unseres Auftretens, desto sicherer unser Erfolg.
Wir feiern das Fest der Republik nicht nur, um den Gegnern unfere Macht zu zeigen, wir feiern es auch, um zu werben. Bergessen wir nicht, daß viele, die heute Schulter an Schulter mit uns marschieren, noch vor einigen Jahren als 3meifler, wenn nicht als Gegner uns gegenüber standen. Die uns feindlichen Gruppierungen treibt nicht nur der Haß, sondern auch die Angst vor uns, vor der Werbe
tens der britischen Delegation auf der Haager Konferenz, zu der wir als Sozialisten gegenüber der englischen Arbeiterregierung auch dann verpflichtet sind, wenn uns die Haltung dieser Delegation wegen der atuten Gefahr eines Scheiterns der Konferenz und megen der dadurch entstehenden unabsehbaren politischen und wirtschaftlichen Folgen mit ernstester Sorge erfüllt.
As Snowden seine Unterhausrede hielt, handelte er aus
eigener Initiative. Man fannte zwar seine allgemeinen Anfichten, zumal fie Gemeingut der Partei maren, aber
man wußte nichts von seiner Abficht, in dieser schroffen Form vorzugehen.
Der Widerhall dieser Rede war ungeheuer. Alle Gegner fielen wie ein Mann über Snowden her, zumal er, den Entschluß geäußert hatte, falls die Labour Party an die Regierung fäme, nötigenfalls die Schuldenverträge zu revidieren und damit den besonders in England geheiligten Grundsatz der außenpolitischen Kontinuität zu durchbrechen. Chamberlain, Churchill , Baldwin, Lloyd George, die ganze fonservative und liberale Breffe griff Snowden und mit ihm die Arbeiterpartei um so heftiger an, als man am Vorabend der Neuwahl war und die beiden bürgerlichen Parteien glaubten, mit der Barole, daß die Labour Party Englands Unterschrift verleugnen wolle, ihren gefürchteten Gegner vernichtend zu schlagen.
Dieser Sturm auf Snowden machte sogar auf die Labour Party im ersten Augenblid Eindrud. Es gab viele Arbeiterführer mein Gewährsmann bekennt sich selbst zu diesem damaligen Irr tum die meinten, daß Snowden einen schweren Fehler begangen und dem Bürgertum unfreiwillig eine Art SinomjewBrief" geliefert habe. Da rückte Macdonald unverzüglich, zwar vorsichtig, jedoch deutlich genug, von Snowdens Rede ab.
Aber Snowden blieb dabei und wiederholte die Rede einmal, zweimal und noch öfter. Und zur allgemeinen Ueberraschung auch der Labour Party felber vollzog sich ein unerhörter Stim= mungsumschwung im ganzen Lande. Es zeigte sich, daß Snowden den breiten Schichten des Volkes, besonders auch des Bürgertums, aus dem Herzen gesprochen hatte,
Snowden erhielt aus allen Teilen des Landes und aus allen Schichten der Bevölkerung zehntausende Briefe und Telegramme, die ihn beglückwünschten und aufforderten, feft zu bleiben. Seine
zu
fich wenigen Wählerversammlungen gestalteten Triumphen. Die bürgerliche Presse begriff, daß Snowden
halb weniger Wochen bis zum Wahltag hatten nicht nur alle Kritiken den Puls der Nation besser gefühlt hat als alle anderen. Inneraufgehört, sondern auch viele Konservative und Liberale begannen, mit Snowden in der Kritik an der bisherigen ,, Don Quichotte Politit" Englands zu wetteifern, aber es war zu spät. Die Arbeiterpartei hatte die richtige Wahlparole ausgegeben. Mein Gewährsmann behauptet sogar, daß die
Labour Party ihren großen Wahlfieg in allererster Linie dieser Stellungnahme Snowdens zu verdanken
hat und daß alle übrigen Fragen bei der Entscheidung schließlich eine untergeordnete Rolle gespielt hätten. Jedenfalls wären die Stimmen untergeordnete Rolle gespielt hätten. Jedenfalls wären die Stimmen aus dem bürgerlichen Lager fast ausschließlich dieser Parole zu danken: Schluß mit der hörigteit gegenüber Frankreich . Schluß mit dem ewigen Opfer der eigenen Steuerzahler zugunsten der Fremden!
Es scheint, daß man in manchen Labourkreisen, besonders in solchen, die vornehmlich internationalistisch denken, über diese etwas start betonte egoistisch nationale Kampfansage von vornherein etwas besorgt war. Aber die Tatsache war nun einmal gegeben. Die Arbeiterregierung fam ans Ruder mit Snowden als Schazkanzler. In seiner Unterhausrede als Minister hat Snowden haus, die Führer beider bürgerlichen Oppositionsparteien, die gesamte feine Krititen am Young- Plan vorgebracht, und das ganze Unterbritische Bresse hat ihn unterstützt und gelobt. Ob die Kon= fervativen und Liberalen sich dabei von dem Hintergedanken leiten ließen, daß, wenn sie Snowden den Rücken stärken und er im Haag
fraft unseres Auftretens, vor der Macht unserer Ideenwelt. Sie fürchten, daß der zehnte Verfassungstag der Republik für viele ein Tag der Einkehr und der Umkehr werden könnte. Wir aber wollen daran denken, daß viele von denen, die noch stillschweigend oder mißtrauisch am Wegrand stehen, morgen mit uns gehen werden.
Wir