Nr. 373» 46. Jahrgang Sonntag, August 4929
Kari HenckeUs Werk Dem sozialistischen Dichter zum Gedächtnis
In den alten sozialdemokratischen Führern steckte vielfach ei» ge> wisses poetisches Talent. Geib, Fritzfche, Most, Frohm«, Hasenclever, Sludorf, Kegel dichteten manchen stürmische» Freche itssang, und da» Lied des alten Greulich von den �Lrbeitsmännern', von dem«PrÄe- tariat" dröhnt heute noch voll Rebellentrotz bei öffentlichen Aufzügen durch unsere Großstadtstraßen. Mit dem Ausnahmegesetz sproßte auch außerhalb der sozialdemokratischen Parteikreis« eine zu kunstsvoll« soziale lchrik auf. Sie knüpft« in Berlin vor allem an die Namen der Gebrüder Hart an. Dies« liefen Sturm gegen die süßliche Reimerei chrer Zeit, und
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sie gewannen in Karl Henckell einen Marschall Vorwärts, so angriffslustig und schlagkräftig, wie ste sich ihn nur wünschen konnten. In seinem„Poetischen Skizzenbuch' ließ Karl Henckell dem Steinklopfer sein soziale» Elend in die Welt hinausschreien.> t Im Lenzmonat 1884 nahm Karl Henckell von den Gebrüdern Hart in Berlin Abschied, mit denen er nach tapferem Cinhauen aus die Zuckerwasserlyrik der siebziger Lahr « so begeistert aus lang« Ge- meinschast im Leben und Streben und Kämpfen angestoßen hatte. Als junge? Einjähriger zog er dann sein Schwert, um in den JVt o- dernen Dichter-Charakteren' die pseudolyrische Reimerei seiner Zeit blutig hinzurichten, da wir ja in den letzten Dezennien ..weder eine moderne, noch eine deutsche, noch überhaupt eine Lyrik besessen' hätten,„die dieses heiligsten Namens der ursprünglichsten, elementarsten und reinsten aller Dichtungsarten nur entsernt würdig wäre". Die Milliärzeil in Hannover wirkte ausrüttelnd auf da» ganze Denken und Fühlen Karl henckells. So- mancher Fluch gegen den Leib und Seele verknechtenden Misitarisnms entriß sich damals seiner Brust, der sich später in das Feuer seiner revolutionären Vers« umsetzte. In München traf er verwandte Sturmgesellen in dem Kreise Michael Georg Conrad » an, die ebenfalls gegen die Tempel der Herrgötter der damaligen Dichtung erfolgreich anrannten. Aber im wesentlichen blieb Karl Henckell in München noch.Literatur'- Revolutionär. Di« tiefe Einsicht in die Welt der hart aufeinander- stoßenden Klassengegensätze, die enge Fühlungnahme mit der kämpfenden Partei des Sozialismus erwarb sich Karl Henckell erst in der republikanischen Schweiz . Hier erschien der„Sozial- demokrat", hier saßen die Spitzen der deutschen sozialdemokratffchen Emigranten, hier liefen durch die Hörsäle der Züricher Universität die kühnen Verfechter eines revolutionären Sozialismus. In der glühenden Waffenschmiede des Sozialismus wurde Karl Henckell nun heimisch, wie kein deutscher Dichter vor ihm. In der Schweiz schloß er Freundschaft mit den Gebrüdern Karl und Gerhart Hauptmann , und er erteilt« manchen klugen Rat dem jungen Gerhart, als dieser an seinem Drama„Vor Sonnen- aufgang" arbeitete. Sein« Muse erfreute sich der wachsenden An- erkennung der großen Dichter Gottfried Keller und Conrad Ferdinand Meyer . Enge Bande verknüpften ihn mit Frank Wedetind, Otto Erich Hartleben und John Henry M a ck a y. Von Ende 1886 an bis zum Jahre 1902 lebte Karl Henckell in Zürich . Ich wurde im Jahre 1887 mit ihm bekannt, und unter seinem Vorsitz begründeten wir am 1. Juni dieses Jahres den Ulrich-hutlen-Vund, für den Henckell einen feuerflammenden programmatischen Aufruf verfaßte, um zum Kampf für ein„freies modernes Menschentum' aufzufordern. Der Ulrich-Hutten-Bund wollte den Versuch machen, wenigstens eine Art Sammelpunkt zu schaffen für all« im öffentlichen Leben Tätigen oder auf«ine solch« Tätigkeit sich vorbereitenden Elemente,„die einer im weitesten dogmenlosesten Sinne freien Fort» entwicklung unserer Lebensbedingungen kühn und unerschrocken zu- steuern...' Der Versuch mißlang. Ein« einige Sturmphalanx der Intellek - Wellen gegen die organisierten Feind« der wirtschaftlichen, politisch- zozialen Fortenwicklung ließ sich bei der zunehmenden sozialen Zer- klüftung Deutschlands und der Schweiz nicht schaffen Weite Kreise von Intellektuellen witterten sofort einen sozialistischen Petroleum- geruch an diesem Ulrich-Hutten-Bunde. Karl Henckell stand in engster geistiger Fühlung mit der d e u t- schen Sozialdemokratie. Die Frankfurter Friedhofsmetzelei des Jahres 1885 hat er in seinem Gedicht„Friedhof' ergreifend geschildert.
Kein Salvenfchuß, kein Trommelklang, Al» ste den Freund begruben. Kein Sonnenschein, kein Lerchensang— War doch ein Held sein Leben lang Im Kampf mit großen Buben. Der Herbstwind pftff, sein Heulen schwoll. Die Weiden seufzten schaurig: Di« Schaufel voll, die Erde scholl. Verschränkten Armes stand der Groll' Am Grabe stumm und traurig. Kein Pfarrer drosch Unsterblichkeit, Kein Pfaffe plärrt« Mesien: Ein hellig Leid, ein schweigend Leid. In ihrem dunklen Feierkleid Wehklagten die Zypresien. So blieb die Menge drängend stehn. Als sich das Grab geschlossen. Da dröhnt e»: Auseinandergehnl Und schon war Helm an Helm zu sehn— De» Himmels Zähren flosien. Nun flog ein Kranz mit rotem Band Wohl auf des Grabes Mitte: Und al» er auf den Hügel sank, Da zogen schon die Wächter blank Der Zucht und frommen Sitte. Von Leichenstein zu Leichenstein Die Klingen aus den Scheiden! Auf Schädelstätt und Totenbein Sie hieben in die Menschen ein— Da weinten alle Weiden. Da» steche Lärmen klirrt an» Ohr Der schlummernden Gerippe: Entsetzen schlug den bleichen Chor, Und schwerbeleidigt fuhr empor Der Toten stille Sippe. Der Regen goß, der Sturm schrie auf, Blut floß um Kreuz und Hügel, Und ruhig von des Kranzes Schlauf Ein Vogel stieg gen Himmel auf Mit purpurrotem Flügel. Boll kräftigen dramatischen Lebens ist die Ballade Karl Henckell »: Christnacht. In ihr sind die Vorgänge der Frankfurter Weih» nachts-Ausweifungen wundervoll poetisch ausgeformt: Di« Ketten klirren Hohn und Spott, Di« Ketten klirren im Nacken, Un» hllft kein Heilands Hilst kein Gott, J'■ Die Ketten Nirren Hohn und Spott, Di« Ketten klirren im Nacken. Zu feiernder Swnd, wo im Weltenrund Hallelujal die Engel trompeten, In de» Elends Schlund, wie«in räudiger Hund, Wie ein räudiger Hund getreten! Da steigt die Viston der Revolution in dem Kopfe des Aus- gaviefenen auf und er läßt feierlich den Sohn den Eid der Revo- lutton schwören. Als um die Jahreswende 1887 und 1888 die große Spitzelent- hüllung im Deutschen Reichstag erfolgte, da pfiff Karl Henckell sein jätirisches Lockspitzellied in die Wett. In Rech und Glied marschierte Karl Henckell mit den Masten der deutschen Sozialdemokratie. Er hatte eben den großen Schritt von dem.Literawr'-Reoolutionär zum Sozialrevolutionär getan. Er erklärte 189l> sehr freimütig, daß alle Literoturreform- und Revo- lution ein Trugspiel großer Selbsttäuschung oder«ine wistenschaftliche
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Beschränktheit des Denkens sei, die da vermeint, unser deutsches Schrifttum,»abgelöst von den den gemeinen Schuttformen des Menschenlebens', umwälzen zu können. -An» reikek kein« Poetik mehr, uns ruft keine absolute Aesthetik gebieterisch und überwältigend einer kühneren Kunst— der umgestaltende Geist der Menschheitsarbeit ist der eiserne Gott, aus besten Haupt die blinkblanke Athene der natürlichen Dichtung hervorspringen wird... „Parteil Parteil' heult ihr flohen Tendenzler', wir wollen den reinen Aether künstlerischer Objektivität atmen. Du borstiger Wolle- kratze? des sozialdemokratischen Zukunftszuchthauses, Halle dein Maul.
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Wir sind viel zu fein für euch schwielengrobes Dolk! Tod seid ihr, Tod der echten Poesie."— Ihr plumpen Schlagwortseelen, schweigt! Sozialismus fft keine. Partei, weil ihr zu vernagelt seid, es noch nicht zu wissen: Sozialismus ist eine Weltanschauung der neu sich gebärenden Zukunft. Der Grund der Nationen erzittert— hört ihr es denn nicht?— Das Elend ächzt in seinen Ketten— hört ihr es denn nicht, ihr„elenden" Dichter?— und jauchzt mit Todesverachwng den rettenden Ideen der Gerechtigkeit und Freiheit zu.„Parteil O, ihr dünkelhaften Dick- häuter einer staatlich patentierten Oberlehrerreifel Ihr seid ja die verbohrteste aller Parteien von je. Nie war eine Kunst partelloser, als es diejenige des echten Sozialismus sein wird. Und die vollendete Menschengerechtigkeit gebiert erst die vollendet Stllgerechtigkeit. Aus der modernen Häßlichkeit keimt die Schönheit der Moderne. Solange die soziale Bewegung Vorstoß und Erschütterung unter barbarischem Rückdruck ist, wird die Poesie des Gewaltsamen, Torsowulstigen, Gellschmetternden nicht ermangeln: wenn der neue Wald aufgebaut ist so hoch da droben, wird wie wunderbares Rauschen der Dichtung West durch seine Zweige gehen." Die neue Kenntnis, die Karl Henckell durch sein« eng« Ver- bindung mit der theoretischen Literatur der deutschen Sozial- demokratie geschöpft hatte, lehrte ihn die grundlegende Bedeutung de» ökonomischen Moment» für die Gestaltung der geistigen Welt, Äls er feine schöne Sammlung sozial- und politisch steiheit- licher Gedichte in seinem„Buch der Freiheit" zusammenstellte, da bezeichnete er als leitende Idee seines Buches den„m o- dernen, ökonomifch-politischen Freiheitsbegriff' in seinen verschiedenen Anwendungen�„so wie ihn heute in erster Linie das organisierte Proletariat erfaßt und verkündet Hot, einmal als Erbe unerfüllter bürgerlicher Ideale und sodann als Erzeuger und Träger neuer B« w u ß t s e i n s f o rd e- rungen der Menschheit.' Karl Henckell war in die Schul« von Friedrich Engels gegangen, an den er sich auch wandte, als er sein„Buch der Freiheit" zusammenstellte. Den Sozialismus erfaßt Karl Henckell als eine neue Welt- «nfchauung, die allerdings in, starker Abhängigkeit von der ge- sellschaftlich-organifierten wirtschaftlichen Welt selbst steht. Von sozialistisch-kulwrellem Geiste gettagen, ist sein Feftspruch für die Arbeiterbildungsschul« m Berlin , und von ihm sind sein« Mai- sestgedichte, sind seine Gedanken an das ideale Prole- tartat beseell. Die sozialistische Weltanschauung öffnete unserem Karl Henckell den Sinn für das werdende Neue. Als die Jugend zur Sozial- demokratie stieß, da erkürte sie ihn zum Führer, der diese schwung- vollen Worte an sie richtete: Kommende Männer und Frau'n! Bildet in Glück euch und Leid, formt euch in Lust und Pein! Wandert zu Höhen, weithin Ströme des Lebens zu schau'n! Schreitet und streitet und wirkt, kühn eine Welt zu befrei'n! Ein Führer der Arbeiterjugend, Max Barthel . schrieb vor dem Ausbruch des Weltkrieges an Karl Henckell :„D i e I u g e n d i st m i t Ihnen—das dünkt mich das Schönste." Das Bekenntniswert feine» Lebens hat uns Karl Henckell in fünf prächtigen, schön illustrierten Bänden(Verlag I. H, W. Dietz) hinter- lasten. Ein« reiche Erbschaft fürwahr, die wir uns in geistiger Hoch- stimmung anzueignen haben— Karl Henckell aber ist von hinnen gegangen mit dem großen Mut, der aus seinen tapferen Zeilen spricht:
Fahre wohl, du Welt, Liebe, Kamps und Ruhml Nur ein schlechter Held Mag es klagen.
Sinkt die Knospe hin, Eine neue sprießt, Und die Folgerin Sei gegrüßt! k'aul Xempkimexer.