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Räumungsdebatte im Haag. Briand   will sie möglichst verzögern.
V. 8cli. Haag, 12. August.  (Eigenbericht.) Die Taktik Briands in der Räumungsfrage ist unverkennbar dilatorisch. Er hat geradezu Angst, daß man sich in der politischen Kommission zu früh einigen könnte, während die Finanzkommission nicht vorwärtszukommen oder gar auszufliegen droht. Diese Absicht trat bei Briand   so deutlich zutage, daß Stresemann sich in der Ausschuhsitzung oeranloßt sah, nochmals der Auffassung Briands entgegenzutreten. Er widerlegte die technischen Ausflüchte des französischen   Außenministers und meinte, wenn nion immerfort auf der Gegenseite die These des sunctim(unlösbarer Zusammen- hang) vertrete, es auch für Deutschland   insofern ein sunctiw gebe, als Deutschland   die Lasten des Joung-Plans nur in Verbindung mit der Rheiulandräumung annehmen könne. Es wäre höchst bedauerlich, wenn man die Räumung zum Gegenstand einer finanziellen Transaktion machen würde: denn sie fei noch deutscher Auffassung«in« Frage der völkerrechtlichen Ethik. Briand   hatte in seiner Argumentation die sonderbarsten tech° Nischen Einwendungen erhoben, so z. B., daß es doch besonders schwer und langwierig sei, im Winter zu räumen! Er erinnerte dabei an die schweren Angriff«, denen der Kriegsminister Painleoc im letzten Winter wegen der vielen Todesfälle in der Be- satzungsarmee ausgesetzt gewesen sei. Darauf erwidert« Dr. Stresc- mann mit der naheliegenden Antwort, dah das beste Mittel, solche bedauerlichen Todesfälle und die vorgebrachten Räumungsschwierig- leiten in der kalten Jahreszeit zu vermeiden, darin liege, daß man eben die Truppen vor den Wintermonoten wieder in ihre-Heimat befördere. Und er hatte dabei natürlich die Lacher auf seiner Seite. Borsitzender chenderson brach die Diskussion mit den Worten ob, dah sie zwar sehr interessant sei, ober zu einem positiven Er- gebnis nicht führe. Deshalb schlug er vor. am Dienstag vormittag eine private Besprechung der an der Räumung interessierten Mächte, also Frankreich  , England, Belgien   und Deutschland  , im britischen  Quartier abzuhalten. Die Art der Argumente oder Borwänd«, mit denen Driaird Zeit zu gewinnen versucht, ist seiner nicht sehr würdig. An die technischen Räumungsschwierigkeiten, die die Besatzung». . generäle Briand   suggerieren. g'-ubt er natürlich selber nicht. Im Kriege hätte man eine solche Zi ppenzahl mitsamt dem ganzen Material restlos in höchstens zw i Wochen in völliger Ordnung zurückgezogen. Jetzt tut man so, c. s ob Monate dazu nötig wären. Die choltung Briands paßt jedenfalls sehr schlecht zu der Borkämpserrolle für die Ber. «inigten Staaten von Europa  , zu der er sich neuerdings mit so tönenden Reden bekennt. » In den finanziellen Streitigkeiten ist heute keine Aende-- r u n g eingetreten. Die Tatsache, daß die Finanzkommission erst am Mittwoch wieder zusammentritt, beweist zweifellos, daß zwischen den Gläubigern über irgendwelche Kompromißvorschläge verhandelt wird. Diese Vertagung ist übrigens nicht nur mit Zustimmung der Eng- länder, sondern sogar auf chren Wunsch beschlosien worden. Der Dienstag soll für Kompromißoersuche offen gehalten werden. Das Solidaritätstelegramm Macdonalds an Snowden Hot aus die Franzosen starten Eindruck gemacht. Sie erwarteten eine Ein- Wirkung des Premierministers auf seinen Schatzkanzler und die Pariser Presse war schon voll mit Kombinationen, wonach Snowden durch sein« Haltung im Haag eine persönliche Politik treibe, die be- sonders gegen Macdonald gerichtet sei. mit dem er upi die Führung in der Arbeiterpartei erbittert ringe. Die Antwort Macdonalds auf diesen plumpen versuch, ihn gegen Snowden aufzuputschen, hat aus
seine Urheber wie ein taller Wasserstrahl gewirkt. Sie sind jeden- falls um eine Illusion ärmer geworden. Die Franzosen reden zwar noch immer von der Wahrscheinlich- keit des Abbruchs der Konferenz, ober verschiedene Anzeichen sprechen dafür, daß man sich zum Nachgeben auf finanziellem Gebiete anschickt. Briand   scheint Konzessionen, die er auf finanziellem Gebiet Eng. land machen muß. der französischen   Oefsentlichkeit schmackhafter machen möchte mit hllfe von Zugeständnissen, die er aus dem Ge- biete derRheinlandräumung Deutschland abzuringeu be- strebt ist. Darauf ist vielleicht seine wenig erfreuliche Haltung in der heutigen Sitzung der polltischen Kommission zurückzuführen. * Reuter meldet aus dem Haag: Henderson hatte heute vormittag eine Besprechung mit Briand   über die Frage der Rheinlandkontroll-Kommission. Es verlautet, daß beide Staatsminister bei ihrer Meinung verblieben, und zwar Henderson bei der seinen, daß eine solche Kommisiion unter der Kontrolle des Völkerbundes stehen soll, und Briand, daß es sich um eine besondere Organisation handeln müsse, die unabhängig vom Völkerbund bleib«. Die Sitzung der politischen Kommission. Haag, 12. August. Eigenbericht.) Urber die kurze Sitzung der politischen Kommission am Montagnachnüttag wurde aus ausdrücklichen Wunsch des Vorsitzenden Henderson der Press« nur sehr wenig mitgeteilt. Der eng- tische Außenminister begründete diesen allen Delegationen übermit- tclten und von allen ziemlich strikt ausgeführten Wunsch dätnit,' daß er es als seine Aufgabe bettachte, zwischen den divergierenden fran- zösischen und deutschen   Auffassungen zu vermitteln. Der Erfolg dieser Aktion könnte aber gefährdet werden, wenn die Presse über die Reden ausführlich unterrichtet würde. Daraus kann man ersehen, daß die von Briand   und Stresemann vorgetragenen Ansichten ziemlich weit auseinandergehen. Es handelte sich diesmal nicht um die Einsetzung einer Feststellungs- kommission, sondern um die eigentliche technische Durchführung der Räumung, besonders um die Termine. Ueber die Feststcllungskommission wird das Iuristenkomitee am Dienstagnachmittag zum ersten Male beraten. Am Montag erörterte man nur die Frage, wie das technische Sachverständigenkomitee seine Arbeiten erledigen soll. Henderson erklärte zu Beginn,es gelte einerseits das Datum festzusetzen, an dem die Räumung beginnen solle und beendet sein müßte, und andererseits die Liquidatton der Folgen der Besatzung zu untersuchen", also wohl hauptsächlich die finanzi ellen Ansprüche der deutschen   Gemeinden u. dgl. zu klären. Es müsse u. a. auch die Frage entschieden werden, ob man dieses technische Komitee etwa in zwei Unterkomitees teilen, eines für das rein militärische Räumungsproblem und das andere für die finanziellen Einzelheiten. Anschließend entspann sich eine lebhaft« Debatte zwischen Sttesemann und Briand  , über die aller- dings nur wenige Einzelheiten verlauten. Sicher ist, daß Briands Ausführungen darauf gerichtet waren. Festlegung aus Daten vorläufig auszuweichen. Er wies auf die ungeklärte Lage in der Finanzkommission hin und meinte, daß man nicht durch voreilige Beschlüsse in der politischen Kommission die Gesamtergebnisse der Haager Konferenz präjudizieren dürfe.
Ministerkonferenz im Haag. llm das Schicksal der Arbeiislosenversicherung. Haag, 12. August.  (Eigenbericht.) Reichsinnenminister Severing und der Reichsarbeitsminister Wisseil. die am Montag vormittag im Haag eintrasen, hatten im Lause des Nachmittags mit den übrigen hier anwesenden Kabinetts- Mitgliedern Besprechungen über die Frage der Ar- beitslosenversicherung. Die Beratung war schon aus einem reln technischen Grunde notwendig geworden Als das Er- gednis der Beratung des von der Reichsregierung eingesetzten Lach  - verständigenausschusses vorlag, war das Kabinett nicht mehr bei- sammen. Di« Verhandlungen im Berliner   Rumpfkabinett ergaben die Notwendigkett einer Fühlungnahme mit den vier inzwischen nach dem Haag abgereist«« Mitgliedern, von denen besonders der Reichs»
finanzminister und der Reichswirtschostsminister ressortmäßig un- mittelbar an dem Problem interessiert sind. Als Ergebnis der Rücksprache muß festgestellt werden, daß ein« restlose Einigung auch im Lause dieser Haager Besprechung nicht erzielt werden konnte. Man kam indessen ddhin llberein, dem Vorsitzenden des sozialpolitischen Ausschusses, dem Reichstags- abgeordneten Esser, als einmütigen Wunsch der sechs im Hoog anwesenden Kabinettsmitglieder die Bitte zu übermitteln, die Sitzung des sozialpolitischen Ausschusses möglichst um eine Woche zu vertagen, damit in der Zwischenzeit sowohl das Kabinett in Berlin   wie auch die Parteiführer«ventt. unter Heranziehung von Sachverständigen die Vorlag« über die Arbeitslosenversicherung nochmals beraten können. Die beiden Minister wurden auf ihrer Reise vom Sekretär der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion Dr. Paul Hertz be- gleitet. All« drei kehren heute nach Berl'm zurück.
Der Kampf der SOOVOO. Zum englischen Raumwollkonflikt. E. W. London  , 12. August. Die Aussperrung in der britischen Baumwollindustrie, die vor bald zwei Wochen die Spindeln und Webstühle Lan- cashires zum Stillstand gebracht hat, ist allgemein ge­sprochen eine Folge der verringerten briti- schen Exportfähigkeit, insbesondere im Nahen und Fernen Osten. Die Verkäufe britischer Baumwollwaren in den indischen Bazaren waren während des letzten Vierteljahres geringer als je. In Kalkutta   wurden zum großen Erstaunen der britischen Exportfirmen qualitativ überraschend hoch- wertige japanisch« Produkte unter den Preisen Lanca- shires verkauft, und der Verkauf nach China   hat seit der Auf- Hebung des Boykotts japanischer Waren schwer gelitten. Aegypten   und der gesamte Nahe Osten haben keine nennens- werten Aufträge nach Lancafhire vergeben die Export­fähigkeit britischer Baumwollwaren ist mit einem Worte auf allen jenen Märkten stark gedrosselt, mit denen diese zu 80 Proz. auf die Ausfuhr angewiesene Industrie zu rechnen hat. Daß dabei die Verkäufe auf dem inneren Markt durch- aus befriedigend geblieben sind, fei zur Vervollkommnung des Bildes noch hinzugefügt. Das Ausmaß des Rückganges des Exportes ist aus ver- schiedenen statistischen Gründen nicht ganz leicht zahlenmäßig auszudrücken. Die folgenden Ziffern wollen nicht mehr als ein allgemeines Bild über den Umfang der Exportverminde- rung vermitteln: Lancafhire exportierte zur Zeit seines stolze- ften Höhepunktes im Jahre 1913 rund 700 Millionen Pard Baumwollstückwaren(1 Pard= 0,91 Meter). In den Iahren 1922 bis 1927 sind die jährlichen Durchschnittsexporte auf etwas über 400 Millionen Dards gesunken. Nach den Exportziffern der ersten Hälfte des laufenden Jahres zu schließen, wird die Ausfuhr des Jahres 1929 vermutlich einen noch weit untet dieser Ziffer liegenden Tiefpunkt erreichen. Die japanische, chinesische, indische, schweizerische, französische und amerikanische   Konkurrenz hat von Jahr zu Jahr größere Löcher in das einst die Welt beherrschende Monopol Lanca- shires gerissen. Die Gründe für diesen Rückgang der britischen Export- fähigkeit sind mannigfaltig und vielfach so verwirrt, daß sich Ursachen und Wirkungen, beinahe unauflöslich, ineinander oerstricken. Die allgemeinen Ursachen sind zum Teil von der- selben Art wie diejenigen, die die britische Kohlenindustrie im letzten Jahrzehnt in ihre gegenwärtige Lage gebracht haben: tiefsitzende Eigenbrötelei des Unternehmertums, die allen Zu- sammenschlllssen einen beinahe unüberwindlichen Widerstand entgegensetzt: mangelnde Zusammenarbeit zwischen den Unternehmungen der verschiedenen Etappen der Erzeugung, übermäßig hohe Kosten der Fertigwarenproduktion, veraltete Absatzmethoden. Zu diesen allgemeinen Gründen, die die briti- sche Baumwollindustrie mit einer ganzen Reihe von anderen britischen Industrien teilt, kommen besondere Momente, die die britische Textilindustrie in ihrer Konkurrenzfühgkeit auf dem Weltmarkt besonders hemmen. Am schwerwiegend- ften ist wohl die Ueberkapitalisierung der Industrie und die schwere Verschuldung jener zahllosen während des Krieges und der kurzen Hochkonjunktur der Nachkriegszeit wieder in Betrieb gesetzten Unternehmungen, die in den meisten Fällen technisch und organisatorisch nicht konkurrenzfähig infolge ihrer erdrückenden Schuldenlast zu einem Haupt- faktor für die Verschärfung der Gesamtsituation der britischen Baumwollindustrie geworden sind. Einer der besten bürger- lichen Kenner der Lage der Industrie hat ihre Krankheiten in der folgenden knappen Formel zusammengefaßt: Finanziell ist die Industrie in einem unbeschreiblichen Zu- stand. Die Maschinen sind großenteils veraltet. Die Produk- tion erfolgt in unökonomisch kleinen Einheiten. Der Absatz ist unorganisiert und die existierenden Vorkehrungen sind primi- tiv und unzeitgemäß." Es ist unker diesen Umständen nicht verwunderlich, daß die Baumwolckndustrie Lancashires in den letzten Iahren solange von Krise zu Krise taumelte, bis der Zustand der schleichenden Krise zum Normalzustand zu werden drohte. Die Unternehmer haben nunmehr den Gordischen Knoten   durchhauen und mit ihrer Forderung nach einer 12�prozentig«n Lohnherabsetzung an ihrer durch Kurz- arbeit ohnedies schon schwer getroffene Arbeiterschaft einen Verzweiflungsakt zur Sanierung des unhaltbar gewordenen Zuftandes getan. Die Arbeiterschaft hat diese Forderung be- greiflicherweise abgelehnt. Sie hat in ihrem Widerstand gegen die Unternehmerforderung nicht nur die Sympathien ihrer Kollegen, sondern einesGroßteilsderöffent- lichenMeinung hinter sich. Denn so sehr die Unhaltbar- keit des gegenwärtigen Zuftandes von allen Seiten anerkannt wird, so große Zweifel herrschen bis tief ins Unternehmer- lager hinein über die Tauglichkeit des von den Unternehmern versuchten Mittels zur Sanierung der Industrie. Man ist sich darüber klar, daß eine Lohnkürzung in dem von den Unternehmern geforderten Ausmaße nicht im geringsten helfen wird, die wirklichen Ursachen der Dauerkrise zu besei- tigen. Die mangelnde Organisation der Industrie würde nach allgemeiner Auffassung, was den inneren Markt betrifft, zu