Nr. 391* 46. Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
Donnerstag, 22. August 1929
Wie vom japanischen Flugplatz Kasumigaura ge- meldet wird, wurde bei der Vorbereitung zum Aufstieg des Luftschiffes zur vorgesehene» Startzeit die Hintere Motorengondel durch Berührung mit dem Boden anscheinend leicht beschädigt. Da Dr. Eckener erst genau festgestellt wissen wollte, ob durch diesen Aufschlag die Sicherheit des Schiffes gefährdet sein könnte, wurde der Abflug des..Graf Zeppelin" um 24 Stunden hinausgeschoben. Tokio , 21. August. Obwohl man damit rechnet, daß der Flug über den Pacific nur drei bis vier Tag« dauern wird, nahm der„Graf Zeppelin" ge- nügend Proviant an Bord, um die 20 Passagiere und 41 Mann der Besatzung sechs Tage lang voll verpslegen zu können. Auch eiserne Rationen für den Notfall sind ausgenommen worden. Der Proviant ist in Metallbehälter oerpackt und wird durch Trockeneis srischerhalten. Der Postschlußtag erhielt durch die An- Wesenheit des„Graf Zeppelin " ein« besondere Bedeutung. Zahl- reiche Privatpersonen und Geschäftsfirmen fertigten noch die letzte Post für das Luftschiff ab, das im ganzen S700 Postsachen für Amerika und Europa mitnimmt. Die Wettermeldungen vom Pacific und aus Japan lauten bisher günstig. Wie die Tokioter Meteorologische Wetterstation meldet, befindet sich über Japan augenblicklich«in Tiefdruckgebiet. Dr. Eckener fürchtet aber dieses Tief nicht, sondern hofft, die w e st- l i ch e n Wind« für seinen Flug ausnutzen zu können. Es ist also anzunehmen, daß der„Graf Zeppelin" programmäßig seinen Welt- slug fortsetzen wird. Zurzeit ist das Luftschiff mit der Ber- proviantierung beschäftigt, nachdem die Ausfüllung der Traggas- zellen und die Uebernahme von Betriebsstoff bereits gestern be- endet wurde. Die Mannschaften sind von den Japanern überreich befchenkt worden, so daß sie die Geschenke nicht alle im„Zeppelin" mitnehmen können und gezwungen sind, sie mit gewöhnlicher Post nach Hause zu schicken. Welchen Weg der„Zeppelin" einschlagen wird, steht noch nicht endgültig fest. Es wird jedoch angenommen,
SEur 3ahri des«Graf Zeppelin' Vokio-Xos Angeles.
daß er den k ü r z s st e n W e g, also die Dampferrout« wählen wird, d. h., daß er die Hawai-Jnseln voraussichtlich nicht ansteuern dürfte. Der Weg von Tokio nach Los Angeles hat«ine Länge von rund 8500 Kilometern. Bei einigermaßen günstigen Wetterverhält- nissen kann der„Zeppelin" diese Streck« in 84 Stunden zurücklegen, während die großen Passagierdampser bei einer Geschwindigkeit von 20 Seemeilen für die gleiche Strecke 17 Tage benötigen. Interessant ist, daß der„Zeppelin" auf seiner Fahrtroute die sogenannte Datumsgrenze, den 480. Längengrad, passieren wird. Das hat zur Folge, daß er bei Erreichen der Grenze, also voraussichtlich 24 Stunden nach seiner Abfahrt von Tokio ,«inen Kalendertag zweimal erlebt. Je nach der Zeit, zu der er die Datums- grenze überfliegt, wird er also, da er berests an einem Donnerstag (nach japanischer Zeitrechnung) gestartet ist, entweder den Donners- tag oder den Freitag doppelt erleben. Er darf also«inen Tag lang seinen Kalender nicht abreißen. Japan — Deutschland . Anläßlich der Landung des„Gras Zeppelin" in Japan hat der der japanische Ministerpräsident an den Reichskanzler nachstehendes Telegramm gerichtet: „Anläßlich der sicheren Ankunft des„Graf Zeppelin" in Japan auf seinem Flug rund um die Welt habe ich die Freude, Ihnen und durch Sie dem deutschen Volk Japans herzlichste Glückwünsche zu übermitteln. Das ganze japanische Volt heißt das gewaltig« Luft- schiff mit einer der geschichtlichen Bedeutung des Ereignisses ent- sprechenden ungeheuren Begeisterung willkommen, und es wünscht ihm ein aufrichtiges„Fahrwohl" für die kommende Bezwingung des Pazifischen Luftozeans, der bisher durch kein Flugzeug überquert worden ist. Das Werk deutschen Genies und Unter- nehmungsgeistes hat unsere beiden Völker sicherlich nicht nur in dem räumlichen Abstand, sondern auch in Freundschaft und Geist ein- ander näher gebracht, und ich ergreife gern die Gelegenheit, dem deutschen Volk Glück und Gedeihen zu wünschen." Das Antworttelegramm des Reichskanzlers an den japanischen Ministerpräsidenten Hamaguchi hat folgenden Wortlaut: „Für die so überaus herzlichen Glück- wünsche, die Sie anläßlich der Ankunft des Luftschiffes„Graf Zeppelin " dem deutschen Volke und mir persönlich gesandt haben, spreche ich Ihnen meinen wärmsten Dank aus. Die be- geisterte Anteilnahm«, die das japanische Volk an dem Fluge bekundet, und die von Herzen kommende Gastlichkeit, mit der das Luftschiff und sein« Besatzung in Japan aufgenommen wurden, finden in Deutschland freudigen Wider- hall und dankbare Würdigung. Mit dem ganzen deutschen Volke telle ich Ihre Zuversicht, daß die Ueberwindung des Raumes durch die Luftfahrt dazu beitragen wird, unsere Völker einander näher zu bringen und ihre Freundschaft weiter zu ver- tiefen. In herzlicher Erwiderung Ihres Grußes an Deutschland bitte ich meinen aufrichtigen Wunsch für die glückliche Zukunft Ja- p a n s entgegennehmen zu wollen."
Ferienheim niedergebrannt. Alle Insassen— Berliner Kinder- in Sicherheit. Da» Heim Zmmenhof der Arbellerwohlfahrt bei Hützel in der Lüneburger helde ist gestern von einem Großfeuer heimgesucht worden. Alle Sinder konnten rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden. Di« Flammen griffen mit großer Schnelligkeit um sich, trotzdem war es gelungen, sämtliche Insassen des Heimes, zum großen Teil junge Mädchen aus Berlin und Hamburg , recht- zeitig in Sicherheit zu bringen. Die freiwillige Orts- feuerwehr und die Wehren der umliegenden Ortschaften hatten stundenlang mit der Bekämpfung des Brandes zu tun. Obgleich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln verflicht wurde, den Flammen Einhalt zu gebieten, brannte das Haupt- und Schlasgebäude des Helme» bis aus die Grundmauern nieder. Der außerordentlich heftige Wind erschwerte die Löschattion in erheblichem Maß«. Wie uns aus I mm e n h o f mitgeteilt wird, wurden schon beim Ausbruch des Feuers sofort alle Mahnahmen ergriffen, um die Kinder in angrenzende Gebäude zu bringen. Es sind all« Insassen, lange bevor für den einzelnen über- Haupt eine Gefahr bestand, in Sicherheit gewesen. Um so seltsamer mutet deshalb die sensationell ausgemachte Nachricht eines Berliner Spätabendblattes an, in der geschildert wird, daß Berliner Ferienkinder„in Lebensgefahr" waren. Zur Beruhigung können wir mitteilen, daß all« Insassen des Heimes mit größter Ruhe das Haus verlassen konnten. Ein In der Nähe liegendes Ferienheim der Stadt Berlin , das etwa 400 bis 600 Kinder beherbergt, ist von dem Großfeuer verschont geblieben. Die durch die Feuersbrunst zurzeit obdachlos gewordenen Kinder haben sogleich in den benachbarten Ortschaften Hützel und I s p i n g e n Unterkunft gefunden. Der Gesamtschaden ist durch Versicherung voll gedeckt. Französische Lugend im Arbeiterbezirk. Das Bezirksamt Prenzlauer Berg empfing 4 5 franzöfifcheFerienschüler.die in Birkenwerder mit deul- schen Jungen vier Wochen zusammengelebt haben und vor der Heini. reise nun noch 8 Tag« Berlin kennenlernen sollen. Kein Empfang wie sonst üblich, mit offiziellen Reden, gerade um der Form zu genügen. Dafür aber sehr viel warme Herzlichkeit und von Ansang an ein jo freundschaftliches Ber - stehen, ein so fröhliches Beieinander, wie es wohl selten erreicht werden kann. Nach einer munteren Kaffeetafel machte man zunächst in einem von der BVG. zur Verfügung gestellten Dreiachsbus eine Rundfahrt durch den Bezirk. Die Jungen sahen die Herr- lichen Sport- und Spielanlagen, die aus einer Sandwüst« geschaffen worden sind, lernten das Ambulatorium für knochentuberkulöfe Kinder kennen, bewunderten das Afyl für Obdachlose in seiner pein- tichen Sauberkeit und Großzügigkeit, ließen sich die Gasgewinnung in den Gaswerken erklären und standen staunend vor den groß- artigen Siedlungen und Neubauten des Bezirks, besonders vor der gewaltigen Großbaustelle der Gehag, auf der in wenigen Monaten zirka 1000 Wohnungen aus der Erde wachsen. Der Kontakt zwischen Gästen, Freunden und Gastgebern war durch dies« Fahrt bereits hergestellt: seinen Höhepunkt erreichte er nachher in dem gemütlichen Beisammensein, wobei aller Herzen ganz von selbst auf- gingen. Bürgermeister Genosse Ostrowski gab bei dieser Ge- legenheit dem Gefühl der fröhlichen Verbundenheit beredten Aus- druck. Er knüpfte an die Zeit vor etwa 25 Jahren an, als er als junger Student und erster Austauschlehrer in französischen Schulen mit französischer Jugend lebte. Damals mußte man sich das Ver- trauen erkämpfen. Heute schicken Franzosen ohne Mißtrauen und
81 j Copyright 1929 by Gustav Kiepenheuer Verlag A-Q„ Berlin „Dafür wasche ich Ihre Wäsche sehr fein, oh bluten- weiß," verspricht sie dankbar. Er yersichert, sie morgen zu bringen, und beschleunigt den Abschied, denn der Gedanke an„morgen" und das Fer- nere verjagt alle Freude. Es ist leichter, in ein Parterrefenster hinein- als aus ihm herauszusteigen. Wie sie es endlich vollendet haben—- er hat voranklettern müssen, mit dem Rücken gegen die Straße— und sich umdrehen, steht da im Finstern eine glimmende Zigarre. „Funk—" sagt der Kommandeur halblaut.„Schau mal an!" „Herr Oberstleutnant!" ruft Funk aus, in dienstlicher Haltung. �„ „Ssss." macht Pummer. als sei e r der Ertappte. Die Kleine wittert den höheren Offizier und will sich eilig davonmachen.,, ..Hall!" kommandiert Pummer verstopft,„�altlä! tyn TITPI" Kann er's nicht besser? Was will er eigentlich? Wenn er mich verdonnert, so genügt es doch. Wozu braucht er das Mädchen? Oder will er sich über uns lustig machen? zweifelt Funr Er und die Kleine suchen Zuflucht beieinander. Geteiltes Pech-ckst halbes Pech. „Seid S' vor allem gedämpft, sonst sind wir zu dritt blamiert." äußert der Kommandeur unverständlich und in einer erregten Freundlichkeit. Er kommt näher heran, er riecht nach seinem geliebten Rotwein. — Als gehöre er zu uns. als wolle er sich zum Spießgesellen machen, empfindet Funk. „Ich Hab' auch nicht schlafen können," beginnt der andere. „Weiß der Henker, was einem bevorsteht. Sie haben ja recht gehabt, Funk. Morgen geht's nämlich schon weiter. Wie— was? Am Ende wird einmal jeder von uns noch dran
glauben müssen in diesem endlosen Tanz. Am Ende diesmal — dort unten an der Somme — was?" „Herr Oberstleutnant , ich bitte gehorsam um Verzeihung. Ich bin seit über einem Jahr im Feld, ich habe auf Urlaub verzichtet, ich—" „Geschenkt! Es ist ja«ine Unverschämtheit, was Sie da gemacht haben, und«ins noch größer«, sich von mir er- wischen zu lassen, aber nett ist der Käfer, soweit ich sehe, man kann Ihren Schritt verstehen.— Komm her, du, laß dich anschauen." AngÄique versteht offenbar so viel Deutsch, daß sie weiß, was gemeint ist- Sogleich tritt sie zu dem Offizier. Er hebt ihr das Kinn hoch.„Süßer Racker," sagt er. Man sieht im Schein der heftig aufglühenden Zigarre seine breitlächelnden schönen Zähne. Pause. Pummer hält immer noch die Hand an der Wange des Mädchens- Was nun? Wie soll es weitergehen? Ist man festgefahren? Die Kleine möchte ein Ende machen. Sie dreht mit sanfter Wendung ihr Gesicht aus der Männerhand und will sachte davon, als lasse sie Schlafende zurück— aber der Kommandeur hält sie am Arm. „Funk, Sie können nur straffrei bleiben," sagt er ge- walffam und in einer unmöglichen Mischung von Streng« und Ulk,„wenn Sie nichts vor mir voraushaben. Verstehen Sie mich? An die Somme wollen Sie gehen, gestreichelt und getröstet von einem solchen Prachtvögelchen, während ich— nein, das gibt's nicht." Funk ist erstarrt. „Sie halten mich für verrückt, wie? Vielleicht sind wir alle nicht mehr normal," sagt der andere leise und heftig, fast wie aus einem Fieberschlaf heraus. Da kann Funk ohne weiteres zustimmen, das kann er einsehen. „Haben Sie sie bezahlt?" erkundigt Pummer sich vor- sichtig. „Ich glaube, sie läßt sich nicht bezahlen. Aber ich habe ihr etwas geschenkt— auf ihre Bitte hin." „Dann ist alles in Ordnung. Helfen Sie dem Weiberl hinein in Ihr Zimmer. Sie werden hier— warten auf mich— auf uns. Allans!" flüstert er heiser gegen das Mädchen. Funk kommt nicht dazu, sich über das alles zu wundsrn- Er muß Angälique dort hinaufheben, von wo er sie eben heruntergeholt hat.
Dann turnt der Fünfundfünfzigjährige behend seiner Sehnsucht nach. Funk geht lauter, als es angebracht ist, unter dem Fenster hin und her. Er will nicht hören, was drinnen sich abspielt. Ich bin noch nie auf Wache gezogen, denkt er, dies ist die erst«, seit ich beim Militär bin... Nachher ist es so, daß nur Angälique aus dem Fenster schwebt, von Männerarmen hinausgehoben, von Männer- armen unten aufgefangen. „Revoir," haucht sie ein wenig bedrückt ihrem Funk zu, ehe sie flüchtet.„A dernain!" .Kommen Sie herein, Funk," verlangt, der Komman- deur mit gewohnter, lauter Stimme. Er steht am Fenster, er hakt den Kragen der Litewka zu. Er ist sehr aufgekratzt, er dreht das elektrische Licht an, er hat das Bedürfnis, alles sehr hell und laut zu hoben. Kaum steht Funk wieder vor ihm, sagt er laut:„Was, wenn sie nun einen strammen Soldaten zur Welt bringt, weiß sie nicht einmal, von wem sie ihn verehrt bekommen hat." Er scheint für den Augenblick vergessen zu haben, wer ex ist und wer der andere. „Einen strammen Soldaten, der ein Franzose wäre, also einen Feind. Wir hoben einen Feind erzeugt." Pummer ist trotz dem eigenen scherzhaften Ton auf ein- mal peinlich berührt.„Nicht gesagt," rettet er sich.„Bielleicht bleibt Lille und alles drum herum deutsch " „Das wäre— ein besonderer Glücksfall in unserer An- gelegenheit," meint Funk mit undurchdringlicher Ironie. „Viel eher ist anzunehmen, daß wir leichtsinnig dem Gegner einen Vorteil verschafft haben. Das wärt Landesverrat." „Hören Sie auf! Geistreich zu faseln ist nur Ihr Zivil- beruf," lacht der Alte, beinahe zornig. „Ich meine es vollkommen ernst," sagt Funk still pnd feierlich. Der Oberstleutnant lenkt kurzerhand ab.„Sie haben vor- hin erzählt, Sie fahten nie in Urlaub. Warum nicht?" „Weil ich nicht wiederkäme, wenn ich einmal heraus wäre aus diesem— diesem—" er findet nicht das passende Wort. „Sie enthüllen sich heute von schönen Seiten." höhnt Pummer. Und plötzlich herrisch, plötzlich orientiert über dos für ihn Unmögliche der Situation:„Passen Sie auf, daß Sie's nicht zu weit treiben!" tFortsetzung folgt.)