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BERLIN  

Donnerstag 22. Auguft

1929

Der Abend

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Nr. 392

B 195 46. Jahrgang.

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Die Krise der Konferenz.

Kein Grund, die deutsche   Außenpolitik zu ändern!

In diesem Augenblid muß mit dem Zusammenbruch der Haager Konferenz gerechnet werden. Deutschland   ist nach dem Haag gegangen mit dem doppelten Ziel, den Dames- Plan ab 1. September durch den immerhin leichter zu tragenden Young- Plan zu ersetzen und die Räumung des noch besetzten Gebietes binnen fürzester Frist zu erwirken. Dieses Ziel ist noch nicht erreicht, die Trümmer der Haager Konferenz liegen auf dem Wege. Was folgt daraus? Daß man die Trümmer fortschaffen und in derselben Richtung wie bisher weitermarschieren muß.

Von einem Zusammenbruch der deutschen Außenpolitif" zu sprechen, wie es die Rechtspresse aus parteipolitischen Gründen tut, ist einfach lächerlich. Die Haager Kon­ferenz bleibt trog ihres Fiastos für Deutschland   immer noch insofern ein Erfolg, als fie gezeigt hat, daß die Minderung der Dames- Lasten im Sinne des Young- Plans und die Räu mung des besetzten Gebiets grundsäglich überhaupt gar nicht mehr bestritten werden.

Die Arbeitslosenversicherung.

Beratungen im Ausschuß- Deutschnationale Manöver.

Der Sozialpolitische Ausschuß des Reichstags setzte neues Gefeß wieder geändert werden müsse und daß diese Vorlage heute unter dem Vorsiz des Abg. Effer( 3.) die allgemeine Aus­Sprache über die Reform der Arbeitslosenversiche rung" fort.

feine vollständige Borlage sei, weil sie teine vollständige Sanierung der Reichsanstalt bringe. Die Saisonarbeiterfrage tönne nicht aus dm Gesetz herausgenommen werden, schon, weil das Baugewerbe noch start unter der Zwangswirtschaft leide.

Sanierung durch Zertrümmerung!

Deutschnationales Aushöhlungsmanöver.

Abg. Schneider- Berlin  ( Dem.) erkennt an, daß die Regierungs­weil sie die Sanierung der Reichsanstalt nicht bringe. Diese Sanie­Dorlage einige Verbesserungen bringe; unbefriedigend sei sie indes, rung brachten aber auch die Vorschläge der Deutschen Volkspartei  nicht. Für einen Abbau der Versicherung feien seine Freunde nicht zu haben, weil dieser gerade die lange Jahre ver ficherten älteren Arbeiter und Angestellten um die Früchte ihrer Die Deutschnationalen stehen an der Spige jener Schreier, die Beiträge bringen werde. Die Sanierung sei auch mit den vorge- die Vorschläge der Regierungsvorlage zur Reform der Arbeitss fchlagenen Verminderungen der Leistung nicht möglich, es sei denn, verficherung als völlig ungenügend zur Sanierung der Reichsanstalt Wenn nun der Dames- Plan noch über den 1. September daß man die Erhöhung der Beiträge dauernd beibehalten werde. bezeichnen. Dieses Geschrei enthüllen sie jetzt felbft als eine bei hinaus weiter funktionieren soll, weil sich die Gläubiger über Sanierung, wenn man nicht die Berufseigenart und das Berufs heiten des Reichstags haben sie jezt einen Gefeßentwurf eingebracht, Dagegen beständen aber große Bedenken. Man komme zu feiner ipiellose Heuchelei. Im Ausschuß für soziale Angelegen ihre Anteile an den deutschen   Zahlungen nicht einigen fonn Berufs- heiten rifito noch mit berücksichtige. nivedaja se der auf die völlige 3ertrümmerung der Reichsanstalt ten, fo bedeutet das für Deutschland eine Verlegenheit. Bir Abg. Riefener( 3.) fordert gegenüber der Kritik an den unlieb: hinausläuft. Thats haben aber in den letzten zehn Jahren noch ganz andere famen Erscheinungen die Anerkennung der guten Wirkun Situationen erlebt und ihre Schwierigkeiten gemeistert! gen des Gesamtkomplexes der Arbeitslosenpolitik, der Arbeitsnach Außenpolitik und Finanzpolitik werden vor feiner unlösbaren weistätigkeit, der Arbeitsbeschaffung und der Regelung des Arbeits­Aufgabe stehen, wenn sie in gemeinsamer Arbeit den Schwie- marktes, die etwa achtzehn Millionen deutsche Men rigkeiten einer Uebergangszeit zwischen Dames- Blanchen umfasse. Die lieblose Kritik daran errege den Argwohn der und Young- Plan begegnen wollen. Arbeiter, sei es nun, daß sie aus Verständnislosigkeit oder aus Mangel an praktischer Erkenntnis entspringe. Ein solches Werk für achtzehn Millionen Menschen müsse sich erst einleben. Die Bor­friegszeit habe sich an eine so große Aufgabe nicht herangemacht. ( Widerspruch.) Mindestens seien die Nachkriegsleistungen auf, sozial­politischem Gebiet denen der Vorkriegszeit nicht gleichzustellen. Boll­kommen sei das Werk noch nicht. Konstruktionsfehler könnten und müßten beseitigt werden. Auswüchse gebe es ja, aber auf beiden Seiten, beim Arbeitgeber wie beim Arbeitnelmer. ( 3urufe.) Bäre die Vorlage schon im Juli erledigt worden, dann würde die Anstalt jetzt besser dastehen. Die Frage der Saisonarbeiter werde zu einseitig behandelt. Wir sehen allerdings die Frage der Arbeitslosen mit dieser Vorlage noch nicht als erledigt an. Wir denten besonders an die Arbeitsbeschaffung, die beste Arbeitslosen­versicherung.

Auf der anderen Seite bedeutet das Streben der eng lischen Arbeiterregierung nach einer selbständigen, von Frank­ reich   unabhängigen Außenpolitik für Deutschland   nicht Ver­lust, sondern Gewinn. Denn die neue englische   Politik hilft die Grundlage schaffen, auf der allein eine wirkliche deutsch  französische Verständigung möglich ist: nämlich die Grundlage vollkommener Gleichberechtigung.

Gegenüber dieser Verbesserung der außenpolitischen Lage bleiben Terminfragen wann geräumt wird und wann der Young- Blan in Funktion gefeßt wird Fragen zweiten Ranges, zumal es sich ja nur um Verschiebungen für ganz kurze Frist handeln kann. Daß der Young- Blan, ein­mal in Kraft gefeßt, mit rückwirkender Kraft ab 1. September d. J. funktionieren muß, scheint uns notwendig und erreichbar.

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Die Lage, in der sich Deutschland   nach dem Scheitern der Haager Konferenz befinden wird, bietet also nicht den ge­ringsten Grund zur Nervosität. Je faltblütiger fie betrachtet wird, desto leichter wird es gelingen, das Beste aus ihr herauszuholen. Voraussetzung dafür ist allerdings, daß man sich durch das ohrenbetäubende Gebrüll, das sich von rechts her erheben wird, nicht irremachen läßt.

Schon ist die Verwirrungsparole ausgegeben: ,, Briand  stürzt Stresemann  ." Nein, nicht Briand   stürzt Strese. mann, aber es gibt in Deutschland   Leute, die hoffen, Stresemann jegt mürbe zu friegen, wobei sie feinen förperlichen Zustand nach den Anstrengungen und Auf­regungen der letzten Wochen mit in Rechnung ziehen. Wir glauben nicht, daß Stresemann ihnen den Gefallen tun wird, außerdem würde ihnen das kaum nützen. Denn ihr Versuch, Deutschland   von seiner bisherigen Außenpolitik weg auf die Bfade eines ungewissen Abenteuers zu Icden, würde an dem härtesten Widerstand der Sozialdemo­tratischen Partei scheitern.

V. Sch. Haag, 22. August.  ( Eigenbericht.) Schreden die Mächte doch noch in legter Stunde vor einem ergebnislosen Abbruch der Konferenz und vor der großen euro­ päischen   Krise zurüd, die dann unabwendbar wäre? Gestern abend war die Stimmung in allen Delegationen äußerst gebrüdt und verworren. Man hatte in der Sigung der sechs Mächte sogar wiederholt mit den Fäusten auf den Tisch geschlagen und

fich gegenseitig die Schuld an allen kommenden Katastrophen

zugeschoben.

( Fortegung auf der 2. Seite.)

Abg. Freidel( Wirtschaftsp.) bedauert, daß schon jetzt ein solches

Fürstlichkeiten.

FLORATY

Im Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversiches rung soll ein besonderer Abschnitt vorgesehen werden, der den Reichsarbeitsminister verpflichtet, den wirtschaftlichen Ber­einigungen von Angestellten auf ihren Antrag die Er richtung einer Ersagkasse für ihre arbeitslosenversicherungs­pflichtigen Mitglieder zu genehmigen. Es soll auch die Errichtung einer gemeinsamen Ersatzkasse für mehrere wirtschaftliche Vereini­gungen der Angestellten oder der Zusammenschluß von mehreren Einrichtungen zulässig sein.

Damit nun auch die Herausnahme dieser in den Angestelltenver bänden organisierten Angestellten aus der einheitlichen Bersicherung tatsächlich erfolgt, sollen die wirtschaftlichen Vereinigungen der An­gestellten sogar das Recht erhalten, durch ihre Sagungen den Mit­gliedern die Versicherung bei einer Ersatzkasse zur Pflicht zu machen.

Auf diesem Wege würden der Reichsanstalt vielleicht rund

anderthalb Millionen Beitragszahler entzogen, so daß sich die Einnahmen der Reichsanstalt um rund 100 Millionen senten würden. Aber nicht genug damit. Der Reichsanstalt wür­den zwar die Beiträge entzogen, die Auszahlung der Unter­stützung bliebe ihr jedoch in den ersten, 26 Wochen erhalten. Denn also bestimmt der deutschnationale Sanierungsantrag: Die Lei­stungspflicht der zugelassenen Ersagtasse beginnt nach dem Ein­tritt des Versicherten erstmalig spätestens nach Ablauf der gesetzlichen Anwartschaftszeit; bis dahin bleibt die Leistungspflicht des Arbeitsamts nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften bestehen."

Der deutschnationale Entwurf würde, wenn er Gesetz würde, aber nicht nur die Sanierung der Reichsanstalt verhindern, er ist seiner ganzen Tendenz nach auf eine 3ertrümmerung der Reichsanstalt gerichtet. Zu Ende gedacht, will er an Stelle der ein­heitlichen Versicherung, die den bestmöglichen Risikoausgleich ge­mährleistet, zahlreiche Versicherungsträger auf berufsständische Grundlage feßen und damit jeden ausreichenden Arbeits­losenschuß und jede soziale Arbeitsmarktpolitik durch eine einheitliche Arbeitsmarktorganisation verhindern.

In dieser Tendenz sind sich die Lambach- Hugenberg aus­nahmsweise einmal einig. Ulm   so dringender ist es, auf sie mit aller Deutlichkeit hinzuweisen.

Die produktive Fürsorge.

Die wertschaffende Arbeitslosenfürsorge war gestern Gegenstand einer Besprechung von Mitgliedern des Sozialpolitischen   und des Volkswirtschaftlichen   Ausschusses und Ver­tretern der interessierten Ressorts unter Leitung des Reichstags= abgeordneten Esser. Im wesentlichen handelte es sich dabei um die Frage, ob Mittel zur Fortführung und Beendigung von Arbeiten der wertschaffenden Arbeitslosenfürsorge bereitgestellt werden können. Die Notwendigkeit und Dringlichkeit von Maßnahmen, um dem Berfall wirtschaftlicher Werte vorzubeugen, wurde einmütig zu­

" Für den beleidigten Landgerichtspräsidenten muß der gegeben. Das Reichsarbeitsministerium wurde gebeten, baldmöglichst Prinz zur Lippe 300 Mart blechen."

eine Zusammenstellung solcher Arbeiten vorzulegen, deren Fort­führung wegen Mangel an Mitteln in Frage gestellt ist. Bestimmte Da fiel wohl strafmildernd ins Gewicht, daß er nichts Beschlüsse wurden schon in Rücksicht auf die mißliche Finanz­anders gelernt hat!"

lage des Reiches nicht gefaßt.