Beilage
Sonnabend, 24. August 1929
Der Abend
Spalausgabe des Vorwärts
Blick ins Land der Letten
Für einen rechten„ befahrenen Seemann" gilt unsere Ostsee gemeinhin nur als ein Binnengewässer, das gegen die endlosen Weiten des Ozeans faum ernsthaft mitzählt. Aber mancher von denen, die sich auf den wenn auch fleineren, so doch schnellen Schiffen auf sie hinausmagen, weiß von Nücken und Tücken zu berichten, die auf der Ostsee oder, wie sie auch genannt wird, auf dem ,, baltischen Meere" heimisch sein sollen. Mancher, der frisch
Altes Bauerngehöft
und froh in Stettin den Dampfer bestieg, fam an feinem Ziele bleich und abgezehrt an, dieweil Sturm und kurzer Wogengang Schiff und Menschen in Aufregung und Unruhe brachten. Für die kleine Reisegesellschaft, in deren Mitte ich vor kurzem auf Ein ladung des lettischen Journalisten- und Schriftsteller- Vereins eine Fahrt nach Riga und von dort durch den neuen baltischen Staat machen durfte, hatte die Ostsee jedoch ihr freundlichstes Gesicht herausgefehrt. Spiegelglatt lag die Wasserfläche und freundlichster Sonnenschein lockte förmlich zum Gedankenflug in die Weite...
Noch vor knapp 15 Jahren gehörten die heutigen Staaten, die als baltische Randstaaten" nach dem Kriege neu erstanden sind, als Provinzen zu dem russischen Zarenreich, das trotz aller offizieller Verbindungen immer ein geheimnisvoller Fremdförper in Europa blieb. Seit der bekannte Offiziersputsch den kleinen Diftator Woldemaras zum Gewaltherrscher in Litauen gemacht hat, ist dieser südlichste der Randstaaten wieder zu einem solchen Fremdförper im demokratisierten Europa geworden. Aber der nördlich von ihm gelegenene Freistaat Lettland , dem unser Besuch galt, nimmt sich trotz wirtschaftlicher Schwierigkeiten und nationaler Differenzen um so fultivierter aus. Das kleine Land zählt auf seinen rund 66 000 Quadratkilometern zwar noch nicht 2 Millionen Einwohner, aber man sieht auf allen Wegen die Anzeichen einer start entwickelten europäischen Kultur. Die politische Verfassung des Landes ist rein demokratisch- parlamentarisch und sehr verwandt mit der deutschen , wenn sie auch in ihrem gefchriebenen Tert sich nur auf die praktische Seite beschränkt, von den Grundrechten und ähnlichen theoretischen Dingen jedoch vollständig Abstand genommen hat. Die gefeßgebende Gewalt hat der Landtag( Sa e ima), der auf Grund des allgemeinen und gleichen Wahlrechts nach dem Verhältnissystem auf drei Jahre gewählt ist und hundert Abgeordnete umfaßt.
Der Nationalität nach sind mehr als 75 Prozent der Bevölke: rung Letten, die weder Slaven noch Germanen sind, sondern mit den Litauern eine besondere indogermanische Völkergruppe bilden. Die Deutschen zählen auf dem Staatsgebiete heute nur noch 3,39 Prozent der Bevölkerung. Russen, Polen und Juden teilen sich in den Rest der Minderheitsanteile. Es spricht für die demofratische Grundstimmung des neuen Landes, daß den Minderheiten, also auch und in erster Linie den Deutschen eine fast vollständige Kultur- und Schulautonomie zugestanden wurde. Ueberall, wo eine Mindestzahl von 30 Kindern einer Minderheitssprache nachgewiesen wird, muß für diese eine selbständige Grundschule eingerichtet werden, die ebenso wie die lettische vom Staate unterhalten wird. Soweit höhere Schulen in Frage kommen, die ganz auf die Minderheitsbevölkerung zugeschnitten sind, müssen sie allerdings von den Minderheiten selbst unterhalten werden. Im Kultusministerium der Republif fikt je ein von den Minderheiten bestimmter aber vom Staate befoldeter Beamter mit dem Range eines Ministerialdirektors, der als Chef des Bildungswesens die Schulangelegenheiten des Minderheitenvolkes unabhängig von den anderen Volksgruppen regelt und überwacht, wobei selbstverständlich ist, daß auch in den Minderheitsschulen das Lettische neben der Grundsprache des Minderheitenvoltes gelehrt wird. So hat
Neues Gehöft( nach der Aufteilung entstanden) das deutsche Schulwesen in Lettland sich auch nach den aufgeregten Zeiten des Krieges und der ersten Nachkriegsjahre auf bemertenswerter Höhe halten können.
Wirtschaftlich herrscht in dem Lande die Bauernschaft vor. Seit der großen Agrarreform, die nach dem Kriege die Enteignung der großen Liegenschaften brachte, ist eine Neuaufteilung des Landes erfolgt. Es sind fast durchweg fleine Bauernstellen neugeschaffen worden, auf denen hauptsächlich Biehzucht nach dänischem Muster betrieben with Aus diesem Gebiete hat man es in Lett
|
Eine Fahrt ins Baltikum
land bereits zu einem hohen Grade der Entwicklung gebracht. Die sehr erhebliche Milchproduktion wird dauernd nach dem Fettgehalt kontrolliert, die Milch in den zahlreichen Genossenschaftsmolkereien verarbeitet und die dort gewonnenen Produkte, hauptsächlich die Butter, werden unter staatlicher Kontrolle zur Ausfuhr gebracht. In einem großen staatlichen Kühlhause in Riga wird die von den Molkereien angelieferte Butter in Einheitsfässern auf ihre Güte kontrolliert, bevor sie dem Exporteur übergeben wird. 85 Prozent der lettischen Butter wird nach Deutsch = land ausgeführt, während deutsche Industrieprodukte, besonders Maschinen aller Art dort drüben sehr beliebt sind. Es ist begreiflich, daß die lettischen Politiker mit lebhafter Sorge auf die Bestrebungen blicken, die in Deutschland die Erziehungszölle" zu= gunsten der deutschen Landwirtschaft wesentlich erhöhen wollen und damit den deutsch - lettischen Warenaustausch gefährden.
Neben der Landwirtschaft beginnt sich auch die lettische Industrie wieder zu regen. Schon die Hauptstadt Riga , die vor dem Kriege ein bedeutender Industrieort war, dann aber wahrend des Krieges von den abziehenden Russen seiner großen industriellen Anlagen vollständig beraubt wurde, zeigt manche Ansätze zum industriellen Aufbau. Aber noch ragen rings um den ausgedehnten Hafen die Ruinen früherer Herrlichkeit. Fabrikgebäude von riesigen Ausmaßen sind ihrer Dächer und ihres Inhaltes beraubt. Damit die vorhandenen Maschinen nicht den nachrückenden Deutschen in die Hände fielen, wurden sie von den Russen ,, evafuiert", bas heißt auf Bahnwagen geladen und nach Peters burg weiter transportiert. Biele dieser Maschinen sollen unterwegs an der Bahnstrecke abgesetzt und dem Berrosten überlassen worden sein. Die Stätten aber, an denen früher Tausende von Arbeitern beschäftigt waren, stehen heute wüst und leer und nur die Um faffungsmauern der hohen Fabrikgebäude zeugen von verschwundener Pracht.
Noch schlimmer fast sieht es in Libau aus, der einst so blühenden Stadt mit dem großen Kriegshafen. Sie ist heute fast verödet. Von einer Einwohnerzahl von rund 125 000 ist sie auf faum 60 000 zurückgegangen. Der Ausgang des Weitkrieges und die neuen Grenzziehungen haben ihr wie so mancher anderen Stadt die Lebensader durchschnitten und sie ihres Hinterlandes beraubt.
Aber so schwer auch die Kriegsfolgen auf dem Lande lasten, so regt sich doch überall neues Leben und neue Ansäge zu wirtschaftlichem Gesunden machen sich geltend. Es ist unverkennbar, daß das lettische Volt, das unter dem Zarenreich sich nur mühsam seine Stellung erfämpfen fonnte, starte Energie entwickelt und mit Selbstvertrauen in die Zukunft schreitet.
-
der uns führte und in liebenswürdigster Weise
In Odensee wurde am Freitag, dem 26. Juli, früh, die| Direttor Filiale eines Cierberfandbetriebes besucht. Sie erhält nähere Aufklärung gabhat frei vom Bauer, von Kaufleuten und von 33 Gammelstellen reine Eier geliefert. Der jährliche Umsatz des Gesamtunternehmens. beträgt
18 Millionen Kilogramm. Zehn Millionen Stück werden eingekalkt und zumeist nach England exportiert. Die Standardisierung ist vorbildlich. Tausend Menschen werden während der Saison beschäftigt.
Freitagabend trug uns die Eisenbahn durch den welligeren Nordwesten Fünens nach Middelfart . Man sieht schlechtere Bodenklassen, gut bestellt, aber doch geringerer Fruchtstand. Die Fähre führte uns über den kleinen Belt nach der früheren Festung Fredericia und die Eisenbahn von da nach der Stadt Aarhus . Hügel, Sand, Fjorde mit Fischerdörfern und mäßig ertragreichen Aeckern zeigten einigen unserer Dänemarkschwärmer, daß in Gegenden mit geringer Bodenklasse auch in Dänemark erst nur Biegen weiden, können und Buchweizen angepflanzt werden muß. Gelegentlich Laubwald auf Mergelboden, öfter aber auch Fichte oder gar Kiefer auf den Hügeln längs der Fjorde. Ein Zeichen der Dürftigkeit der Wiesen erscheint: die Kühe sind nicht mehr getütert( festgebunden), sondern weiden frei auf den Koppeln.
Aarhus besitzt wie Kopenhagen , Helsingör und 22 andere Städte Dänemarks eine sozialistische Mehrheit im Stadt: parlament. Die SPD. hat hier 13 von 21 Abgeordneten, auf 76 000 Einwohner tommen 6000 Parteimitglieder, und die Arbeiterjugend zählt 600 Mitgileder.
In Aarhus ist es wieder eine Bauerngenossenschaft, die
eine der größten Futtermittelfabriken Europas betreibt. In der Futtermittelfabrik werden aus Sonnenblumen, Balmfern, Kokosnußkuchen und Getreideschrot Futtermittel in gegebenen Mischungen hergestellt. Die Gesellschaft heißt Jüt ländische Genossenschaft für Futtermittel". Sie bezieht Getreide und Futtermittelstoffe aus aller Welt. Auch deutsche Delfabriken sind stark beteiligt. Die Landwirte werden durch Eintritt in lokale Organisationen gleichzeitig Genossen der Futermittelfabrik. Der einzelne Landmann bestellt bei der lokalen Organisation. Es wird nur mit Mitgliedern von ganz Jütland verhandelt. Staatszuschüsse gibt es nicht( der Staat gibt überhaupt feine Zuschüsse an private Organisationen). Die Mitglieder brauchen feinen Pfennig einzuzahlen, liefern aber einen Garantieschein für jede Kuh in ihrem Befiz ab. Die Gewinn beteiligung besteht in der Form, daß auf je 100 Kilogramm Futtermittel am Schluß des Jahres eine Vergütung gezahlt wird. Der Rest wird zum Reservefonds geschrieben. Der Genossenschaft gehören 46 000 Mitglieder in 853 Lokalvereinen( mit 311 000 Rühen im Besiz der Landwirte) an.
Die Futtermittelgenossenschaft zählt außer der Aarhuser 3entrale noch a cht Fabritationsstätten und 18 Filialen. Das Haupttontor ist in Kopenhagen . Die Aarhuser Zentrale, die von uns eingehend besichtigt wurde, zählt 18 000 Tonnen Faffungs raum für Futtermittel, 11 000 Rubikmeter für Getreide, 12 000 Quadratmeter Lagerraum für Futtermittel. Es werden Sommer und Winterfuttermittel in verschiedenen Mischungen hergestellt entsprechend der Grünfütterung, dem Weidegang und der Stallfütterung der Tiere. Viele Bauern und Husmänner taufen nur die Grund stoffe bzw. Ruchen und stellen sich die Futtermittelmischungen selbst her. Der Freiheit und Selbst bestimmung wird also hier in Dänemark weitgehend Nechnung getragen, der Landwirt tut hier aus eigener Initiative das ohne Gejeß, was in Preußen erst durch gefeßliche Maßnahmen erzwungen werden muß. Der erste
von der Pife auf gedient
und nach dem Besuch der Bolksschule als vierzehnjähriger Lehrling
angefangen..
Die Zahl der Arbeiter ist verschieden, sie werden im Tagelohn und Afford beschäftigt und nach Tarif bezahlt. Hier muß ich fritisch einschalten, daß mir auf Grund von mehr als einem Dutzend Privatgesprächen mit deutschsprechenden dänischen Arbeitern aller Betriebe ihre soziale Lage troh höherer iariflicher wie außertariflicher Löhne nicht besser erscheint als die der vollbeschäftigten deutschen Arbeiter ähnlicher Betriebe. Die Lebenshaltung in Dänemark ist sehr teuer, in der Mehrzahl der Arbeiter, aber auch in vielen Landwirtschaftsbetrieben wird zum Beispiel nicht Butter, sondern fast ausschließlich Margarine im Haushalt verwendet.
Aus Sparsamkeitsgründen benutzten wir am Nachmittag die Eisenbahn, um quer über Jütland nach Esbjerg an der Nordsee zu kommen. Die Mitte von Jütland wie überhaupt weite Gebiete der Halbinsel zeigen Sand, Heide, Torf und dürftig kultivierte Felder. Ich halte die durchfahrenen Dedlandstrecken für noch schwerer zu kultivieren, als die meisten Moor- und Dedlandgebiete in Deutschland . Unterbrochen wird das Bild der Heide aber manchmal von Seenmulden, die an die masurische Landschaft in
Ostpreußen erinnern, nur die Wälder um den Seen sind unscheinOstpreußen erinnern, nur die Wälder um den Seen sind unschein= barer, sie zeigen niedrigen Nadelholzbestand, der oft von Mischholz
unterbrochen wird.
Doch es muß anerkannt werden, daß die dänische Regierung der Kultivierung dieser Gebiete mit großer Energie zu Leibe geht: Neue Bahnstrecken in die jütländische Heide hinein und überall zwischen den weitauseinanderliegenden alten Höfen zahlreiche neue Siedlungshöfe in schmucken Rohbauten.
Der nächste Tag brachte uns noch die Besichtigung der großen Exportanlagen dieser im amerikanischen Tempo aufstrebenden Hafenstadt, die erst 50 bis 60 Jahre alt ist. Sie zählt jetzt 25 000 Einwohner, meist Arbeiter. Die Sozialdemokratische Partei hat mit etwa 7500 Stimmen immer die absolute Mehrheit. Die 2000 Hafenarbeiter sind zu 100 Proz. freigewerkschaftlich organisiert, wie ja die Gewerkschaften in ganz Dänemark 95 bis 99 Pro3. der Arbeiter umfassen, wovon in der Sozialdemokratischen Partei in Land und Stadt 20 bis 50 Proz. organisiert sind. Sämtliche Industrien hier in Esbjerg stehen in Berbindung mit dem Hafen. Wir besichtigten aber ausführlich wieder eine moderne Delfabrit,
in der am laufenden Band die Sojabohne verarbeitet wird. Der Verarbeitungsprozeß von der Bearbeitung der Bohnen bis zu der Verpackung der Endprodukte( Schrot und Maschinenöl) dauert genau eine halbe Stunde. Das Del wird mit 70 Dere pro Kilogramm verkauft, der Schrot mit 18 Dere pro Kilogramm bzw. 18 Kronen ( In Deutschland kostet der Doppelzentner pro Doppelzentner. 24 bis 26 Mart.)
und
in den besten Gegenden Fruchtstand, Körnerertrag usw. deutscher Zusammenfassend fann man sagen: In Dänemark werden auch landwirtschaftlicher Musterbetriebe nicht erreicht, Getreide Hackfruchtbau in Fünen und Seeland stehen aber auf gleichmäßig hoher Kultur. In der Umstellung auf Biehproduktion und entsprechende Verwertung der Erzeugung ist der genossenschaftlich geschulte und organisterte dänische Bauer der dem Großgrund befizer nicht nachläuft dem deutschen Bauern überlegen. Genossenschaftliche Betätigung und durchgehend gute Schulung des Dänen sind die Hauptursachen der Erfolge der dänischen Landwirtschaft. Gortsetzung auf der 2 Seite)
-