(Beilage Montag, 26. August 1929
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Aufzeichnungen von einer Reise
Kommt man mit dem Txpreßzug Par!s— San Sebastian— Madrid und mächt« dieses Mal westlich nach Portugal abbiegen, so ist man genötigt, in Medina del Campo den Zug zu ver- lassen. Di« kastilische Hocheben« begleitet uns von Burgos her, sandfarbig, öde, sonnendurchgluht, den Charakter eines Tafelgebirges wahrend: man denkt unwillkürlich dabei an Kapstadts bergige Um- gebung. Schließlich nähern wir uns der portugiesischen Grenz«, die Landschaft wird wieder flach, um bald darauf bei Barca d'Aloa in eine rauhe, stark zerklüftet« Berglandschast überzugehen. Wir nehmen jetzt die Richtung Oporto und folgen mit der Bahn dem Flußlauf des Douro , den zweitgrößten Fluß
Weinbarke auf dem Douro . Portugals , dem Meere zu. Alle Welt weiß, daß hier an den Ufern des Douro die Weinquelle Portugals liegt: das<k) vinho". Tunnel um Tunnel mußten gebaut werden, um diese Gegend dem Perkehr dienstbar zu machen. Kaum sind wir in Dunkelheit ge- hüllt, so erwartet uns schon wieder«ine prachtvolle Gebirgsland- schaft, steil oder terrassenartig abfallende Ufer, mit Olivenbamnen und Weingärten bestellt und tief unten den im Sommer schmalen/ aber wild fliehenden Douro . Wir kommen gerade zurecht, es ist kurz vor der Weinernte. Di« ärmlichen Bewohner erwarten ihre Haupteinnahm« und be- reiten sich vor. Eigenartige, primitive Barken sehen wir am Ufer liegen, einer italienischen Gondel nicht unähnlich, vorn und binten kräftig geschweift, die später die Last der Weinfässer den Douro abwärts zum Meer« befördern, nach Oporto , feinem Haupt- Versandhafen. An den Stationen, die wir berühren, sehen wir in der Näh« die Anlage der Gärten, und sei es nur ein Saubengang am Bahnwärterhaus, schwere dunkelblaue, rote-und grüne Trauben warten ihrer Reife. An einem reizvollen kleinen Weinort, P o c i n h o, steigen wir aus und besteigen die Kleinbahn, die uns nach Moncorvo. in das„Tnz os montes"(d. h. hinter den Bergen), den nordöstlichen, von Fremden wenig besuchten Teil Portugals , bringen soll. Aechzend steigt unser Bähnle in weit ausholenden Serpentinen aufwärts, rings di« Berge unter sich lassend. D«r Douro verschwindet, die Mündung seines Nebenflusses, des Sa bor , ist in der Ferne zu sehen, weiter und weiter steigt die Bahn. Bon der Wagcnplattform
Kastanienrösterin. aus sieht man schon in der Ferne die schlicht« Kathedrale, die das äooo Einwohner zählende Weinörtchen krönt. Ein lustiges Getriller und nochmaliges Aufstöhnen— w>r halten. Einige Weinreisende steigen mit mir aus und gar bald brachte mich«ine rüstige Portugiesin, meinen Koffer wie ein Tablett auf ihrem Kopf tragend, in ein sauberes, kleines„Holel", dem einzigen Gasthof des Ortes.' Es dauerte«ine Weil«, vis ich meiner Wirtin verständlich machte, daß ich hier einig« Tage schlafen und efsen wollte und daneben etwas malen. Nun war ich also„hinter den Bergen' — manchmal würde ich lieber sagen:„hinter dem Mond«'. Die Portugiesin, an und für sich noch stark an das Haus gebunden(allein reisen wäre verpönt!), hält eine alleinreisend« Ausländerin für ein« umstürzlerische Natur. Nun gar in dieser Gegend, fern vom Fremdenverkehr! Bon Tag zu Tag eröffneten sich mir neu« Schönheiten. Es ist das Eigenartig« hi«r: lebt man in Portugal , so umgibt einen überall der Geist der Bergangenheit. Durch die geographisch« Lag««twas abgejchlosjen, Kaden di« hier wohnenden Menschen viel-
fach durch Jahrhunderte hindurch ihre eigene Kultur erhalten, ihr« Selbstverwaltung gewahrt, kleine Republiken gebildet. Es ist ein gesundes, gutmütiges Volkselement, das viel« schöne Mädchen aufzuweisen hat. Die Vegetation ist wie die am Douro , Oliven- Hain«, hin und wieder Eukalyptusbäume, dazwischen Pinienwälder, Eichengruppen, zuweilen bereits Korkeichen, die erst im Süden des
Wasserträger. Landes häufiger werden. Die umliegenden Abhänge tragen aus- gedehnte Weinanpflanzungen. Schwer ist es oft, die mit starkem Geröll bedeckten Hänge zu beackern, und eigenartig nimmt es sich aus, wenn«in kleiner, braunhäutiger, zerlumpter Junge hinter dem primitiven Pflug«inhergeht, der seinem Bau nach aus dem Alter- tum stammeb könnte. Leider wissen die Bewohner dieser Gegend den Erzgehalt ihrer Berge nicht auszunutzen. Stark eisen- haltiges Gestein, das in der Sonne wie Diamanten glitzert, bedeckt den R e b o r e d o und den Cabeco da Mua und könnte dem Lande großen Reichtum bringen, wenn di« Frachtkosten das Erz nicht so stark verteuern würden. Das SÜraßenleben dieses Oertchcns zeigt ein recht bewegtes, buntes Bild. Di« Waren, wie fast immer im Süden, liegen zur Ansicht vor dem. Laden. Da flattern Stoffe, da liegt Brot und Gebäck, dort wieder Obst, Melonen oerkä.uferinnen, die ihren Platz am Markt Tag und Nacht nicht verlassen und neben ihren Melonen schlafen. An der anderen Ecke wieder Kastanien- rösterinnen. Liebliche Bilder zeigen sich einem am Brunnen: mit welcher Anmut sah man da oft die Frauen und Mädchen ihre Krüge auf dem Kopf tragen. Von weit und breit kamen die Bäuer- lein mit ihren Eseln, Maultieren. Ochsen und Schweinen. Malerische Typen sah man da wohl unter den Hirten, die mit Hunderten
Melonenverkäuferin vor dem Gefängnis in Moncorvo. ihrer Zöglinge fern von den Bergen in di« Stadt gekommen waren. Hin und wieder begegneten un» auch wohl schwarzhaarig«, dunkel- äugig« Frauen, mit grellfarbigen Tüchern bekleidet. Sie sahen stolz, wie eine Madonna mit einem Kindlein an der Brust, auf einem Maulesel: ein älterer Junge führte diesen. So ritten sie tagelang, mit Proviant eingedeckt, zum bevorstehenden Markttage nach Moncorvo. Originell ist auch das Gefängnis des Ortes. Es liegt un- mittelbar am Markt, an der übersichtlichsten Stelle. Große, weit gesperrte Stäbe in offenem quadratischen Fenster, trennen den Ver- breche? von dem Leben und Treiben draußen Frauen und Mädchen sieht man häufig Speise und Trank durch die Stäb« reichen und manch«in Handel wird zwischen ihnen abgeschlossen.„Reparaturen werden angenommen.' Der Schweroerbrecher wohnt im ersten Stock und übersieht von einem bequemen Stuhl aus das Leben der Stadt, in keiner Weise vom öffentlichen Leben abgeschlosien. Ein langanhaltendes kreischendes Geräusch läßt uns das Heran- nahen eines Ochsenkarren vermuten. Er ist das besondere Merkmal des portugiesischen Straßenbildes. Sein Bau ist ganz primitiver Art. mit Vollrädern, di« beim Fahren einen sehr schrillen Ton von sich geben. Er ist heute kaum anders als vor 2000 Jahren und beherrscht den gesamten Lastverkehr. In der Perjonenbesör- derung macht ihm der„Ford'-Omnibus bereits erheblich« Kon- kurrenz. Ein gemeinsames Joch vereinigt das stark behörnte Ochsen- paar, es ist meist reich geschnitzt und bunt bemalt---«in Stück
Volkskunst.'Oft sieht man sie mit schweren Weinfässern oder Steinen (Material von den neuen Steinbrüchen) durch die Straßen fahren. So vergingen die Tage unter tausenderlei Eindrücken. Nach heißen Tagen folgten Abende der Entspannung. Aus ihren primitiven Gesteinshütten kamen die Bewohner heraus. Ein Stückchen Weißbrot oder der ewige Stockfisch, der di« Hauptnahrung der niedrigen Bevölkerung ist. gab die Abend- mahlzeit. Teils di« Hitze, teils das Ungeziefer, zwingt die Leute, oft vor, statt in ihren Hütten zu schlafen. Nun kommt auch die Musik zu ihrem Recht, ohne die ein Portugiese nicht zu denken ist. Nicht allein, daß die Mädchen den ganzer» Tag bei der Arbeit vor
Brunnen in Moncorvo. sich hinsummen, in sich oft wiederholenden, langgezogenen Tönen — abends kommen die Lieder der Burschen dazu. Die Sonne wirft nochmal ihre letzten, sengenden Strahlen auf das Dach der Käthe- drale(eine Erinnerung an Portugals große Zeit), scharf zeichnet sich dort oben jene Zypresse an Bergrücken ab, von dem flammenden Rot, das jetzt den Himmel erglühen läßt. Leise hüllt die Dämmerung das Tal ein und irgendwo hören wir einen Mandolinenspieler feiner Scnpra ein Ständchen bringen. Text und Kreidezeichnungen von L. Amft
An fremden Tischen Unappetitliche Geschichten von H. Hemmer i. Triefend naß nach einem Marsch im platzeirden Tropenregen landeten wir mit schützenden Palmblättern auf unseren Tropen- Helmen vor der Menschenfresserhäuptlingshütte(im Innern einer Fidschiinfel). Wir werden herzlichst hereingebeten. Und nehmen Platz an der langen Familientafel, das heißt Matt« auf dem Fuß- boden. Einige kotbeschmutzte schwarz« Schweine, kleine Hühner und räudige Köter laufen über diesen gedeckten Tisch. K a k o t a t a b u richtet uns den Ehrentrunk. Er nimmt eine halbe Kokosnußschale, zerkaut eine merkwürdige Wurzel und spuckt sie m die Schale hin» ein. Dann reicht er sie dem Zweitwürdigsten, der nimmt den Brei heraus, kaut ihn wiederum und spuckt ihn zurück. So wandert di« Schal« um den ganzen Tisch herum, bis sie mit feinst zermahlener Wurzel wieder vor dem Häuptling landet. Zur Ergänzung der nun etwa noch fehlenden Flüssigkeit mischt Kaiotatabu noch ein wenig gegorenen Pslanzensaft hinzu, und nun müssen wir trinken. Da hilft kein Schreien. Man weiß, was«in« Verletzung des Gebrauchs in dieser Gegend zu bedeuten hat. Die strafenden englischen Kanonenrohre waren weit, was hätten sie mir nützen sollen, wenn ich bereits aufgefressen wäre. Wir tranken bis zur Neige. Es schmeckte wie laues, schleimiges Seisenwasser. Katotatabu strahlte Liebenswürdigkeit aus, nahm die geleert« Kokosnußschale aus meinen Händen, putzte mit seinen dunkelbraunen Fingern den öligen Rest heraus und wischte damit, Behagen grunzend, seine Magengegend. Ich össnete nunmehr unser ihm zu- gedachtes Geschenk, eine Fiafche deutschen Exportbiers, die er zu- mindest ebenso steptisth betrachtet« wie wir den uns gereichten Ehrentrunk. Die ganze Tafelrunde kostete mit zugekniffenen Augen. Als letzter ich. Wieder ein Dil.emma. Werde ich nicht gegen Katotatabus Hofzeremoniell verstoßen? Ich wisch also die letzten Tropfen' Bier aus meiner Schale und reib« damit, Behagen grunzend, meine Magengegend. Es geht doch nichts über eine gute Kinderstube. Ich habe immer gefunden: den feinfühligsten gesellschaftlichen Takt braucht man im Verkehr mit Kannibalen . ll. Dreißig Gänge ließ der reick)« Herr a h F u h servieren, mit tausend Entschuldigungen, daß er nicht mehr offerieren könne als l�eses kleine Gabelfrühstück. Entenzungen. Fischmägen und Laubsrösche waren da, Würste und Haschees von seltenen exotischen Tieren, ein Makkaroni: nein. Regenwürmerauslauf. Lotoswurzeln und Chrysantheinenspinat. schwarz« Eier, die jahrelang unter der Erde oergraben waren, und weiß Gott was noch alles. Nachdem wir vier Stunden lang gegesien hatten und die finale famos« Vogelnestsuppe aufgetragen werden sollte, begann ich schrecklich zu husten und zu schnaufen. Ein« Hai- fischgräte war mir im Halse stecken geblieben, und ich dachte, es sei aus und geschehen mit mir. Plötzlich sprang di« Gräte mit einem schrecklichen glucksenden Geräusch wieder heraus. Ich wollt« mich eben entschuldigen, da machte der Wirt dasselbe Geräusch des Auf- stoßens, sich höflich gegen mich verneigend. Da verstand ich Ich hatte unversehens: Mahlzeit! gesagt. Und mein Gastgeber rülpste »ir laut und vernehmlich: Mahlzeit! zurück.