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Morgenausgabe

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A 203

46.Jahrgang

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Vorwärts

Berliner Boltsblatt

Donnerstag 29. August 1929

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Kampf im Haag dauert an. Maffenfampf um Arbeiterſchuts

Um Dawes Ueberschuß und Besatzungskosten.

V. Sch. Haag, 28. Auguft.( Eigenbericht.)

Am Mittwoch nachmittag wurde von 3 bis 7% Uhr mit außer­ordentlicher Zähigkeit vor allem um die Anrechnung der Bea

fagungskosten gerungen. Es muß leider festgestellt werden, daz die Engländer in diesem Punkte, obwohl sie daran nur wenig interessiert sind, bisher gegen Deutschland gestanden haben. Snowden setzte sich dabei mit seiner eigenen Rede in der Finanz­fommission in Widerspruch. Damals hatte er den Anspruch Deutsch­ lands anerkannt, die Besagungskosten auf die 300 millionen anzu rechnen. Indeffen geben die deutschen Bertreter nicht nach. Der Wortlaut des Sachverständigenberichtes bezüglich der Verwen­dung der 300 Millionen Ueberschuß der Dames- über die Young­Raten ist leider so untlar, daß Deutschlands Verzicht auf diese Summe schließlich unvermeidbar sein dürfte. Aber er ist immerhin flar genug, um feinen Zweifel daran zu lassen, daß die

London einen Empfang finden wird, wie er feinem britischen Staatsmann seit Menschengedenken zuteil geworden ist.

So sehr man in England die materiellen Borteile der Einigung

begrüßt, so ist der allgemeine Jubel doch auch darauf zurückzuführen, daß man in dem britischen Sieg im Haag einen symbolischen Bargang erblickt. Die tonservative Evening Standard" drückt das so aus, Snowden habe Großbritannien den ihm gebührenden Blah im Rate der Nationen zurückerobert. Der Daily Herald" betont, daß Snowden vermutlich durch die Lorbeeren nicht übermäßig er­schüttert sein dürfte, die ihm heute von einer Presse gereicht würden, die in der Bergangenheit tein freundliches Bort über ihn zu sagen vermochte. Snowden habe seinem Gerechtigkeits­gefühl nach gehandelt und er werde genau so handeln, wenn es darauf anfomme, Geld für die großen Pläne flüssig zu machen, die von der gegenwärtigen und von zufünftigen Arbeiterregierungen durchgeführt werden würden. Wie immer sich Snowdens Haltung regierung infolge seiner und Hendersons Erfolge im Haag im all­gemeinen Bewußtsein auf eine Weise gefestigt ist, wie es selbst in den ersten Wochen nach dem Wahlsieg der Arbeiterpartei undent­bar geschienen hätte.

Besatzungskosten ab 1. September darin enthalten sein müssen. außenpolitisch auswirken möge, eins sei sicher, daß die Arbeiter

Deshalb ist die

deutsche Delegation entschloffen, um diesen Betrag bis zuletzt zu tämpfen. Seine Höhe läßt sich nur abschäßen, denn sie hängt von dem Tempo der Räumung ab. Die bisherigen Schäzungen der einzelnen Dele­gationen weichen etwas voneinander ab; es dürfte fich ungefähr um 50 Millionen handeln.

Da bis 1hr eine Einigung nicht erzielt mar, mußte die Be­tahing abgebrochen werden, weil die englische Delegation ein Diner zu Ehren der übrigen Delegierten gab. Die Gastgeber und die Gäste treten um 11 Uhr im Konferenzgebäude wieder zusammen. Die

Deutschen haben zu verstehen gegeben, daß sie nicht gewillt sind, unter dem Druck der Zeit auf den Teil ihrer Ansprüche zu verzichten, dessen Berechtigung außer Zweifel steht.

Ebenso muß sich Briand darauf gefaßt machen, daß Deutsch­fand sich durch keine Abreisestimmung dazu hergeben wird, unan nehmbaren Räumungsterminen zuzustimmen. Man ist sich zwar in den letzten Tagen in dieser Frage näher gekommen, aber die Kämpfe um einen früheren Endfermin der Räumung werden am Donnerstag weitergehen.

Es muß damit gerechnet werden, daß die endgültige Einigung in allen Fragen erst am Donnerstag erreicht und in einer Plenar­fizung am Freitag festgestellt wird.

Wie der Haager Korrespondent des Daily Herald" berichtet, sind bei der britischen Delegation ungezählte Glüdwunsch­nalos, in dem er Snowben zu feinem Erfolge gratuliert. telegramme eingetroffen, darunter ein Telegramm Macdo.

Pariser Situationsbericht.

Paris , 28. August.( Eigenbericht.)

Die vorläufige Einigung der Gläubigermächte im Haag wird von der Presse mit einem heiteren und einem nassen Auge begrüßt.

In die allgemeine Freude über den glücklichen Ausgang der Kon­ferenz hat der eklatante Sieg, den Snowden durch seine Hart­nädigteit davongetragen hat, einen bitteren Wermuttropfen fallen laffen.

Eine Meldung des Sonderforrespondenten des Temps" läßt darauf schließen, daß auch Deutschland Opfer zugemutet werden. Danach soll unter den England gemachten Konzessionen, zu denen die Zustimmung Deutschlands erforderlich ist, auch die sein, daß 79 Mil­lionen Mart, die Ende August aus den Eisenbahnobligationen fällig sind und im September zur Verfügung des Generalagenten stehen, auf die am 31. Auguft zu Ende gehende letzte Dawes- Annuität ver­rechnet und dem lleberschuß der Dawes über die Young- Raten zu­geschlagen werden sollen. Deutschland habe jedoch gegen diesen Bor­schlag sowie gegen die von den Gläubiger- Delegationen in Aussicht genommene Regelung der Besatzungskosten für die Zeit nach dem 1. September nachdrüdlichsten Borbehalt" erhoben.

Baagfilme in Paris unter Zensur!

Nach übereinstimmenden Berichten aus französischer und eng­lischer Quelle artete in der Nachmittagssigung der Streit um die Besatzungskosten in einen förmlichen Radau aus. Zunächst wurden sehr scharfe Reden, besonders von Dr. Wirth und von Briand gehalten. Ziemlich drastische Ausdrücke, die Wirth Paris , 28. Auguft. bezüglich der Besagung gebrauchte, riefen eine geharnischte Antwort Um Zwischenfälle bei der Vorführung von Haager Konferenz­Briands hervor der alte Kater zeigte wieder einmal seine Krallen. Er soll unter anderem ausgerufen haben: Ich bin ein friedfertiger filmen zu vermeiden, läßt der Polizeipräfekt die Polizeikommissariate auf die Lichtbildtheaterbefizer einwirken, damit solche Szenen ge­Mensch, aber ich fann auch furchtbar werden!" strichen werden, in denen Snowden sichtbar wird.

Snowden verleugnete taltblütig lächelnd seine eigenen Aeußerungen von drei Wochen zuvor, was ihm von deutscher Seite recht deutlich vorgehalten wurde.

Henderson wurde wütend, Stresemann murde pathetisch und versuchte, Briand auf bestimmte Termine fest­zulegen. Briand wich jedoch abermals aus, weil er ja erst nach gesicherter Annahme des Young- Blanes seine Räumungsdaten be­fanntgeben will. Schließlich redeten so ziemlich alle durcheinander. Es war die erregtefte und fonfujeste Beratung feit dem Beginn der Konferenz.

Um der Verwirrung ein Ende zu machen, zogen sich die Deut schen zu einer internen Beratung zurüd. Da den anderen allmählich diese deutsche Besprechung zu lange dauerte und übrigens die achte Stunde nahte, zu der die Engländer ihre ausländischen Kollegen zum Effen eingeladen hatten, verließen zunächst Snowden und Henderson das Konferenzzimmer; bald folgten ihnen die übrigen Delegierten, indem sie den Deutschen mitteilten, daß es wohl besser sei, die Besprechung nach dem Essen weiterzuführen.

Also

faum dreiviertel Stunden, nachdem sie sich gehörig angeschrien hatten, jaßen die Verhandlungsgegner wieder friedlich und in festlicher Abendkleidung an gemeinsamer Abendtafel beisammen. Seit 10% Uhr verhandeln sie wieder in den Salons der englischen Delegation im Grand Hotel.

Begeisterter Jubel in London .

Condon, 28. August.( Eigenbericht.)

Die Nachricht von Snowdens Sieg im Haag ist in London mit Begeisterung, aber auch mit einem deutlichen Gefühl der Er. leichterung aufgenommen worden. Die Politiker aller Rich­tungen stimmen durch Interviews in den allgemeinen Chorus der Freude ein, und es ist sicher, daß Snowden bei seiner Rückkehr nach

In mehreren Bariser Kinos wurde schon gepfiffen, geschrien und das Berschwinden des Bildes gefordert, als der eiserne Shab tangler Snowden auf der Leinwand erschien.

Und die Militärs fommandieren weiter. Wiesbaden , 28. Auguft.( Eigenbericht.)

Die englische Besatzungsbehörde hatte vor einiger Zeit die Ge­nehmigung für Rundflüge auf dem Wiesbaden - Mainzer Flugplatz erteilt. Hierzu murde auf dem Flugplaß eine 1500 Quadratmeter große Flugzeughalle errichtet. Nunmehr hat das englische Ober­fommando in Wiesbaden die Rundflüge verboten und dem Flieger ein Ultimatum gestellt, innerhalb 24 Stunden von dem Ver­fehrslandeplag abzufliegen.

Deutschnationale in Paris . Berhandlungen mit dem Erbfeind"?

Beitgemäße Erinnerungen

Wenn es teine Sozialdemokratie gäbe und menn nicht eine Menge sich vor ihnen fürchtete, würden die mäßigen Fortschritte, die wir überhaupt in der Sozial­reform bisher gemacht haben, auch noch nicht existieren." Bismard am 26. November 1884.

In der Tat! Alles, was in Deutschland an sozialpoliti­schen Errungenschaften existiert, ist einem furzsichtigen Unter­nehmertum und seinen politischen Trabanten in schweren Kämpfen abgerungen worden. In diesem Augenblick, in dem die Sozialdemokratie in einem neuen schweren Kampfe um die Erhaltung der kaum erst geschaffenen Arbeits­losenpersicherung steht, lohnt ein Rückblick. Sichtbarer Ausgangspunkt der deutschen Sozial­versicherung ist die berühmte Thronrede vom 15. Fe bruar 1881, die eine Versicherung der Arbeiter gegen die Folgen von Unfällen und Arbeitsunfähigkeit ankündigte. Der Vizekanzler Graf Stollberg- Wernigerode begründete diese Maßnahme als eine Vervollständigung des Schutzes gegen sozialdemokratische Bestrebungen. Die bis­herigen Veranstaltungen", gestand er ,,, welche die Arbeiter vor der Gefahr sichern sollten durch den Verlust ihrer Arbeits­fähigkeit infolge von Unfällen oder des Alters in eine hilf­lose Lage zu kommen, haben sich als unzureichend erwiesen." Diese Unzulänglichkeit habe nicht wenig dazu beigetragen, die Arbeiter dahin zu führen in der Mitwirkung an sozialdemo= fratischen Bestrebungen den Weg zur Abhilfe zu suchen. Der Staat sei aber man höre! nicht lediglich eine zum Schutz der befizenden Klassen erfundene Institution. Wenn mit den angefündigten Borlagen ein sozialistisches Element in die Gesetzgebung eingeführt werde, so sei darauf hinzuweisen, daß namentlich die gesetzliche Regelung der Armenpflege ein fozialistisches Motiv in sich schließe, und in Wahrheit handle es sich bei den Maßnahmen, welche zur Verbesserung der Lage der besiglosen Klassen ergriffen werden könnten, nur Armenpflege zugrunde liege. um eine Weiterentwicklung der Idee, welche der staatlichen

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Mit solchen Argumenten mußte das kaiserliche Deutsch­ land feine nicht allzu ernsten Absichten auf Weiterentwid­lung der Armenpflege" vor den befizenden Klassen ent­schuldigen.

Die Erlasse vom 4. Februar 1890 stellten einen weiteren Ausbau der Arbeiterversicherungsgefeßgebung in Aussicht. Es sei eine der Aufgaben der Staatsgewalt, die Zeit, die Dauer und die Art der Arbeit so zu regeln, daß die Erhaltung der Gesundheit, die Gebote der Sittlichkeit, die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Arbeiter und ihr bleiben. Die staatlichen Bergwerke sollten Musteranstalten Anspruch auf gesetzliche Gleichberechtigung gewahrt werden. Von diesen Erlassen wurde behauptet, sie seien vom Wunsche nach einem Erfolg der ,, staatserhaltenden" Parteien bei den damals bevorstehenden Wahlen diftiert gewesen. Möglich indes, daß auch andere Gründe mitwirften.

und fügte noch die Einberufung einer internationalen Ar­Bismarck suchte die Erlasse Wilhelms II. zu ,, mildern" beiterschutzkonferenz hinzu. Ich dachte, diese internationale Konferenz sollte gleichsam ein Sieb sein, eine gewisse Herrn." Die Konferenz, die Mitte März 1890 in Berlin zu­Hemmung des humanen, arbeiterfreundlichen Elan unseres jammentrat, wirkte denn auch wie ein Sieb; ihre Ergebnisse maren gleich Null. Auch bei den Erlassen kam nichts heraus, im Gegenteil, nachdem sie als Wahlparole versagt hatten, schwand das Interesse der Regierung an ihrer Durchführung vollends. Weil die freudige Mitwirkung der Unternehmer­flaffe fehle, erklärte Graf Posadowsty einige Jahre später, am 13. Dezember 1897, daß er feine neuen sozialpolitischen Geseze vorlegen werde. Statt dessen wandte sich der Graf an den Zentralverband Deutscher Industrieller mit der Bitte, die Industrie möge ihm 12 000 Mart zur Agitation für den Entwurf eines Gesetzes zum Schuße des gewerblichen Arbeits­verhältnisses, der berüchtigten Zuchthausvorlage, zur Verfügung stellen.

Die Nationalliberale Korrespondenz teilt mit:" Die deutsch : tages drehte, erklärte der Vertreter der königlich preußi­

nationale Breffeftelle ist anscheinend durch unsere Andeutung von gewissen Angeboten in Paris sehr schwer getroffen mor den. Sie verbreitet eine Mitteilung, nach der unsere Meldung un­

wahr sein soll und macht uns den Vorwurf der Verleumdung. Dieser Vorwurf ist allerdings zeitlich begrenzt, er soll nur solange gelten, bis die Namen der in Betracht tommenden Männer genannt seien. Die deutschnationale Bressestelle darf versichert fein, daß zu gegebener Zeit ihr Wunsch erfüllt werden wird. Sie wird dann Gelegenheit erhalten, über den beleidigenden Vor­wurf der Berleumdung noch eingehend nachzudenken."

Die britische Frau Arbeitsminister Margaret Bondfield hat sich beim Baden am Strand der Grafschaft Cornwall das Fuß gelent gebrochen.

Später vollzog sich an Posadowsty eine Wandlung, aber je mehr er sich sozialreformerischen Gedankengängen näherte, besto lauter tobte die Hezze der Unternehmerpresse gegen ihn. Als es sich um die Einführung des Zehnstunden­schen Regierung fie für unannehmbar. Arbeiter, denen Gott die Kraft gegeben habe, länger als 10 Stunden zu arbeiten, dürfe man nicht daran hindern. Sehr viele Männer in leitender Position hätten diese durch lange Arbeitszeit erworben. Der Mann wurde gefragt, wie viele Ueberstunden ein Arbeiter machen müsse, bis er in den Besitz eines Hoch­ofens fomme. Die Zulassung von Sicherheitsmännern im Bergbau wurde auf einer Unternehmerfonferenz im Januar 1908 im Berliner Palasthotel als weiße Salbe" be­zeichnet; die Herren machten sich darüber luftig. Der Ge­heime Bergrat Uthemann progte: Wir sind die Herren im Hause, und wir lassen die Arbeiter nicht hineinreden. Drüden Sie dem Minister den Herrenstandpunft ins Auge."

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