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?!r. 405» 4«. Jahrgang �1. Freitag, 30. Augusts 929

auffüllend. Davor ist da« höher liegend« Wasser spiegelglatt, aott Zeit ja Zeit weht der Wind ein« dünne Schicht Straßenstaub dar- über. Ein toter Fisch schaukelt sacht« hin und her, alle Angler würden traurig werden, so groß ist er. Ein Rudel kleinerer, dunkler Fisch« zerrt an einem aufgeweichten Stück Brot herum,. hinten kommt noch ein Apfel angeschwemmt und ein Fetzen Papier . Ts riecht nach Teer und Tang. Di« Schleus« in Woltersdorf ist alt und unmodern. Richt, well an ihrem Gemäuer so viel Spinnweben hängen, die find schnell ausgespannt, sondern weil alles so primitiv und unberührt ist von zeitgemäßer Technik. Zwei Männer stemmen langiam die Schleusen- wre auf und zu, winden langsam die Bräckenklappen hinauf und herunter, rennen von einem End« zum anderen und haben nach einer halben Stund« glücklich eine Zille geschleust. Nur die tleinen Schifferhunde mögen sich darüber freuen, wenn sie stundenlang vor der Schleuse liegen:«in Stück Zucker oder Brot nach dem anderen prasselt auf das Deck, aber flink müssen sie sein, um das hüpfend« Stück zu fangen, sonst verkriecht sich der Zucker zwischen Bund- staken und Deckplanken. Der Geber sind viele da, von früh bis spät wird die hoch über die Schleuse hinweggeführte Fußgänger- brück« von einer dichten Schar Menschen besetzt gehalten. Für den Großstadtmenschen scheint überhaupt das Schleusen ein erhebendes Schauspiel zu sein. Ein ganzer Derein, der nach Erkner marschierte, blieb mit den anderen stehen, und well einzelnen Brüdern die Zeit denn doch zu lang wurde, begleitet« die Kapelle das Schleusen mit

Die alte Woltersdorfer Schleuse

In der engen, düsteren Schis fertneip« neben der Woltersdorfer Schleuse hat sich ein Hakenkreuzler durch freigebige Bierspenden einen geduldigen Zuhörerkreis zu- sammengeholt. An die Wand gelehnt stehen in der Reihenfolge, wie sie kamen, ein Kohlenhändler, ein Zeitungsmann,«in Schiffseigner und dessen Bootsmann. Bor ihnen, auf die Theke gestützt, der völkssche Prediger. Auf seine beiden Handrücken sind groß« Sterne tätowiert, drei Schneidezähne fehlen ihm und zu einem faden- scheinigen Pfeffer- und salzfarbenen Jackett trägt er ausgebeulte, gestreifte Hosen. Seine Kopfbedeckung besteht aus einer tief in« Gesicht gezogenen Ballonmütze, lediglich der modern« Kragen mit dem geschickt geknoteten Linder heben et« wenig sein Aeuhere». Er erzählt seine Litanei so hölzern, wie alle, die überzeugungs- los irgendwo ausgefangene Schlagwort« wiedertauen. Auch die vier Arbettsmänner merken da», man sieht es an ihren ungläubigen Gesichtern, auf die sich«in leises, verschmitztes Lächeln gelegt hat. Manchmal möchten sie den Kopf schütteln. Als der seltsam« Prediger von den Juden langsam bei den Steuern angelangt war, brach der Bootsmann da» Schweigen der langmütigen Zuhörer und warf einen einzigen Satz dazwischen:Ra, du hast doch dein Leben noch keen« Steuern bezahlt/ Das genügte, die ganze Kneipe lachte und der Hakenkreuzler wußte fünf Minuten lang nicht, wie er sein« Walze weiter abwickeln sollte. Er half sich, indem er noch ein« Lag« bestellte und schließlich meint« er. schon recht ärgerlich:Wir müssen eben den Bersailler Vertrag umstoßen, dann kriegen wir auch in Deutschland andere Zustände/ Da sagt ganz trocken der Zei- tungsmann:Iut, hol'n her, den Vertrag, denn stoßen wir'n um/ Jetzt brüllt« die ganze.Kneipe vor Lachen, befreiend, erfrischend, und inmitten de» Trubels stand der Hitlerjüngling wie ein begossener Pudel. Komm, Oskar, wir stich gleich dran zum Schleusen, der Finow - mäßige sst eben durch.' Mit diesen'Worten verließen die beiden Schiffer die Kneipe, um über die Hängebrücke hinweg und längs des schmalen Treidelwegs zu ihrem tief mit Kaltsand- steinen beladenen Kahn zu kommen. Mittags waren sie vom S t i e n i tz f««, wo die Kalksandsteinmdustrie zu Hause ist, abge- fahren: die Ladung ist nach Berlin bestimmt. Zweimal in jeder

Die moderne große Schleuse bei Machnow.

Woche fahren sie dies« Tour hin und zurück, für tausend Steine beträgt der Frachtsatz ungefähr sieben Mark. Wenn alles gut geht, können sie mit einer wöchentlichen Einnahm« von achtzig bis hundert Mark rechnen, eine Summ«, die hoch erscheint, aber in der Binnenschisfahrt verdient sein will. So mutz der Schiffer selbst die Steine ein- und auskarren und um dies« Arbeit zu schaffen, meist die Hilfe seiner Frau in Anspruch nehmen. Abgesehen davon, daß die Arbeit kurz nach Sonnenaufgang beginnt und erst kurz vor Sonnenuntergang endet, nur in der glühenden Mittagshitze gönnt man sich einige Ruhe. Und dann die Hauptfache: es muß überhaupt erst Fracht da fein. Di« Stein- Verschiffungen aus den Riidersdorfer Gewässern sind gebunden an die Anforderungen des Groß-Berliner Baumarktes, stockt es hier mit der Bautätigkeit, dann liegt auch die Schiffahrt brach. Bor dem Kriege hatten viele Schiffer in Woltersdorf ihren ständigen Wohnsitz, heute sind ganze vier Mann übrig geblieben, alle anderen sind abgewandert. Jetzt ist Oskar an der Reihe. Hinter den geschlossenen Schleusen- flügeln rauschen die Wnsserstrudel, ganz langsam das Becken wieder

den Klängen des ergreifenden Liedes:.Lieh die Latschen au», mach dir Töpfe draus.../ Es hat allen sehr gefallen. Längst ist die Sonne hinter Erkner verschwunden, am Himmel blinken vereinzelt ein paar Stern« und warten, bis der Mond auf- geht. Er kündet sein Kommen mit einem blassen Schein am Hori- zont an, bis er kuvferrvt über den tteffchwarzen Wäldern der Löcknitz emporsteigt, umhüllt von einem blauen Wolkenfchleier. Eh« man sich sott gesehen hat, ist er eine hell«, gelb« Scheibe geworden, die sich im Flakensee zitternd spiegelt. Es wird immer noch geschleust. Gerade öffnen sich die Schleusentore, man hört Motore anspringen und sieht, wie zwei Motorboot« in die Vollmondnacht hinausfahren; hoch schlagen die Bugwellen. Doch gleich v-ivd Feierabend sein, der letzte Kahn eines Schleppzuges ist noch durchzubringen. Rur nebenan in der ehemaligen Mühle wird es nicht still, hier rumpeln unaufhörlich die Räder eines bescheidenen Kraftwerk», das Wolters- dorf mit Licht verforgt. Di« verwitterte Mühle und die verräuchert« Kneip«, sie beide werden sterben müssen, wenn man der Waltersdorfer Schleuse«in neues Bett gräbt.

A.M, Frey-

Copyright 1929 by Gustav Kiepenheuer Verlag A.-O� Berlin

Aber die Hasenleichen(trotz allem ist immer Krieg, sagt sich Funk, als er das Wort denkt) erscheinen schön braun ge- braten auf der weißgedeckten Tafel. Ein Fäßchen Bier, aus der Kantine heschafft, hat Lipps Bursche in der Küche angezapft. Madatpe hat einen Berg Blaukraut hergestellt, samt Kartoffelpüree. Das Fest kann beginnen. Funk sitzt am Ende der Tafel, zur Seite des jüngsten Leutnants. Er hat sich drücken wollen, aber der Stabsarzt hat das nicht geduldet. Sein Funk muß dabei fein. Er verlangt es in einem Gemisch von Gutmütig- keit und Herrschsucht. Funk fühlt sich gar nicht wohl. Er ist der einzige Nicht- offizier. Der junge Leutnant neben ihm weiß nicht, was er reden soll. Wie zu einem Kameraden kann er nicht sprechen, wie zu einem Untergebenen will er nicht. Viele Blicke streifen Funks Brust: sie ist gänzlick nackt, aber jeder der Herren, die da sitzen, hat bereits das eiserne Kreuz erster. Funk schweigt und sehnt sich fort._ Der junge Leutnant sagt:Daß Sie bei der Sanitat bleiben! Da kommen Sie doch nicht vom Fleck so ganz ohne medizinische Semester. Sie mit Ihrer Borbildung könnten Offiziersaspirant werden/ Lipp hat die Worte gehört. Er kommt Funk zu Hilfe uneigennützig? Oder fürchtet er, sein Schreiber könne sich des Leutnants Borhaltungen zu Herzen nehmen? Er lacht: Lassen Sie mir den Funk in Ruhe. Der ist unentbehrlich. Eine Perle. Wissen Sie. wie er schon genannt wird beim Regiment: der Herr> Stabsarzt/ Funk staunt, daß Lipp diese Bezeichnung weiß. Wie sehr sie gegen Lipp selbst geht, scheint der nicht zu ahnen. Die Soldaten spotten:Den Staberl könnten wir leicht einsparen. Du machst die Sache besser ohne ihn, als mit ihm."

Ein ungekrönter König/ meckert Lipp. ,Lum Wohl, Funk/ Und er hebt sein Bierglas. Heute trinkt er, mit- gerissen, emporgehoben von der Ehre, die ihm widerfährt. Er kippt später sogar Schnapsgläser. Er sagt:Hinterm feld- grauen Rock schlägt ein treues Herz, was Funk? Wir haben manchen Strauß gemeinsam durchgefochten. Um nichts geht es weniger als um äußere Ehren und äußeres Kleid" seine geschmeidge Brust wölbt, vielleicht wider Willen, den neuen Orden vores tun viele Leute von geistigem Rang heute einsachsten Dienst in der großen deutschen Armee. Funk, ich benutze die Stunde, um Ihnen zu danken für Ihre Leistungen. Sie mögen Ihnen nicht immer leicht gefallen sein, gesellschaftlich stehen Sie gleich mit uns, die wir hier versammelt sind, militärisch stehen sie weit ich meine, müssen Sie sich nolons voIenB eben unterordnen/ Lipp ist nicht mehr ganz nüchtern. Ist er sich seiner Taktlosigkeit bewußt? Offenbar nicht. Der Ton, in dem er die kleine Rede gehalten hat, ist herzlich. Ohne Zweifel wollte er in besten Absichten hinweisen auf seinen treuen Mit- arbeiter. Funk muß daran denken, daß er diesen Menschen ein» mal hat niederschießen wollen. Er bereut den damaligen Affekt gar nicht. Wenn dieser Mensch jetzt tot umfiele er zweifelt nicht, daß ein Gefühl von Genugtuung in ihm zur Herrschaft käme. Nach der Red« entsteht eine Pause, in der die Herren sich räuspern und Bier schlucken. Dann erhebt sich der Batterie- chef und sagt äußerst getrogen:Meine Herren, nur zwei Worte. Der Herr Stabsarzt hat von der deutschen Armee gesprochen. Ihn und sie wollen wir hochleben lassen. Der Herr Stabsarzt und die große deutsche Armee: hurra, hurra, hurra!" Auch Funk muß das Seidel in die Höhe stemmen, aber es stößt niemand mit ihm an. Lipp und die Armeen sämtlicher Länder so würgt er an seiner Scham sie passen glänzend zusammen. Der feierliche Dunst, den der Batteriechef erzeugt hat und durch den unterstrichen wird, wie vorzüglich das doch beim Heer ist, daß gesellschaftliche Gleichordnung von der mensch­lichen gar nicht zu sprechen einfach ausgewischt wird und militärische Rangordnung restlos an ihre Stelle tritt der trübe Dunst verflüchtigt sich schnell, und es tritt heitere Trunkenheit an feinen Platz.

Marguerite hat sich dauernd irgendeines der Herren zu erwehren, die sich in erstaunlicher Weise verlaufen und nach der Hoftür suchen, um auszutreten. Funk überrascht sogar den Stabsarzt selbst, wie er in der Küche mit Madame aus Schnapsgläschen Schmollis trinkt, wie er sie beschmatzt unter breitem Gekecker, mit seinen Faunslippen mitten auf ihren roten Mund. Di« Stimmung unter den Offizieren wird immer be- schwingte?. Das Harmonium wird aufgeklappt, und Reis- ling, der stabsärztliche Bursche, muß mit bierverklebten Fingern Walzer zu spielen versuchen. Es gelingt in einer seltsam quäkenden, stolpernden, hinter dem eigenen Rhythmus gleichsam herhinkender Weis«. Reisling ist von Beruf Kaffee- hausmusiker,«in weltgewandter Bayer, ist in Paris gewesen und spricht im haarsträubenden Münchener Idiom französisch bei einem kühnen Wortreichtum, der den de» Stabsarztes ausgiebig übertrifft. Marguerite soll tanzen als einzig« Dam« de« Hauses. Sie schüttelt den blonden hochroten Kopf. Sie wispert Lipp zu: höchstens mit Reisling und Funk. Weshalb nur mit ihnen?" fragt stirnrunzelnd der Stabsarzt. Das sind meine Kameraden/ sagt sie. Die Herren Offiziere sind" Feinde?" fragt Lipp lauernd. von," bestreitet sie, doch unglaubwürdig im Ton. Die sind zu vornehm für eine Dienerin." Sie lächelt Funk hilfesuchend zu. In diesem Augenblick ist sie beinahe schön. In diesem Augenblick ist Funks Nei- gung zu ihr recht und er liebt sie. Er möchte schützend vor sie treten. Es wird deutlich, daß sie den Offizier haßt, ihn empfindet als Räuber ihres Landes, Bedrücker, Sklaven- Halter und den einfachen Soldaten als Opfer. Als Opfer ebensosehr, wie ihr Mann Opftr des Krieges geworden ist. Volk und Volt sie Haffen«inander nie, sie hassen einander unsicher nur d i« fünf Minuten, in denen es gelungen ist, sie zu verblenden und aufzuhetzen. Das geht nicht, Madame/ sagt Lipp unwirsch,daß Sie mit den beiden Soldaten tanzen und nicht mit meinen Gästen, den Offizieren. Dann müssen Sie verzichten." Gern," sagt sie liebenswürdig,volontidremsnt," und huscht zurück in ihr« Küche. (Fortsetzung folgt.)