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Jlr. 407* 46. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Sonnabend, 31. August 1929

Tinige Minuten von Neustadt an der Dosse(Berlin Hamburger Bahn) entfernt liegt das Dorf K a m p e h l. Ein Eifersuchtsdrama, daß sich hier vor ungefähr 2S0 Iahren zwischen einem Junker und einem Schäfer abgespielt haben soll, macht den Ort zum Ziel vieler Wanderer, die die Mark Brandenburg nicht nur landschaftlich, sondern auch geschichtlich kennenlernen wollen. In einem kleinen Anbau an der Nordseite der Dorfkirch« liegt der vollkommen mumifiziert« Leichnam des Kornetts(Fahnen- junker) Christian Friedrich von Kalebutz, der nach einer alten Urkunde angeklagt war, den Schäfer P i ck e r aus Bückwitz, der eine Herde Schafe durch des Kalebutzen Feld getrieben hatte, erschlagen zu haben. Die Familie Kalebutz oder Kahl- butz, beide Schreiborten sind in alten Büchern zu finden, war von 1524 bis 1783 im Besitz der beiden Rittersitze Kampehl , und es diente der Anbau an der Kirche der Familie als Grabkapelle. Um sich nun von dem Verdacht des Mordes zu reinigen, man erzählt« sich, daß der Junker der Braut des Schäfers nachstellte, soll der Kornett von Kalebutz unter Eid ausgesagt, daß er den Schäfer nicht erschlagen habe. Zur Bekräftigung des Eides soll er hinzu- gefügt haben, daß er nie verwesen wolle, wenn er der Täter wäre. Tatsächlich bewiesen ist durch eine Urkunde aus dem Jahre 1690, daß ein Totschlagsprozeß oerhandelt wurde, und es werden in der Urkunde der Name des Schäfers und der des Kalebutz erwähnt. Bei einer Renovierung der Kirche im Jahre 1794 über- gab man die Särge aus der Grabtapelle der Erde, öffnete sie jedoch noch einmal. Es stellte sich dabei heraus, daß. alle Leichname, b i s auf den des Kornetts Christian Friedrich von Kalebutz, vollkommen verwest waren. Das Auffinden dieser sich selbst mumi- fizierten Leiche trregte großes Aufsehen, da die übrigen verwesten Leichen der Grabtapelle auf gleiche Art beigesetzt worden sind. Namhafte Mediziner haben sich bemüht, die Ursache der Erhaltung de» Leichnams zu erforschen. Die Abbildung läßt am unteren Rande im Brustkasten der Mumie ein« Oeffnung sehen, die bei einer Untersuchung hergestellt

Die Dorfkirche in Kampehl ,

von. AMRisy.

Copyright HW dy Gustav Kiepenheuer Verlag A-Q., Berlin

Die Gäste tanzen miteinander in einer Luft, die man mit dem Hirschfänger in graue Wollenpäckchen zerteilen könnte, so geladen ist sie von Zigarrenrauch. Bierdunst, Punschqualm und Kanonenofenhitze. Sie drehen sich und singen: .Laben wir auch nicht viel gemacht, So haben wir doch den Tag vollbracht. Leckt uns am Arsch, ihr Sorgen! Auf Wiedersehen, morgen!" Es ist schon reichlich Morgen, als man sich trennt. Und da sind auch die Sorgen wieder. Funl hätte sich längst gerne niedergelegt, aber er muß aufbleiben, um den Herren in die Mäntel zu helfen. Uebriaens wären ihm die Augen zuge- fallen, hätte der beizende Rauch sie nickt offen gehalten. Er denkt daran, daß sich's kaum mehr lohnt, mit Schlafen an- zufangen, denn der Achtuhrrapport steht sozusagen vor der winterdunklen Tür. Um sieben muh er beginnen, ihn zu- sammenzustellen. Jetzt ist«s fünf... Das sind kleine Sorgen. Größere uberfallen Msrtcourt in dem Augenblick, da die Artilleristen endlich unterwegs sind, und der letzte Mensch im Ort sich ausstreckt. Unter plötzlich losbrechendem Geschützdonner, dessen Eisenhaael aber nicht nach Märicourt hineinfällt, gelangt die Nachricht hierher, der Engländer habe einen Gasangriff unternommen. Der Wind steht von der vorderen Linie auf M<iricourt zu. Ein sanfter stetiger Lustzug. er wird bis Gaswolke lang- sam wandern lassen, aber einmal wird sie da sein. Der Ortskommandant entsteigt den Kellerräumen des ehemaligen Rathauses, darin er feine Bureaus hat. Er wohnt unterirdisch, dort hat er ein Schlafzimmer mit Krön- leuchter und Oelaemälden an tapezierten Wänden, und da- neben«ine Trinkstube, die mit französischen Requisiten nach

wurde. Man stellte dadurch fest, daß die Eingeweid« nicht entfernt worden sind, des weiteren, daß die Leiche nicht ein» balsamiert ist. Jedoch gehen die Ansichten über die Mumifi- zierung derselben weit auseinander. Ein Seitenstück zu der Kampehler Mumie findet sich, wie be- kannt, in Bremen . Im dortigen Dom ist einBleikeller' ge­nanntes Gewölbe, in welchem infolge der trockenen Luft die auf- bewahrten Leichen zu Mumien austrocknen. Die älteste Leiche ist 460 Jahre, die jüngste 160 Jahre alt. Der.Bleikeller' besitzt diese Eigenschaft auch heute noch; man hängt von Zeit zu Zeit Tier- kadaver auf. die auch vollkommen austrocknen. Di« Besichtigung der Kampehler Mumie ist kostenlos. Man kann an Ort und Stelle«ine kleine, jedoch inhaltsreiche Schrift: Der Kahlbutz ' für einig« Pfennige erwerben, desgleichen eine photographische Aufnahme der Mumi «, die Professor Strauch gelegentlich der wissenschaftlichen Untersuchung gemacht hat. Da man sich bei dieser Exkursion in der Nähe von Havelberg be» findet, lohnt es sich, diese an Geschichte reich« Stadt zu besuchen. Der prächtige Blick über die alte Jnselstadt von der Domhöhe aus ist unvergeßlich. Der äußerlich so trutzig? Dom birgt im Innern sehr viele Sehenswürdigkeiten: der Führer du�ch den Dom, ein Oberlehrer aus Havelberg , verfteht es, das Wesentliche hervorzu- heben und dem Besucher die tausendjährige Geschichte der Stadt mitzuteilen. Die Sonntage-Rücksahrkart« nach Hovelberg kostet 5,60 M. und berechtigt zum je einmaligen Unterbrechen der Fahrt, so daß man nach Belieben auf der Hin- oder Rückfahrt in Neustadt an der Dosse aussteigen kann.

Vermißt wird seit Dienstag, den 27. August 1929, mittags 1 Uhr, der nervenkranke Kriegsinoalide Richard Plamann, geb. 14. Juni 1889 zu Schievelbein. Bekleidet war er mit hellgraukariertem Anzug, hohen schwarzen Schnürschuhen, blaugrünem Hut und rosa Krawatte. Mitteilung erbittet Martha Weist. Neukölln, Lahnstroße 73. Telephon: F2 Neukölln 6408.

Oer Untergang des San Juan. 65 Personen ertrunken. 30 tleberlebende. San Francisko, 30. August. Aus de» Funkmeldungen der an der Unglücksstellc eingetroffenen Schiffe scheint hervorzugehen, daß bei dem Untergang des PersonendamPfers.San Juan", der. wie gemeldet, nach einem Zusammenstoß mit dem Tank- dampfer..Do d d" an der kalifornischen ltüste gesunken ist 65 Personen den Tod in den Wellen gefun- den haben. Die Rettungsschiffe berichteten, daß sie 3V Ueberlebende an Bord genommen haben. Ter DampferSan Juan" ging innerhalb von S Minuten unter. Mannschaft und Passagier« wurden ins Wasser geschleudert. Obgleich der Tankdampfer bei dem Zusam- menstoß selbst ein großes Leck erhalten hatte, ließ er doch Boote herab und beteiligte sich am Rettungswerk, das stch infolge des dichten Nebels, der an der Ungliicksstelle herrschte, sehr schwierig gestaltete. Die Geretteten er» klSrrn, daß sie gesehen hätten, wie der Kapitän der San Juan" mit seinem Schiff unterging. New Bork, 30. August. Zu dem Schlfsszusammenstoß bei Pigeon Poink, etwa 50 Kilo­meter südlich von San Arancisko. wird weiter gemeldet: Der DampferSan Juan' sank Im Verlauf weniger vli- nuken. Am Rettungswerk beteiligte sich haupffächlich der Dampfer Santa Rlonami'. der mehrere Rettungsboote aussehen konnte, nm die im ZNeere treibenden Fahrgäste zu retten. Auch das TNotorfchiff Frank Lynch' soll Passagiere ausgefischt haben. Der Dampfer San Zuan' konnte vor seinem Untergehen noch SOS-Ruf« Hinaus- senden: der Kapitän des Schiffes ist ertrunken. Der Oeitanker Dodd' sandle gleichfalls SOS-Ruse aus. da er schwer beschädigt wurde. Die lehlen Nachrichten von der Unglücksslelle besagen, daß zwei Stunden nach Untergang des DampfersSan Zuan' keinerlei Rettungsboote mehr auf dem Rleere trieben. Der DampferDodd" ist 4400 Tonnen groß. Aus San Franzisko wird weiter gemeldet: Die zum Rettung?- werk herbeigerufenen Schiffe suchen noch die Unglllcksstelle ab. was durch dichten Nebel sehr erschwert wird. Man be- fürchtet außerdem, daß durch das außerordentlich schnelle Sinken des Dampfers vielleicht Fahrgäste in den Kabinen er- trunken sind. Auch ist es nicht ausgeschlossen, daß Rettung?- boote in den Strudel des sinkenden Schiffes mit hinabgezogen sein können. Die Geretteten können nicht viel Einzelheiten berichten Holzwolle unier den Ziegeln. Die Ursache des Großfeuers am Kursürstendamm. Zu dem Großseuer am kursürstendamm 178 wird un» von einigen Handwerkern, die aus dem Dach de» tiause, mit Arbeiten beschäftigt waren, folgendes über die Ursache des Feuers mit seinen verheerenden Folgert mitgeteilt: Leim Löten auf dem Dache des Unglllckshauses mit einem polizeilich abgenommenen und in Ordnung befindlichen Lötapparot sprang plötzlich auf ganz unerklärliche Weise der Schlauch des Lot- apparates vom Kolben. Die ausströmenden Gase entzündeten sich sofort and eine kleine, etwa 20 Zentimeter lange Stichflamme schlug hervor. Der mit dem Löten beschäftigte Arbeiter riß sofort den Schlauch vom Dach, w»hrend ein anderer, der gleichfalls am Lötapparat stand, sofort die Gaszufuhr abdreht«. Trotz dieser kurzen Feuereinwirtung entzündet« sich da? Dach. Ein Arbeiter riß schnell mehrere Dachziegel auf und bemerkte zu seinem Schrecken, daß sich zwischen den Ziegeln und den darunter befindlichen Wickelstaken Holzwolle befand. Im Nu standen etwa 30 Quadratmeter des

Möglichkeit altdeutsch ausstaffiert ist. Vormittags lchöppelt er hier mit wem immer: er muß nur gleich» oder höhergestellt sein. Sehr stolz ist er darauf, daß dieser Frühtrunt nie noch unterbrochen zu werden brauchte-auch zu jener Zeit nicht, als die Hundsband« von drüben zu uns hereingeschossen hat. Deshalb habe ich eines Tages hier unten zu bauen und Innendekoration zu treiben angefangen. Ich werd' mir doch mein Morgenschöppchen nicht verekeln lasten. Da kennen mich die Herren Engländer schlecht.' Er also erscheint nun in Filzpantoffeln mit einer Stall» laterne, in der eine Kerze brennt, läßt Sirenengeheul los- brechen und läßt Kirchenglocken läuten. Das sind die Zeichen, daß Gas unterwegs ist. Funk läuft ins Revier. Dort ist schon alles auf den Beinen und in Erwartung. Fähnlein und Asam sind in Sorg« um«in paar Leute, die Halsentzündungen haben und so schon schwer genug schnaufen. Werden sie, wenn die Maske angelegt werden muß, genügend Luft bekommen? Well du grab da bist, Funk, und jetzt zum Staberl rennst frag ihn gleich, was mit zwei Kranken, die«inen zugeschwollenen Rachen haben, geschehen soll.' Aber Funk ist nicht da, um diese Nachricht zu übermitteln, «r ist gekommen, um aus dem Sanitätswagen eine Ersatz- gasmaske zu holen, denn er glaubt im voraus zu wissen, der Stabsarzt wird die seine oertrödelt haben und nicht finden. So ist es. In erschreckender Weise nüchtern geworden, ohne es wirklich zu sein, rumort Lipp in einem schauerlichen Mischmasch von Gelächter und Gefluch in Winkeln seiner Schlafkammer, unter dem Bett, im Nachtkästchen, das er dabei umwirft, umher und beschimpft den Burschen, droht, ihn einsperren zu lassen wegen verbrecherischer Bummelei. Wenn dein Stabsarzt jetzt erstickt!' lacht er gegen Reisling um sofort, voll echter Angst, in Zorn um- zuschlagen:Viechkerl, verdammter! Ich weiß, was ich tu!" Er ist daran, dem Burschen den eigenen Schutz zu ent- reißen da tritt Funk ein und sagt:Hier ist, was Sie suchen." Sie haben sie gehabt? Das ist doch stark!" bricht Lipp gegen ihn los, aber Funk sagt ruhig:Ich habe Ihnen «ine aus dem Revier mitgebrocht. Und soll gehorsamst fragen, was mit zwei schweren Halsentzündungen geschehen muß. Ob man vielleicht schnell für die Kranken einen Wagen be- schaffen und sie in« Hinterland transportieren soll. Unsinn, ich muß auch da bleiben. Wenn man da jeden

Himmeldonnerwetter, was geht es überhaupt mich an, wer hat Revierdienst?" Assistenzarzt Werner." Selbstverständlich soll e r entscheiden. Wozu habe ich meine Aerzte? Reisling sofort hinüber! Ich lasse Herrn Dr. Werner sagen, er möge sich in augenblicklicher Lage be- sonders der Hals- und Brustkranken annehmen und un- oerzüglich das Nötige veranlassen. Er kullert verstopftes Gelächter in sich hinein.Das Nötige das ist jetzt sein« Sache, zu wissen, was das Nötige ist." Er sitzt mit seinem Freund, dem Ortskommandanten, beisammen:Wann muß man nun eigentlich in den Maul- korb da hineinschlüpfen?" Hat noch Zeit. Der Alarm kündigt vorerst nur die Ver- mutung an, daß Gas kommen wird. Wir erhalten weiter« Meldungen." Funk späht in die Küche. Daß dort noch Licht brennt, will nicht viel heißen. Elektrisches Licht glüht hier Tag und Nacht an vielen Plätzen. Niemand braucht es ja zu bezahlen. Aber Marguerite ist taffächlich da. Sie hat einen tiefen Polstersessel aus dem Wohnzimmer hierher geschleift und sich hineingekuschelt und schläft todmüde von der Arbeit, dem deutschen Bier und den Schnäpsen. Nicht einmal der Lärm, den der Stabsarzt vollführt, weckt sie auf. Sie hat für das bißchen Ruhezeit nicht nach Hause gehen wollen, es lohnt sich nicht; in kurzem muß sie ja beginnen, den Kaffee zu kochen. Funk erschrickt über den Anblick der schlummernden Ahnungslosigkeit. Er weckt die Frau hastig. E» ist gar nicht leicht, sie wachzurütteln. Es kostet Anstrengung, diesen bleiernen Schlaf zu verscheuchen. Madame, stehen Sie auf, hären Sie denn die Glocken nicht. Ee kann sein, daß Gas vom Engländer herüberkommt." Sie begreift, trotz dem taumelnden Hirn, geschwind. So stark sind alle doch ewig auf Unhell gefaßt. Sie greift sich an den Kopf, sie preßt ihre Schläfe.Das Kind," sagt sie.La petite Iosephine, Monsieur Funk?" Funk weiß, wie schmachvoll es bestellt ist mit den Zivi- listen. Für sie gibt es keinen Gasschutz. Es gibt keine Masken für sie. Er schämt sich jetzt darüber so, wie wenn Madame ihn verantwortlich machen könnte. Deshalb hat er auch gleich vom Engländer gesprochen, als könne man ihm allein die ganze Gemeinheit der Folgen eines Gasangriffs in die Schuhe schieben.(Fortsetzung folgt.)