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BERLIN Montag 2. September 1929

Der Abend

Erfcheint täglich außer Sonntags. Bugleich Abendaufgabe des Vorwärts". Bezugspreis beide Ausgaben 85 Pf. pro Woche, 3,60 M. pro Monat. Redaktion und Expedition; Berlin SW 68, Lindenstr. 3

Spätausgabe des Vorwärts"

10 Pf.

Nr. 410

B 204 46. Jahrgang.

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Die Bombe am Reichstag.

Auf der Suche nach den Tätern.- 25000 Marf Belohnung.

Es

Nach den zahlreichen Sprengstoffanschlägen, die wäh rend der lekten Wochen in den Provinzen Schleswig­ Holstein und Hannover , sowie im Freistaat Oldenburg berübt worden sind, ist jest auch Berlin Schauplatz eines Sprengstoffattentats geworden. Gestern früh kurz nach 4 Uhr erfolgte am Reichstag eine weithin hörbare Detonation. Der Tatort wurde sofort im weiten Umkreis durch Schuspolizei abgesperrt. Es wurde fest­gestellt, daß an der Nordseite des Reichstags. gebäudes nahe dem Portal V in dem Luftschacht ber Außenfront eine Sprengstoffladung zur Explosion gebracht worden war. Die Wirkung bestand in der Zer. trümmerung mehrerer Fenster im Keller. and Erdgeschoß und im ersten Stod. An einem Fenster war auch der Fensterrahmen abgerissen. wurden zahlreiche Reste der Sprengstoffladung, ins besondere Teile einer Wederuhr und von Taschenlampen Batterien gefunden, die teilweise bis auf die gegenüber. Liegende Straßenseite geschleudert worden waren. An einem Straßenmast, der in Höhe des Sprengherdes auf bem Bürgersteig steht, wurde eine sogenannte Klebe marke vorgefunden, die das Hakenkreuz und die Inschrift Großdeutschland erwach e!" trägt. Der von der Polizei sofort hinzugezogene Sachverständige Dr. Rich. ter von der Chemisch- Technischen Reichsanstalt, der auch bei der Aufklärung der früheren Sprengstoffanschläge in Oldenburg und Lüneburg als Gutachter tätig gewesen ist, hat an Ort und Stelle eine vorläufige Unter. suchung vorgenommen. Zwar hat er bisher noch nicht die Art des Sprengstoffes genau feststellen können, nach seiner gutachtlichen Bekundung ist aber

die Sprengstoffladung ähnlich wie Sie bei den Anschlägen in Oldenburg und Lüneburg vor. bereitet gewesen.

Der Polizeipräsident hat eine Belohnung von 25 000 m. ausgesetzt. Von dem Betrage find 10 000 m. als Belohnung für die Personen bestimmt, die zur Aufklärung des Sprengstoffanschlages im Reichstag, insbesondere zur Festnahme der Täter beitragen. Den weiteren Betrag von 15 000 m. erhalten diejenigen Personen, durch deren Angaben der Nachweis eines Zusammenhanges des Berliner Anschlages mit den früheren Anschlägen erbracht wird.- Sachdien­liche Mitteilungen, die auf Wunsch streng vertraulich behandelt werden, sind zu richten an die Kriminalfommiffare Dr. Braschwitz und Mühlfriedel, Bolizeipräsidium, Abteilung I A, 3immer 235c und Zimmer 293, Hausanruf 417 und 476.

Der Schauplatz der Explosion.

Die Explosion erfolgte in einem Lichtschacht unter dem Straßen­niveau, der direkt am Portal 5 liegt. Der Schacht ist etwa 16 Meter lang, 1,20 meter breit und über 2 Meter tief. Er zieht sich längs des Reichstagsgebäudes hin und dient zur Erhellung der im Keller liegenden Bureauräume, deren Fenster durch starte Gitter gesichert sind. Durch die Explosion sind die starken Glas­scheiben von drei Kellerfenstern sowie mehrere Scheiben im Parterre und im 1. Stockwerf des Reichstagsgebäudes zertrümmert worden. Der Luftdrud war so start, daß in etwa vier Meter Höhe rechts vom Portal 5 ein großes Mauerstüd herausgerissen wurde. Sonst ist nennenswerter Schaden nicht angerichtet worden.

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Bisher fehlt von den Tätern jede Spur. Man glaubt, daß mehrere ihre Hand im Spiele gehabt haben und daß der Sprengstoffanschlag gut vorbereitet war. Offenbar haben die Täter die Höllenmaschine an einer Schnur in die Tiefe gelassen. Aus den Ueberresten der explodierten Sprengförper tonnte festgestellt werden, daß sie genau so konstruiert worden sind, wie die Höllenmaschinen. die in Holstein und Lüneburg zur Explosion gebracht worden sind. Es war ein etwa 30 Zentimeter startes Blechgehäuse, an dem ein fleiner Wecker befestigt mar, dessen Uhrwerk durch seine Drähte mit einer elektrischen Batterie verbunden war. Nach einem gewissen Zeitpunkt tamen die Drähte miteinander in Berührung, gerieten ins Glühen und brachten die Sprengmasse zur Entladung., Daß die Wirkung der Explosion nicht schlimmere Folgen nach fich gezogen hat, liegt wohl zum größten Teil daran, daß der Schacht in seiner gesamten Länge völlig offen und auch nicht besonders tief ist. Der Drud tommte dadurch, ohne besonderen Widerstand zu finden,

Die Reichstagsfront, an der die Bombe explodierte.

nach oben entweichen. Alle Teile der explodierten Höllenmaschine wurden sorgfältig aufgesammelt; Polizeichemiter sind zurzeit dabei, die Art des Sprengpulvers festzustellen.

Die Anhaltspunkte.

Self heute vormittag finden sich an allen Berliner Citfaßsäulen die großen Bekanntmachungen der Polizei, in der alle Einzelheiten des Anschlags geschildert werden und das Publikum zur Mitarbeit an der Aufspürung der Täter unter Hinweis auf die große ausgelobte Belohnung aufgefordert wird.

Einige Spuren.

Heute mittag fand im Reichstag noch einmal eine genaue Orts­besichtigung statt, an der Regierungsdirektor Wündisch, der Chemiker Professor Richter sowie Sprengstofftechniker teilnahmen, die von der Polizei zur Aufklärung des Verbrechens herangezogen worden sind. Die am Sonntagmorgen in der Umgebung des Tatortes gefundenen Sprengstücke der Höllenmaschine sind im Laufe des Sonntags in der Chemisch Technischen Reichsanstalt genau untersucht worden, da aus der Zusammensetzung des Sprengmittels sowie aus den Teilen des Uhrwerts eventuell Rückschlüsse gezogen werden können.

dienft auf der Straße wird jetzt in unauffälliger Form erheblich schärfer als bisher durchgeführt werden, um die Wiederholung der artiger Attentate zu verhindern. Das Gleiche gilt auch für den Landtag, da die Annahme nicht unberechtigt erscheint, daß die Kreise, die die Bombe vor dem Reichstag gelegt haben, auch an anderen Stellen ähnliche Anschläge durchzuführen versuchen werden,

Parlamentsattentate.

Gegen den Deutschen Reichstag war bisher noch kein Attentat verübt worden. Hingegen ist gegen die französische Kammer und gegen das englische Parlament je einmal ein Anschlag unternommen morden.

Das Attentat gegen die Deputiertenkammer geschah amr 9. September 1893. Der Anarchist Vaillant marf auf die Plenar. fizung eine Dynamitbombe, die 100 Personen, davon zwanzig Ab­geordnete, verlegte. Der Präsident Dupois vertagte die Gigung nicht, sondern machte die berühmte Bemerkung: Die Sigung geht weiter." Die Folge des Attentats war die Annahme scharfer Gesetze gegen den Anarchismus.

Das Attentat gegen das englische Parlament ist unter dem Namen ,, Pulververschwörung " bekannt. Es war der von einigen fanatischen Katholiken im Jahre 1605 unternommene Versuch, das Barlament mitsamt König Jakob I. in die Luft zu sprengen. Die Attentäter gruben unter der Straße einen Gang ins Parlaments­gebäude und brachten Fässer voll Pulver in einen Keller, wurden aber vor der Explosion entdeckt und hingerichtet.

Reichskabinett und Haager Ergebnis.

Sitzung voraussichtlich morgen Dienstag.

Reichsaußenminister Dr. Stresemann wird Berlin vor aussichtlich noch im Laufe des heutigen Tages wieder verlassen, um fich nach Genf zu begeben.

Die Kabinettssigung, in der das Ergebnis der Ver­handlungen im Haag besprochen werden soll, wird voraussichtlich am Dienstag stattfinden. Dr. Stresemann wird somit an dieser Sizung nicht teilnehmen können. Da jedoch die Minister Dr. Hilferding und Dr. Curtius, die mit Stresemann zusammen am Sonntag in Berlin antamen, in Berlin anwesend sind und bis zu diesem Zeitpunkt auch der Minister für die besetzten Gebiete, Dr. Wirth, in Berlin eintreffen dürfte, wird durch die Abwesenheit Dr. Streses manns die Besprechung des Haager Ergebnisses nicht verzögert werden, da die drei Minister über die einzelnen Vorgänge im Haag unterrichtet sind.

Schachteinsturz in Rummelsburg .

Mehrere Arbeiter verschüttet.

Heute mittag ereignete fich in der Capriviallee ha Rummelsburg ein schweres Einsturzunglüd.

tiefe Schächte für die Kanalisation ausgehoben. Aus noch tiefe Schächte für die kanalisation ausgehoben. Aus noch ungeklärter Ursache gaben die Bersteifungen plöhlich nach und mehrere Arbeiter wurden verschüttet. Die Feuer­wehr wurde alarmiert, die bei Schluß des Blattes noch mit der Bergung der Berunglückten beschäftigt ist.

Zurzeit werden dort mehrere etwa drei Mefer

Todesopfer follen glüdlicherweise nicht zu beklagen sein.

Diese Untersuchung hat bereits einige Anhaltspunkte ergeben, über die jedoch aus Gründen der weiteren Untersuchung begreiflicher. weise noch nichts gesagt werden kann. Immerhin besteht auch nach der genaueren Untersuchung der schwerwiegende Berdacht, daß das Attentat auf das Reichstagsget äude durchaus ein Glied in der Kette der bisherigen Anschläge in Hannover und Schleswig- Holstein iſt. Für diese Annahme spricht auch die Tatsache, daß die Höllenmaschine an eine Stelle gelegt wurde. wo sie ernstlichen Schaden nicht an­richten fonnte. Den Tätern war es dabei offenbar nur um die Demonstration zu tun. Im Reichstag selbst wäre die Auf stellung einer Höllenmaschine faum möglich gewesen, da z. B. in die Kellerräume oder in einzelne Zimmer des Hauses kein Fremder ohne Begleitung eines Beamten gelangt. Außerdem befindet sich ein besonderer Ueberwachungsdienst im ganzen Hause, der auch des Nachts durchgeführt wird. Wie wir jedoch erfahren, wird man auf Grund dieses Anschlags von jetzt an die Bewachung des Reichstags erheblich verstärten, und auch der Polizeitleinen Teil durch Berjidherung gededi.

Ein fränkisches Dorf eingeäschert. Zweihundert Familien obdachlos.

Kronach , 2. September. Das meist von Teuschnitz in Oberfranken , das etwa 1500 Einwohner Heimarbeitern bewohnte Dorf zählt, ist heute nacht von einer schweren Feuers. brunst heimgesucht worden.

59 Wohnhäuser, 37 Scheunen, 15 Schuppen und 20 bis 30 Лeben­gebäude wurden eingeäschert. Nahezu 200 Familien find ob dach­los. Der Brand ist, wie es heißt, durch ein in einer Scheune untergestelltes Motorrad verursacht worden und griff bei dem herrschenden Wind mit großer Schnelligkeit um sich. Einige Pet­fonen erlitten bei den Löscharbeiten leichte Berlegungen.

Das Großvieh fonnte rechtzeitig in Sicherheit gebracht merden, das Kleinvieh verbrannte. Der Schaden ist nur zum