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Rr. 419. 46. Jabrgang 1. Beilage des Vorwärts

Sonnabend, 7. Geptember 1929

Auf der Spur der Bombenattentäter.

Ein verdächtiger Motorradfahrer. Motorradfahrer.  - Mitbürger helft den Behörden!

Zu dem neuen Bombenattentat in Lüneburg  teilt der Berliner   Polizeipräsident mit: Der Anschlag auf das Regierungsgebäude in Lüneburg   ist allem An schein nach von den gleichen Personen begangen, denen die früheren Attentate zur Last zu legen sind. Die bis herigen Feststellungen lenken den Verdacht auf einen Motorradfahrer, der sich in der Attentats| nacht( vom 5. zum 6. September) um etwa 3% Uhr bei Metlenburg hat über die Elbe sehen lassen, um nach seinen Angaben- die Fahrt nach Soltau  , und Berlin  fortzusehen. Der Fahrer benutzte ein Motorrad mit Soziussit, Marke Zündapp mit dem Erkennungszeichen 1. S. Von der fünfstelligen Zahl sollen die beiden ersten Biffern ,, 17..." sein. Die Wahrnehmungen sind deshalb beachtenswert, weil auch bei dem ersten Lüneburger  Sprengstoffattentat am 1. August 1929 ein Motorrad­fahrer den Verdacht auf sich gelenkt hat.

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Weiter ist mitzuteilen, daß man unter den zahlreichen Trümmern und Gesteinsbroden einige Rädchen und Uhrfedern ge­funden hat, die zweifellos aus dem Weckerwert der benutzten Höllenmaschine stammen. Die Vorderwand des Regierungs­gebäudes ist start beschädigt, das ganze Mauerwerf weist Riffe und Sprünge auf, die tragende pfeilerartige Seitenwand zum Torweg hat einen von unten bis oben durchgehenden feinen Riß. Das Kellergewölbe ist vollständig zerstört worden.

Der Schaden war erst in seiner ganzen Größe zu ersehen, als man den wüsten Trümmerhaufen fortgeräumt hatte.

Durch die Explosion sind die elektrischen Drähte sowie die Röhren der Wasserleitung und Zentralheizung auseinandergerissen worden. Dadurch ist unter den Akten ein bisher noch nicht abzu­fdäßender Schaden entstanden. Es handelt sich zum Teil um alte, sehr wertvolle Aften und Zeichnungen, die für die wafferrecht­lichen Verhältnisse des Bezirks urkundliche Bedeutung haben. Ein großer Teil dieser Akten ist durch das Wasser start beschädigt worden. Im übrigen sind die Akten so durcheinandergeworfen und in sich zerrissen, daß mehrere geschulte Beamte viele Monate zu tun haben werden, um auch nur einigermaßen die Atten übersichtlich zu orbrien.

Es haben sich viele Personen gemeldet, die verdächtige Personen und Autos beobachtet haben wollen.

der Hamburger Polizeipräsident Dr. Campe in Lüneburg   ein­getroffen. Die bisherigen Ermittlungen ergaben, daß die bei dem Anschlag verwendete Höllenmaschine in genau derselben Art zu­sammengestellt war wie bei den früheren Anschlägen. Für die Er­mittlung der Täter wird eine hohe Belohnung ausgesetzt werden. mifflung der Täter wird eine hohe Belohnung ausgefeht werden. und im Oktober 1928 als Nachfolger des Regierungspräsidenten Der Regierungspräsident Dr. Herbst, der unserer Partei angehört 2üdemann nach Lüneburg   berufen worden ist, gab Presse­vertretern weitere Erklärungen über den Anschlag ab. Danach hat er sich um 11 Uhr abends in sein unmittelbar über dem gefährdeten Toreingang liegendes Schlafzimmer zur Ruhe begeben. Durch die heftige Detonation sei er geweet worden. Er habe sofort der Abteilung I A des Berliner   Polizeipräsidiums tele­phonisch Bericht erstattet und Spezialbeamte angefordert.

Man nimmt an, daß die Bombe gegen 20 Uhr abends gelegt worden ist, da der Hund um diese Zeit start gebellt habe. Dem gegenüber ftehen Angaben von Leuten, die um 24 Uhr ein ver­dächtiges Auto gesehen haben wollen, das mit abgeblendeten Lichtern in schneller Fahrt davongefahren fel.

Das Alte stürzt.

neukölln, an der Gabelung der Berg- und Richard. Mit dem Bau der neuen unterirdischen Toilettenanstalt in straße, hat diese spige Ede endlich eine freundliche Abrundung erhalten. Wer jene Gegend von früher her fennt, wird wiffen.

3wei Frauen befunden, daß sie zur Zeit der Explosion einer große Frauensperson über den Markt hätten tommen sehen, die uter dem Mantel ein Gepäckstück in der Art einer Margarinetiste getragen habe. Man nimmt an, daß es sich um einen verkleideten Mann handelt..

an, daß es fich

In Lüneburg   waren bereits in den letzten Tagen Gerüchte von einem bevorstehenden neuen Anschlag in Umlauf. Höhere Be­amte hatten anonyme Drohbriefe mit der Ankündigung erneuter Attentate erhalten.

Die Landstraßen werden überall scharf fontrolliert, wobei namentlich den Kraftwagen erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt mird. Ganz besonders streng ist die Kontrolle an den Elb= übergängen. In Lüneburg   find bereits viele Personen, die sich zur Zeit der Explosion in der Nähe des Tatortes befunden hatten, vernommen worden. Außer den Berliner   Kriminalbeamten ist auch

Die

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Plaster Kästen

von A.M.Frey  .

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Copyright 1929 by Gustav Kiepenheuer Verlag A.-G., Berlin  Ueberhaupt, Herr Stabsarzt," er pflanzt sich breit hin ,, bei aller Anerkennung der wackeren Absichten: ich trage Bedenken, ob es gut ist, dem Frontsoldaten solchen An­flug von Lurus zu bieten, wie er hier geboten wird. Der Unterschied zwischen dem Graben und dieser Rasierstube: macht er glücklich oder macht er nur unzufrieden?"

Lipp läßt die Frage offen. Man fann ruhig annehmen, daß sie rhetorisch gemeint ist. Aber Funt wundert sich doch über den Gesichtsausdruck des Stabsarztes, der es nur zu einer Art von müdem Grimm bringt. Rein drohendes Plazen vor But mehr, wie früher in solcher Lage.

Der Divisionsarzt steht schon vor seinem Wagenda erinnert er sich der Latrinen. Doch hoffentlich getrennte für Darmfranke und Darmgesunde, mie? Er holt sie nach und lobt sie. Nur: Sparsamkeit ist ausgezeichnet, Sparsamteit ist lebensnotwendig, ist friegsnotwendig, aber mit dem Chlor­falt brauche man nicht so geizig umzugehen. Dies Des­inficiens - nicht wahr. jederzeit in genügender Menge er­hältlich über die Kommandanturen!

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Dann fährt er ab. Lipp bleibt, auch als das herrschaft liche Auto fnatternd und schlammsprigend entschwunden ist, unheimlich ruhig.

Funk spürt jetzt deutlich, daß irgend etwas Besonderes auf dem Wege ist.

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Lipp sagt langsam in die Luft, wie zu einem Schemen: ,, Du hast mich das leztemal gesehen, mein Lieber- naa, das Dorlegtemal. Denn" wendet er sich lauter an seinen Be­gleiter das letztemal wird mich dieser Herr sehen, wenn ich servus fage, mas bald geschehen soll. Funt, wir machen die Eingabe noch heute. Ich melde mich frant. Ich bitt' Sie glatte Sache, bei meinen Zahnverhältnissen. Ich geh', ich geh fofort. Sie sollen meinetwegen eine Aushilfe hertun, bis der richtige Nachfolger bestellt ist. Eh es das Regiment von dorpen reißt, also, solange wir noch in Méricourt sind, mill ich die Sache erledigt missen. Hätt er mir nicht mein Rasierstüberl geschmäht, der unvernünftige Trottel wer meiß, ich hätt mir's vielleicht noch einmal überlegt und

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Ecke Berg   und Richardstraße( Neukölln)

daß mehrere Jahrzehnte, feit 1880, auf derselben Stelle eine hohe Säule mit einem Adler auf der Spize stand, die ganz und gar nicht in das Stadtbild paßte. Jenes Denkmal für die Gefallenen des Krieges 1870/71, aus privaten Mitteln errichtet, wurde im Jahre 1916 bereits nach dem Herzbergplatz verjetzt, wo es heute in­mitten der Grünanlagen nicht mehr ganz so fahl wirkt, wie ehedem. Die Bedürfnisanstalt für Frauen und Männer ist nach neuzeitlichem Stil erbaut und auch dementsprechend eingerichtet. Darüber be­findet sich eine Normaluhr, und was besonders im Brennpunkt des Berkehrs freudig begrüßt worden ist, ein Telephonhäuschen, das der ganzen Anlage erst den ruhigen Abschluß gibt.

meitergemacht. Aber so! Ist das der Dant für den auf reibenden Dienst? Ich trag' mich ja, Funt, offen gestanden schon seit Wochen mit dem Plan. Mich dünft beim Himmel, ich hab' meinen Kopf lang genug hingehalten." Funt ist zumut, als schaue er in die Zukunft wie in eine schöne Landschaft. Trogdem tut ihm der Gedanke an tut ihm der Gedanke an Trennung von diesem Manne leid, so sehr verwächst man durch Gewohnheit selbst mit einem Untier. Herr Stabsarzt haben ganz recht," bestärft er Lipp. Was wäre hier noch weiter für Sie zu holen."

,, Den Krieg hab' ich weg."

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,, Und die sämtlichen erreichbaren Orden auch." Lipp ist gar nicht böse, er geht auf den Ton ein. ,, Genug bemalte Bauernteller," ergänzt er zynisch.

und einen großmächtigen Schmalztiegel ohne Boden," schließt Funk, den die Freude ganz leicht und töricht macht. Das aber ist beinahe zu viel an Laune. Bemauft worden zu sein und als der Dumme dazustehen, hat er immer noch nicht verschmerzt. Er sagt von oben herab: Ich wünsche Ihnen nur, daß mein Nachfolger Sie ähnlich verständnis Doll behandelt, wie ich es stets getan habe, Funt."

27.

Anfänge von Auflösung machen sich bemerkbar. Die feelische Seite des Durchhaltens gerät ins Schwanken bei den Führern. Körperlich haben sie ja niemals Grund gehabt und haben auch weiterhin feinen, über Dezimierung zu flagen. Aber das Gemüt, die Neugierde, die Abenteurersucht, die Freude, Held und in der Heimat bewundert zu sein sie werden dezimiert. Budem: nicht nur bei Lippes ist bei vielen an äußeren Ehren erreicht, was erreicht werden kann. Man geht ab. Man geht nicht ganz ab von der Bühne, man bleibt im Kostüm, man segt sich in die Garderobe oder ins Ronversationszimmer, hält seinen Schwaz  , macht ein Spiel­chen und vor allem: bezieht die Gage weiter.

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Das bedingt einen immer hurtigeren Wechsel derer, die draußen stehen. Bald nach Lipp geht auch der Kommandeur, Herr von Bummer. In einer seltsamen Weise hat seine Tanzleidenschaft zugenommen, und gleichen Schritt hält seine Leidenschaft zum Alhohol.

Das Regiment ist eines Tages Hals über Kopf weg­geprellt worden von Méricourt durch den unerforschlichen Finger des großen Hin- und Herschiebers der Maffen. Es ist an irgendemem Blak gelandet, der ein Sprungbrett jein soll zum Gag in den großen Frühjahrstrubel hinein, aber es geschieht vorläufig nichts, die junge Sonne ist da, blaue warme Tage strahlen, mächtig bricht saftiges Grün aus einer

Die Nachforschungen nach den Sprengstoffattentätern werden in sofern unter einheitlicher Leitung vorgenommen, als sich Kriminal­polizeirat aigel von der Landeskriminalpolizei nach Lüne burg begeben hat, wo in Zusammenarbeit mit den örtlichen Polizei­behörden alle Fäden der Untersuchung zusammenlaufen. Die Unter unvermindertem Eifer fortgeführt. Der Fund im Tiergarten, wo suchung gegen die Täter des Reichstags anschlages wird mit man bekanntlich einen Pappkarton mit Uhrteilen gefunden hätte, hat sich bereits durch die Ermittlungen der Kriminalpolizei als harmlos herausgestellt. Die Kriminalpolizei will die Herkunft derjenigen Uhrteile, die man von der Höllenmaschine des Reichstags beschlagnahmt hat, durch die Mitarbeit des Uhrmacher­gewerbes feststellen lassen. Man hat sich bereits mit einer großen Uhrenfabrik in Süddeutschland   in Verbindung gesetzt, die der­artige Wecker herstellt, und ferner soll in dem Organ des Deut= schen Uhrmacherbundes ein Aufruf der Kriminalpolizei ver­öffentlicht werden, um so möglicherweise die Käufer dieser Uhren zu ermitteln.

Das Gesamtgutachten über die Höllenmaschinen wird vor­aussichtlich am Montag nächster Woche vom Chemisch Tech nischen Reichsamt erstattet werden. Die Sachverständigen des Polizeipräsidiums haben bisher festgestellt, daß es sich bei dem Sprengmittel allem Anschein nach um Schwarzpulver handelt.

10000 Mart Belohnung!

2üneburg, 6. September.

Der Regierungspräsident Dr. Herbst hat für die Ermittlung und Ergreifung der Urheber des 2üne. burger Bombenattentats eine Belohnung bon 10 000 Mark ausgesetzt. Die für die Aufklärung der früheren Attentate ausgesekten Belohnungen Iaufen ebenfalls weiter.

Die anhaltenden Bombenanschläge auf öffentliche Gebäude haben in der Bevölkerung mit Recht Beunruhigung hervorgerufen. Es heißt, wie immer, wenn von den Radikalen rechts oder links Unfug angeftiftet wird oder Verbrechen begangen werden, die Nerven bewahren. Aber auch eine andere Mahmung ist not­wendig: Haltet die Ohren auf! Achtet auf Berdächtige in den Gaststätten! Achtet auf Berdächtige beim Friseur! Achtet auf Berdächtige auf der Straße! Achtet auf Ber  dächtige in der Elektrischen, in der Untergrundbahn! Das ift teine. Schnüffelei, das ist die Erfüllung einer einfachen Staats= bürgerpflicht

an

Jeder Republikaner schämt sich dem Auslande gegenüber der Verbrechen, die in den letzten Wochen begangen wurden. Jeder Republikaner hat die verdammte Pflicht und Schuldig. teit, zu seinem Teile Attentats seuche mitzuhelfen. Wenn er sich einmal irrt und ter Bernichtung dieser der Polizei Belangloses mitteilt, so schadet das nichts. Die Kriminalkommissare sind dazu da, die Spreu vom Weizen zu sondern. Aber das fleinste Korn tann von Nuzen sein und zur Feststellung der Verbrecher führen.

so gutartigen duldsamen Erde, daß man sich verwundert fragt, wie lange man sie noch mißhandeln darf, ehe sie es ganz aufgibt, um Anerkennung und Frieden zu bitten.

An diesem Plaz, auf der Dorfstraße, unter den Klängen der Regimentstapelle, vor angesammelter Mannschaft tanzt Oberstleutnant von Bummer. Er hat Geburtstag, die Musik spielt vor dem Haus, in dem das Kasino eingerichtet ist, seit Stunden; auch der Hannes hat es gut, die Feldküchen tochen die Suppe ein wenig fetter, und in den Kantinen werden ein paar Fäßchen Bier ausgeschenkt.

Da fommt Bummer-die Herren sigen nach dem Sekt bei Kaffee und Schnaps- auf den Einfall, sich bei der tapfe= ren Kapelle für die unermüdlichkeit persönlich zu bedanken. Er federt aus dem Hause in fleinen eleganten Bögen, die nicht ganz beabsichtigt sind, die zerknitterte Feldmüße im Genic, in der schwerberingten Linken die Reitgerte. Hinter ihm her fommt verfinstert, dennoch lächelnd, wie der Freuden­tag es verlangt, so daß aus dem ganzen eine greinende Miene wird, er der Adjutant, wie ein verftapptes Kinder­fräulein, das den ungezogenen Wildfang am liebsten haschte und ins Stübchen zurüdtransportierte. In noch größerem Abstand folgen die übrigen Herren vom Stab und die zum Effen geladenen drei Bataillonstommandeure nebst den beiden Feldgeistlichen der Division.

Bummer, hochroten Kopfes, mit freundlich blizenden Augen, sagt abgehackt, dennoch weich und verschliffen, mit fanft stolpernder Bunge, was er seinen lieben Musikern zu sagen hat. Der Kapellmeister nimmt luftvoll erregt die Bot­schaft entgegen und fragt gehorsamst, was er nun auf be­fonderen Wunsch des Herrn Oberstleutnants spielen folle. Der verlangt den Donauwalzer und beginnt sich schon im voraus in den Hüften zu miegen.

Bald wiegt er sich nach den Tatten, und immer hin­gegebener. Herr Oberstleutnant" raunt ihm der Ad­jutant zu; als er vorbeichaffiert aber ,, nir da!" schreit der Alte ganz laut und eigensinnig und trudelt weiter.

Es tommt über ihn die Freude, sich zu produzieren. Er fieht die Mannschaft, mit der er sowieso stets auf gutem Fuße lebt, hochachtungsvoll lächelnd, er sieht die Herren Offiziere leise betreten, das empfindet er schon noch, aber er will ihnen zeigen, daß er weiß, was er tut und wer er ist, und daß alles harmlos verläuft er sieht vor allem die frampfhaft heitere Effigmiene des Adjutanten dieses Menschen, der, das hat er immer schon gefühlt, ihn unterdrückt. und dem er heute wenigstens beibringen wird, daß er tanzen will, wie und wo und solange es ihm beliebt.

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Forthegung folgt)