Morgenausgabe
Nr. 439
A 221
46.Jahrgang
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Donnerstag 19. September 1929
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Alarm in Desterreich!
Drohende Sprache der Heimwehr.- Maulaufreißerei oder Ultimatum?
vie Pressestelle des Heimatbundes versendet unter der Ueberschrift„ Die lehte Warnung" eine Berlaufbarung der Bundesführung der Selbstschuhverbände, in der es heißt, daß die Heimatwehr ihre ganze macht einsehen werde, um eine halbe Cöfung der Verfassungsreform zu verhindern. Ihre einmüfige Forderung gipfele in dem Verlangen nach einer Berfaffung, die in gleicher Weise den vaterländischen Wünschen wie den wirtschaftlichen Bedürfnissen der bodenständigen Bevölkerung enffpredje. Einen Teil dieser Forderungen enthielten die bisherigen programmafifchen Kundgebungen der verschiedenen Parteien und Verbände; aber sie feien nicht weitgehend genug. Wenn die Parteien im Verein mif der derzeitigen Regierung jetzt daran gehen wollen, aus diesen minimalen Forderungen einen Regierungsentwurf auf einer mittleren Linie zu konstruieren, der auch die Brüden zu weiteren Ver. handlungen mit den Austromargiffen nicht abbricht, fo erklärt die Heimatwehr, daß sie eine solche Quadfalberei nicht als eine Verfassungsreform in dem von ihr geforderten Sinne betrachtet.
Die Heimwehr will ganze Reformen und eine ganze Söfung. Fühlt sich die gegenwärtige Regierung einer folchen Aufgabe nicht gewachsen, dann möge fie zurüdtreten.
Dann haben die bürgerlichen Parteien freie Hand, durch die Wahl einer si arfen Regierung, in der auch die Heimatwehr den ihr gebührenden Einfluß besikt, zur Entwirrung der Lage und zur Feftigung unserer innerpolitischen Verhältniffe bei 3ufragen. Ein solcher Entschluß allein würde in letzter Stunde den mirklichen Machtverhältnissen Rechnung tragen. Deffnet man der Heimatwehr fein Ventil, fo tönnte die innere Spannung eines Tages zu einer Explosion führen,
die den reinen Parteipolififern ganz sicher nicht erwünscht wäre. Heute hätten die reinen Parteipolififer es noch in der Hand, durch einen großzügigen Entschluß den veränderten politischen Verhältniffen Rechnung zu fragen und das Staatsruder in die Hände einer neuen Macht zu legen, welche die Fähigkeit und die Macht habe, eine Gesundung der politischen und wirtschaftlichen Verhält niffe Desterreichs durchzuführen. Ob sie in einigen Wochen noch die Freiheit des Handelns hätten, das jei im Hinblick auf das fürmische Tempo, das die Entwicklung der Heimatbewegung eingeschlagen habe, fraglich. Die Zeit jei furz, um entschloffen und durchgreifend zu handeln, so wie es die Mehrheit des deutschen Volkes in Defterreich verlangt.
Der Zeiger zeige auf 12 Uhr.
Die Parteien feien zum letzten Male gewarnt. Am 29. September fänden in der Umgebung Wiens vier große Aufmärsche statt, ganz bestimmt nicht ohne einen tieferen Sinn. Sie würden den Drud der bodenständigen Bevölkerung auf die Entwicklung der politischen Dinge in Wien so verstärken, daß kein politiker mehr den
Ernst der Lage vertennen fönne.
Offiziöser Beschwichtigungsversuch.
Die heute abend unter dem Titel Die letzte Warnung" von der Presseftelle des Heimatbundes versandte Berlautbarung, welche hier großes Aufsehen erregte, ist, wie von genannter Stelle nachträglich berichtigend festgestellt wird, teine offizielle Rundgebung der Bundesführung der Selbst schutzverbände, sondern der heutige Leitartikel des Heimwehrorgans in Graz , der Alpenländischen Heimatwehr", der allerdings von einer dem dortigen Bundesführer Pfriemer nahestehenden Seite stammen soll. Demnach ist der Kundgebung nicht die Bedeu tung beizumeffen, die ihr hier anfänglich gegeben wurde. Immerhin ist sie als Symptom doch zu werten. Wie von christlich fozialer Seite verlautet, wird der Artikel an maßgebenden Regierungsstellen auch ruhig beurteilt.
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In der MTB.- Meldung wird gesagt,' die Kundgebung habe Aufsehen erregt". In Wirklichkeit war fie in Wien gestern nacht nur den Redaktionen und den amtlichen Stellen bekannt. Die Bevölkerung wird erst heute morgen aus den Beitungen von ihr erfahren. Die Wiener Regierung hat inzwischen vergebliche Versuche gemacht, die Breffe von einer Veröffentlichung der fchärfften Stellen abzuhalten; denn es ist die selbstverständliche Pflicht der Presse, wahrheitsgemäß zu berichten. Von Beschwichtigungshofräten kann die Situation, so wie sie jetzt in Desterreich entstanden ist, nicht gemeistert werden. Der Wiener Regierung wäre in diesem Augenblid weniger ,, Ruhe" als Energie zu wünschen. Sie trägt nicht nur vor dem österreichischen, sondern vor dem ganzen deutschen Bolte und vor ganz Europa die ungeheuerste Berantwortung: Auch wir im Reiche können nicht ruhig bleiben, wenn wir sehen, daß das deutsche Haus an einer Ede angezündet werden soll.
Die österreichische Sozialdemokratie und der Republika nische Schutzbund stehen fest und fampfbereit zur recht mäßigen Berfassung. In Deutschland steht alles zu ihnen, was republikanisch fühlt und denkt! Geplante Kundgebung der Wiener Heimwehren.
Die gesamten Wiener Heimwehren werden am 21. September, nachmittags, auf dem Heldenplatz eine große und gebung veranstalten, auf der die Führer Steidle und Pfriemer programmatische Erklärungen abgeben werden. Außerdem findet am gleichen Tage eine große Tagung der niederösterreichischen Bauern flatt, in der, wie von agrarischer Seite mitgeteilt wird,
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Beschlüsse von grundlegender Bedeutung für die nächste innerpolitische und wirtschaftliche Entwicklung Desterreichs gefaßt werden follen.
Das Staatsoberhaupt verfassungstreu.
Bankkonto: Bank der Arbeiter, Angestellten
und Beamten, Wallstr. 65. Diskonto- Gesellschaft, Depofitentaffe Lindenstr 3.
Rein Zusammenhang?
Deutschnationale Bekenntnisse zum„ Landvolf".
Die Kreise der Bombenverbrecher begegnen sich mit den Kreisen um Hugenberg in der schamlosesten Hezze gegen die Republik und ihre Staatsmänner. In der Gesinnung der Mordheze sind sie völlig eins. Ob der Freiherr von Bo bungen in einer Landvoltversammlung in Neumünster Berräter über Stresemann ruft und der Chor der Bombenwerferfreunde antwortet: Aufhängen! totschlagen!", oder ob Herr Hugenberg in seinem famojen Boltsbegehren der Regierung und dem Reichspräsibenten Landesverrat unterstellt und die Hitler , Goeb bels und Co. Mordheze als Begleitmusik dazu betreiben- es ist ein und dieselbe Gesinnung!
Deutschnationalen in Pommern , macht das Abrüden von Die Bommeriche Tagespost", das Organ der Deutschnationalen in Pommern , macht das Abrücken von den Bombenverbrechern nicht mit. Mit unverhohlener Sympathie berichtet sie über eine Heßversammlung des LandDolfs" in Stettin :
stein und aus dem Hannoverschen, die Kameraden derer, die ,, Nun sind sie also dagewesen, die Männer aus Schleswig - Holgestern in schwerer Bewachung nach Berlin ge= schafft worden sind, um dort in einem Monftreprozeß, den das derzeitige System gegen sie einleiten will, abgeurteilt zu werden. inten, um die breite Masse des Bolles abzulenten vom Bolks= Die Bombenpsychose, fünstlich geschürt von der begehren, ist das darf man nicht vergessen- roch nicht auf ihrem
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Höhepunkt oder gar an ihrem Ende angelangt. Den unhaltbaren Verhaftungen, die sich in den letzten Tagen geradezu gejagt haben, werden weitere folgen. Aber je mehr die ganze Angelegenheit mit unverkennbarer Nervosität von seiten der Derzeitigen vorangetrieben wird, desto unverkennbarer tommt zum Ausdruck, was eigentlich eben durch die ganze fölpelhafte Aktion
der augenblidlichen macht haber im Grunde genommen vertuscht werden soll: das Aufbegehren des nun seit einem Jahrzehnt
gequälten und gefnebelten Volkes, der immer stärker werdende Wille
zur Freiheit."
Das ist der Gipfel heherischer Berlogenheit: es hat keine Bombenattentate gegeben, feine Geständnisse der Täter- lediglich eine tölpelhafte Aktion der republikanischen Machthaber". Diese Tonart des deutschnationalen Organs unterscheidet sich in nichts von den Hezreden, die in dieser Berfammlung gehalten wurden.
Bei einem Besuch der Stadt St. Pölten wurde der, Bundes präsident der Republik Deutschösterreich von dem sozialdemofratischen Bürgermeister begrüßt. Auf den Appell, zum Nutzen aller Es sprach zunächst Major Hildebrand= Wusarbeitenden Stände für den inneren Frieden zu wirken, erwiderte feden, Mitglied der Deutschnationalen Volkspartei . Er der Bundespräsident unter anderem: Ihr Appell hat in meinem verwies darauf, daß Hamtens als Redner vorgesehen Herzen lebhaften Widerhall gefunden. Sie haben, mir aus der gewesen sei. Man habe ihn verhaftet, um den Wahra Geele gefprochen. Ich hoffe, daß die guten Geister Defterheitsfanatiter mundtot zu machen". Hildebrand reichs den Bürgern dieser Republik unter unserer Ber - fuhr fort: fassung den rechten Weg zu rechter Arbeit finden lassen werden. Ich bin überzeugt davon, daß wir den Weg zu gemeinsamer Arbeit finden werden."
Der Berfaffungsfampf.
ist, verhandelt jetzt mit den Regierungsparteien über die erzreaktionären Verfassungswünsche des Landbundes, der kleinsten Regierungspartei. Die„ Arbeiter- Zeitung " hat demgegenüber die Forderungen aufgezählt, die die stärkste Partei der freigewählten Bolfsvertretung, die Sozialdemokratie, zu stellen hätte; das Zentralorgan betont, daß die Verfassungsänderung nur mit Zweidrittelmehrheit beschlossen werden kann, auch dann, wenn später noch eine Volksabstimmung darüber folgt. Um die Entwaffnung würde die Sozialdemokratie fämpfen. Inzwischen müßte jeder wehrhafte Genosse in den Schutzbund eintreten.
Bundeskanzler Streerumig, der aus Genf zurückgekehrt
Die Reaktionäre behaupten, entgegen der Verfassung, seit das Gefeß über die Boltsabstimmung besteht, tönne die Volksabstim mung über jeden Gesezentwurf von einem Drittel der Abge ordneten verlangt werden. Selbstverständlich fann dadurch die von der Verfassung, dem obersten Gesez, geforderte Zweidrittelmehrheit für ihre Aenderung nicht beeinträchtigt werden!
Die Heimwehrzentrale verschidt einen neuen Drohartifel, in dem fie u. a. fagt: Die Heimatwehr wird genau so handeln wie die Sozialdemokratie im Jahre 1920. Damals hatte sie die entscheidende Macht in der Hand und zwang das faschistische Bürgertum zur Annahme einer von voltsfremden Führern ganz auf die Die Ruhe, die die Wiener Bürgerblod- Regierung margiftischen Bedürfnisse zugeschnittenen Ber. marfiert, ist nur ein Ausdrud ihrer Schwäche und Verfassung. Berichterstatter für diese Berfassung war--Abg. legenheit. Der Pfahl sitzt ihr im Fleische, denn sie setzt Dr. Ignaz Seipel , der Führer der Christlichsozialen. Er fich aus Parteien zusammen den Chriftlichsozialen und den empfahl die Verfassung und seine Partei nahm sie an! Großdeutschen, von denen große Teile, besonders in den Alpenländern, offen mit der Heimwehr sympathisieren.
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,, Und wenn man in unverantwortlicher Willkür auch diesen und jenen ins Gefängnis wirft, weiler Unbequemes zu sagen hat, so werden immer neue i aufstehen, die an die Stelle der Verhafteten treten, um dem deutschen Bolte eben diese gefürchtete Wahrheit ins Gesicht zu schleudern."
Behörden der Republik feierte der deutschnationale Major Nach dieser verleumderischen Beschuldigung gegen die Behörden der Republik feierte der deutschnationale Major den vorbildlichen Opfermut" des„ Landvolks". also der Bombenwerferorganisation!
Ein Landwirt Roß aus Schleswig- Holstein erklärte: ,, Schleswig- Holstein und Hannover sind in diesem Stampfe vorangegangen. Ihr Vorbild darf nicht unbefolgt bleiben, sondern was sie getan haben und tagtäglich noch tun, muß zu einer weit über die Grenzen dieser beiden Provinzen hinausgehenden alle erfassenden Einheitsbewegung anwachsen."
Also Bomben auch in Pommern ? Nach Angriffen auf Severings entmenschte Polizei" deklamierte dieser Verbrecherfreund:
,, Man tut sich auf der Linten leicht mit dem Bombenrummel. Die verhafteten Landvolkführer sind aber keine Bombenwerfer. Die ganze Landvolkbewegung ist nur in diese ganze fünstlich pro Dozierte und aufgebauschte Affäre hineingezogen worden, um sie zu diskreditieren."
Das trop der Geständnisse, troß der Entlarvung des Landvolks"! Nach ihm enthüllte ein Landwirt Reimers Die wahren Ziele des Landvolk:
Benn bie Kundgebung bloß als eine Aeußerung des Marineabrüstungskonferenz im Januar. ann. Und je mehr die Verhaftungen zunehmen, je intenſiver die
Grazer Heimwehrblattes hingestellt wird, so trifft das nicht die Tatsachen. Zweifellos handelt es sich um eine von der Bundesleitung gebilligte Ertlärung. Mag diese Erklärung auch nicht als ein unmittelbares Ultimatum gemeint sein, so stellt sie doch die Bundesleitung vor die unweigerliche Alternative, entweder alsbald wegen ihrer leeren Großsprecherei blamiert dazustehen oder aber zu Taten überzugehen.
Macdonald ladet ein.
zur
2ondon, 18. September. Wie Reuter aus Washington meldet, werden die Einladungen Fünf Mächte Marine. & onferenz, die, wie vorgeschlagen, im Januar ab gehalten werden soll, demnächst von Macdonald er gehen.
ir kämpfen um die Macht im Staate! Wir mollen fämpfen, gerade heute, gerade in einer Zeit, wo der Begriff des Kämpfens schon verlorengegangen zu sein scheint. Wir wissen, daß eine Revolution mur durch eine Gegenrevolution besiegt werden Linke gegen uns arbeitet, desto flarer tommt auch dem schlichten Bauern zum Bewußtsein, daß die Verbrecher nicht unter uns, fondern im anderen Lager fihen. Desto deutlicher erkennt der einfachste Mann, daß der heutige Staat im fiefften seines Wesens unittlich ist, weil er nur an die niedrigen Instinkte appelliert und alles wirklich Wertvolle haßt und bekämpft."
Diese Töne finden die begeisterte Zustimmung des Seutschnationalen Organs für Pommern! Dert in Pommern