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Diktatur
Die klerikale Opposition im Aufstieg.
K d tu n o 20. September. sLst-Expreß.) Ter Rücktritt Woldemaras' hat aufs äußerste über» rasch t. Gerüchte über die Schwächung seiner Stellung waren so oft in Umlauf gekommen, daß man ihnen nicht mehr glaubte und sie nur noch als Manöver der Oppost- tion ansah. Schon seit längerer Zeit bestanden Tifferen- zen zwischen der Regierung und der Regierungspartei (Tautininkai). sie waren in der Hauptsache auf das selbstherrliche Auftreten Woldemaras' zurück- zuführen, der keine ebenbürtige Persönlichkeit neben sich dulden wollte und sich nur mit gehorsamen Werk- zeugen zu umgeben suchte. Es gelang ihm auch, bisher alle Persönlichkeiten, die seiner unumschränkten Macht gefährlich werden konnten, aus dem Kabinett und der Armee zu entfernen; Neuerdings wollte er auch de» Innenminister M u st e i» k i s aus dem Kabinett ausschalte«. Während Wolde - maras für die strenge Aufrechterhaltung der Diktatur eintrat, strebte ein Teil der Regierungs- Partei nach einer Aussöhnung mit der klerikalen Opposition. AlS Vertreter dieser gemäßigten Richtung der Regierungspartei gilt auch der Staatspräsident S m c t o n a, der infolgedessen mit Woldemaras wieder- holt Meinungsverschiedenheiten gehabt hat. Daß Tub» j a l i s, der ebenfalls einer Verständigung mit den Klerikale« nicht abgeneigt ist, zu Woldemaras' Nach- folger ausersehen ist, scheint für einen Kurswechsel auch in dieser Richtung zn sprechen. Die Klerikalen begrüßen den Rücktritt des Ministerpräsidenten mit Genugtuung,' da e r als Haupthindernis für eine Verständigung zwischen der Regierungspartei und den Klerikalen galt. Der klerikale „Rytas" formuliert folgende Bedingungen für die Zusammenarbeit der Parteien: Wiederherstellung der Gesetzlichkeit und der verfassungsmäßig gewährleisteten politischen Freiheit. Demokratie und Verständigung auf Grund eines Kompromisses. Die bereits geschehenen Ereignisse bedeuten ja schon einen Abbau der Diktatur bis zu einem gewissen Grade. Es läßt sich noch nicht absehen, wie weit die Regierung auf diesem Wege gehen will und wieviel von den Bedingungen der Klerikalen Aussicht aus Erfüllung hat. Die starke linksoppositionelle Partei der V o l k s s o z i a l i st« n hat bisher nicht Stellung ge- nommen.__ Halsmann-prozeß vertagt. Das vorliegende Fakultätsgutachten überholt. � Innsbruck , 20. September. Die weiteren Verhandlungen im Halsmann-Prozeß sind heute überraschend aus unbestimmte Zelt vertagt worden. Der ver- »eidiger. Rechtsanwalt Dr. Mahler. hatte den Antrag gestellt, da» vorliegende Zatultätsgutachten nicht zuzulassen, da es durch ver. schiedene im Dause de» Prozesses zutage getreten« Momente Über- hol» sei. ver Staatsanwalt stellte den Zusahantrag, der Fakultät Gelegenheit zu geben, neuerdings zu den neuen BeweismomeMen Stellung zu nehmen und eventuell ein neue» Gutachten auszu- arbeiten. Räch zweistündiger Beratung verkündete der Vorsitzende. Dr Ziegler. den Beschluß des Gerichts, dem Antrag de» Staat». anwalts stattzugeben und die Verhandlung auf unbestimmte Zeit zu vertagen. Der Angeklagte bat. ihn nicht weiter zu quälen und einen Ausweg au» dieser Situation zu suchen. Die«echtsanwätte schlugen Im verein mit dem Staatsanwalt Kompromisse vor. Da» Gericht war jedoch durch die Strafprozeßordnung gebunden und konnte seinen Beschluß nicht umwerfen. Rumänisches Gtudentenvergnügen. In P u t n a in dewBukowina kam es bei der Abschlußtagung der christlichen Saudenten tzu schweren Judenverfolgungen. Mehrere hundert Studenten oerprügelten die im Schnellzug Ezer- nowitz— Bukarest besindlichen Juden und zerrissen deren Fahrkarten. Ein rumänischer Professor, der den Studenten entgegentrat, wurde verprügelt. Das Zugpersonal soll den Studen- ßen gegenüber vollständig machtlos gewesen sein.
Bombenhauptmann Nickels.
Das Früchichen von der„Apo".
Aus Oberschlesien wird uns geschrieben: Der wegen Beteiligung an der Bombenlegerei verhastet« Nickels ist im Jahre 1921 bei der ob e r s ch l e s i s ch e n Ab- stimmungspolizci eingestellt worden Nach kurzer Zeit wurde er Hauptmann und Führer der Hundertschzst(Karlsruhe O.-Z. Als solcher zeichnete er sich besonders durch leichtsinnigen Lebenswandel aus. Geldverlegenheit, Mangel an guter Kinderstube, drauschgängerisch, stets zu jeder Schandtat bereit, all: Eigenschasten des verrohten Frontsoldaten besitzend, eine typische Nachkriegserscheinung mit ungestillter Aben- t e u c r l u st, die ins bürgerliche Leben kaum noch zurückfindet, das war das Bemerkenswerteste an ihm. Nach Auflösung der Apo ging er ins besetzte Rheinland, nachdem er in Oberschlesien seine golden« Uhr oersetzt chatte, um das Reisegeld aufzubringen. Im Rheinland soll er der Schlag eter-Orgonisation angehört hoben und an deren Taten nicht unbeteiligt gewesen sein. Als man ihm dort auf den Fersen war, kam er wieder nach Oberschlesien und hielt sich bei seinem Onkel, dem Amtsvorsteher und Stphlhelincr Rüge in Halbendorf bei Oppeln , aus. Nachdem er seine' Bekann-
a. u p t rn a
Chafta-Führer der 2. Hdschft,
Polizci-Oberschlesien. ten aus der Apozeit aufgesucht hatte, verschwand er wieder nach dem Westen, getrieben von einem unwider st chlichen Drang nach Erlebnissen. Don besonderem Interesse ist der Abschluß seiner segensreichen Hauptmannszeit in Obcrschlcsicn. Bekanntlich mußte die gesamte Apo bei ihrer Auflösung die Waffen an die Interalliierte Kommflsion abliefern. Nickels arrangierte zwei Tage vor der Auflösung mit seiner Hundertischost ein Abschicdsvcrgnügen mit Tanz. Alles klappte vorzüglich. Als die müden Tänzer in den Morgenstunden ihr« Lagerstätte aufsuchten, mußten sie entdecken, daß die i l l e g a- len Horden, die damals noch die Wälder Oberschlisiens belagvr- ten, sämtliche Waffen und Munition verladen und in Sicherheit gebracht hatten. Warum und wozu— dos dürste nur Herr Nickels wissen.
Interessant wäre es festzustellen, w i e Nickels als N i ch t o b e r- s ch l e s i e r in die Absiimmungspolizei als Ossizier eingestellt werden konnte. Aufschluß hierüber könnt« vielleicht sein Busensreund, der frühere Sachbearbeiter bei der Interalliierten Kommission in Oppeln , Oberleutnant K o ß m a l l e, jetzt Hauptmann und Lehrer bei der Polizeischulc in Münster , geben. Koß- malle ist auch rechtsradikal. Die Untersuchung über sein Der- halten bei ben Prügeleien gegen die p o l ni s ch c n Schau. s p i e l e r am 28. April dieses Jahres in Oppeln ist anscheinend noch nicht abgeschlossen!--- Bestraste Klaggenschander. Endlich Flaggenräuber gefaßt und richterlicher Milde ausgeliefert. kiel. 29. September.(Eigenbericht.) Vom Schöffengericht in Kiel sind der Landmannssohn Heuer und der Gärtner Ticdje wegen Vergehens gegen das Republikschutzgesetz verurteilt worden. Stach einer Verfügung des Innenministers sind bekanntlich die Badeverwalwn» gen verpflichtet, in den Bädern die deutsche Reichsfahne öffentlich zu zeigen. Auch im Ostseebad Schönberger» strand, in den: sonst die deutsche Reichsfahne sich keiner großm Sympathie erfreut, Hot man notgedrungen einen Flaggenmast aus- stellen müssen, an dem die schwarzrotgoldene Fahne gehißt wurde. Aber der Amtsvorsteher konnte kaum jenian finden, der die Fahne morgens hißte und abends wieder einzog! Der Mann, der sich schließlich dazu bereit fand, wurde von Rechtsradikalen dauernd angepöbelt. Wiederholt ist dann die Reichsfahne heruntergerissen worden, die Flaggenlein« zerschnitten und der Flaggenmast umgeworfen worden. Endlich ist es dann dem Landjäger gelungen, die beiden jetzigen Angeklagten als Täter zu fassen. Sie haben in der Nacht zum 1. Juni d. I. die Reichsslaxge heruntergerissen und einige hundert Meter weiter im Sand ver- graben. Di- Fetzen der Fahne blieben oben am Mast hängen und wurden am Morgen auf Veranlassung des Amtsrichters«inge- zogen. Vor Gericht entschuldigten sich beioe mit Trunkenheit. Das ist die übliche Taktik der Rechtsradikalen. Das Schöffengericht ver- urteilte beide wegen B-schimpfling der Reichsfahne auf Grund des § 8 des Republikschutzgesetzes zu je zwei Wochen Gefängnis. Di- Strafe wurde umgewandelt in ein« Geld st rase von 159 M.l Beim Verlassen des Gerichtsgebäudes hörte man Schönberger' Einwohner, die sehr zahlreich der Versammlung b-igewohnt hatten, sage«:„Dat is so noch rech got gohn!" S o viel Milde Hot man mischeinend der republikanischen Justiz gar nicht zugetraut.
Katastrophe im Nachtlokal. 25 Personen getötet, 50 verletzt. Detroit (USA ). 20. September. Zu einer fürchterlichen Katastrophe kam es hier beim Brand des Rochtlokal» Study Club. 25 Personen wurden ge- tötet und 50 verwundet, das Gebäude brannte vollständig au». Die hohe Zahl der Opfer erklärt sich einmal daraus, daß der Brand im Keller ausbrach und so den Gästen der oberen Stockwerke sehr rasch der Ausgang verlegt war. Das Feuer hotte schon einen beträchtlichen Umfang angenommen, bevor jemand im Haus die Gr- fahr bemerkte. Die Feuerwehr wurde infolgedessen erst alarmiert. at» zufällig ein Polizist von der Straße aus die Flammen ausschlagen sah. Unter den Gästen kam es zu einer Panik, die sich noch dadurch verschlimmerte, daß aus dem zweiten Stock nur eine enge Treppe nach unten führte. Als der Rauch immer dichter wurde, sprangen die Gäste aus den Fenstern aus die Straße hinab. Unter den ins Hospital eingelieferten Schwerverletzten be- finden sich viele, denen die Kleider am Leib verbrannt sind. Ein weiteres Telegramm aus Detroit meldet: Bei der Brandkatostrophe in dem Nachtlokal Study Club hat, soweit es sich bis jetzt übersehen läßt, anscheinend die Panik schlimmer gewütet als der Brand. Aus unaufgeklärten Gründe;:
hat sich ein großer Teil der Besucher, statt sich einen Weg ins Freie zu suchen, in die Toilettenräume geflüchtet. Als die Feuerwehr sich den Zugang erkämpft hatte, fand sie die engen Räume gepfropft voll von Menschen, die dos Bewußtsein verloren hatten. An dieser einzigen Stelle wurden allein 25 Opfer ge- borgen.___ ' Ekkis Modesorgen. Wohin schickt man bloß diese Lvnartscharstaja. Paris . 29. Septembcr.(Eigenbericht.) Der„Quotidien* verzeichnet das Gerücht, daß der ehemalige Volkskommissar Lunartscharski zum Botschafter in Paris -r- nannt werden könnte, wenn Dowgalewski nach London gehe. Di- Gattin Lunartscharskis, erklärt das Blatt ironisch, könne in Paris init ihrer Eleganz, hie den Moskauern unliebsam sei, als wir'- sames Propagandamittel verwendet werden. Frumkins Absehung. Moskau , 29. September. (Ost-Expreß.) � Di« Entfernung Frumkins von dem Posten als stell-ver- tretender Finonzkommissar wurde schon seit einiger Zeit als unausbleiblich erwartet. Frumkin war bekannt als einer der