Einzelbild herunterladen
 

3lr. 451* 46. Lahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Oonnersiag, 26. September 1929

Damals, tn jenen herrlichen Zeiten, wo ein ungeputzter Waffen- rockknopf Verbrechen am Staate war. kam man gelegentlich hinzu, wenn da draußen auf einem der sandigen Exerzierplätze die Söhne des Volles zu SeinerMajestät Soldaten zusammengeknetet wurden. Das sah gar nicht so schön aus und gar nicht so Helden- mäßig, wie das immer in den damaligen Schulbüchern und in Schorers Fannlienblatt:.Die Erinnerungen eines Einjährig-Frei- willigen", zu lesen stand. Was den Helden jeden Nimbus nahm, das war des Königs Rock, den sie dabei trugen Ein jämmerliches Stück. mit schwarzgefchwitztem Kragen, blantgewetzt, gestickt, eine schlotterige Farbenskala von violett bis hellgrün, und dazu die passenden Hose». Das war dievrert« Garnitur. Hundertmal durchgeschwitzt, hundertmal wieder gescheuert, geputzt, gebürstet, durch Pfützen ge- schleift, vom Exerzierplatzsand dünngefressen! Jeder, der auch nur einen Knopf am Kragen hatte, durfte seine dreckigen Stiefel daran abtreten. Gewiß«s gab auch eine erst« Garnitur, blitzblank. wi> Samt anzugreifen, aber daran durfte der Soldat bei ganz guter Führung höchsten» träumen. Das war damals. Aber man kommt nicht an diesem Vergleich vorbei, wenn man Menschen und Ding«, von denen hier die Rede sein soll, auf dies« zwei Worte:.Vierte Garnitur", stellen muß: Menschen, die im Schatten dssKünstlertums an hoffnungslosem Richtkönnen und. grenzenlosem Dünkel dahinkränleln. Also:.Künstlertum", vierte Garnitur, zerkinmtscht, zerschwitzt, durch Pfützen g.'schlmft... Da ich keine Sage erhalte. Es ist in einem jener Lotale. die an Lohn- rnrd Sonntagen bis auf den letzten Stuhl mit einem radaufreudigen Amüsierpublikum vollgepfropft sind. Viel Musik, schwitzende Tanzpaare, sehr, sehr m«l dicker Tabakrauch und noch viel mehr Bier und zwischendurch di« erstklassigen Kabaretteinlagen. Steigt also ein Mann auf das Podium mit der Papiergirlande. Mit Chaplinhut und Sackhosen legitimiert er sich als Komiker. Der Cutaway, setzt zu einem Frag- ment zusammengeschnttten, ist früher mal sein gute» Sonntagsstück gewesen, und später hat er wohl an einem soliden Schreibpull da- mit gesessen, denn di« Zlermel sind blankgewetzt, sehr blank. Wenn

er mit seinen Armen in de? Lust herumrudert, dann schimmern sie hell auf. Manchmal sieht es aus, als wenn er eine große Fenster- choibe putzt, so rudern die Arme, und dazu sagt er etwas auf, Zotige», verstaubte Familienblattlyrik, Witz«, Schnodderigkeiten, alle-- durcheinander. Wenn das Gesicht zu einem Grinsen ausholt, starren mittendrin schwarze Zahnlücken. Da» alles wirkt gar nicht lustig nein, häßlich. Wie schlecht zusammengekitter wirkt das alles um den Mann herum, er selbst, seine Gesten, seine verbrauchte Stimme, und man könnte sich vielleicht gar nicht wundern, wenn Mann, Sackhose, Chapllnhut, die schlenkernden Arme und das schlecht ge- schminkte Gesicht zusammenfallen würden, zerrieseln zu einem Haufen Müll. Man ist darum auch nicht erstaunt, wenn ganz zum Schluß die Stimme da oben glitschig und ölig wird und zu ; einem Appell an die Herzen des Auditoriums ausholt:»Da ich sür meine Darbietungen von der geschätzten Direktion dieses hause» keine j Gage erhalte, werde ich mir erlauben, an die Tisch« zu kommen, um eine kleine Aufmerksamkeit von dem geehrten Publikum ent­gegenzunehmen." Also nur ein Bettler, genau wie die vielen, die an die Türen kommen und die Hand ausstreck.-n. Terpsichore weint. Auch Amüsierbetrieb, nicht feiner, aber gleißender, statt Mollen mit Bier Likör und Mokka und manchmal Sekt. Es wird getanzt, zuviel getanzt und zu wenig Likör konsumiert. Also Pause Parkett frei, imd herein hüpfen drei kleine Dingerchen,

,lhr Porträt tür SO Pfennig.'

jung, knabenhaft und mächtig angetuscht, sehr entkleidet, und taiiu. werfen die Deine in die Lust, drehen sich, trippeln und zappeln aus dem Parkett herum. An jedem Abend dreimal, als Matrosen, als Hampelmännchen, für sechzig Mark Monatsgage und hinterher werden sie mit Herrn Müller aus Chemnitz oder Herrn Maier aus Gloiwitz billigen S.-kt trinken. Das ist die Hauptsache: Viel Sekt trinken, dazu sind sie verpflichtet. Wer mag es diesen kleinen. Dingern mit den viel zu großen Augen, in denen der Hunger nach dem großen Erlebnis glimmt, angetan und ihnen das Märchen von der großen Chance, die auf sie wartet, ins Ohr geflüstert haben? Man müßte ihn verprügeln. Run hoppeln sie hier. Abend für Abend, und trinken Sekt, Abend für Abend, und geben ihre Gesund­heit dem Teufel Alkohol. Da ist wohl eine enge, schlecht gelüstete Hinterhauswohnung, in der es innner nach Kohl riecht, und ein arbsitsgebeugter Vater, eine sorgenzerfressene Mutter und viele, viele Mäuler, die all« Tage gestopft sein wollen. Und da ist ein schöner Traum von glitzernden Dingen und von vielem Geld. Mar-. gen wird er zerflattert sein, der Traum, wenn der Sektkonsum zu sehr heruntergeht und drei kleine Tanzmädels tüchtigeren»Künst- lerinnen" Platz machen müssen, und wenn jeder Agent, dem sie, Engagement suchend, vortanzen, die Achseln zuckt und sie diskret belächelt, und wenn sie dann endlich wieder irgendwo unterschlüpfen dürfech tanzen und Sekt saufen, sonst nichts. Sie können nicht mehr fort davon, zurück an die Schreibmaschine, hinter den Laden- Usch, denn das haftet an ihnen, dieser Schminkenduft, und sie sind verliebt in sich, wie sie sich auf dem Parkett bewegen dürfen und gepuderte Nacktheiten zeigen. Drei kleine Tanzmädeto tanzen in die Hölle und jeder, der eine Flasche Sekt bezah�-i kann, darf seine dreckigen Pfoten an ihnen abwischen. Auf der Straßic. Eigentlich ist sie ja unter allem zu finden, unter den Menschen und den Dingen um die Menschen herum, diese»Vierte Gar.- nitur", aber gerade unter der Maske des Künstlertums drängt es sich nach vorn, aufdringlich Beachtung heischend. Steht da aus dem Rummelplatz zwischen den bunten Buden, eingehüllt von den Schmalzkuchendüften, ein« Staffelei, und der Mann, der vor ihr hockt, hat eine feine braune Samtjacke an, und sein Kopf ist. in eine wallende Haarmäyne«mgeimckolt. Gewiß will er damit beweisen, daß er ein Künstler ist, vielleicht aus Eitelkeit, oder aus Go«> schäftsrücksichten. Die Leute scheinen ihm das gar nicht zu glauben, denn uninteressiert gehen die meisten vorüber und begucken nicht einmal die Porträts, di« schlecht, und recht oder wenn man so sagen will, recht schlecht mit Bleistift gezeichnet sind, und auf ein- große Pappe geklebt, an der Staffelei baumeln.»Dein porlrät sür fünfzig Pfennig." Aber das Geschäft geht schlecht. Läßt sich mal wirklich einer auf dem schönen weißen Zeichenpapier verewigen, dann will er sich nachher aus den Linien und Schatten nicht wiederkennen' und macht Krach, und die Leute, die dabei stellen, geben ihm Recht. Na er hat ja schließlich auch recht. Und der Mann in der Samt- sack« zuckt die Achseln und steckt die fünfzig Pfennig ein. Gott ja. wir müssen ja alle leben, und man ist ja noch lange rein Bösewicht. wenn man schlechte Porträts für gutes Geld macht, und zehn Stück

wi A.M.Frey .

Copyrighi lOjo fcy Gustav Kiepenheuer Verlag A-Q-, Berlin

Dusang, befehlsgewohnt, läßt sogleich seine Stimme er- schallen. Der Sanitätsmannschast wird ihr Platz genommen: sie kann ja im Verbandraum kampieren. Der«ine Kranken« räum fällt ebenfalls an Dufang. Trotzdem vermag er sich nicht restlos im Keller zu installieren. Seine Schreiber müssen hinauf ins Parterre. Zwei Vorteile bringt er wenigstens mit für Fünfer: Telephonisten richten in einem Winkel den Fernsprecher ein, und ein Verpflegsosfizier schaut persönlich nach, ob die Herren genug zu essen haben. So könnte der Krieg denn wieder konzentriert beginnen. Und er tut es. Gleich nachdem Dusang eingetroffen ist, lebt das Feuer der feindlichen Artillerie auf. Sie hat sich erholt, ist zur Ruhe gekommen, in Stellung gegangen, hat sich orientiert, sie beschießt planmäßig und wachsend. Dusong ist noch nie so weit vorn gesessen. Die Regiments- befehlsstsllen liegen meist hinter den Verbandplätzen. Er macht gute Miene zum bösen Spiel. Ihm ist anzumerken, daß er denkt: vorläufig kann ick nichts Besseres tun als mich mit dem Hauijudsn vertragen. Wer weiß: wenn ich Pech haben- sollte, brauche sogar ich selber ihn. Auch er mustert kritisch die schönen, aber jetzt nicht sehr zweckmäßigen Gewölbe. Und mißtraut der Festigkeit.der Kellerdccke alsbald so. daß er von Ordonnanzen und vom Sanitätspersonal, über das er gar nicht zu verfügen hätte und über den Kopf des Arztes hinweg anmaßend verfügt. einen Niedern Stollen in die Tiefe treiben läßt, schräg abwärts in den Boden, der Schußrichtung abgewandt. Er kommandiert zur Arbeit mit Hacke und Spatennur" wie er sagt dasjenige Sanitätspersonal, das gerade keinen Dienst'im Verbandraum oder draußen im Freien tut. Daß diese Leute in der Zeit, da sie nicht Sanitätsdienst machen, ruhen sollten daß sie deshalb ihren eigentlichen Dienst nicht machen, damit sie ausruhen können. das übergeht er. Er. der sonst übe? alles, was Sanität heißt, hochnäsig hin- wegsieht, treibt jetzt persönlich diese Leute zur Arbeit an.

Ja, später stellt er sich sogar zu den Aerzten vorüber- gehend wie gleich zu gleich: alz es mit der Verpflegung hapert und nichts Rechtes, nämlich nur Feldküchenfraß un- regelmäßig herangeschafft werden kann, weil man zu sehr beschossen wird. Nun zehrt er mit von den Vorräten, die im Hipblick auf Verwundete etwas reichlicher von Anfang an deponiert waren. Setzt stärkeres Feuer auf Schloß Fontaine ein, so kriecht er als einziger in den begonnenen Stollen. Mehr Menschen- leider faßt das unfertige Stückchen Raum nicht. Sowohl sein Adjutant wie die Zlcrzte können außen bleiben, von der Mannschaft gar nicht zu reden. Vielleicht fällt ihnen allen die Kellerdeckc auf den Kopf. Das wichtige Leben des Komman- dcurs ist dann wenigstens gerettet Ja, so weit vorn zu sein, ist bisher nicht seine Sache gewesen. Jetzt geht es auch ihm einmal dreckig und er muß fraternisieren mit den Pflasterkästen. Aber das gibt sich frei- lich bald, gibt sich, so wie er wieder aus derScheißgassen", wie die Soldaten sagen und die Offiziere es ihnen nachsprechen, heraus ist. Während er sich so ein- oder zweimal des Tages in er- höhte Sicherheit begibt, ergeht es seinen Schreibern oben im Parterre sehr bedenklich. Und als sollte ihm demonstriert werden, durch welche Kleinigkeiten man um die Ecke gebracht werden kann und wie gut Stollenbauten für Kommandeure sind, bekommt eines Morgens der jüngere der beiden Kanz- listen ckin Splitterchen in Linsengröße ab. Er hat ihr selbst nachgelauscht, der Granate, die im Garten krepiert ist, offenbar dicht an der Mauer, denn man hört Holz und Steine krachen da rumpeln schon eilige Stiefel die Kellertreppe hinab. Sie tragen und schleifen ihn zwischen sich, der nicht mehr gehen kann. Wo fehlt's ihm denn, ist er getroffen, wo ist er getroffen? Er blutet nicht, die Uniform ist heil soweit eine deutsche Uniform 1S18 heil genannt werden kann. Unbegreiflich, aber deutlich sichtbar verfällt er in wem- gen Sekunden. Hier ist ganz eindeutig zu sehen, wie der Tod das Leben erobert. Schritt um Schritt und Grift um Griff, mit sicherer Faust. Funk steht vor ihm, der stehend von den anderen fest- gehalten wird, und weiß nicht, was tun. Es geht zu schnell. Er macht ihm den Kragen auf, er nestelt diese verfluchte Sol- datenkrawatte los, diesen unnützen Würgapparat. Jener ist weiß, wird arau, dann gelb. Sein Mund schnappt einmal, zweimal kräftig und ebenso oft um eine Kraffttufe schwacher. Die Lippen werden farblos unterm

nächsten Zugriff schimmern sie blau. Er hat die Augen ge- schlössen daß sie nun halb aufgehen, ist kein Erwachen. kein Zurückkehren, es ist das Erschlaffen der Lider, die auf Halbmast gehen und keinen Blick mehr enthüllen, nur das Gebrochene ehemaliger Blicke. Das alles spielt sich ab, während sie ratlos den Kameraden halten und ihn anrufen wie einen Schlaftrunkenen. Ehe sie ihn hinlegen können, ehe die Uniform vganz offen steht, ist es vorbei. Stabsarzt Fünfer faßt nur noch an einem Körper umher, der schon kalt wird. Dusang, aus seiner Ecke heraus, beunruhigt über die Aussicht, mit einem Schreiber sich behelfen zu müssen, fragt gereizt:Wie steht's also mit dem Huber?" Da ist offenbar etwas ganz Kleines mitten ins Herz gedrungen," formuliert Fünfer seine Diagnose ungewollt und ungewöhnlich albern. 35. Von feiten der Gruppe, der das Regiment augenblicklich angehört, ergehen, unterzeichnet vom Chef des Generalstabes. Weisungen,für den Sanitätsdienst bei Bewegungskrieg und Angriff." Drei eng betippte große Zlktenseiten, einundzwanzig wichtigtuerische Punkts, die Funk bitter grinsend studiert. Wegen besserer Arbeitseinteilung sei nur ein Truppen- Verbandplatz anzustreben. In Wahrheit: weil euch die Mittel ausgehen. Die Verbandplätze müssen sich darauf beschränken, die Verwundeten schnell ti�lnsportsähig zu machen. Mach' du mal jeden Durchlöcherten im Handumdrehen transportfähig. Tragen schonen, weil auf Nachschub von solchen aus der Etappe nicht zu rechnen ist! Es hat noch kein Träger eine Trage zerbrochen, an die Wand geschmissen oder kleingehackt. Der sie zerschmeißt und zerhackt, das ist die Allerwestsgranatc. Und wenn sic's getan hat, Herr Chef, ist Ersatz ans der gött- lichen Etappe also nicht mehr zu erwarten. Erfrischungsstellen für zurückflutende Verwundete richten sie ein. Wie das klingt! Es wird sich bestenfalls um so- genannten Kaffee, verfertigt unter Vermeidung jeglicher Bohne, handeln. Beschilderung der- Wege istrechtzeitig" durchzuführen. Was heißt rechtzeitig? Darüber sollen sich die vorne den Kopf zerbrechen. Hauptsache, daß der Befehl glatt auf dem Papier steht. Kriegsgefangenen sind die Verbandpäckchen abzunehmen und zu benutzen, um eigene zu sparen. Und die Gefangenen. falls sie verwundet werden?(Fortsetzung folgt.)