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Freitag 27. September 1929

Unterhaltung und Wissen

Seilage des Vorwärts

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QuHav Km, der: dll 01*1161* K 11101*1 llllll 1 1 0? 1 0l"t �0ClallflOII

Ich kam aus dem Zimmerchen desBoß", des Leiters der großen Nachrichtenagentur, in der ich als erster deutscher Journalist in New Jork nach dem Krieg meinen Gastplatz hatte, um Berliner Blätter nun wieedr auch mit eigenen amerikanischen Nachrichten zu bedienen. DerBoß" hatte mich zu sich rufen lassen, weil ein Telegramm aas Europa den Tot» irgendeines Herzogs in Bayern gemeldet hatte. Jnnersuropäisch« Dorgänge interessieren die Masse der Amerikaner fast gor nicht. Damals, so kurz nach dem Krieg, war Kenntnis und Verständnis von Europa selbst in den großen amerikanischen Redak- tionen erschreckend gering. Meine Ankunft in dem Nachrichtenbureau war deshalb recht freudig begrüßt worden, ich wurde ohne weiteres zureuropäischen Autorität" ernannt. Den gestellten Anforderungen dieser Würde konnte ich entsprechen, ich hatte zum Beispiel kurz« Heii vorher sogleich sagen können, wer dieserGuy" Knut Hamsun war, der den Nobelpreis bekommen hatte. In unserer Redaktion hat es sonst keiner gewußt... und unsereauthentische Information" ging durch Hunderte Blätter Amerikas . Diesmal hatte derBoß" gedacht, es müsie sich wohl um den letzten König von Bayern handeln, wenn man so etwas Überhaupt kal>«ltc. Als ich ihn enttäuschen mußte, warf er den Meldestreifen sogleich in den Papierkorb. UnserBoß" war einer der besten, bekanntesten Journalisten Amerikas . Cr wer der große Mann, der durch eine einzige vor» eilige Depesche aus Boulogn« ganz New Dork den Abschluß des Waffenstillstandes aufs wllste schon... am IL. November 1S18 feiern ließ. Das ist ihm als sein größterScopp", als seine größte .�Crsttneldung" angerechnet worden DerBoß", der Leiter einer Redaktion, aus deren Nachrichten. Artikeln und Bilderdienst 300 amerikanisch« Provinzzeitungen chren vollkommen uniformen Inhalt erhielten, der Leiter der Redaktion, die darüber hinaus noch 1200 nord» und südamerikanische Zeitungen zu ihren Nachrichtenabonnenten zählte, derBoß" saß in seinem Zimmerchen, das in Wahrheit nur ein Holzverscfjlag war. Es war darin nur ein Raum für seinen Schreibtisch, seinen Drehstuhl,«inen Befucherstuhl und den Schreibmaschinentisch seiner Sekretärin. Ein ebensolches eigenes.Limmer" hatten sonst nur noch der Geschäfts- führer, der Kassierer, und seltsamerweis« auch der erste Handels- redakteur. Wir andern alle saßen in einem gemeinsamen riesigen Raum, dem sogenannten Nachrichtensaoi. Wir alle da» waren Über sechzig Köpfe. Ich werde es nie vergessen, wie ich zum ersten- mal vomBaß" zu meinem Schreibtisch in diesen Saal geistiger Arbett geführt wurde. Durch sechzehn Fenster strömt« betäubendes Sonnenlicht, dabei brannten aber zahllose Glühlampen, und der Raum dröhnte vom Ticken und Klappern dutzender Schreib- rnaschinen. Telegraphenapparate und Fernschreiber. Dazwischen schrillten Telephone. Ich war totunglücklich, glaubte, daß ich da nie ein« Zeil« würde schreiben können, und wäre am liebsten mit dem nächsten Schiff wieder heimgefahren. Der Lärm war tatsächlich so ungeheuer, daß man, wenn man mit einem Kollegen sprechen wollte, ganz dicht beisammenstehen und einander in die Ohren schreien mußte. Am ersten Tage vermochte ich keinen Gedanken zu fassen, aber nach acht Tagen wußte ich, daß dieser Lärm so groß war, daß er schon wieder isolierend wirkte und gegen Ablenkung schützt«. Man arbeitete unter der Glocke dieses Lärms wie in einer totenstillen Einzelzell«. Mein Schreibtisch stand an der Schmalwand, an der wir Foreigners " plaziert waren. Darunter war ich der einzige Aus- länder. Mein Nochbar zur Rechten, der Korrespondent des Lon- donerDaily Expreß ", war ebenso waschechter New-sgorker wie der Kollege zur Linken, der Mexiko und Südamerika bediente, und dessen Nebenmann, der für Australien arbeitete. Sie hießen King, Ruskin , Mason, aber wir wurden nur London , Australien und Gcrmany gerufen. Die ganze Mitte des Raumes füllt« ein riesiger Block von Schreibtischen, an denen dieamerikanischen " Kollegen auf ihre Schreibmaschinen loshackten. Sekretärinnen gibt«s für amerika- nlsch« Journalisten im allgemeinen nicht. Jeder hat seine Maschine vor sich und überträgt seine Geistesarbeit gleich auf die Tasten. Ich verursachte in den ersten Tagen Sensation, weil ich, um ein paar wohlgefeilte Artikel zu schreiben, mit einem Tintensläschchen und einem Federhalter angerückt kam.(Denn selbst gegen ein« Füllfeder sträubte sich damals noch meine Feuilletonistenempfindlichkeit.) Sie standen alle eine Disrtelstund« staunend um mich herum und am anderen Tage beschenkten sie mich dann mit einem Gänsekiel. Die Mehrzahl der jungen Leute an den Schreibmaschinen, olle nur in Hos« und Hemd, mit aufgerbllten Aermeln und mit einem grünen Blindenschiid Über den Augen, waren Reporter. In ameri- konischen Redaltioney telephoniert man sehr wenig. Ueber Land werden die Bericht« aus eigenen Leitungen telegraphiert(bei der Konkurrenz der privaten Telegraphengesellschaften drüben kann man Übrall hin Drähte ständig oder fallweise mieten), und auf dem eigenen Draht lausen Fernschriften nicht länger al« ein Telephon- gcfpräch. das man erst stenographisch aufnehmen und dann über- tragen muß. Die Amerikaner haben auch Fernschreiber,Ticker", die nicht wie die unserigen nur Pap«rstreifen, sondern ganze Blätter beschreiben, die man sogleich redigieren und In die Setzerei senden kann. Von solchen Tickern lärmten fast z>vei Dutzend in unserem Arbeitssnal, wo an der«inen Längswand auch noch zwölf Tele- grnphisten(an Normaltagen), die wiederum unsere Berichte weiter- morsten Das Ist der Ferndienst. Bei New-Borker Lokalereignissen glauben' die Zeitungen drüben nicht an den Wert telephonischer Er- tundigunaen bei Polizei. Feuerwehr. Magistrat usw. Sie glauben nur an den Augenschein, senden zu jedem Ereignis je nach seiner Größe 2 bl» 20 und 40 Reporter. Diese Reporter, das Rückgrat jeder amerikanischen Zeitung sind ein sel-same- Volk. Schreiben können sie fast gar nicht, die Berichte. d>« sie abliefern sind stilistisch meist unmöglich.(Diese Bericht« werden auch gar nicht veröffentlicht, sie werden, mindestens zwei oder mehr von jedem Ereignis, einemrevrlte man", einem Um- schreiber, übergeben, dem übrigens auch die Telegramme der Korre- spondenten ausgehändigt werden, und der an« allem erst den schönen, packenden Bericht macht.) Die Arbeit des Reporters besteht also darin, durch alle Türen und Sperren vorzudringen, alles zu erftagen und möglichst viel Tatsachenmaterial ins Bureau zurück- zubringen.Große Reporter' sind sie nur in Romanen rnid No, vellen. Im Leben werden sie erbärmlich bezahlt, weil viel zu viel«

jung« Amerikaner zu diesemromantischen" Beruf drängen. Hoch- bezahlt wevden nur die politischen Reporter in Washington . Unser Boß" erklärt« mir das einmal so:Bon unserem Mann in Washington verlange ich. daß er auf meinen telegraphischen Befehl den Senator Smith auch um zwei Uhr früh aus dem Bett klingeln kann, um ihn zu fragen, was für ein Kleid sein« Frau beim Präsi- dentenempsang tragen wird und daß er nicht nur um zwei Uhr früh diese lächerliche Frage beantwortet erhält, sondern trotzdem auch weiterhin mit Senator Smith gut Freund bleibt..." Dies also bringt das größte Geld in der amerikanischen Journalistik. Im übrigen liegen die Redaktionsgehälter drüben weit unter dem Ein- kommen eines tüchttgen Ladenverkäusers. An diesem besonderen Nachmittag aber, von dem ich noch er- zählen wollt«, als ich also aus dem Zimmer desBoß" zu meinem Schreibtisch zurückkam, hatte ich und hatten meine ausländischen" Kollegen gar nichts zu tun. Wir konnten beisammenstehen und reden, ich konnte zum hundertsten Maie ihr« neugierigen Fragen nach der sozialen Orgamsatun der deutschen Journalisten beant- warten sie haben«« drüben noch zu keinerlei Gewerkschaft, keinerlei Versicherung usw. gebracht, konnte mit Muße das Leben in diesem Saal bettachten, immer wieder am meisten gebannt von der Erscheinung des News Editors, des Beherrschers dieses Saales, der buchstäblich erhöht wie der Galeerentreiber über der Galeere sah. Sein« Augen verfolgten und zählten jeden Gang zum Trink- wasser-Siphon hinten in der Ecke, er konttollierte, daß die acht Stunden Dienstzeit auch wittlich voll durchgearbettet wurden, durch einen hypnotischen Blick riß er den Redakteur vom Stuhl hoch, der nicht gleich aufgesprungen war. um die letzte Nachricht voin Ticker M reißen. Eben gab er dein jungen Watson ein Wochengehall und die soforttge Entlassung, weil das Geschäft jetzt im Herbst kleiner werde und ein Mann deshalb abgebaut werden müsse sehr blaß rollte Watson die Aermel herunter, zog den Rock an und ging weg, das war alles. Der News Editor war an sich ein sehr gutherziger Mann, aber er war bestellt als Wächter jener Mechanisierung, der sich auch die geistige Arbeit drüben einfügen muß. Ick) ging zu ihm hin und sagte:Armer Watson!" Er zuckte die Achseln:er war der schwächst«" Ich hatte, wie gesagt, alle Muße, das Leben

dieser Redaktion zu beobachten, nicht das kleinst« Stückchen Nachricht kam heute in die Redaktion denn dies war der größte Nachinittag für jede amerikanische Redaktton: soeben begann da draußen nahe dem Eeast River das Schlußspiel um die Baseball-Meisterschaft. Australien , London , Deutschland , die Dago-Länder wollten davon kein Wort wissen, aber all« unsere Drähte und Ticker waren von zwei bis fünf für jede andere Nachricht gesperrt. Ein kompliziertes Uebermittlungsfystem brachte uns Schlag um Schlag, Minute für Minute des Spiels in die Redaktion, und Schlag um Schlag, Minute für Minute wurde das Spiel in blitzschnell verfaßten, otemraubend spannenden Schilderungen wieder ins Land hinein verbreitet. Wir hatten heute 25 statt 12 Telegraphisten im Saal. Vor unseren, Haus drängten sich Menschenmassen und starrten auf unser« Aus- hänge, und auf den fernsten kleinsten Bahnhöfen im weiten Amerika drängten sich die Farmer um den Stationstelegraphen, aus dem unsere Berichte herausringelten. Ich stand noch neben dem News Editor und mir ging noch die beinahe Nachricht van dem Tod des letzten bayerischen Königs im Kopf herum.Was täten Sie fetzt," schrie ich dem alten Withney in die Ohren, der ein wirklich guter und gewissenhafter Journalist war,was täten Sie jetzt, wenn die Nachricht von der Ermordung eines ganz großen Potentaten käme?" Er sah mich mit einem leeren Blick an.Ich weiß nicht," sagte er verquält.Voriges Jahr an diesem Tage hatte ich einen solchen Fall. Da kam die Nachricht von einer Schlagwetterkatastrophe in Pennsylvanien . Ich glaub«, es waren 550 Todesopfer. Da ließ ich für eine Minute, für ein« einzige kurz« Minute den Baseball-Dienst unterbrechen und jagt« einenFlash" mit der schrecklichen Nachricht durch Wir bekamen 300 Prottstteiegramme unserer Abonnenten. Ob wir verrückt geworden seien? Ob sie dafür die teuren Extra- preise für den Baseball-Sonderdienst zahlten? Schlagwetterkata- strophen gäbe es ein Dutzend im Jahr, aber mir ein Baseball- Schlußspiel, deshalb halte man doch den Druck nicht auf! Sind wir dazu Journalisten?" sagte ich vor mich hin. Er sah mich wieder mit seinem verbitterten Blick an. Dann wies er mich zuvecht:In Europa haben sie eben keine wirkliche Sport- leide nschaft."

Xola JCandnu: dCßl'bflltllCllI Des Nachts strahlt der herbstliche Himmel in einem grausamen und kallen Leuchten. Wie eine weiße Peitsche fegt da« Mondlicht über die kahlen Felder, das niedergestampft« Gestrüpp des Kartoffel- krauts und die kleinen traurigen Aschenhügel. Die nackten Wände der Dorfhäuser mit ihren zerzausten Gärten glitzern gespenstisch, starr und totenhaft stehen die Astern und Sonnenblumen, eine Lähmung hat alles Leben ergriffen. Die Dorfsttaße liegt ohne Laut: wo sst' nun der Singsang der Menschenstimmcn auf und ab, das Rascheln und Gewisper, das Gelächter der Mädchen, das zärtlich die Luft aufrührt«? Nur immer stärker leuchtet der Mond, immer schneidender wird das weiße Grinsen über der Verwesung. Hinter den Stoppelfeldern breitet sich wie«in schwarzes zottiges Fell der unermeßliche Wald aus. Und von dort tönen plötzlich o Wunder, mitten In dem greisenhaften Verfall der Herbstnacht brüllende Laute. Vom heiseren Röcheln der Wut bis zu aufheulen- den langgedehnten Schreien der Sehnsucht erzittert der Wald. Man mächt« glauben, der Dämon des Waldes selbst trommelte mit beiden Fäusten auf seine Brust und stampfte ausbrüllend durch das Dickicht. Aber es gibt keine Dämonen mehr, und dies sind auch keine schwäch- lichen Menschenrufe, diese Urschreie, die langsam anschwellen, bis sie im donnernden Echo bersten. Dies ist die noch ungebrochene Tier- seel«, die man einstmals den großen Göttern zusprach, die Zerstörung und Zeugung zugleich über die Erde ausstreuten. Es sind die brünstigen Hirsche, die ihre Unruhe durch den Wald tragen und die Stille aufwühlen. Da schreitet er, der Dämon, der verzauberte Gott des Waldes, mit seinem Geweih, der Hirsch an. der Spitze seiner Herde von Weibchen, die er vor sich hertreibt. Und auf anderen Wegen schleicht der Einzelgänger, der einsame Hirsch, durch das Gestrüpp, von Liebe gepeinigt wirft er stöhnend den Kopf zum Himmel auf. Der Trieb fuhrt ihn sicher, daß er der fremden Herde begegnet. In verzwoifel- ter Wildheit stürzt er sich auf den Nebenbuhler, ein mörderischer Kampf beginnt, bis der Schwächere zusammenbricht oder flüchtet, und de? Sieger mit der Herde, der eroberten Liebesbeute, abzieht. Deutlich unterscheiden sich die beiden völlig verschiedenen Laute der Hirschbrunst, der Kampfruf und der Sehnsuchtsschrei. Der Klagelaut ist ein. longgezogener tiefer Mollton, maßlos und von unendlicher Schwermut, rasend bis zur Selbstzerfleischung. Bis- weilen bricht er in einem wehen Todesröcheln ab. Keine menschlich« Sttmme könnte eine solche Ähnsucht singen oder weinen, wie diese Tierseel« e» vermag. Das ist Liebe, die an den Tod streift, mit Todesgrauen gefüllt, kein satte» Glück, sondern grundlose Wildnis. Dann antwortet irgend'woher aus der schwarzen Waldeck« der andere Ruf. Auch dieser Laut ist tief, aber hat ein Dröhnen der Kampfes- wut: dies ist eine Löwenstimme, Dlut auf der Zunge und ohne Erbarmen alles niederstampfend, was sich ihr in den Weg stellt. Wehe, wenn die beiden Stimmen zusammenstoßen! Sie werden mit- einander kämpfen, bis die eine zerttcten sich im Walde verkriecht. Und während in den großen Städten zur Zeit der blassen scheidenden Sonne, in Angst vor der Todesstarre die Menschen sich zum Leben aufstacheln mit künstlichen Lichtsttömen, mit Spielen und Tänzen, vollzieht sich im Walde, im Dunkel, das große Geheimnis, der Schrei der Schöpfung, der den Herbst überwindet.

3)ie Sir öle im Volksglauben Der Kulturmensch ist heute daran gewöhnt, zwischen sich und dem Tier ein« starke Schranke zu empfinden. In früheren Jahr. taufenden jedoch kannte man diese bewußt« Trennung nicht. Der primitiv« Mensch empfand das Tier als ebenbürtig, oft genug über- legenen Gefährten im Lebenskampf. Die enge Naturverbundenheit, das harte Ringen um die Notwendigkeiten des Leben», das sich In engster Verbindung mit Plfanzen- und Tierwelt abspielte, ließ keine der heute bestehenden Grenzen aufkommen. Aeußerst interessant ist die Stellung des primitiven Menschen zur Kröte, diesem so harmlosen und ungefährlichen Tier, das aber

bis heute Im Volksglauben eine besondere Rolle spielt. Sie schien von altersher manches Geheimnisvolle und Unheimliche zu bergen. Staunend nahm man an ihr Eigenschaften wahr, die dem Menschen fehlten, die Fähigkeit, auf dem Lande wie im Wasser zu leben, oder zeitweise wie tot zu liegen und dann plötzlich zu neuem Leben zu erwachen. Auch die große Fruchtbarkeit, mit der die Kröte begabt ist, ließ die Anschauung aufkommen, daß sie mit aubhergewöhnlichen Kräften begabt sei. Sie schien ein dämonisches, ein göttliches Wesen zu sein, da« Man überhaupt nicht oder nur zu bestimmten Zeiten täten durfte. Ost begegnet die Anschauung, die Kröte, sei«in ver- zauberter Mensch. Bei der Bildung dieser Vorstellung haben uralte totemistisch« Anschauungen mit der zeitlich jüngeren Vorstellung vom Seelentier" zusammengewirkt. Das Wort Totem ist der Indianer- spräche entnommen und bedeutet das Tierzeichcn, das eine Familie trägt, die mit dem betreffenden Tier in mystischer Beziehung steht. Das Tier gilt als Stammvater des Geschlechts. So herrschte zum Beispiel bei den Vuffalostämmen der Ohama der Glaube, daß sie ans Büffeln entstanden seien und nach ihrem Tode wieder in diese Tier- gestalt zurückkehrten. Litauische Sagen erzählen, daß Storch, Krebs und Frosch vom Menschen abstammen. Durch Jahrhunderte wirkten solche Vorstellungen im Volksglauben nach. Das Grimmsche Märchen von der Unke" hat Reste diese» Glaubens bewahrt. Kind und Unke stehen in mystischer Beziehung zueinander. Solange das Kind mit der Unke seine Mahlzeit einnimmt, gedeiht es und wächst heran. Aber als di« Mutter das Tier tötete, da siecht das Kind dahin und stirbt. Aehnliche Vorstellungen, die noch durch die An- schauung verstärkt werden, daß die Kröte ein verzauberter Mensch sei, wirken In der Begründung nach, mit der man an manchen Orten die Kinder vom Töten einer Kröte abhielt:Ihr könnt nicht wissen, ob sie nicht eure Großmutter ist." Das Ehristentum, das Gebräuche und Anschauungen dieser Art antraf, baute klug seine eigene Glaubenswelt auf dieser Grundlag« auf. Die Kröte wurde zur Trägerin der armen, verwunschenen Seele, di« keine Ruhe finden kann, bevor sie ihre Sünden gebüßt hat. So werden die Friedhofskröten zu Trägerinnenarmer Seelen", die Erlösung suchen. Nach anderem Volksglauben hoben die armen Seelen die Erlaubnis, am Silvester in Krötengestalt zur Erde zurück­zukehren. Man muß sich deshalb besonder» hüten, an diesem Tag« eine Kröte zu töten. Andererseits aber betrachtet man die Kröte als glückbringenden Hausgeist, der die Lebensmittel in gutem Zustand halte und Wohl- stand ins Haus brächt«. Auch als Schatzhüterin ist sie aus Sagen und Märchen vielfach bekannt. Ebenso wird sie an manchen Orten gern an Quellen und Brunnen gesehen. So erzählt eine alte hessische Dolksfag« von derKröte im Born", die das Wasser rein halte und wohlschmeckend mache. In der Oberpfalz erzählten sich die Leute, es sei schädlich, im Winterhalbjahr aus dem offenen Brunnen zu trinken, denndann sitzt die Kröte nicht darin, die im Sommer das Gift an sich zieht. Will man dennoch trinken, so blas« man dreimal hinunter oder werfe drei Brotkrumen hinein". Eigenartige, in uralten Glaubensvorstellungen begründete Bräuche, die bis vor kurzem als Aberglaube auf den Dörfern weiterwirken. Erst die modern« Technik, die an Stelle der Dorfbrunnen die Wasserleitung setzte, haben sie zum Schweigen gebracht. Aber auch das tote Tier noch sollte Gluck bringen und besondere Kräfte ausströmen. Man nagelte es an die Innenseite der Stalltiir oder hing«e in den Rauch. Seine Asche war ein beliebtes Zauber. mittel. Endlich galt die Kröte ihrer großen Fruchtbarkeit wegen als Zaubermittel bei ausbleibendem Kindersegen. Di« Frauen opferten Kröten aus Eisen oder Wachs und trugen Krötenamulette. Vor allem in Süddeutschland kannte man dicie Gebräuche in der Gegend vom Elsaß bis zur bayerischen Grenze. So wurzeln die uralten Glaubensvorstellungen des Primitiven. die er im Umgang und im Kampf mit der Natur und ihren ge- heimnisvollen Kräften in Unkenntnis der naturwissenschaftlichen' Zu- sammenhänge gewann, tief im Volksglauben und wirken weiter bis in unsere Zeit. Und vielleicht werden noch Jahrhunderte vergehen müssen, bevor die letzten Reste dieser Vorstellunpswelten den Erk-nnt- nissen der Vernunft und Wissenschaft gewichen sein werden. M