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Nr. 465. 46. Jahrgang' ��01*0)0�0 Z-rettag, 4. Oktober �929
SBenn mir an denarmen Künstler' denken, dann sehen wir ihn noch immer ungefähr so, wie ihn uns«inst Spitzrveg in dem armen Poeten' zeigte: In irgendeiner Dochkammer, Verse skon- dierend oder, das Aug' in holdem Wahnsinn rollend, an einem Bilde schassend, dessen leuchtende Farben, dessen lachende Freude zu der Aennlichkeit der Umgebung in einem grotesken Gegensatz stehen. Derganz gewöhnliche Mensch' hat ja meist so wenig Beziehung zu Künstlern, daß es den messten gar nicht zum Bewußtsein kommt, wie überaltert ihre Vorstellung eigentlich ist. Dabei ist es eigentlich wahrhaftig keine Novität mehr, daß fast alle Künstler, bis sie sich einmal durchgesetzt haben, irgendeine andere Arbeit suchen müssen, die ihnen wenigstens dos tägliche Brot sichert, und wenn es noch so kärglich ist. Schon Böcklin   mußte in Rom   für einen industriellen Amerikaner nocheinem neuen Versahren' Ansichten von Porto yAchzio nach Photographien herstellen, arbeitete Kunsthändlerkitsch (den heutigen Auktionsölgemälden gleichzusetzen) und zeichnete und malt« schließlich sogar anatomische Präparate! Und so sstzt mancher noch heut an den goldgerahmten,echt handgemalten' Blumen- stücken. Neben diesen allen aber gibt es unglückliche Liebhaber der Kunst: Ist sie dem einen ein Leuchtfeuer, das ihn durch alle Nöte schließlich doch in den sicheren Hasen leitet, so ist sie dem anderen ein trügerisches Irrlicht, das ihn vom sicheren Wege der Bürgerlich- keit in Not und Elend lockt. Ahnungslos geht man eines Tages durch«ine der grauen Straßen des Berliner   Nordens und sieht, vor einer Kellertür ausgestellt, plötzlich eine Reihe unwahrscheinlich bunter Bilder: Landschaften und Porträts, deren jedes eigentlich Grund für«ine Beleidigungsklage des Dargestellten wäre. Zuerst mutmaßt man wieder eine dieser fliegenden Bilderausstellungen, die mit ihren
auf Raten zu beziehenden, schlechten, aber sündhaft teuren Oeldrucken an Lohntagen die Arbeiterviertel überschwemmen! aber plötzlich sieht man: Herrgott, das find hier ja allesbnginalölgemälde!' Richtig handgemalt... und dabei sollen sie noch nicht die Hälfte so viel kosten als die Oeldrucke, wenn sie auch an Farbigkeit reichlich mit ihnen konkurrieren können! Da sitzen herrlich gelbe Paradiesvögel, da leuchten unwahrscheinlich schöne Landschaften, da ist sogar ein Halbakt einer Frau, der gut einen halben Quadratmeter bemalter Leinwand einnimmt und mit Rahmen nur IS Mark kosten soll. Und wahrhaftig: Unten, am Fuß der Kellertreppe, sitzt der Künstler in eigener Person und malt an einem Bild, in dessen Künstler in eigener Person und malt an einem Bild, in dessem Vordergrund«ine ausgezogene Dame sitzt: Vor ihr kniet eine Zofe, im Hintergrund umarmen sich zwei Menschen. Eine erhabene Un- abhängigkeit von den Gesetzen der Perspektive und der Anatomie begeistert den Künstler zu einer wahren Farbenorgie. Achselzuckend will man schon vorübergehen da sieht man an demFirmen- schild' noch den Zusatz:M itglied der Deutschen   Kunst- gemeinschaft' und den Zusatz, daß drei der Bilder dieses Künstlers in der Ausstellung im Schloß zu bewundern sind. Und wahrhaftig: Er glaubt ganz fest, daß die Jury seine Ge- mälde zur Ausstellung zulassen wird ist«r doch Mitglied der Kunstgemeinschaft und kann er doch, nach seinen Reden, unendlich mehr als alle Prominenten,die nicht einmal die Aeste richtig an die Bäume heranmalen'. Und er hat darum seinen bürgerlichen Beruf an den Nagel gehängt und ist begeistert von seinenOelbildern", dennso ein Oelbild hält sich, und so was verstaubt und vergilbt nicht, da haben Sie was von, wenn Sie sich das zulegen...' Vor kurzem ging ein junges Mädel mit einer selbstgestickten Schärpe spazieren:Ich suche einen Verleger' wenige Monat« früher bot ein Kabarett seinen Gästen billiges Futter für ihre Spottlust und Laune durch die Vortröge unbegabter, kunstbesessener Dilettanten. Und nun sieht man, wie auch die wohlgemeintesten Hilfsorganisationen zu trügerischen Brücken �ins Nicht, werden können; denn selbst wenn auf dem Wege des kunstbesessenen Dilettanten ein Schild stände:ijalt! Wer weitergeht, muß ver- hungern' ihn würde es nicht schrecken...
Kein Zeppelin-Empfang in Berlin  . Oie Fahrt wegen ber Trauerfeier für Stresemann   obgefogt. Die geplaMe Begrüßung des LuftschiffesG ra f Z e p p e l i n" und der Empfang Dr. Eckeners und der Mannschaft des Luftschiffes am S. und 6. Oktober durch Reichs-, Staats- und städtisch« Behörden sind wegen des Todes des Reichsaußenmini st ers Dr. Stresemann abgesagt worden. Ebenso findet die Landung in Staaken   nicht statt. Im übrigen ist die gesamte für morgen geplante Zeppelinfahrt Schlesien   Berlin   Ostpreußen   vom Luftschiffbau vertagt wordfcn. Es ist aber vorgesehen, am Montag oder Dienstag«ine Fahrt nach Schlesien   zu unternehmen. Das Luftschiff wird dabei eine andere Route wählen, da es von Schlesien  aus direkt wieder nach Friedrichshasen zurückkehrt. Die Berliner  Reise fällt auch dann aus, ebenso wird die geplante Ostpreußenfahrt in diesem Herbst nicht mehr stattfinden.
®-l Copyright 1929 by Gustav Kiepenheuer Verlag   A-Q., Berlin  
Was machen die Sanitätsbestände? Funk hat im Wagen keinen Perubalsom mehr für die zunehmenden Krätzekrank- heiten. Keinen reinen Alkohol für Säuberungszwecke, für Desinfektion, kaum mehr Spiritus. Die Papierersatzbinden reißen, wenn man sie in die Hand nimmt. Die Einspritzungen gegen Starrkrampf müssen unterbleiben, sie sollen im La- zarett nachgeholt werden. Dies und anderes wird von der Karte gestrichen. Die elastischen Binden zum Abschnüren von Schlagaderoerletzungen sind alles, nur nicht elastisch: die neuen Rekordspritzen sind aus Behelfsstoffen so gebaut, daß sie gar nicht oder mangelhaft funktionieren. Die Zahl der angeforderten Fieberthermometer, der Hohlnadeln, der Am- pullen wird um zwei Drittel gekürzt. Das Verlangen nach dreieckigen Tüchern wird ganz gestrichen. Der Herr Korps- arzt ist ausverkauft. Was er tropfenweise nachgeliefert be- kommt, ist miserable Ware.Sie sollen ihren Hundskrieg aufgeben, ihren verreckten, wenn sie nix mehr haben, womit sie ihnen führen können,' schimpft Feldwebel Bethge. Dabei ist er noch einer von den wenigen, die nicht ganz ohne Bereit- Willigkeit wären, weiterzumachen, gäbe man ihnen nur das Nötigste. Weiter geht es trotzdem! Mit der Beschießung Londons  st es nichts~ dafür sind die Amerikaner endlich fühlbar. In welchen Mengen die Flieger kommen! In Horden, in Schwärmen! Sie verdunkeln die Sonne, wie die Pfeile der Perser einst für die kleine Schar des Leonidas die Sonne ver- dunkelt haben. Was nicht kommt, ist dringender Soldatenersatz für die ausgepumpten, derart lückenhaften Kompagnien, daß mehr Lücken als Männer da sind. Es gibtkriegsstarke", die den grotesken Bestand von zwei Dutzend Leuten aufweisen. Wie hilft man sich? Jedes Bataillon wird um eine Kom- pagnie verringert. Das Regiment streicht einfach drei Kom- pagnien, sie fallen unter den Tisch. Dadurch wird die ein-
zelne Einheit stärker, famos. Wird das Regiment auch stärker dadurch? Es tut jo als bliebe es, was in guten Zeiten war. Es kennt noch die Zahl zwölf: die zwölfte als letzte Kompagnie, wie einst. Es kennt nur die Zahlen zwei, sechs und zehn nicht mehr. Ein Rechenkunststückchen, das dem Gegner die Zukunft so unzweideutig rosig hinmalt wie kaum irgendein Sieg. Denn sicher erfährt er davon. Immerhin: die Division hat noch Infanterieregimenter, ein Artillerieregiment hat sie überhaupt nicht mehr. Da tut man gleich ganze Arbeit, weil die Pferde immer rarer wer» den: vermutlich übrigens auch die Kanonen und Artilleristen. Inzwischen landen die Amerikaner massenhaft und Engländer unablässig in jenem Calais  , das Hauptmann Blume versehentlich erorbert hat. Was beginnt man in solcher Lage? Man macht weiter. Auch Funks Regiment macht weiter. O nein kein« Rede von längerer Beschaulichkeit. Auch keine Rede davon, daß sie den Kriegsschauplatz wechseln, sie glauben selbst nicht inehr daran, sie fühlen, wie der Westen jeden Mann ab- sorbiert, der noch aus einer Flinte feuern kann. Ein neuer ist als Regimentsarzt bestellt und angelangt, ein Oberarzt, der soldatisch ebenso ehrgeizig wie beruflich reizbar ist: von einer gekrampsten Schneidigkeit, mit dem Willen gerecht zu sein. Ein junger Oberarzt, ein eben be- förderter, als höchster Truppendoktor. Warum nicht? Kürzlich hat«in Feldwebelleutnant ein Bataillon geführt, weil nichts Rangbesseres da war ein Bataillon, das vorher einen adligen Major an der Spitze sah! Nach dem adligen Major ein dienstergrauter Polizeiwachtmeister als Batoillonsführer. Wohin geht es? Noch wochenlangem Hin und Her, noch Bereitstellungen, Zurückziehungen, Vorschüben, nach täglichem Wechseln der Unterkünfte, später nach täglichen Märschen die gleiche Strecke hinauf und hinunter, nach Eilenbahnfahrten ins Hinterland, nach hastigen Fahrten in Lastkraftwagen wieder nach vorn-- geht es an die Marne  . Zlber vorher verabschiedet sich schon wieder ein Regimentskommandeur: jener, der eben erst auf Major Dusang gefolgt ist. Wie er heißt, weiß man nicht so recht, auch ein französischer Name, es geht zu schnell, du kannst dir die oertrakten Silben nicht merken. Der jetzt kommt und länger bleiben wird, heißt von Artigand, ein richtiger Oberstleutnant. Es ist, als ob nur noch Franzosen   das Regiment gegen Franzosen führten. In die Beule geht es hinein, die bis Chüteau Thierry vorgetrieben ist: Ergebnis der letzten der drei Offensiven. Es ist unzweideutig Sommer geworden; fie gelangen über Fdr«
Die Gklarek-Äerträge. Stadtrat Gabel will Puste« und Mandat niederlegen. Gestern hat im Magistrat eine eingehende Besprechung über die bekanntgewordenen Verträge mit der Firma Ge­brüder Sklarek begonnen. Wie das Rachrichtcnamt der Stadt Berlin   mitteilte, hat ein Vertrag zwischen der LAG. und der Firma Sklarek aus dem Zahre 1926 in der Tat be- standen. Es handelt sich um keinen Geheimvertrag: der Aussichlsrat der BAG. hatte davon Kenntnis. Stadtrat G ä b e l, dessen Unterschrift der Vertrag mit den Sklareks trägt, gibt der kommunistischen Presse eine E r- k l ä r u n g, in der er mitteilt, daß er mit der Kreditgebarung der Stadtbank in keiner Weise etwas zu tun gehabt habe. Die angeb- lichenGeheimverträge" der VAG. mit der Firma Sklarek sollen nach der Erklärung Gäbels, die allerdings im Widerspruch zu den Mitteilungen des Stadtkämmerers Dr. Lange steht, neben dem Auf- sichtsrat der BAG. auch der Finanzverwaltung bekannt gewesen sein. Bis zum Abschluß dieses Vertrages seien mehrere die BAG. finanziell schwer belastende, bis zum Jahre 1930 gültige Verträge gelaufen. Diese seien durch den Abschluß eines für BAG. günstigeren Vertrages annulliert worden. Stadtrat Gäbel behauptet in der Erklärung an seine Partei, daß vonGeheimverträgen", durch die unter seiner Mitwirkung die Stadt geschädigt worden wäre, keine Rede sein könne. Stadtrat Gäbel gibt zu, daß es von i h in ein Fehler gewesen sei, einen solchen Vertrag, der einem Kapitalisten eine gewisse Monopolstellung zusichert", abgeschlossen zu haben, ohne mit seiner Partei darüber zu sprechen. Wegen dieses politischen Fehlers werde er seine Funktionen als Stadtrat und Stadtverordneter niederlegen, nachdem er sein Möglichstes dazu bei- getrogen hoben werde, die Korruption, von der jetzt alle Beteiligten ablenken möchten, aufzudecken, woran ihn kein Amtsgeheimnis hindern werde. Der Aufsichtsrat der Berliner   Anschaffungs- gesellschaft, dem Stadtrat Ahrens, Obermagistrntsrat Schindler, Verwaltungsdirektor Gutjahr, Stadtrat Degner sowie die Stadt« verordneten Braun, Linke und Bublitz angehören, hat gestern nach- mittag unter dem Vorsitz von Stadtrat Gäbel zu den Verträgen init den Gebrüdern Sklarek Stellung genommen und, wie vom Nach- richtenamt mitgeteilt wird, folgenden ein st immigen Beschluß gefaßt! Der Aufsichtsrat der Berliner   Anschaffungsgesellschaft stellt auf die verschiedenen in der Presse erhobenen Beschuldigungen folgen- des fest: J. Die Berliner   Anschossungsgesellschast hat weder mittelbar noch unmittelbar mit der Kreditgewährung an die Gebrüder Sklarek irgend etwas zu wn. 2. Die Meldungen der Presse über das Bestehen von Geheim- vertrügen mit der Berliner   Anschafsuirgsgesellschaft sind völlig aus der Luft gegrissen. Auf dem Vertragslieferantenverzeichnis der BAG. sind die Gebrüder Sklarek als Lieferanten für nicht typisierte Konsektion angegeben. Dieser Vertrag hat folgend« Vorgeschichte: Die frühere Geschästs- leihing der BAG. hotte mehrere die BAG. schwer belastende Liefe- rungsverträge mit der Firma Gebrüder Sklarek abgeschlossen. Diese Verträge sind, um die Stadt vor Schaden zu bewahren, durch Ver- Handlungen umgewandelt worden. Der Aufsichtsrat hat sofort nach dem Wechsel der Geschäftsleitung im Dezember 1926 dafür gesorgt. daß die Abwicklüng und Kontrolle der Lieferungen nach dem gleichen Prinzip, wie all« Lieferungsverträge bearbeitet werden, erfolgt. Das Amtsgericht Berlin-Mitte hat jetzt neben dem bereits erlassenen Veräußerungs- und Verpfandungsverbot gegen die Gebrüder Sklarek und ihre Firmen zur weiteren Sicherung der Masse bis zur Eröffnung des Konkursversahrens den Konkurs- Verwalter Schuster, Berlin   SW. 11, Königgrätzer Str. ZZ, als vorläufigen Verwalter bestellt.
en Tardennois an die Marne   und gleich hinüber: die Kom- pagnien noch gut, Nachzügler schon unterm Eisenhagel der Kanonen, unterm Bombenhagel der Flugzeuge. Funk liegt mit seinem Wagen an einem Hang fest, er sieht den Fluß vor sich, lieblich geschlängelt, liebliches Ufer. Die Gefechtsbagage kann nicht hinüber, die Brücke liegt zu sehr im Feuer, ist dauernd kaputt, wird von Pionieren dauernd ausgebessert. Die Kompagnien sind drüben, Aerzte gleichfalls, es soll sogar schon einen Verbandplatz geben. Gibt es auch Ver- bandmaterial? Es wäre sehr wichtig, der Wagen könnte hinübergelangen. Er bleibt, wo er ist. Der Widerstand.des Gegners wächst an Dichte, begleitet vom Erfolg. Der Gegner hat die Deut- schen herangelassen, nur um sie desto kräftiger zurückzuwerfen. Funk liegt im Gras, er preßt den Leib an den Boden und horcht auf die� Einschläge: da dort näher ferner ganz nah. Wenn man Glück hat, kommt man wieder ein- mal durch, wenn nicht, erwischt es einen endlich. Unfern schreit ein Gaul, es ist ein wildes schnaubendes Weinen: Funk sieht das Tier später, zwei Beine sind ihm bis in Kniehöhe weggerissen, es siegt und lebt. Er wird zu verwundeten Fahrern gerufen, und während er sie verbindet, kommt der Befehl: schnell anspannen, ab- rücken in die Richtung, aus der man gestern gekommen ist. Zurück also, zurück! Es geht in der Folge mächtig, es geht tagelang rückwärts. Man wird vom Feind gehetzt und gejagt. Die kampierende Bagage, selbst sie, wird überall auf- gestöbert: kaum will sie sich in einem Waldwinkel festsetzen, rauschen und donnern die Schüsse herein. Wo ist Antwort der eigenen Artillerie? Sie scheint es nicht mehr zu geben. Nichts bleibt, als daß man weiter zu flüchten versucht. Hierbei wird einem Feldunterarzt die Brust tödlich zerrissen. Es ist merkwürdig: so viele hat Funk sterben gesehen bei diesem will er's nicht glauben. Er hält den erkaltenden Kopf im Schoß, begreift nicht und schreit:Herr Dr. Schwarz Dr. Schwarz!' Dann läßt er den Toten fahren und rennt davon, denn die Angst überwältigt ihn, selber getroffen zu werden. Das wächserne Gesicht des jungen Menschen, der trotz allen Entbehrungen die Gabe gehobt hat. bis zur letzten Minute blühend auszusehen, beherrscht so sehr das Wald- innere, daß über Funk die panische Furcht herfällt: die Leiche da will nicht allein bleiben, sie lenkt den Tod bestimmt auf dich! (Fortsetzung folgt.)