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Rr. 479 46. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Gonnabend, 12. Oftober 1929

Für ein freies Berlin

Bedeutung der Stadtverordneten­wahl. Ein Rundfunkvortrag von Stadtverordnetenvorsteher Haß.

Im Rundfunt fprach gestern abend Stadtverordnetenvorsteher| jeder Abstimmung Parteien fich zusammenfinden. In den letzten| ledigt werden. Geftritten wird nur um das Maß der Selbständig. Genosse Haß über die Bedeutung der Stadtverordnetenwahl Berlins . Einleitend wies er darauf hin, daß die Masse der Be­völkerung fommunalpolitische Arbeit leider, in der Regel aus Un­fenninis, nicht sehr hoch einschätzt. Dabei wird nicht bedacht, daß jeder Bürger das Recht und die Pflicht hat, an der Gestaltung der Berhältnisse in Berlin mif. zumirfen. Aber interessierte Kreise melden sich, wenn es gilt, 3. B. gegen flädtische Abgaben und Steuern, gegen Straßen­reparaturen, Untergrundbahnbau und ähnliche Notwendigkeiten zu profeffieren und über Schädigung zu flagen. Jeder Einwohner der Stadt sollte sich um die kommunalen Arbeiten Pümmern.

Wichtig ist es z. B., wo und wie die neuen Wohnhäuser in der Stadt gebaut werden. Verlangen muß man, daß für diese Sied. lungsbauten gute Verkehrsmittel geschaffen werden. 54 Proz. der Bevölkerung sind ermerbstätig. Sie alle haben ein Interesse daran, daß ihnen nicht die Freizeit durch lange Wege und Fahrten vertürzt wird. Alle Einwohner der Stadt geht es auch an, ob mir billige Fahrpreise haben, und auch das, ob die Gas, Wasser und Elettrizitätspreise niedrig find. Noch viel mehr wird jede Familie von der Gestaltung der sozialen Verhältnisse berührt. Schule, Wohlfahrt, e- sundheitswesen gehören zu den großen Aufgaben der Stadt. Haß betonte wiederholt, daß jeder Wahlberechtigte sich Marheit über die Kommunalpolitit verschaffen müßte.

Der 17. November, ein Großwahltag.

3u wählen find am 17. November nicht nur in Berlin 225 Stadtverordnete und 780 Bezirksverordnete, sondern alle Ge­meindeparlamente in ganz Preußen, Sachsen, Hessen, Bayern, des gleichen die Kreistage und die Provinziallandtage. An Reichstags mahlen beteiligen sich fast immer über 80 Broz. der Wahlberech tigten. Bei Kommunalwahlen sehen wir sehr viel ge­ringere Beteiligungen, an manchen Orten nur 20 Proz. und darunter. An den Berliner Kommunalwahlen beteiligten ftch 1921 66 Proz und 1925 63 Proz In 1925 haben 37 Broz, 1082 000 ahlberechtigte, ihr Wahl­recht nicht ausgeübt! Das erflärt sich hauptsächlich aus Gleichgültigkeit. Bei vielen mag auch mitsprechen, daß Berlins Stadtparlament nicht gerade einen guten Ruf hat. Aber daß hier Bu menig gearbeitet wird, trifft nicht zu. Unsere Stadtverordneten­rersammlung gehört zu den arbeitsreichsten Deutschlands. In den vier Jahren 1925 bis 1929 hat sie über 3000 Verhandlungsgegen stände( Borlagen des Magistrats und Anträge der Parteien) zu verhandeln gehabt. Sie hat weitgehende Aus- und Aufbauarbeit geleistet, die natürlich auch bedeutende Geldmittel erforderte. Um­faffende Kenntnisse und volle Hingabe werden von einem Stadt­perordneten verlangt. Wer als Kommunalpolitiker ernsthaft und erfolgreich mitarbeiten will, muß viel Zeit und Mühe aufwenden. Die diesjährige Stadtverordnetenwahl hat eine besondere Bedeutung, weil in der Arbeitsperiode des neuen Stadtparlaments und der neuen Bezirksparlamente der Magistrat und die Bezirksamter durch Wahlen neu zusammengesetzt werden.

Von den Parteien in der Stadtverordnetenver sammlung ist die größte die Sozialdemokratische Partei mit 73 Mandaten, dann folgen Deutschnationale mit 47 Mandaten, Kommunisten mit 43, Demofraten mit 21, Deutsche Bolkspartei mit 14, Wirtschaftspartei mit 10, Zentrum mit 8, Deutschvölkische und Deutschsoziale mit je 3, Evangelischer Gemein­schaftsbund mit 2, Unabhängige mit 1 Mandat. Da für die Mehr heit im Stadtparlament 113 Stimmen erforderlich sind, müssen bei

Johann Komáromí

1]

He, Koraken!

Caus dem Ungarischen

von Alexander von Sacher Maroch

1.

Meine Großmutter tam ängstlich aus dem Borhaus herein.

Sie haben sich schon wieder geprügelt, irgendwo. Heilige Mutter, erbarme dich unser!"

Aus der Richtung der fleinen Brüde erscholl Pferde getrappel. Ihr Wagen bog gerade in den Hof ein. Sie faßen Darauf zu dritt: Mein Großvater, der Oberkosat, dann sein Schwiegerjohn namens Georg Bajda, der erster Schafmeister aller Herden war, die sich in den Wäldern von Lazony vor: fanden und mein Bater. Sie sangen ein an Kriegsgesänge gemahnendes Lied und mein Großvater jodelte mitunter da­zwajen. Meine Großmutter stand in der Mitte des Zimmers und während sie die. Hände faltete, flossen Tränen über ihr Die gewachtes Gesicht:

.,. Man wird sie noch einmal irgendwo erschlagen..." Bon draußen vernahm ich die Stimme meines Groß pa ers. mie er dem Kutscherburschen aufgebracht zurief: ,, Spanne die Pferde aus, du!"

vier Jahren sind die Entscheidungen mit mechselnden Mehr heiten geschaffen morden. Die Linksmehrheit besteht aus 73 So­zialdemokraten und 43 Kommunisten. Sie fand sich besonders bei sozialistischen Entscheidungen zusammen. Die zweite Mehrheit besteht aus 73 Sozialdemokraten, 21 Demokraten, 14 Volksparteilern und 8 Zentrumsvertretern. Sie wird Große Koalition" genannt und ist die Etatmehrheit, die in den letzten vier Jahren den Stadthaushalt beschloß, während Deutschnationale, Kommu­nisten und Wirtschaftspartei ihm die Zustimmung versagten. Diese Etatmehrheit hat auch die großen Geseze und Vorlagen ver­abschiedet, so über die Finanzpolitik, die Besoldungsordnung, den Zusammenschluß der Verkehrsgesellschaften und die Tarifpolitik der Werfe und Gesellschaften. Eine Verständigung zwischen diesen Par­teien mar nicht immer leicht. In den 20 Bezirksversamm Iungen sind vertreten: Die Sozialdemokraten mit 261 Mandaten, Kommunisten mit 147, Demokraten mit 77, das Zentrum mit 21, Deutsche Volkspartei mit 49, Wirtschaftler mit 32, Deutschnationale mit 181, Böllische mit 4, allgemeiner Mischmasch

mit 8 Mandaten.

Es läßt sich noch nicht voraussagen, welche Probleme und welche Beschlüsse der städtischen Körperschaften in Wahifampf eine Hauptrolle spielen werden. Die Einheitsgemeinde Groß- Berlin wird nicht mehr heiß umstritten sein. Die Los- von­Berlin- Bewegung ist verstummt. Gerade die dissentierenden Vor­orte haben die größten Vorteile von dem Zusammenschluß gehabt Dagegen wird die Verwaltungsform der Stadt Gegen­stand der Erörterung sein. Die städtischen Körperschaften haben, foweit es möglich war, durch Ortsgesetze und Sagungen die innere Organisation der Stadt selbst bestimmt. Dabei sind die Interessen gegenfäße sehr weitgehend ausgeglichen worden. Nicht alle Ange­legenheiten einer Weltstadt können durch zentrale Berwaltung er­

Das

Berlin

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mal

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feit, die den Bezirken zu gewähren ist. Die Finanzhoheit muß der Zentrale verbleiben und kann nie auf die Bezirke übergehen, die ja von verschiedener Größe und nicht gleicher Zusammensetzung find. Durch die Finanzhoheit der Zentrale wird der innere Lasten­ausgleich zwischen den reichen Bezirken des Westens und den prole­tarischen des Nordens und Ostens herbeigeführt. Dagegen wird jeder Kommunalpolitiker den Bezirken die Verwaltung überlassen und ihnen auch die Initiative für neu zu Schaffendes zubilligen. Hier kamm meitgehende Selbständigkeit ohne Schaden für das große Berlin gewährt werden. Das ist sogar nötig, denn die Zentrale ist schon start in Anspruch genommen durch die grundsäglichen Auf­gaben, die von allen Seiten immer mehr auf sie einstürmen. In einigen Jahren dürfte nach den gesammelten Erfahrungen der Landtag das Gesez Groß- Berlin ändern. Für die Stadt am günstigsten wäre die Vollmacht zu Aenderungen, die eine nicht zu teure Berwaltung schaffen und doch die lebendige Ber bindung zwischen Stadtleitung und Bevölkerung herstellen. Bei der Stadtverordnetenwahl ist leider keine Entscheidung möglich, die volle Selbstverwaltung der Stadt herbeizuführen. Hier ist Berlin in der Kaiserzeit immer stiefmütterlich behandelt worden. Auch icht flagen die Stadtväter immer wieder über den ungerechten Finanzausgleich zwischen Reich, Staat und Gemeinden. Die Staatsaufficht und unwürdige Bevormundung ist ein Un­recht gegen die Stadt Berlin. Daß Berlin immer noch der Städteordnung von 1853 unfersteht, entspricht nicht mehr der Stadtgröße und den Zeitverhältnissen. Berlin gebührt die Stellung eines Stadtftaates, wie Hamburg es iff. Die Mittel, die Berlin dann aus Ueberweisungssteuern erhielte, reichten aus, die sozialen und kulturellen Aufgaben zu erfüllen und auch die Wohnungsnot zu lindern.

2011 Wochen

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ende

Lichterfelde- Machnower Schleuse von neuem mit unwiderstehlicher Gewalt. Es figt sich gut auf den

Das prattische Ineinandergreifen der Straßenbahnlinien ge­stattet einen sehr schönen Ausflug nach der Machno mer Echeuse unter Benutzung eines Fahrscheins für 20 Pf. auszu führen. Er ist um so wertvoller, als er mit leichter Mühe in schöne Waldspaziergänge ausklingen kann, die jetzt bei dem kühleren Wetter großen Genuß gewähren. Nach Lichter felde( Bahnhof Ost) führen zwei Linien: die 96 von der Behrenstraße aus und die 56, die von Pankow herkommt. Für den äußeren Westen kommt noch die vorbeiführende Linie 42 in Be­tracht, die, von Steglig kommend, die wichtige Verbindung zwischen den beiden Bahnhöfen von Lichterfelde darstellt. Von Bahnhof Ost führt nun die Linie 100 über Teltow nach der Machnower Schleuse. An der Strecke wird fleißig an der Fertigstellung des zweiten Gleises gearbeitet, aber ist erst mal das Dorf Klein­ Machnow erreicht, so ist auch die Romantit des märkischen Waldes da. Und das Bild der Schleuse selbst wirkt stets

mit gespreizten Beinen. Seine gebogene Schnabelnase hob sich scharf von der Fensterscheibe ab, auf der schon das frante Grau der Dämmerung lag. Sein Haar hing ihm über die Ohren. Plötzlich griff er in seine Mähne:

,,, wie mich der Zorn schüttelt!"

Da trat Georg Vajda ein, mit dröhnenden Stiefeln. Seine Schultern waren so breit, daß er nur seitwärts zur Türe hereinfonnte. Auf seinem Bauche baumelte ein fupfer­beschlagener Geldgürtel. Ihm folgte mein Vater, der ein. ge= drungener, niedriger Mann war, aber mit Beinen wie

Säulen.

Der Oberfosat rief begeistert ,, Na, Kinder, die Kosaken haben nicht zu ihrer Schande gearbeitet! Wie mir gerauft haben, Herrgott nochmal! Acht Wagen voll Ungarn und zwölf Wagen Slowaken blieben halb tot auf dem Plan! Ich bin zufrieden, Rosalen! Darauf wollen wir trinten.

Georg Vajda und mein Vater ließen sich beim Tisch nieder. Der Oberfosat begann das Zimmer zu durchforschen: Wahrscheinlich suchte er etwas. Dann rief er hinaus: He, Frau, mo ist der Schnaps?" Großmutter öffnete die Türe, aber nur halb. Sie blieb auf der Schmelle stehen:

,, Der Jude sagte, daß er nichts mehr pumpt... ,, So, das sagte er?" lachte der Oberfosat und in seinem Lachen war hohes Selbstvertrauen und unerhörter Spott. habt ihr's gehört, Kinder? Diese Rreze hat es gewagt, zu erflären, daß sie nichts mehr pumpt. Die Läuse sollen seinen Bart fressen!"

Dann ging er auf das Haus zu. Im nächsten Augenblic einzufallen, denn er fuhr sie rauh an: trat er in das Zimmer

, Na, die haben ihre Gebühr bekommen!" Er riß die Lammfellmüße vom Kopf und schleuderte sie auf das Bett. Auf seinem Halse, der voller Falten mar, mie der Hals eines Geiers, leuchtete eine frische Schlagmunde, fein Hemd war zerfetzt. Er jah sich um, sajnaubte zwei, dreimal und blieb mit gespreizten Beinen in der Mitte des Zimmers Steben. Jest erblidte er meine Großmutter, die still trauernd in der Kaminede fauerte. Er rief sie an: Bas foll dieje Miene, he?"

hous

Großmutter stand auf und flüchtete erschrocken ins Bor Der Oberfosat blieb weiter in der Mitte des Zimmers

Er blickte jäh auf Großmutter. Und es schien ihm etwas ,, Halt die Klappe und lüge mir da nichts vor! Wo ist die Schnapsflasche? Gestern, als mir zur Hochzeit fuhren, blieb eine Flasche zurüd. Wo ist der Schnaps?"

Meine Großmutter wandte sich um und verschwand laut los meinend im Hinterhause. Als sie wiederkehrte, brachte fie die Flasche unter ihrer Schürze. Sie stellte sie auf den Tisch und ging hinaus. Sie trat auf den Fußipizen auf. Das tat sie immer, wenn die Rojaten sehr zornig waren.

Der Oberfosat nahm den Liter und goß ein. Er warf sich stolz in die Brust:

Himmel, diefe acht Wagen Ungarn und jene zmölf Wagen Slomaten sehen jetzt gut aus! Aber es geschieht ihnen recht, den Großmäulern. Weshalb haben sie mit uns ange bunden?"

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etwas teuren Stühlen des Schleusengartens wo der schwarz­meißrote Automobilklub sein Wappenschild heraushängt, spielen die Arbeitergroschen teine Rolle, aber man fann auch ,, gratis" das Schauspiel der sich hebenden und senkenden Tore der zwei Schleusen­fammern von hoch oben( von der Brücke) genießen.

Aber schließlich reißt man sich doch los und es geht hinein in den Wald. Ein Spaziergang links nach Kohlhasenbrüd. rechts nach Wannsee auf Nebenpfaden einer, geteerten Chaussee. Hat man den altehrwürdigen Königsweg erreicht, so bemerkt man bald schöne Eichen, deren Fuß von Mauerwert umgeben ist: an dieser Stelle wurde die Chauffee erhöht, und um den Bäumen die alte Luft zu lassen, wurde ihr Fuß ummauert. Auf diese angenehme Episode folgt aber bald das die Ohren marternde Krachen der man be= Handfeuerwaffen" in der bekannten Bersuchsanstalt" greift den Unwillen der Wannseebewohner über diese dauernde Ruhestörung. Der Wanderer vergißt sie freilich schnell beim Anblick des immer in Anmut dem Blicke sich darbietenden Sees.

Er trant. Nach ihm trant Georg Bajda. Nach diesem mein Vater. Ich hatte mich in die Kaminede zurückgezogen. Der Ober­tojat bemerkte mich:

,, Her mit dir, Bengel! Trink!"

Er riß mich an sich und steckte mir die Flasche in den Mund. Das Getränt war bitter und mir schwindelte davon. Ich schüttelte mich.

Der Oberkosat hieb mir lächelnd auf die Schulter: ,, Hör zu, Kerl! Wir Kosaten haben heut nachmittag ein halbes Dorf verprügelt. Wir, zu dritt! Aber weshalb find fie uns auch nicht ausgewichen?" fragte er gleichfam fich selbst. Sie starben alle, es geschah ihnen recht du, Kerl", er maß mich von oben bis unten, bör jetzt zu, denn wenn du größer bist und nicht so raufen wirst, wie dein Vater und dein Großvater, dann dreh ich dir lieber gleich den Kragen um! Verstanden?"

,, Jawohl, Großvater."

Sie tranfen wieder. Mein Vater schwieg vor sich hin. Georg Vajda bemerkte:

Möglich, daß die Gendarmen uns holen fommen." Der Oberkojat lachte grell auf:

,, Uns holen tommen? Sie mögen's probieren! Aber Georg, daß du dich nicht schämst."

Dieser Tag war der späte Nachmittag eines Sonntags. Der Herbst ging zu Ende. Ich mochte damals noch nicht neun Jahre alt fein.

Der Oberkosat stand progig in der Mitte des Zimmers und verspottete seinen Schmiegersohn Georg Bajda, der die Meinung vertrat, daß sie es diesmal mit den Gendarmen zu tun haben würden. Der Obertosat lächelte, aber es mar auch schon Zorn in ihm:

"

,, Wenn ich nicht wüßte, daß ihr, wenn es sein muß, immer euren Mann stellt, würde ich euch gleich aus meinem Hause werfen..."

In jenem Augenblid vernahm man Lärm und Füße stampfen von der Straße her. Dann drängten mehrere Gc ftalten in unseren Hof. Der Oberfojat war bereits im Vor­

haus.

,, Na, was gibt es? Warum drängt ihr jo?" ,, Gevatter Michael! Gevatter Michael!" riefen mehrere durcheinander. Im Wirtshaus raufen die Ungarn von Rast und die Slowafen von Márf! Sie morden einander!" Ich verstehe die Sache nicht!" rief der Alte Grur rede!" ( Fortjeßung folgt.)