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$leflage Mittwoch, 16. Oktober 1929

LprÄbmd SfmhulgaAs jin IbutarA

3iarl Siawisky und der'Marxismus QefehichÜiches und Erlebtes

An ffeler&orlenlwicklung. An dem IS- Okwber 1929, an dem die sozialdemokratische Ar- beiterschost den 15. Geburtstag Karl Kautskys sestlich begeht, liegt das Lebenswerk dieses Theoretikers der deutschen Sozialdemokratie fast in seiner Geschlossenheit vor uns. Wir sagten mit Absicht: f a st liegt es vor uns: denn noch arbeitet der unermüdliche Forscher an der Ausfüllung einiger Lücken in seinen historischen und cheoreti- schen Werken. Jminerhin können wir Ziel und Inhalt seiner Lebens- arbeit deutlich erkennen: es ist und war der Aus- und Aus- bau des Marxismus�u einer Welt» und Lebens- an schauung der sozialistischen Arbeiterklasse. In dem anregenden Werke:Die Volkswirtschaftslehre der Gegenwart in Selbstdarstellungcn" spricht Koutsky von derde- stimmten Richtung", die er seit einem halben Jahrhundert einge- schlagen hat, und an der er nie irre geworden ist. Er schließt diese «Selbstdarstellung" mit den Worten: Ich hotte manche Illusion zu begraben, manchen Irrtum .zu erkennen und richtigzustellen, meine Auffassungen hatten bis in die jüngste Zeit manche Entwicklung durchzumachen. Aber jede neue Einsicht dieirtc nur dazu, meine lleberzeugung von der Richtigkeit der Richtung, die ich eingeschlagen, und der Methode, die ich angewandt, zu vertiefen. So werde ich sterben, wie ich gelebt, als unverbesserlicher Marxist." Daß Karl Kautsky in seinen theoretischen Anschauungen wirk- sich lebendig geblieben ist, das beweist sein jüngstes umfassendes Werk überDie materialistische Geschichtsauffas- f u n g". In seiner.Entstehung?- und Entwicklungstheorie des Staates" hat Karl Kautsky Wege eingeschlagen, die vielfach abseits von der von Friedrich Engels gebahnten Straß« liegen. Er setzte sich ferner dafür ein, daß der militärisch« Sicherungsge- danke in die Marxsche Formel der materialistischen Geschichts- auffasfung ausgenommen wird:Die materialistisch« Geschichts- ausfasfung ist unvollkommen, wenn wir nicht diegesellschaftliche Produktion des Lebens", von der sie ausgeht, in einem Sinne fasien, der es ermöglicht, zu dieser Produktion den Krieg und die Bor- bereitung des Krieges ebenso zu rechnen, wie die Her- stellung von Kleidern und Wohnungen." Kautsky hat auch die Richtigkeit der Marxschen Revolution»- formel, nach der die Produktionsverhältnisse zur Fessel der Pro- duktionskräfte werden müssen, damit die Menschheit zu einer Neugestaltung der Produktions- und Gesellschastsordnung gelangen kann, für die Fortentwicklung des Kapitalismus bei der Herrschaft einer durchgebildeten Demokratie/in Frage gestellt. Unter dieser Herrs chaftssorm kann sich nach Kaussky die Aufbauarbeit des orga- visierten Proletariats so positiv auswirken, daß die gewaltsam« Sprengung der Produktions- oder Eigentumsverhältnisse nicht notwendig wird. Mit Recht kann also Karl Kautsky von sich sagen, daß seine Auffassungen bis in die jüngste Zeitmanche Entwicklung durch« zumachen" hatten. Sin Kämpf erleben. Das Denkerleben Kautskys ist ein Kämpferleben gewesen. Es war daher«in glücklicher, ganz dem Wesen Kautskys entsprechender Gedanke Karl Renners , die Biographie seines Lehrmeisters" Kautsky ganz mit der Geschichte der geistigen und politischen Entwicklung der deutschen Arbeiterklasse zu verschmelzen. Räch meiner Ueberzeugung hat Koutsky manche theoretische und taktische Position aufgegeben, die er vorher verteidigt hat. Für die kämpfende junge Generation ist gerade die Festschrift Renners zum 75. Geburtstage Kautskys besonders lehrreich(Verlag I. H. W. Dietz Rachf., Verlin 1929); die Jugend erlebt bei der Lektüre dieser Schrift die bewegt« Geschichte der Theorie und Taktik der deutschen Sozialdemokratie.> In einen sehr scharfen taktischen Gegensatz geriet gerade Karl Koutsky zu dem marxistischen Radikalismus der Richtung Rosa Luxem burg -Franz Mehring . Es war dos gleichsam schon ein Vorgefecht gegen den kommenden Bolschewismus. Für Rosa Luxemburg war die direkte Massenaktion nicht«ine Ergänzung, sondern ein Ersatz der parlamentarischen Aktion. Für Kautsky umschloß der politische Kampf notwendig einen Kampf um die G e- setzgebung und Regierung. Eine Gesetzgebung war aber unmöglich ohne einen gesetzgebenden Körper. Für die Sozialdemo-

Ster TlerundzrransIgjBlirige krati« war daher die direkte Aktion, der Generalstreik ein Mittel zur Eroberung und Sicherung aller Zugänge zur Gesetzgebung. In den vorhergehenden Zeilen wurde der Auf. und Ausbau des Marxismus.als das eigentliche Lebenswerk Karl Kautskys be- zeichnet. Die Losung seiner großen Lebensaufgabe konnte dem Ge- nassen Kautsky dadurch gelingen, daß er sich aufs engste an die Praxis der arbeitenden Klasse, an den Tageskamps der Arbeiter- schaft, anschloß. , Der Marxismus ist die Verschmelzung zweier sozialistischer

Strömungen: Auf der einen Seite rebelliert das Proletariat mit elementarer Kraft gegen feine Ausbeutung und Bedrückung, und stellt sozialistische und konnnunistisch« Gleichheitsforderungen auf, und auf der anderen Seite erhebt sich die wissenschaftliche ökono- mische Kritik gegen die kapitalistisch« Wirtschaftsweise und schreitet ebenfalls zum Sozialismus fort. Kautsky schlug nun beide Wege ein: er stellte sich auf die Seite der kämpfenden Arbeiterschaft und zugleich vertiefte er sich in die wissenschaftliche Analyse des Kopita- lismus. Die deutsche sozialistische Arbeiterschaft wird es dem Genossen Kautsky nie vergessen, daß er in den schwersten Tagen des S o- zialistengesetzes in den Rethen der kämpfenden Sozialdemo- krati« marschiert«. Karl Kautsky schrieb schon im Herb st 18 7 3 eine messerscharfe Korrespondenz gegen die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse Oesterreichs , das sich damals in seinem sozialdemokratischen, von. der Gewaltpropaganda Johann Mösts nicht berührten Teile an die deutsche Sozialdemokratie an- lehnte. Sehr interessant ist die Korrespondenz, die Koutsky mit dem Redakteur desSozialdemokrat", Georg von Dollmar, über die Mitarbeit an diesem Blatte und über dessen Verbreitung führte. Koutsky kommt dann auf die Einladung Karl Höchbergs, der selbstlos das finanzielle Rückgrat desSozialdemokrat" stärkte, nach Zürich In gemeinsamer Arbeit mit Eduard Bernstein ver- faßt er seine Kampsesartikcl gegen die Vertreter eines eklektischen" Sozialismus. Artikel, scharf wie Schwerthieb«, die den Weg für den Marxismus bahnen sollten und deshalb für das theoretische Ringen des deutschen Proletariats um Wissenschaft- liche Erkenntnis von großer Bedeutung sind. In Zürich schoß Kautsky Freundschaft mit Bernstein, Motteler, Vollmar. In diesem Freundeskreise erhielt er den' Spitznamen

Baron ". Sehr wesentlich« Abteil nahm Kautsky an den Vera- tungcn des Wydener Geheimkongreffes 1880. Als Georg von Vollmar seinen Rücktritt von der Redaktion des.Sozialdemokrat" August Bebel mitteilte, sah dieser sofort in Karl Kautsky den Nachfolger Vollmars. Er richtet« an Dollmar diese Zeilen: , An Wilker. L., d. 26. Dezember 1880. L. Fr. C. H.s Propositionen sind unannehmbar befunden, und habe ich ihm heute abgeschrieben. Lbkn. u. Ktzk. sollen gemeinsam operieren, wie, Hab ich K. auseinandergesetzt. Vorläufig wird's hapern mit der exakten Durchührung. indes das Provisorium wird sich durchrbeiten lassen, wenn K. bereit ist, die Arbeit zu übernehme». Ich bitte Dich, K. in alles nötige einzuweihen. Wohin gehst Du noch dem I? Nächster Tage schreibe ich über die Angelegenheit H. ausführlicher, sitze aber bis über die Ohren in Arbeit und schon naht sich der II. Feiertag seinem Ende. Herzliche Grüße. D. A. B. (Unter C. S), ist Earl Hirsch verstanden, der schon vor Vollmar einmal als Redakteur ins Äuge gefaßt war. Lbkn. Liebknecht .) Zur wissenschaftlichen Kritik des Kapitalismus gründete Kautsky am Schluß des Jahres 1882 dieNeue Zelt", die er ganz in den Dienst des Marxismus stellte. Karl Kautsky trat also in die politischen, sozialen und wirt. schaftlichen Tageskömpfe der deutschen sozialdemokratischen Arbeiter. schaft ein, und zugleich führte er sie kritisch-wissenschaftlich durch die Neu-e Zeit" in die Erkenntnis des Kapitalismus und seiner beginnenden Umwälzung in den Sozialismus ein. berliner Srlebniffe. Dielleicht hat es ein gewisses allgemeines Interesse, zu unter» suchen, wie diese doppelseitig« Wirksamkeit Kauts- k y s bestimmte Grohstadtkreife der deutschen sozialdemokratischen Arbeiter beeinflußte. Im Jahre 188-t verspürte der aufnzerksam« Beobachter schon die Wirkung, die theoretisch von den beiden marxistisch redigierten Organen der deutschen Arbeiterschaft: von demSozialdemo» trat" und derNeuen Zeit" ausging.

Verhältnismäßig frühzeitig hotte ich Fühlung mit deninternen" Genossen der Sozialdemokratie in Berlin erhalten. Ich lernte in den Genossenkneipcn des Ostens, imFeuerhaken", in derEich- kotze" ganz hervorragend tätige Sozialdemokraten kennen. Franz B e r n d t, der vor allem den Lockspitzel Ihring-Mohlow entlarvt hat, war ein höchst rühriger und intelligenicr Mensch, der mit Glück seinen hellen Verstand schon an der Marxschen Werttheorie erprobte. Das Marxsche SchviftchenLohnarbeit und Kapital " kursierte in den Genossenkreisen. Natürlich wurde derSozialdemokrat" heftig verbreitet. Diesen erhiest man im Gespräch eiligst zugesteckt. Der Handel mir

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Xaultky» Sreund XMtberg Bon» für Unterftützungzzwecke stand in schönster Blüte. Ich wundere mich heute noch, mit welcher Ungeniercheit und Selbstverständlichkeil die marxistischen Broschüren der Hottlinger Sozialdemokratischen Bibliothek verbreitet wurden. Ich mochte die Bekanntschast des-Drechsters Tabbert, der im Berliner Osten einer.�sauptmannschast" in der sozialdemokratischen Geheimorganisation vorstand. Tabbert hatte überdies eine sührende Stellung in dem Arbeiterbezirksverein des Ostens. Er war ein belesener, gut informierter Sozialdemokrat. In s«iner Wohnung stieß ich auf dieNeue Zeit", von der er mir einige Hefte lieh. Die marxistische Schulung der Sozialdemokratie in den Geheimbundsorganisationen hatte eingesetzt. Der Kreis um Kurt Baak« betrieb überdies fahr eifrig eine marxistische Revision des Gothoer Parteiprogramms. Ich fand die Niederschrift eines Berliner marxistischen Programms, dessen Hauptverfasser wohl der Student Heimann war, in den Gchcimakten der Bsr- liner Polizei. In dem Berliner Programmentwurf heißt es Anter anderem: In der modernen Gesellschaft sind die Arbeitsmittel Monopol der Kapitalistenklasse. Diese können sich infolge der Anwendung von Maschinen und Teilung der Arbeit nur entwickeln durch Eni- eignung immer größerer Volksmassen von Grund und Boden und Arbeitsinstrumenten. Die hierdurch bedingt« und immer welle» schreitende Teilung des Volkes in wenige Kapitalisten und Mil- lionen von ihnen abhängigen Arbeitern und Arbeitslosen ist die Ursache des Elends und der Knechtschaft in allen Forrpen. Die Befreiung der Arbeit erfordert die Verwandlung der Ar- bellsnnllel und des Grund und Bodens in Gemeineigentum der Gesellschaft und die genossenschaftliche Regelung der Gesamtarbeit nnt kommunistischer Verteilung des Arbeitsertrages. Die Bewc- gung der Arbellerklass«, welche gegen die Privilegien des Kapitals gerichtet ist, fordert natürlich den größten Widerstand der herrschen- den Klasse und der ihr dienenden Regierungen heraus. Daher muß die Befreiung der Arbeit das Werk der Arbeiter- klaffe selbst sein, der gegenüber alle anderen Klassen nur ein« reaktionäre Masse sind..." Dieses Programm sucht also schon den Sozialismus als dos Glied einer historisch-ökonomischen Bewegung zu charakterisieren. Es erhebt sich schon wesentlich über das noch stark naturrechtliche Gothaer Programm der Sozialdemokrati«. In dem Berliner Programm ist deutlich der Klassencharakter des Staates ausgesprochen und der Sozialismus wird als das Resultat eines Klassenkampfes gekennzeichnet. In dem Berliner Programm kündet sich schon der beginnende Sieg der marxistischen Sozialdemokratie an. Und heute an dem 7 5. Geburtstag Karl Kautskys lohnt es sich wohl festzustellen, daß bereits vor« dem Fall des Sozialistengesetzes im dem Jahre 18 8 7 die marxistische Werbearbeit Karl Kautskys einen ganz handgreiflichen Erfolg aufzuweisen hatte. Laul Kampffmeyer. Kautsky über feinen Werdegang Schon auf dem Gymnasium hatten mich historische Arbeiten am meisten angezogen. Ich beschloß, Historiker zu werden und belegte vornehmlich historische Vorlesungen, namentlich bei den Professoren Max Büdinger und Ottokar llorenz. Doch befriedigte mich die' bloße Geschichtsdarstellung nicht, ich suchte nach einer historischen Theorie, nach ein«m Prinzip, das den geschichtlichen Prozeß vorwärts treibe, und da mir niemand eine solche Theorie gab, machte ich mir mit der ganzen Verwegenheit der Jugend gleich eine auf eigene Faust zurecht, ja, ich faßte mit 21 Iahren schon den kühnen Plan,«ine Universalgeschichte zu schreiben. Und da diese natürlich mit Aegypten , Mesopotamien , Indien anfangen mußte, machte ich mich auch an das Studium ihrer Geschichte. Neben geschichllichen Studien beschäftigten mich auch natu» wissenschaftliche. Der Darwinismus nahm in den siebziger Iahren die ganze gebildete Well gefangen. Ich akzeptierte ihn mit Enthusiasmus, und meine Geschichtstheorie wollte nichts anderes sein, als die Anwendung des Darwinismus auf die gesellschaftlich« Entwicklung. Sie lief ungefähr auf dasselbe hinaus, wie jene Theorie, die Professor Gumplowicz in seinem BucheDer Rassenkampf" 1883 entwickelte. Ich tonnte natürlich von ihr um 1876 herum keine Ahnung haben. Und als Gumplowicz sein Buch veröffentlichte, hatte ich meine ursprüngliche Auffassung bereits zu einer anderen fortentwickelt. Neben Geschichte und Darwinismus fordert« aber auch der Sozialismus sein R«cht. Er drängt« mich zu ökonomischen Sncklen.